Israel/Ukraine 2022 · 80 min. · FSK: ab 12 Regie: Michal Vinik Drehbuch: Michal Vinik Kamera: Guy Raz Darsteller: Lena Fraifeld, Dasha Tvoronovich, Yaakov Zada Daniel, Avraham Shalom Levi u.a. |
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Zwei Schwestern, zwei Wege... | ||
(Foto: W-Film) |
Das schier explosive Potenzial des israelischen Films lässt sich auf fast allen Ebenen nachvollziehen. Ausnahmeserien wie Fauda, In Therapie oder Hamishim stehen neben komischen, kritischen und auch experimentellen Filmen wie Tel Aviv on Fire, Foxtrot oder Aheds Knie und bieten ein fast schon gesamtgesellschaftliches Parademosaik.
Michal Viniks nur 76 Minuten langer Valeria Is Getting Married fügt diesem Mosaik ein weiteres, wichtiges Steinchen hinzu, das Thema Migration und arrangierte Ehe, das man mit Israel nicht unbedingt sofort assoziieren würde. Doch allein schon durch die zahlreichen Israelis mit jüdisch-ukrainischen Wurzeln, die vor dem Krieg regelmäßig auf den Friedhöfen der Ukraine anzutreffen waren, liegt die Verbindung der beiden Länder auf der Hand und deshalb auch die hier erzählte Geschichte über die junge Ukrainerin Valeria, deren Schwester Christina schon seit Jahren durch eine online arrangierte Ehe mit einem Israeli verheiratet ist und nun ihre »kleine« Schwester nachholt, um sie ebenfalls nach einem bereits stattgefundenen Online-Date mit ihrem künftigen Mann zusammenzuführen.
Doch schon mit dem Eintreffen von Valeria am Flughafen und dann in der Wohnung ihrer Schwester wird deutlich, dass wir es hier nicht mit einem leichten Thema oder gar mit einer durch den Titel angedeuteten romantischen Komödie zu tun haben, etwa einem Film wie What’s Love Got to Do with It?, der das gleich Thema als klassische RomCom aufbereitet.
Vinik, die mit ihrem Film Blush (2015) das erste Mal als Regisseurin in Erscheinung getreten ist und das Drehbuch für Israels ersten MeToo-Film, Michal Aviads WORKING WOMAN, geschrieben hat, entscheidet sich gegen die Komödie und für das subtile Drama, baut in einem kammerspielartigen Szenario die Positionen der Schwestern gegeneinander auf und variiert sie mit der ambivalenten Haltung der Männer, die ebenso unsicher mit der Situation jonglieren wie die Frauen. Sätze wie »in Sachen Liebe vermischt man am besten keine Gefühle« oder »es ist nicht wie im Film, aber es ist das bestmögliche Leben« machen zwar deutlich, worauf sich Valeria einzulassen versucht, doch Vinik, die für ihren Film mit dem »Ophir Best Screenplay Award« und auf dem Haifa International Film Festival ausgezeichnet wurde, verweigert sich der angelegten Schwarz-Weiß-Malerei.
Das regennasse Grau des Tel Aviv mit seinen unscheinbaren, deprimierenden Gassen wirkt dabei wie ein Spiegelbild der Handlung. Es gibt keine Farben, kein Weiß und kein Schwarz, die Moral ist allenfalls eine durch Pragmatismus geprägte, in der Ideale wie Liebe und ein selbstbestimmtes Leben nicht wirklich Raum haben. Aber zum Glück wird diese Tatsache nicht sofort mit einem moralischen Hammer traktiert, sondern fast schon lakonisch auch den Männern Raum gegeben, die durch diese Strukturen ebenso unter Druck stehen und, wie die Frauen, ebenso gute Gründe haben, dem System wie es ist, irgendwie zu vertrauen. Es zu ändern, das deutet Vinik klar an, dürfte schwierig sein, aber mit ein wenig Selbstermächtigung ist zumindest ein Nein dann und wann auch denkbar.
So wie fast alle israelischen Filme – nicht umsonst feiern gerade die Serien als Remake in anderen Kulturräumen große Erfolge – verfolgt auch Vinik in ihrem Film einen universalen Ansatz, lässt sich die hier fast schon experimentell durchgespielte Situation auf fast jedes westliche Land übertragen und wird damit nur allzu deutlich, dass die arrangierte Ehe beileibe nicht nur ein Relikt in traditionellen, konservativen Gesellschaften, sondern ein fester Bestandteil unserer Moderne ist.