62. Berlinale 2012
Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung |
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Who is who: Paolo und Vittorio Taviani |
Anke Engelke, Anke Engelke, Anke Engelke – ja, es gibt keinen Berlinale-Tag ohne sie. Es ist eine einzige Orgie der Geschmacklosigkeit. Und wir meinen jetzt nicht die von ihr jeweils moderierte Abschlussveranstaltung oder die Eröffnungsveranstaltung, die von allen, die es erlebt haben, auch von Berlinale-Mitarbeitern, die wir hier nicht nennen werden, als nur noch bodenlos empfunden wurde, nein, darauf kommen wir jetzt gar nicht. Wir meinen die Tatsache, dass eine Person, die für die Berlinale die Abschlussveranstaltung und die Eröffnung moderiert, und wenn schon nicht von ihr, dann doch von einem Sponsorsender bezahlt wird – Schätzungen liegen übrigens bei ca. 50.000 Euro pro Abend (wer mehr weiß, darf sich melden; Hinweise werden vertraulich behandelt) –, dass also eine der Berlinale vertraglich und ökonomisch verbundene Person sich nicht zu blöd ist, während der Berlinale auch noch im Auftrag des RD-Morgenfernsehens »berichterstattend« über die Berlinale tätig zu sein. Klar, wir wissen schon, dass man das Wort »Berichterstattung« beim Morgenmagazin in Anführungstrichen schreiben muss. Schlimm genug. Natürlich blendet dann niemand ein: Liebes Publikum, die Frau hat übrigens die Eröffnung moderiert, wird also kaum unabhängig berichten zu können, und wenn schon, kann man es nicht merken. In anderen Zusammenhängen heißt das Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung.
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Aber muss sich die Engelke auch noch bei Pressekonferenzen zu Wort melden? Mit pseudokritischen Fragen? Kann ihr keiner sagen, dass sie erstens nicht für alles kompetent ist, und dass es zweitens doch etwas blöd aussieht, wenn sie an einem Tag zu verstehen gibt, einen Film nicht zu mögen, und vier Tage später dem Regisseur im Namen der Berlinale einen Preis überreicht? Warum muss Anke Engelke überhaupt alles machen? Warum kann man keinen Tag diesem Gesicht entkommen?
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Apropos Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung: Wulff ist zurückgetreten, aber das Wulffen geht weiter. Es ist doch, seien wir mal ehrlich, kein Zufall, dass Wulff ausgerechnet über einen Filmproduzenten und das Thema Filmförderung gestürzt ist. Und dass hier mal auch Normalmenschen gehört haben, dass es möglich ist, dass Filmförderfonds Landesbürgschaften erhalten und trotzdem jahrelang keinen einzigen Film produzieren.
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Es war ein sehr merkwürdiger Samstag, der Berlinale-Abschlusssamstag in Berlin. Am Vortag war endlich Wulff zurückgetreten, weshalb dann die sogenannten Leitmedien sich auch im Feuilleton berufen fühlten, noch einmal mit anderen Worten das zu sagen, was sie in den acht Wochen zuvor auch schon geschrieben hatten. Letzte Gelegenheit. Und darum blieben dann allerlei, längst beauftragte und geschriebene Berlinale-Texte unveröffentlicht. Kein Platz mehr.
Im Lauf des Samstags
gab es dann über den Tag hinweg allerlei Preisspekulationen – für Christian Petzold sah es nach einhelliger Journalistenmeinung gut aus, für Bence Fliegaufs ungarischen Beitrag auch, »schon aus politischen Gründen«, wie manche maliziös ergänzten, auch mit Preisen für Tabu und L’enfant d’en haut wurde gerechnet. Klar war, dass der Wettbewerb ohne eindeutigen Favoriten in seine Schlussrunde ging.
Zugleich verdichteten sich zwei weitere Gerüchte: Der 72-jährige Joachim Gauck würde Bundespräsident werden, der 73-jährige Otto Rehhagel solle Hertha BSC vor dem Abstieg aus der Bundesliga retten.
Altersweisheit soll also Lachnummern wieder eine Seriösitätsinfusion geben, soll Peinlichkeitsnummern wenn schon nicht mit Qualität, so doch mit Ernst und Tugenden versorgen. Und dann geht am Abend der Goldene Bär an das 82- bzw. 80-jährige Brüderpaar Taviani. Damit hätte keiner gerechnet. Jedem der den Film Cesare deve morire gesehen hat, ist die Preisentscheidung
schleierhaft: Ein Dokumentarfilm wohlgemerkt. Ein braver biederer Dokumentarfilm, der den Charme und alle die Probleme hat, die Filme haben, die mit Laien gedreht sind, wenn diese Laien auch noch Häftlinge sind, die im Knast Shakespeare-Stücke aufführen. Eine ignorante Preisverleihung für einen anachronistischen Film.
Plausiblere Erklärungen für die Entscheidung lauten: »Alte Säcke zeichnen alte Säcke aus.« (Eine Produzentin). Mike Leigh wollte keinem jüngeren Regisseur
(also Konkurrenten) die Auszeichnung gönnen. Oder: Je besser Jurys auf dem Papier sind, um so schlechter sind ihre Entscheidungen. Oder es ereignet sich einfach die Wiederkehr der alten Männer. Am Samstagabend war der Applaus für den wichtigsten Preis dann doch sehr verhalten.
