60. Berlinale 2010
Sklavenaufstand |
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Sabus Kanikosen |
Riesengroß sind die Zahnräder, und nur schwerfällig kommen sie in Gang. Schwarzweiße Arbeitsuniformen haben die Menschen, und überall dampft und zischt es. Die Maschinen stöhnen und ächzen, scheinen ein Eigenleben zu haben, und eigentlich wirkt auch das ganze Schiff, in dessen Innerem der allergrößte Teil dieses Films spielt, wie ein einziger Körper, und die vielen Menschen unter Deck wie kleine Teile seines Verdauungsapparats. Dabei ist es nur ein banaler Fischkutter, der irgendwann, irgendwo die nordasiatischen Meere durchkreuzt, auf der Suche nach Krebsen. Zugleich aber enthält der Kutter die ganze kapitalistische Gesellschaft, nicht nur die Japans während des während des Russisch-Japanischen Kriegs Anfang des 20. Jahrhundert: Es sind definitiv moderne Zeiten in diesem Stahlkoloss. Die Produktionsweise ist fordistisch, die gefangenen Krebse kommen in riesige Kochtöpfe, dann frisch gesotten landen sie auf Fließbändern, um dann irgendwann in kleine gleichgroße Konservenbüchse verwandelt zu sein. Es könnte sich auch um eine Fabrik handeln, oder um ein Bergwerk, oben sind die geldgeilen Ausbeuter, unten im Dunkeln ameisengleich die Arbeitermassen, die aber auch die einzigen echten Menschen sind, neben denen die nur funktionieren, neben einer Mixtur aus Patriotismus und Effizienzdenken, in der schon Faschismus und Managertugenden zukünftiger Jahre aufscheinen. Und von Anfang an liegt außer Fischgestank, Dampf und Ölgeruch auch ein Sklavenaufstand in der Luft, der sich in der Folge dann ereignen wird.
Kanikosen, der neueste Film des japanischen Regisseurs Sabu (eigentlich: Tanaka Hiroyuki), der gestern im »Internationalen Forum« der Berlinale Premiere hatte, ist die Verfilmung eines berühmten Romans von Kobayashi Takiji, aus dem Jahr 1929. Sabu (Unlucky Monkey, Monday), Zögling und Dauergast des Forums, wo er schon mit vier Filmen zu Gast war, ist immer noch ein Wunderkind, voller Neugier, Frische und Zorn. Jeder Film von ihm sieht anders aus, jeder trägt unbedingt seine Handschrift. Zu der gehört außer einer begnadeten Frechheit die unbedingte Liebe zum Kino. So ist auch Kanikosen ein Film voller Anspielungen, auf die Depressionsdramen Hollywood, auf Chaplin und Fritz Lang, aber auch auf japanische Manga-Comics. An einen Anime, an die düster-phantastische Welt von Ôtomo Katsuhiros Steamboy, der auch hierzulande lief, fühlt man sich in diesem Film erinnert – beides sind zugleich bedrückendes und beglückend idealistische Märchen. Immerhin bricht die Revolution diesmal aus, wenn auch nur im Kino.
Kanikosen ist ein groteskes Massen-Kammerspiel, wenn es so etwas gibt. Also wild, irritierend und unbedingt sehenswert.