20.05.2008
61. Filmfestspiele Cannes 2008

The Constant Housewife

Un conte de Noël
Meisterliche Filmfamilie: :
Deneuve, Amalric in
Un conte de Noël

Das Gift der Familie und das Glück des Kinos: Ehedramen, Kriege und ein Auftritt von Catherine Deneuve

Von Rüdiger Suchsland

»Natürlich breche ich da ein Tabu. Wir sollten unsere Kinder ja schließ­lich lieben. Aber um das Tabu­bre­chen geht es doch im Kino.« – Wer die wunder­bare Catherine Deneuve schon einmal auf der Pres­se­kon­fe­renz eines Film­fes­ti­vals erlebt hat, der weiß, wie spitz­züngig, hellwach und (selbst-)ironisch diese Grande Dame des fran­zö­si­schen Kinos sein kann. Gerade hatte man sie in Un conte de Noël gesehen, dem neuen Film von Arnaud Deplechin, den man gar nicht genug loben kann – bisher der heraus­ra­gende Beitrag im Wett­be­werb von Cannes. Deneuve spielt darin die Mutter einer giftig zerstrit­tenen Familie, deren drei Kinder sie inklusive Anhang über Weih­nachten besuchen. In einer der zentralen Szenen gesteht sie einem ihrer Söhne, dass sie ihn nie geliebt habe. Er auch nicht antwortet der Sohn, gespielt von Mathieu Almaric (Schmet­ter­ling und Taucher­glocke) – dabei rauchen beide auf der winter­li­chen Terrasse eine Zigarette, teilen das Feuer, wie zwei Cowboys, nachdem sie sich ohne klaren Sieger zusam­men­ge­schlagen haben, und die Stille zwischen ihnen und ihre Blicke strafen die Worte Lügen.

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Wenn man die Deneuve so leib­haftig vor sich sieht, kommt einem sowieso immer wieder in den Sinn, was die schon alles erlebt und über­standen hat. Und genau so eine Frau spielt sie hier: Ihre Figur heißt einer­seits Juno wie die keines­wegs unschul­dige Frau des Götter­va­ters der römischen Mytho­logie, ande­rer­seits ist sie auch im Angesicht des Todes eine ewige Prin­zessin, wie womöglich auch die Deneuve, die sich immerhin bis heute Made­moi­selle nennen läßt.

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Mit von der Partie in den zwei­ein­halb­stün­digen Ensem­ble­film, der vier Darstell­er­ge­ne­ra­tionen des fran­zö­si­schen Films vor der Kamera zusam­men­führt, ist auch Chiara Mastroi­anni, Deneuves Tochter aus ihrer lang­jäh­rigen Liebes­be­zie­hung mit Marcello Mastroi­anni. Auf merk­wür­dige Weise wirkt die in natura ihren beiden hervor­ra­gend, aber sehr unter­schied­lich ausse­henden Eltern wie aus dem Gesicht geschnitten, im Film hatte man den Eindruck, dass sie jedes Jahr mehr aussieht, wie ihr Vater. »Eine Arbeits­be­zie­hung« sei der Dreh mit ihrer Tochter gewesen, meint die Deneuve, ganz Profi, aller­dings war dies schon der siebte gemein­same Film der beiden, die Synchro­ni­sie­rung des Anima­ti­ons­films Perse­polis nicht einmal mitge­rechnet. »Die Kluft wächst. Ich werde älter und älter, die Regis­seure werden immer jünger«, beschreibt sie mit der Gelas­sen­heit der 64jährigen ihr Verhältnis zu ihrer Arbeit, »aber viel­leicht«, lacht sie, »drehe ich im nächsten Jahr mit Olivera.« Der wäre dann immerhin 101. »Aber ich bewege mich immer noch weiter im Kino, ich bleibe neugierig.«

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Auch Regisseur Deplechin beschrieb sein filmi­sches Credo: »Ich bin zunächst einmal Zuschauer. Ich gehe ins Kino, um besser zu leben. Vor der Leinwand bin ich glücklich.« So ging es auch dem Publikum im umju­belten Un conte de Noël: Fran­zö­si­sches Kino at it’s best, ein span­nendes, inten­sives, oft witziges, immer berüh­rendes und intel­li­gentes, mit erschüt­ternder Souver­ä­nität insze­niertes Fami­li­en­drama – das erste Meis­ter­werk im Wett­be­werb (auf das wir hier noch ausführ­li­cher zurück­kommen).

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Dieser Wett­be­werb begann auch sonst auf hohem Niveau, wenn­gleich ansonsten schwer­blütig. Üç Maymun (Drei Affen) vom bekannten türki­schen Cannes-Liebling Nuri Bilge Ceylan bot ein Ehezer­flei­schungs­drama, mit viel Männer­schweiß, und abwech­selnd bedeu­tungs­voller Stille und Schreierei – im Unter­schied zu Deplechin in fast zu schönen Bildern überaus schwere Kost.

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Nur für den (wahr­schein­li­chen) Fall, dass das neulich aus unseren wenigen, etwas neutralen Zeilen Eröff­nungs­be­richt nicht völlig klar geworden ist: Dieser Eröff­nungs­film Blindness ist am Ende fürch­ter­lich kitschig, und auch ansonsten eher frag­würdig. Ein Unter­gangs­film-Zwitter zwischen Children of Men und I Am Legend, in dem Julianne Moore von einer frus­trierte Hausfrau in eine »starke Frau« mutiert, aber im Prinzip unter geän­derten Vorzei­chen immer Hausfrau bleibt. Sie kümmert sich um ihren Mann, kauft ein – die ewige Hausfrau, the constant housewife muss man bei Mireilles sagen. Die Moral ist etwas schlicht und billig: auch die Kata­strophe ist zu was gut, wenn nur die Menschen draus lernen. Und im Hinter­grund klimpert im richtigen Moment immer Bachmusik.

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Der bisher nur durch TV-Arbeiten bekannte Israeli Ari Folman über­raschte bei seinem ersten Auftritt in Cannes mit einer poli­ti­schen Doku­men­ta­tion, die in Form eines Anima­ti­ons­films erzählt wird: Waltz With Bashir erzählt eigene trau­ma­ti­sche Erleb­nisse des Regis­seurs, der als 18-jähriger im Liba­non­krieg 1982 kämpfen musste und dort zum Augen­zeugen des Massakers von Sabra und Shatila wurde – einem der bis heute dunkelsten Kapitel des Nahost-Konflikts. Die Taten verübten christ­liche Falang­isten an Paläs­ti­nen­sern, aber die mit ihnen verbün­deten Israelis schauten unbe­tei­ligt zu – eine Schuld, die Folman nicht vergessen kann. Waltz With Bashir ist eine präzise histo­ri­sche Doku­men­ta­tion, erzählt aber zugleich etwas Univer­sales: Die Entmensch­li­chung im Krieg, der sich Soldaten keiner Armee entziehen können, und die den Film brennend aktuell macht. Der Anima­ti­ons­stil bewirkt nur am Anfang Distanz: Fern aller Klischees findet Folman phan­tas­ti­sche Bilder und der Horror des Krieges wirkt hier plötzlich surreal.