USA 2000 · 147 min. · FSK: ab 16 Regie: Steven Soderbergh Drehbuch: Stephen Gaghan Kamera: Steven Soderbergh Darsteller: Michael Douglas, Benicio Del Torro, Catherine Zeta-Jones, Dennis Quaid u.a. |
In blaugrauem Licht geht der Mann im Anzug über die Straße. Hinter sich die weißen Häuser Washingtons, die Zentren der Macht, in denen er selbst ein und aus geht, Anteil hat am großen Spiel. Eine Szene aus dem Anfang des Films, die sich am Ende wiederholen wird, unter ganz anderen Vorzeichen. Ein Richter, eine amerikanische Karriere. Eine Geschichte vom Verlust der Kontrolle und den Grenzen der Flexibilität. Und doch nur eine Erzählung unter mehreren in Steven Soderberghs Traffic.
Das Licht in Tijuana ist gelb. So gelb wie der Wüstensand, so schmutzig wie die Geschäfte, die hier gemacht werden. Eine Gegend, in der man Menschen nach Skorpionen benennt, nicht ohne Grund, denn jede falsche Entscheidung ist tödlich. Aber irgendwann kommt für den jungen Polizisten der Punkt, an dem das auch schon egal ist. An dem er sich entscheiden muss, weil der Horror, den er erlebt, außer Kontrolle gerät.
Außer Kontrolle gerät auch das Leben einer jungen reichen Frau. Als man
eines Tages ihren Mann mitten im Nobelheim von La Jolla Beach verhaftet, wird sie im Nu herausgerisssen aus ihrem weißgoldenen amerikanischen Traum. Per brutalem Crash-Kurs lernt sie hinter die Fassaden ihres Lebens zu schauen – ohne es zu ahnen, war sie Gattin eines Drogenbarons. Und ohne den Schutz ihrer Unkenntnis und der Killer ihres Mannes, muss sie lernen, dass sich alles verändern muss, damit alles so bleibt, wie es ist.
Drei Geschichten, drei unterschiedliche Schicksale, drei Entwicklungen: der kleine Polizist, der sich vor allem heraushalten will, und dann doch zum Jäger wird. Der Richter, den der Präsident zum Drogenfahnder macht, und der dabei nur die Sinnlosigkeit seines ganzen Tuns entdeckt. Und die schöne Frau, naiv aber voller Überlebensinstinkt. Alle drei werden sich nie treffen in diesem Film, und trotzdem ist ihr Schicksal untrennbar miteinander verbunden. Denn alle drei sind Teil eines komplexen Systems, dass kein Zentrum hat, und doch alle Teile nicht nur der amerikanischen Gesellschaft betrifft – des globalen Handels mit Drogen.
Wie stellt man wirtschaftliche Prozesse dar, wie zeigt man ein System, für das seine Unsichtbarkeit überlebensnotwendig ist? Das ist hier die zentrale Fragestellung.
So naiv ist Soderbergh nicht, um nicht zu wissen, dass er damit einen Film über das Phänomen des transnationalen Handelns macht, der staatlichen Ohnmacht, des Eingebundenseins von Individuen in Prozesse, die sie weder gewählt haben, noch kontrollieren können, des Phänomens also, das wir uns gewöhnt
haben, Globalisierung zu nennen, und das doch letztlich nichts anderes ist als Kapitalismus in Reinform. Wer Drogenhandel kritisiert, kann vom Kapitalismus nicht schweigen, das nicht zuzugeben ist die Lebenslüge Nummer eins, die der Film angreift.
Zugleich ist Soderbergh auch bewusst, dass er (Lebenslüge No. 2) mit dem Drogenkomplex eines der großen Tabuthemen Amerikas angepackt hat, eine der Selbsttäuschungen des Puritanismus, der das Leben gern reinwaschen würde von all den Sünden, ohne die es kein Leben wäre. Vielmehr weiß der Regisseur, dass er sich dem Tabu nur nähern kann, indem er seine Folgen beschreibt, indem er sich dort zeigt, wo sie keiner, selbst der ideologisch voreingenommene Zuschauer nicht ignorieren kann: Im tiefen Innern Amerikas, in der Familie und in politischen Machtzentrum.
