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Filmfest München 2002 04.07.2002
 
 
 
 

Halbzeit beim Münchner Filmfest

   
 
 
 
 

Es ist wieder Filmfest in München: Vor dem Maxx drängeln sich schon morgens kreuz und quer die Fahrräder. Und lange Schlangen an den Kassen künden davon, dass das Münchener Kinopublikum begierig ist, Filme jenseits des Mainstream zu sehen. (Warum, fragt man sich wehmütig, gibt's davon bloß den Rest des Jahres nicht ein bisschen mehr?) Abends ist das Foyer brechend voll, und da einige Filme auch noch parallel beginnen, setzt das große Schieben in alle Richtungen ein. Die Frau neben mir nutzt ungeniert das Chaos, und mopst sich ein paar Haribos aus dem Selbstbedienungsstand.

Den Startschuss gab diesmal die argentinisch-spanische Produktion EL HIJO DE LA NOVIA (DER SOHN DER BRAUT) von Juan José Campanella. Rafaels betagter Vater will heiraten. Nicht etwa eine junge Erbschleicherin, sondern die eigene Ehefrau: Diesmal aber in der Kirche, mit allen Schikanen. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass die geliebte Gattin schon lange an Alzheimer leidet. Rafael selbst hingegen hat den Dreh mit der Liebe, dem Leben und dem Glück noch nicht so ganz raus: Der Restaurantbesitzer rotiert im Rennen um unbezahlte Rechnungen, missratene Tiramisu und verspätete Weinlieferungen. Bis ein Herzinfarkt ihn dazu zwingt, sein Leben neu zu ordnen. Ein Film, der von den ernsten Dinge im Leben mit wunderbarer Leichtigkeit und in hinreißend komischen Dialogen erzählt: Der ideale Eröffnungsfilm.

Montagnacht hocke ich dann zwischen johlenden Kubanern, die sich bei der chaotischen Transvestitenkomödie LAS NOCHES DE CONSTANTINOPLA (Nächte in Konstantinopel) offenbar blendend amüsieren. Bei mir hingegen macht sich Ratlosigkeit. Entweder entgehen mir die besten Gags, weil angesichts der atemlosen Dialoge auch die Untertitel nur so über die Leinwand rauschen. Oder es handelt sich um ein kulturelles Problem. Dem enen sin Uhl... Auch solche Erfahrungen gehören zum Festivalbesuch dazu.

Als hintersinniges Filmvergnügen aus der Rubrik Nouveaux Cinema Francais erweist sich BETTY FISCHER ET AUTRES HISTOIRES (Betty Fischer - Die Masken der Mütter) von Claude Miller: Ruth Rendells vertrackter Roman von einer Frau, die unversehens zur Kinderräuberin wird, gelungen inszeniert und großartig gespielt.

Auch die deutsche Produktion DAS VERLANGEN wirft die Frage auf, wie ganz normale Leute zu Verbrechern werden. Pastorenfrau Lena ist erst Ende 30, doch ihr scheint das Leben abhanden gekommen zu sein irgendwo zwischen Tischgebeten, Orgelspiel und freudlosem Beischlaf. Als in ihrem tristen Dasein ein Hauch von Glück aufkeimt, ist sie bereit, es mit Zähnen und Klauen zu verteidigen.

Mit Abstand am tiefsten beeindruckt hat jedoch Chris Kraus SCHERBENTANZ. "Nach Hause kommen - das merkt man nicht am Schild an der Tür, das spürt man am Schmerz", sagt der Jesko (Jürgen Vogel), schwarzes Schaf aus gutem Hause. Die Geschichte erinnert an den Dogmafilm DAS FEST: Auch in SCHERBENTANZ wird ein Familientreffen zur schmerzlichen Demontage einer verlogenen Sippschaft. Dank brillanten Drehbuchs und messerscharfen Dialogen wird daraus ein großartiger Film, der einem durch die Poren direkt unter die Haut kriecht. Und saukomisch ist er außerdem. Nix wie hin.

Nani Fux

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