Es ist wieder Filmfest in München: Vor dem Maxx drängeln
sich schon morgens kreuz und quer die Fahrräder. Und
lange Schlangen an den Kassen künden davon, dass das
Münchener Kinopublikum begierig ist, Filme jenseits des
Mainstream zu sehen. (Warum, fragt man sich wehmütig,
gibt's davon bloß den Rest des Jahres nicht ein bisschen
mehr?) Abends ist das Foyer brechend voll, und da einige Filme
auch noch parallel beginnen, setzt das große Schieben
in alle Richtungen ein. Die Frau neben mir nutzt ungeniert
das Chaos, und mopst sich ein paar Haribos aus dem Selbstbedienungsstand.
Den Startschuss gab diesmal die argentinisch-spanische Produktion
EL HIJO DE LA NOVIA (DER SOHN DER BRAUT)
von Juan José Campanella. Rafaels betagter Vater will
heiraten. Nicht etwa eine junge Erbschleicherin, sondern die
eigene Ehefrau: Diesmal aber in der Kirche, mit allen Schikanen.
Dabei spielt es auch keine Rolle, dass die geliebte Gattin
schon lange an Alzheimer leidet. Rafael selbst hingegen hat
den Dreh mit der Liebe, dem Leben und dem Glück noch
nicht so ganz raus: Der Restaurantbesitzer rotiert im Rennen
um unbezahlte Rechnungen, missratene Tiramisu und verspätete
Weinlieferungen. Bis ein Herzinfarkt ihn dazu zwingt, sein
Leben neu zu ordnen. Ein Film, der von den ernsten Dinge im
Leben mit wunderbarer Leichtigkeit und in hinreißend
komischen Dialogen erzählt: Der ideale Eröffnungsfilm.
Montagnacht hocke ich dann zwischen johlenden Kubanern, die
sich bei der chaotischen Transvestitenkomödie LAS NOCHES
DE CONSTANTINOPLA (Nächte in Konstantinopel) offenbar
blendend amüsieren. Bei mir hingegen macht sich Ratlosigkeit.
Entweder entgehen mir die besten Gags, weil angesichts der
atemlosen Dialoge auch die Untertitel nur so über die
Leinwand rauschen. Oder es handelt sich um ein kulturelles
Problem. Dem enen sin Uhl... Auch solche Erfahrungen gehören
zum Festivalbesuch dazu.
Als hintersinniges Filmvergnügen aus der Rubrik Nouveaux
Cinema Francais erweist sich BETTY FISCHER
ET AUTRES HISTOIRES (Betty Fischer - Die Masken der Mütter)
von Claude Miller: Ruth Rendells vertrackter Roman von einer
Frau, die unversehens zur Kinderräuberin wird, gelungen
inszeniert und großartig gespielt.
Auch die deutsche Produktion DAS
VERLANGEN wirft die Frage auf, wie ganz normale Leute
zu Verbrechern werden. Pastorenfrau Lena ist erst Ende 30,
doch ihr scheint das Leben abhanden gekommen zu sein irgendwo
zwischen Tischgebeten, Orgelspiel und freudlosem Beischlaf.
Als in ihrem tristen Dasein ein Hauch von Glück aufkeimt,
ist sie bereit, es mit Zähnen und Klauen zu verteidigen.
Mit Abstand am tiefsten beeindruckt hat jedoch Chris Kraus
SCHERBENTANZ. "Nach Hause
kommen - das merkt man nicht am Schild an der Tür, das
spürt man am Schmerz", sagt der Jesko (Jürgen
Vogel), schwarzes Schaf aus gutem Hause. Die Geschichte erinnert
an den Dogmafilm DAS FEST: Auch in SCHERBENTANZ wird ein Familientreffen
zur schmerzlichen Demontage einer verlogenen Sippschaft. Dank
brillanten Drehbuchs und messerscharfen Dialogen wird daraus
ein großartiger Film, der einem durch die Poren direkt
unter die Haut kriecht. Und saukomisch ist er außerdem.
Nix wie hin.
Nani Fux
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