Nichts ist Zufall hier, nicht dass die von Michael Douglas gespielte Figur des klassisch-amerikanischen Helden ein Richter ist, ein hartnäckiger Verfolger der Gerechtigkeit, der dann den entscheidenden Kommentar abgibt zu dem, was hier das Rechte ist, weil er gelernt hat, dass neben das Recht auch Mitleid treten muss – und Demut. Es ist auch kein Zufall, dass den größten Lernprozess hier eine Frau durchmacht, die schon Mutter ist, wieder schwanger, und in jeder Hinsicht ein konservatives Ideal hat, nach dem sie ihr Leben führen will. Doch die Verhältnisse, die sind nicht so... Daher muss sie dass Haus, das traditionelle weibliche Refugium verlassen und sich behaupten in der Welt der Männer. Sie übernimmt die Macht, auch stellvertretend für ihre Geschlechtsgenossinnen, und sie macht es vielleicht noch besser, als der Mann vor ihr. Im Grunde ist diese, von Catherine Zeta-Jones gespielte Frau die beeindruckenste Figur des ganzen Films. Die Härte und Kompromisslosigkeit, mit der sie die Regeln, als sie einmal begriffen hat, dass es kein Sträuben gibt, nicht nur akzeptiert, sondern aktiv mitspielt, eingreift und konsequente, große Angriffszüge spielt, hat eine Klasse und Überzeugungskraft, die alle moralischen Vorurteile verdampfen lässt. Sie hat recht. Aus ihrer Sicht. Und das es keine andere gibt, als die Innenansichten der Beteiligten, dass erst der Zuschauer gottgleich so etwas wie Wahrheit herstellt – solange er sich noch nicht als Beteiligter und Mitspieler im großen Spiel erkannt hat, und es so zu seiner Wahrheit wird – das hat selten ein Film mit ähnlicher Klarheit demonstriert.
Was für ein Seitenwechsel! Unglaubwürdig vielleicht, aber um so intensiver in seiner Wirkung. Natürlich sind wir auch in Traffic, dessen Realismus jetzt gerne betont wird – zu Recht! –, im Kino, in künstlichen Räumen, in denen eigene Gesetze gelten. Und darum darf manches dick aufgetragen, stereotyp sein – nur auf die Wirkung kommt es an. Soderbergh weiß das besser als die meisten. Und wenn er erzählt, wie er es satt hat, kleine Kunstfilmchen zu machen, die keiner ansieht (außer den europäischen Kritikern, für die das dann schon einen Wert an sich halten), wenn er sich zum Populismus bekennt, dann ist das keine Reduktion des Anspruchs wie bei manchem korrupten Kollegen, sondern das Wissen, dass es ganz große Kunst eben auch nicht ohne Zuschauer gibt.
Steven Soderbergh wollte keine Kompromisse eingehen, seine Geschichte nicht unnötig verkitschen, und auch nicht vereinfachen. Und weil er auch ganz auf die plakativ-direkten Statements verzichten wollte, mit denen er seine Interviews gerne würzt, wählte er eine Filmsprache, die nicht weniger flüchtig und flexibel ist, als die Prozesse, um die es geht. Alles fließt, alles ist in Bewegung, die Schauspieler, die Kamera, der Schnitt, die sehr sparsam eingesetzte Musik, doch das Tempo
macht die Handlung selbst.
Das genau ist der spezielle Soderbergh-Touch: Dieser Regisseur verfügt über alle Mittel, aber er läßt sie nie das Kommando übernehmen, ordnet sie vollständig dem unter, was gerade gezeigt werden soll.
Heraus kommt ein episches Drama, geprägt von einer kühl dokumentarischen Perspektive, die aber dabei nie unpersönlich wird. Das System, um das es geht, spricht durch die Menschen. Zweieinhalb spannende, künstlerisch anspruchsvolle Stunden lang erlebt man den neuen amerikanischen Bürgerkrieg, der sich eigentlich hinter der Propagandaformel vom »Krieg gegen Drogen« verbirgt, als emotionale Achterbahnfahrt, als immer persönliches Schicksal. Ein wunderschöner, tadelloser, innovativer Film. Und indirekt dann doch auch ein politischer Apell: Denn der Krieg gegen Drogen müsste, ernstgenommen, ein Krieg gegen die eigene Familie sein. »Wer könnte den schon führen?«
Die alte Geschichte vom aufrechten Cop im Kampf gegen die Drogenmafia. Die erzählt Soderbergh auch in seinem neuen Film Traffic. Er erzählt sie in ausgebleichten, in schmutziges Gelb getauchten Bildern, die den Blick auf das Wesentliche lenken. Auf die Figuren, auf die Gesten, die Bewegungen. Auf die Mimik von Benicio Del Torro, der diesen Cop so faszinierend direkt spielt, so sparsam in den Mitteln und zugleich so eindringlich präsent. Präsent vor allem auch in der Sprache, die uns auch in der deutschen Fassung erhalten geblieben ist: Ein Spanisch, das zärtlich und melodisch erscheint, auch wenn es vom Brutalsten spricht: in den knappen Dialogen zwischen Del Torro und seinem Kollegen und in dem leisen, theatralischen Flüstern des Generals Salazar, dessen zwielichtige Machenschaften Del Torro durch seine Zusammenarbeit mit dem FBI beendet. Der Sieg des ehrlichen Bullen beschert den Kindern vom Tijuana eine Flutlichtanlage für ihr Baseballstadion.
