15.02.2010
60. Berlinale 2010

Skla­ven­auf­stand

Kanikosen
Sabus Kanikosen

Sabus revolutionäre Schiffsgroteske Kanikosen im Internationalen Forum

Von Rüdiger Suchsland

Riesen­groß sind die Zahnräder, und nur schwer­fällig kommen sie in Gang. Schwarz­weiße Arbeits­uni­formen haben die Menschen, und überall dampft und zischt es. Die Maschinen stöhnen und ächzen, scheinen ein Eigen­leben zu haben, und eigent­lich wirkt auch das ganze Schiff, in dessen Innerem der aller­größte Teil dieses Films spielt, wie ein einziger Körper, und die vielen Menschen unter Deck wie kleine Teile seines Verdau­ungs­ap­pa­rats. Dabei ist es nur ein banaler Fisch­kutter, der irgend­wann, irgendwo die nord­asia­ti­schen Meere durch­kreuzt, auf der Suche nach Krebsen. Zugleich aber enthält der Kutter die ganze kapi­ta­lis­ti­sche Gesell­schaft, nicht nur die Japans während des während des Russisch-Japa­ni­schen Kriegs Anfang des 20. Jahr­hun­dert: Es sind definitiv moderne Zeiten in diesem Stahl­ko­loss. Die Produk­ti­ons­weise ist fordis­tisch, die gefan­genen Krebse kommen in riesige Kochtöpfe, dann frisch gesotten landen sie auf Fließ­bän­dern, um dann irgend­wann in kleine gleich­große Konser­ven­büchse verwan­delt zu sein. Es könnte sich auch um eine Fabrik handeln, oder um ein Bergwerk, oben sind die geld­geilen Ausbeuter, unten im Dunkeln amei­sen­gleich die Arbei­ter­massen, die aber auch die einzigen echten Menschen sind, neben denen die nur funk­tio­nieren, neben einer Mixtur aus Patrio­tismus und Effi­zi­enz­denken, in der schon Faschismus und Mana­ger­tu­genden zukünf­tiger Jahre aufscheinen. Und von Anfang an liegt außer Fisch­ge­stank, Dampf und Ölgeruch auch ein Skla­ven­auf­stand in der Luft, der sich in der Folge dann ereignen wird.

Kanikosen, der neueste Film des japa­ni­schen Regis­seurs Sabu (eigent­lich: Tanaka Hiroyuki), der gestern im »Inter­na­tio­nalen Forum« der Berlinale Premiere hatte, ist die Verfil­mung eines berühmten Romans von Kobayashi Takiji, aus dem Jahr 1929. Sabu (Unlucky Monkey, Monday), Zögling und Dauergast des Forums, wo er schon mit vier Filmen zu Gast war, ist immer noch ein Wunder­kind, voller Neugier, Frische und Zorn. Jeder Film von ihm sieht anders aus, jeder trägt unbedingt seine Hand­schrift. Zu der gehört außer einer begna­deten Frechheit die unbe­dingte Liebe zum Kino. So ist auch Kanikosen ein Film voller Anspie­lungen, auf die Depres­si­ons­dramen Hollywood, auf Chaplin und Fritz Lang, aber auch auf japa­ni­sche Manga-Comics. An einen Anime, an die düster-phan­tas­ti­sche Welt von Ôtomo Katsu­hiros Steamboy, der auch hier­zu­lande lief, fühlt man sich in diesem Film erinnert – beides sind zugleich bedrü­ckendes und beglü­ckend idea­lis­ti­sche Märchen. Immerhin bricht die Revo­lu­tion diesmal aus, wenn auch nur im Kino.

Kanikosen ist ein groteskes Massen-Kammer­spiel, wenn es so etwas gibt. Also wild, irri­tie­rend und unbedingt sehens­wert.