61. Filmfestspiele Cannes 2008
The Constant Housewife |
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Meisterliche Filmfamilie: : Deneuve, Amalric in Un conte de Noël |
»Natürlich breche ich da ein Tabu. Wir sollten unsere Kinder ja schließlich lieben. Aber um das Tabubrechen geht es doch im Kino.« – Wer die wunderbare Catherine Deneuve schon einmal auf der Pressekonferenz eines Filmfestivals erlebt hat, der weiß, wie spitzzüngig, hellwach und (selbst-)ironisch diese Grande Dame des französischen Kinos sein kann. Gerade hatte man sie in Un conte de Noël gesehen, dem neuen Film von Arnaud Deplechin, den man gar nicht genug loben kann – bisher der herausragende Beitrag im Wettbewerb von Cannes. Deneuve spielt darin die Mutter einer giftig zerstrittenen Familie, deren drei Kinder sie inklusive Anhang über Weihnachten besuchen. In einer der zentralen Szenen gesteht sie einem ihrer Söhne, dass sie ihn nie geliebt habe. Er auch nicht antwortet der Sohn, gespielt von Mathieu Almaric (Schmetterling und Taucherglocke) – dabei rauchen beide auf der winterlichen Terrasse eine Zigarette, teilen das Feuer, wie zwei Cowboys, nachdem sie sich ohne klaren Sieger zusammengeschlagen haben, und die Stille zwischen ihnen und ihre Blicke strafen die Worte Lügen.
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Wenn man die Deneuve so leibhaftig vor sich sieht, kommt einem sowieso immer wieder in den Sinn, was die schon alles erlebt und überstanden hat. Und genau so eine Frau spielt sie hier: Ihre Figur heißt einerseits Juno wie die keineswegs unschuldige Frau des Göttervaters der römischen Mythologie, andererseits ist sie auch im Angesicht des Todes eine ewige Prinzessin, wie womöglich auch die Deneuve, die sich immerhin bis heute Mademoiselle nennen läßt.
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Mit von der Partie in den zweieinhalbstündigen Ensemblefilm, der vier Darstellergenerationen des französischen Films vor der Kamera zusammenführt, ist auch Chiara Mastroianni, Deneuves Tochter aus ihrer langjährigen Liebesbeziehung mit Marcello Mastroianni. Auf merkwürdige Weise wirkt die in natura ihren beiden hervorragend, aber sehr unterschiedlich aussehenden Eltern wie aus dem Gesicht geschnitten, im Film hatte man den Eindruck, dass sie jedes Jahr mehr aussieht, wie ihr Vater. »Eine Arbeitsbeziehung« sei der Dreh mit ihrer Tochter gewesen, meint die Deneuve, ganz Profi, allerdings war dies schon der siebte gemeinsame Film der beiden, die Synchronisierung des Animationsfilms Persepolis nicht einmal mitgerechnet. »Die Kluft wächst. Ich werde älter und älter, die Regisseure werden immer jünger«, beschreibt sie mit der Gelassenheit der 64jährigen ihr Verhältnis zu ihrer Arbeit, »aber vielleicht«, lacht sie, »drehe ich im nächsten Jahr mit Olivera.« Der wäre dann immerhin 101. »Aber ich bewege mich immer noch weiter im Kino, ich bleibe neugierig.«
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Auch Regisseur Deplechin beschrieb sein filmisches Credo: »Ich bin zunächst einmal Zuschauer. Ich gehe ins Kino, um besser zu leben. Vor der Leinwand bin ich glücklich.« So ging es auch dem Publikum im umjubelten Un conte de Noël: Französisches Kino at it’s best, ein spannendes, intensives, oft witziges, immer berührendes und intelligentes, mit erschütternder Souveränität inszeniertes Familiendrama – das erste Meisterwerk im Wettbewerb (auf das wir hier noch ausführlicher zurückkommen).
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Dieser Wettbewerb begann auch sonst auf hohem Niveau, wenngleich ansonsten schwerblütig. Üç Maymun (Drei Affen) vom bekannten türkischen Cannes-Liebling Nuri Bilge Ceylan bot ein Ehezerfleischungsdrama, mit viel Männerschweiß, und abwechselnd bedeutungsvoller Stille und Schreierei – im Unterschied zu Deplechin in fast zu schönen Bildern überaus schwere Kost.
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Nur für den (wahrscheinlichen) Fall, dass das neulich aus unseren wenigen, etwas neutralen Zeilen Eröffnungsbericht nicht völlig klar geworden ist: Dieser Eröffnungsfilm Blindness ist am Ende fürchterlich kitschig, und auch ansonsten eher fragwürdig. Ein Untergangsfilm-Zwitter zwischen Children of Men und I Am Legend, in dem Julianne Moore von einer frustrierte Hausfrau in eine »starke Frau« mutiert, aber im Prinzip unter geänderten Vorzeichen immer Hausfrau bleibt. Sie kümmert sich um ihren Mann, kauft ein – die ewige Hausfrau, the constant housewife muss man bei Mireilles sagen. Die Moral ist etwas schlicht und billig: auch die Katastrophe ist zu was gut, wenn nur die Menschen draus lernen. Und im Hintergrund klimpert im richtigen Moment immer Bachmusik.
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Der bisher nur durch TV-Arbeiten bekannte Israeli Ari Folman überraschte bei seinem ersten Auftritt in Cannes mit einer politischen Dokumentation, die in Form eines Animationsfilms erzählt wird: Waltz With Bashir erzählt eigene traumatische Erlebnisse des Regisseurs, der als 18-jähriger im Libanonkrieg 1982 kämpfen musste und dort zum Augenzeugen des Massakers von Sabra und Shatila wurde – einem der bis heute dunkelsten Kapitel des Nahost-Konflikts. Die Taten verübten christliche Falangisten an Palästinensern, aber die mit ihnen verbündeten Israelis schauten unbeteiligt zu – eine Schuld, die Folman nicht vergessen kann. Waltz With Bashir ist eine präzise historische Dokumentation, erzählt aber zugleich etwas Universales: Die Entmenschlichung im Krieg, der sich Soldaten keiner Armee entziehen können, und die den Film brennend aktuell macht. Der Animationsstil bewirkt nur am Anfang Distanz: Fern aller Klischees findet Folman phantastische Bilder und der Horror des Krieges wirkt hier plötzlich surreal.