Ein kleiner, spannender, knapp und präzise inszenierter Film hätte das werden können, so wie es Soderbergh in seinem vorletzten Film The Limey eindrucksvoll vorgeführt hat. Doch der hat diesmal anderes im Sinn. Denn die mexikanische Cop-Story ist in Trafficnur ein Erzählstrang von vielen. Eine Kompilation von Sequenzen aus den Genres des politischen Thrillers, des Gangsterfilms, des Justizfilms und des Sozialmelodrams wird in der Manier von Pulp Fiction und Short Cuts mehr oder weniger rasant zu einem überlangen opus magnum zum Thema »Droge in der amerikanischen Gesellschaft« verflochten. Da gibt es die Geschichte des Richters Wakefield (routiniert, doch mäßig fesselnd gespielt von Michael Douglas), der zum obersten Drogenbeauftragten der amerikanischen Regierung ernannt wird: die Figur im politischen Machtzentrum des Kampfs gegen die Drogen. Da ist die Geschichte der Teenagertochter des Richters, die zwischen Drogenparties im heimischen Wohnzimmer, Trips zum Dealer im Ghetto und dem Stuhlkreis in der Selbsthilfegruppe, als willenloses Opfer der Sucht präsentiert wird. Dann gibt es das unterhaltsame Polizistenduo, das auf amerikanischer Seite gegen die Drogenmafia ermittelt. Und schließlich ist da die zunächst ahnungslose schwangere Ehefrau des Gangsters Ayala, die nach dessen Festnahme unvermittelt zur brutalen Täterin mutiert. Eine Wandlung die so willkürlich wie unglaubwürdig erscheint, was nicht zuletzt an dem beängstigend schmalen schauspielerischen Repertoire von Catherine Zeta-Jones liegt.
Schnell begreift man: Soderbergh will sich mit diesem Film als jemand verstanden wissen, der die Drogen, den Handel und die Sucht als komplexes psychosoziales und politisches Verhängnis ernst nimmt, der im Interesse der Volksaufklärung sein Fähnlein schwenkt und mutig die Wahrheit ins Licht der Kamera zerrt. Die Gangsterstory gibt’s hier nicht frei Haus und zur Unterhaltung, sondern wird dem geneigten Zuseher nur bei gleichzeitiger Bereitschaft zum aufmerksamen Konsum einer Reihe mit großer Geste vorgetragener Thesen vergönnt. Diese Instruktionen über die Hintergründe des »war on drugs« sind allerdings im besten Fall ermüdend. Denn das Thema ist seit den 80-er Jahren immer wieder in jeder erdenklichen Form medial bearbeitet worden; die Aussichtslosigkeit dieses Krieges ist eine Binsenweisheit. Dem versucht Soderbergh mit forcierten stilistischen Mitteln zu begegnen, die jedoch auch nicht über die selektive und teilweise einseitige Darstellung bestimmter Sachverhalte hinwegtäuschen können.
Die Figuren auf dem politischen Parkett in Washington werden zum Teil von echten Senatoren gespielt. Die extensiv eingesetzte Handkamera schwankt bedeutungsvoll und signalisiert dem geübten Kinogeher: alles live. So soll um die Bilder die Aura der Authentizität gelegt werden. Doch so wenig einige als Schauspieler dilettierende Senatoren alleine schon den frei gestellten Blick auf die Wahrheit garantieren, so fragwürdig ist der Kriegsberichterstatterstil als Mittel der Aufmerksamkeitslenkung. Weit entfernt davon, den Blick für die Tiefe der Bilder zu öffnen, kapselt er diese vielmehr ab, ordnet sie ein gemäß den an CNN trainierten Sehgewohnheiten, durch die das Publikum gelernt hat, bestimmte formale Konventionen als gültigen Nachweis von Wahrhaftigkeit zu begreifen.
Auffälligstes Stilmittel des Films ist sicherlich das Farbsystem, zu dem der Gelbton der Bilder aus Mexico gehört, und das der Sphäre politischer Macht die Farbe Blau, sowie dem Rest der Handlung eine neutrale Farbgebung zuweist. Auch das kommt recht bedeutungsschwanger daher, entpuppt sich jedoch schnell als inhaltsleere Geste, als geschwätzige Zeichenhuberei, die die Bilder nicht für sich stehen lassen kann, sondern unbedingt eine doppelte Codierung braucht, um sie interessant zu machen. Vielleicht soll es aber nur von einem anderen Farbcode ablenken, der im Kontext der Argumentation des Films eine viel größere Rolle spielt. Denn in Traffic gibt es eine Systematik der Hautfarben, die die Opfer der Sucht weiß sein läßt, und die Dealer schwarz. Und in dem die Bewohner der Ghettos als gesichtslose, anonyme, dunkle Masse zur Kulisse der Drogentrips weißer amerikanischer Teenager werden.
