02.07.2009
26. Filmfest München 2009

Filmtipps fürs Fest

Tutta la vita davanti
Marta aus Das ganze Leben liegt vor Dir
(Foto: Movienet Film)

Filmtipps für Donnerstag

Von Claus Schotten

Wie so oft in diesem Jahr, laufen die besten Filme wieder parallel, darunter auch mein Lieb­lings­film im bishe­rigen Festival.
Schon in den ersten Minuten zieht Tutta la vita davanti von Paolo Virzì die Zuschauer in seinen Bann. Ganz Rom verwan­delt sich vor den Augen von marta, der Haupt­figur, in ein gigan­ti­sches Ballett. Alle Passanten beginnen im Takt der Musik zu hüpfen, die Busfahrt zur Arbeit wird zur Choreo­grafie. Dann setzt – wie bei Amélie – eine märchen­haft süße Stimme aus dem Off an, die Geschichte zu erzählen. Aber anders als bei Amélie geht es hier nicht um reisende Garten­zwerge oder Liebe­s­tän­de­leien sondern um die »ernsten« Seiten des Lebens, die wirt­schaft­liche und mentale Existenz. Marta ist die italie­ni­sche »Gene­ra­tion Praktikum«. Nach hervor­ra­gendem Uni-Abschluss in Philo­so­phie findet sie keinen Job. Schließ­lich schlägt sie sich als Baby­sit­terin und Teilzeit-Tele­fon­ver­käu­ferin durch. Wie eine Mischung aus Alice und Amelie betrachtet sie mit stau­nenden Augen und philo­so­phi­scher Gelas­sen­heit den sektenähn­li­chen Moti­va­ti­ons­kult und das Busi­ness­gehabe ihres Arbeit­ge­bers, um daraus ein Essay über Heidegger, das Team­ver­halten in Call-Centern und Big Brother zu schreiben. Besonders angenehm: Außer Marta gibt es keine »Guten« und »Bösen«. Alle Figuren haben ihre sympa­thi­schen und ihre dunklen Facetten. Tutta la vita davanti soll im nächsten Frühjahr in die deutschen Kinos kommen. Wer nicht so lange warten will, muss Do. 2.7. um 17;00 Uhr in den Carl-Orff-Saal.

Wer filmische Entde­ckungen bevorzugt, die noch keinen deutschen Verleih haben, ist um 18:00 Uhr im Maxx 6 bei Serbis (Service) richtig. Der neueste Film des auf den inter­na­tio­nalen Film­fes­ti­vals gerade als Entde­ckung herum­ge­reichten phil­ip­pi­ni­schen Regis­seurs Brillante Mendoza ist eine Art Goodbye, Dragon Inn auf Speed. Auch Serbis erzählt einen Tag im Leben eines alten Kinos und der Familie, die es betreibt und in ihm lebt. Doch damit enden die Gemein­sam­keiten. Während der Taiwanese Tsai Ming-liang seine Geschichte mit provo­zie­render Lang­sam­keit erzählt, herrscht bei Serbis Action. Schon der infer­na­li­sche Straßen­lärm, der den meisten Szenen als Atmo unterlegt ist, lässt keine Ruhe aufkommen. Die Kamera ist in Bewegung, folgt den Menschen durch die Gänge und Einge­weide des Kinos oder jagt eine Ziege, die sich vor die Leinwand verirrt hat. Auf der Leinwand flimmern Pornos und im Zuschau­er­raum bieten Stricher den titel­ge­benden »Service« an – einen blow job.

Etwas später, um 20:00 Uhr läuft im Maxx 3 Country Wedding, die erste Regie­ar­beit der islän­di­schen Cutterin Valdís Óskars­dóttir. Ein Pärchen aus Reykjavik will eine roman­ti­sche Hochzeit auf dem Lande feiern. So fahren sie mit Familie und den engsten Freunden los – in zwei gechar­terten Bussen, schließ­lich sollen sich Braut und Bräutigam erst in der Kirche begegnen. Das Ganze ist leider wie zu schlimmsten Dogma-Zeiten mit wackliger Video­ka­mera gedreht. Aber auch die Tugenden von Dogma sind vertreten: Eine frische Geschichte, genau beob­ach­tete Personen und einige absurde Situa­tionen. Vor allem aber gelingt es Country Wedding, die Span­nungen und Konflikte im Bus bis zum Finale konti­nu­ier­lich aufzu­bauen und zu steigern. So ist beste Unter­hal­tung garan­tiert.