Deutschland 2014 · 119 min. · FSK: ab 0 Regie: Rüdiger Suchsland Drehbuch: Rüdiger Suchsland Musik: Michael Hartmann Schnitt: Katja Dringenberg |
||
Menschen am Sonntag ist sonnendurchflutet und voll filmerischer Freiheit |
Wenn Filmkritiker beginnen, Filme zu machen, dann tun sie dies meist aus einem hohen Anspruch heraus. Sie wollen, wie Godard und seine Kollegen von den »Cahiers du Cinéma«, Truffaut, Chabrol, Rohmer und Rivette, mit ihren Filmen die filmische Landschaft verändern, meist, weil sie eine filmhistorische Notwendigkeit sehen. Oder sie sind wie Helmut Färber, Enno Patalas oder auch Rainer Gansera (der an der HFF München studierte) und Robert Fischer Filmkritiker oder –theoretiker und machen Filme über den ureigenen Gegenstand, mit dem sie sich beschäftigen: Filme. Filme über Filme also als selbstreferentielle Medialität oder, wenn es ihnen gelingt, mit den Mitteln des Kinos, wie Godard es für die Filmkritik einforderte. Film als »forme qui pense«, als denkende Form. Godard hat letzteres gemacht, nicht nur unterschwellig in jedem einzelnen Film, sondern ganz explizit in seinem mehrteiligen Werk Histoire(s) du Cinéma, jenem assoziativen Durchlauf durch die Zeit- und Erzählgeschichte(n) des Kinos.
Auch Artechock-Filmkritiker Rüdiger Suchsland hat jetzt einen Film gemacht über das, was ihn am meisten beschäftigt: Filme. In seinem Kinodebüt Von Caligari zu Hitler hat er sich mindestens dreierlei vorgenommen. Sein Film ist ein Essay über die Filme der Weimarer Zeit, die die Zeit »von Caligari zu Hitler« umfasst, von 1918 (1919 entstand Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari) bis zu Hitlers Machtergreifung 1933. Gleichzeitig ist »Von Caligari zu Hitler« eine Referenz und Hommage an einen der großen deutschen Filmkritiker, Siegfried Kracauer. Unter diesem Titel hatte Kracauer im New Yorker Exil sein Hauptwerk geschrieben, mit dem Nebentitel: »Eine psychologische Geschichte des deutschen Films«. Suchslands Film trägt den Nebentitel: »Das deutsche Kino im Zeitalter der Massen«, und gibt damit einen dritten Referenzpunkt vor: Elias Canettis »Masse und Macht«.
Mit diesem dreifachen Ansatz, historisch, filmkritisch und soziologisch, folgt Suchsland dem berühmten Ausspruch von Siegfried Kracauer, dass ein Filmkritiker »von Rang« nur als Gesellschaftskritiker denkbar sei. Suchsland, der Geschichte studiert hat, bevor er Filmkritiker wurde, bezieht so auch seinen Gegenstand, die Filmgeschichte, auf die Weimarer Zeit. Mit Ausschnitten aus Filmen von Lang, Murnau, Papst, Siodmak, Sternberg, Ruttmann, Ulmer, Wiene, Wilder und anderen, und dies natürlich nicht in alphabetischer Reihenfolge. Suchsland bewältigt seinen umfassenden Gegenstand, wie es sich für ein Essay gehört: assoziativ, mäandernd, vorausgreifend und zurückkehrend, niemals jedoch rein chronologisch, aber auch niemals rein thematisch.
Das fasziniert und verführt zugleich.
Die Filmschnipsel sind im Hinblick auf den Text, bisweilen auch illustrierend, ausgewählt, wie der Text sich von den Ausschnitten verführen lässt. Insgesamt wird daraus ein Durchlauf durch die Zeit- und Filmgeschichte, mit vielen Abzweigungen, bezogen auf eine gewisse Psychologie der damaligen Zeit, die in den Filme wiedergefunden wird. Es ist die Psychologie der Massen, die zu den politischen Umständen führt oder von ihnen verführt wird, und die sich in den filmischen Themen und Ausdrucksweisen abbildet oder zumindest – als Interpretation des Bildes – ablesen lässt.
Suchslands Stimme legt sich als Voice-over über die unzähligen Filmbilder aus den unzähligen Filmen, die vor allem aus dem Archiv der Murnau-Stiftung zusammengetragen wurden. Die Entscheidung, den Text nicht von einem professionellen Sprecher einsprechen zu lassen, wie er es bei seinem TV-Film geschehen ließ, tut dem Film gut. Die Stimme des Autors offenbart den persönlichen Impetus des Sprechenden zu seinem Gegenstand und wird zum Performance-Akt der bedingungslosen Leidenschaft eines Kritikers für den Gegenstand, den er bespricht.
Dies im Wortsinn.
Der Text gibt dieser Leidenschaft jedoch bisweilen zu sehr Ausdruck. Oftmals wird eine Stufe zu eindringlich und zu betörend die Leidenschaft in Worte gefasst, die hypnotische Kraft der Bilder durch Pathos und Rhetorik unterstrichen, ganz als vertraute der Autor nicht auf die filmische Sprache, die ihm zur Verfügung steht, die Kraft der Montage und die gewählten Bildausschnitte. Die »forme qui pense« Film wird hier durch die denkenden Worte überlagert, und auf dieser Ebene gibt der Film die Herkunft seines Autors bisweilen auch aufdringlich preis. Genau wie der Kritiker seine Worte über den Film legt oder nachordnet, ist der Text in Von Caligari zu Hitler die Dominante, dem sich der Gegenstand Film zuordnet.
Bei aller Kritik: durch den Text, die vorgetragene Leidenschaft und die Instruiertheit des Sprechenden im Einklang mit der Montage, in der die Worte auch wie eine musikalische Stummfilmpartitur funktionieren dürfen, kann sich ein Sog entwickeln, der mitreißt und einen in ein spannendes Abenteuer mitnimmt: eintauchen in die Filmgeschichte wie in einer Zeitreise, in der man meint, den Menschen zu begegnen, die damals gelebt haben. Bis auf die Menschen am Sonntag, die den Leitfaden des Films geben, waren sie jedoch »nur« Filmfiguren. Expressionistische Schemen auf der Leinwand und dennoch so bildhaft für ihre Zeit. Und genau hier beginnt die Faszination.
»(to be continued)«