Der eigentliche soziale Kernraum des Suchtproblems, die unterprivilegierte afroamerikanische und hispanische Bevölkerung in den Ghettos der Großstädte, in denen Crack und Aids wie eine Seuche wüten, bleibt in Trafficmerkwürdig unterbelichtet. Die Fokussierung auf die Mittelschicht des weißen Suburbia als primäres Milieu der Sucht, lenkt von den eigentlichen ökonomischen und sozialen Ursachen des Problems ab. Die wären viel eher im Rassismus der amerikanischen Gesellschaft zu suchen, als in einem aus Langeweile exzessiven Lebensstil einiger Kinder wohlhabender Eltern.
Dieser Verengung und Verstellung der Perspektive auf die wirklichen Wurzeln und die eigentlichen Opfer des Konflikts entspricht im Drogendiskurs von Traffic andererseits die vollständige Ausblendung des Innenraums der Sucht. Mit banalsten Stereotypen in Szene gesetzte Kiffergelage im heimischen Wohnzimmer und Psychositzungen von Selbsthilfegruppen wollen Authentisches über den Rausch und das Wesen der Abhängigkeit erzählen. Doch in ihrer Klischeehaftigkeit werden sie nur von der matten schauspielerischen Leistung der Erica Christensen übertroffen, die den Anforderungen, die Süchtige Caroline Wakefield überzeugend zu spielen, in keiner Weise gewachsen ist. Zugleich beschleicht einen jedoch der Verdacht, daß diese Figur möglicherweise genau so abziehbildchenflach intendiert war wie sie daherkommt. Und man begreift spätestens hier, daß Soderbergh mit seinem Film die Paranoia einer weißen Mittelschicht bedient, die im Hinblick auf Drogen mit ihrer eigenen Verklemmtheit laboriert, zugleich aber den hoffnungsvollen Nachwuchs vor den Fängen einer diffusen multinationalen Mafia im Allgemeinen und böser, schwarzer Ghettodealer im Besonderen, bewahrt sehen möchte. Während sie einerseits die Bedrohung ins Überdimensionale und Ungreifbare übersteigert erlebt, werden andererseits die möglicherweise zugrundeliegenden eigenen Erfahrung des Rauschs konsequent verdrängt. Daher muß der Film mit seinen Klischeebildern der Sucht auch ständig die Signatur jeder echten Erfahrung auslöschen. Im Grunde instrumentalisiert Soderbergh hier dieselbe Verdrängungsmechanik, der in den aktuellen Diskussionen über gewisse 68-er Biographien eine Schlüsselfunktion zukommt. Auch daran ist ja das eigentlich Bemerkenswerte der ebenso hysterische, wie penibel vorgetragene Versuch der Betroffenen, die tatsächlich erlebten Zustände des Rauschs und der Revolte entweder zu löschen, oder zu entschärfen, indem man sie konsequent banalisiert, oder hinter Stereotypen verschwinden läßt.
Die Zeiten haben sich eben geändert in den USA. Clinton konnte sich wenigstens noch zu seinem Joint bekennen, – wenn auch nicht zur Inhalation desselben. In den Tagen von Bush Jr. ist es auch für Filmemacher wieder opportun, sich im Zweifelsfall konservativer zu geben. Denn auch wenn sich in Traffic die kunstvolle Konstruktion der verschiedenen Diskurse zunächst als distanzierte Betrachtung des Problems unter Berücksichtigung aller relevanten Perspektiven darstellt: Am Ende wird die pathetische Suche des Richters Wakefield nach seiner im Drogensumpf verlorenen Tochter zur mythischen Beschwörung der all-american family. Und es bleibt die Gewißheit, daß der Krieg gegen Drogen zwar sinnlos ist, aber dennoch geführt werden muß, wenn auch nur um das weiße Suburbia zu schützen. Da wird dann auch die Plazierung einer Wanze unter dem Schreibtisch des Drogenbosses Ayala zur letzten heroischen Tat stilisiert, bevor der tüchtige Cop von dannen joggt. Aus Traffic soll der Zuseher mit dem guten Gefühl nach Hause gehen, daß er von der richtigen Position aus, ausgestattet mit den für ihn richtigen Informationen und der rechten moralischen Unterfütterung, der soliden Inszenierung einer bedeutenden kulturellen und politischen Debatte beiwohnen durfte. So viel fürsorgliche Nähe zum Publikum wurde dann auch umgehend mit vier Oscars und einem Medienhype von Los Angeles bis München belohnt.