26. Filmfest München 2009
Die Unfähigkeit zu sprechen |
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Stumme Bedrohung : Sois sage |
Den Schnitt ins Handgelenk hat man kaum bemerkt, da liegt das junge, große, etwas spröde Mädchen mit dem prächtigen Abendkleid schon auf dem Boden, in ihrem eigenen Blut. Die andere, ihr in Liebe und Hass verbundene Kindheitsfreundin schaut im ersten Moment nur kühl und genervt – schon wieder eine hysterische Szene, scheint sie zu denken, mit der die Andere Aufmerksamkeit zu erregen sucht, doch dann löst sich die Härte in ihrem Blick, und auch als Betrachter muss man sich seiner Tränen nicht schämen – in diesem Augenblick der Erschütterung kulminiert alles, was die Regisseurin Sophie Laloy zuvor über 90 Minuten aufgebaut hat: Das rätselhafte Verhältnis zweier junger Frauen – intensiv gespielt von Judith Davies und Isild Le Besco –, das in einen Zweikampf der Gefühle mündet, bei dem keine Seite klar unterlegen scheint, und der die Sympathien den Zuschauer hin und her reißt. Mit ihrem eindrucksvollen Debüt Je te mangerais, einem Noir-Melo mit Anleihen an Cocteau und Tourneur, das soeben in der Sektion »Neues französisches Kino« des Filmfest München Deutschlandpremiere hatte, katapuliert sich Laloy in eine Reihe mit anderen jungen französischen Regisseurinnen – sämtlich sind es Frauen – die es sich lohnt, im Auge zu behalten, weil sich hier eine neue Generation zu Wort meldet, die zugleich die große Tradition des französischen Autorenfilms fortsetzt.
Blickt man auf das französische Kino der Gegenwart, bietet sich auf den ersten Blick ein zwiespältiges Bild. Die überlebenden Helden der Nouvelle Vague, Chabrol, Rohmer, Resnais und Rivette drehen mit bewunderswerter Konstanz regelmäßig ihre Filme von höchst respektablem Niveau, Godard meldet sich immerhin noch ab und an zurück, aber sie alle sind doch eher 80 als 70 Jahre alt. Und auch die nachfolgenden Generationen sind längst in die Jahre gekommen: André Techiné und Barbet Schroeder, deren neuen Filme in München liefen, haben die hohen Erwartungen nie ganz erfüllt – trotz einzelner großartiger Werke sind Weltruhm, Preise und ein Erfolg, der mit dem der Generation von Godard und Truffaut vergleichbar wäre, ausgeblieben. Bei Claire Denis, Olivier Assayas, Agnès Jaoui, Arnaud Desplechin und Abdellatif Kechiche darf man immerhin noch hoffen, wie bei Robert Guédiguian, dessen großartig-abgründiges Resistance-Drama L’armeé Du Crime, ein treffendes Pendant zu Tarantinos Inglourious Basterds ebenfalls in München lief. Unter den unter 40-jährigen machte dagegen bisher nur Christophe Honoré wirklich auf sich aufmerksam. Zugleich zeigen diese Namen, wie reich unser Nachbarland an außergewöhnlichen Regiekönnern ist – denn alle hier Genannten haben früh eine eigene Filmsprache, einen persönlichen Stil ausgeprägt, der ihre Filme bestimmt, an dem sie festhalten und den sie weiterentwickeln.
Die Franzosenreihe in München, mit nur acht Filmen im sonst diffus ausufernden Filmfest so knapp wie überzeugend präzis programmiert, wurde jetzt zum Ort der Entdeckung der neuesten Regie-Generation. Am stärksten in den Fußstapfen der Älteren bewegt sich die Jüngste, die erst 28-jährige Mia Hansen-Løve. Ihr zweiter Spielfilm, Le père de mes enfants, der soeben in Cannes mit dem Jurypreis der Sektion »Un Certain Regard« ausgezeichnet wurde, ist auch derjenige mit der größten Nähe zum Filmmilieu. Nur leicht verschlüsselt erzählt er von Humbert Balsan, einem der einflussreichsten französischen Filmproduzenten und Förderer des internationalen Autorenkinos, der unter schweren Depressionen litt, und sich 2005 erhängte. Voller Sensibilität zeigt der Film die letzten Monate eines Manisch-Depressiven, doch die Anteilnahme der Regisseurin gilt vor allem den Hinterbliebenen: In unspektakulären tastenden Bildern, spürt sie der Frage nach, wie man nach so einem Schock wieder zu sich kommt, sich im Leben neu verortet.
Auch in Juliette Garcias' Debüt Sois sage geht es um einen Menschen, der mit einem Trauma fertig werden muss. Ihr Stil könnte aber unterschiedlicher nicht sein: Geduldig, in langen Einstellungen und oft minutenlang ohne Dialog, stellenweise auch nahe der Ästhetik des Horrorkinos, verfolgt die Regisseurin ihre Hauptfigur: Ein junges Mädchen, das aufs Land gezogen ist und eine Stelle
als Brotausfahrerin antritt. Schnell wird klar, dass sie ein Geheimnis umgibt. Welcher Abgrund genau hinter ihrer selbstzerstörerischen Liebe zu einem älteren Mann steckt, bleibt lange offen. Eine traurige, mit großer Intensität erzählte Geschichte, in der Bedrohung und Liebe Hand in Hand gehen.
Die grundsätzliche Nähe, aber auch einige bemerkenswerte konkrete Ähnlichkeiten zu Laloys Je te
mangerais sind zu bemerken: Beide Filme haben eine Pianistin als Hauptfigur, in beiden wird Musik – Bach, Mozart, Ravel – zur Metapher und Therapie für Schmerz und Tragik. In beiden Filmen geht es um die Gebrochenheit von Identität und um sexuelles Erwachen. Und beide sind Psychothriller, durchlöchern die einst so festgefügte Grenze zwischen Autorenkino und Genre.
Mia Hansen-Løve, Sophie Laloy, Juliette Garcia – drei Namen, auf die man wird achten müssen. Und
denen man, wenn sie – Garcia sucht noch einen Verleih – dann ins deutsche Kino kommen, ein neugieriges Publikum wünscht.