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Es gibt so ein paar Sprüche, die sterben nie. Dazu gehört der Satz von dem Begründer der französischen Nouvelle Vague, von Jean-Luc Godard, es gehe im Kino nicht darum, politische Filme zu machen, sondern darum, Filme politisch zu machen. Die Berlinale, das sagt sie jedenfalls gern von sich selbst, ist ein sehr politisches Filmfestival. Und das ist auch richtig. Genauso richtig ist aber auch das Gegenteil – dann wäre die Berlinale sehr, sehr unpolitisch. Es kommt eben einfach darauf an, was man unter einem politischen Film versteht. Politische Filme, das sind Thesen und Manifeste, einfache Wahrheiten, in deren Dienst sich Kino besonders leicht stellt, die aber, ob wahr oder nicht, sehr schnell sehr langweilig werden. Denn was passiert mit einem Film, wenn er einfach Thesen und Ansichten verkündet? Im schlimmsten Fall wird er zu Propaganda.
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Auf der Berlinale lief Angelina Jolies Film über Massenvergewaltigung im bosnischen Bürgerkrieg. Ein wichtiges Thema, aber ein schrecklicher Film. Ist das nun politisch? Und kontaminiert eine hundsmiserable Ästhetik womöglich am Ende das politische Anliegen? Auf der Berlinale liefen mehrere Filme über das Erdbeben von Japan, über Fukushima und die Folgen. Wer hätte nicht Mitleid mit den armen Menschen. Aber ist Mitleid politisch? Es laufen auch eine Menge Filme über die Arabellion. Sie alle sympathisieren mit den Demonstranten. Aber schlägt hier die Berlinale nicht die Schlachten von gestern? Ist es politisch, Mubarak auf der Leinwand noch zum zehnten Mal zu stürzen?
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Vielleicht wäre es, wenn schon, viel politischer, zu zeigen, dass Mubarak nicht für alles Schlimme in Ägypten verantwortlich gemacht werden kann, dass er ein guter Freund genau der westlichen Regierungen war, die ihn jetzt verdammen. Und dass die Demonstranten auch nicht immer nur Gutes im Schilde führen, nicht immer unsere Unterstützung und Sympathie verdienen.
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Aber solche Fragen sind nicht so schööön wie die, die die Berlinale zeigt. Sie sind unbequem, und darum werden solche Filme nicht gemacht. Oder die Berlinale zeigt sie nicht. Womöglich ist es aber eigentlich sehr unpolitisch, immer nur längst gewonnene Schlachten noch einmal zu gewinnen, längst verjagte Diktatoren wie Hui Buh, das Schlossgespenst, noch einmal über die Leinwand zu jagen – zur Erbauung des wohlig geschauerten Publikums.
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Um politische Aktion geht es auf seine unvergleichliche Art Klaus Lemke. Der deutsche Regisseur, berühmt seit 40 Jahren, bekam für sein neuestes Independent-Werk keine Einladung zur Berlinale. Also verkündete er kurzerhand: »Occupy Berlinale!« und demonstrierte vor dem Roten Teppich. Ein bisschen Ernst, ein bisschen Spaßpolitik, die vor allem der deutschen Förderlandschaft gilt, die diverse Filmemacher und Produzenten mit Steuergeldern alimentiert, Autorenfilmer wie Lemke aber links liegen lässt.
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Politisch Filme machen, das ist aber noch etwas ganz anderes: »Ich folge nur den Befehlen meiner Vorgesetzten.« Diese, durch Adolf Eichmann berühmt gewordene Ausrede ist nicht gerade die glücklichste Verteidigungsstrategie für einen israelischen Soldaten. Wir hören sie dennoch mehr als einmal in Soldier/Citizen (Bagrut Lochamim) einem hochspannenden Dokumentarfilm aus Israel, der im »Internationalen Forum des Jungen Films« seine Weltpremiere erlebt. Der 1965 geborenen Regisseurin Silvina Landsmann ist mit nur 70 Minuten ein hochspannender Film gelungen. Ein Institutionenportrait im Stil von Frederick Wiseman. Und zugleich ist dies auch eine Hymne auf die Freiheit der israelischen Gesellschaft. Sie begleitet eine Gruppe israelischer Soldaten beim dreiwöchigen Unterricht in Staatsbürgerkunde. Der ist Bestandteil des Angebots für Soldaten, gegen Ende des Militärdienstes verpasste Schulabschlüsse nachzuholen. Der in Zivil gekleidete Lehrer erklärt seinen uniformierten Schüler, was Pluralismus bedeutet, und was für Konsequenzen es hat, dass Israel ein Rechtsstaat und eine Demokratie ist. Dabei werden der Gründungsmythos und das komplexe Selbstverständnis des jüdischen Staates an der Wirklichkeit nach 60 Jahren und den Erfahrungen der Soldaten im Alltag des Nahostkonflikts, und in Gesprächen mit Freunden und Familie konfrontiert. Es geht hoch her, denn die Soldaten sind untereinander so uneinig, wie der Rest der Gesellschaft. Viele der jungen Männer sind erschreckend uninformiert, und geben im saloppen Gerede auch mal einige Grundlagen des Staates oder gleich die Menschrechte preis: Als einer sagt, man solle »die Araber« rauswerfen »... nach Jordanien« ist er überrascht, zu hören, dass die Gemeinten die israelische Staatsbürgerschaft besitzen. Manche kommen mit der Kritik der Friedensbewegung nicht zurecht – »Sie nennen mich Nazi. Bin ich ein jüdischer Nazi?« –, Andere haben vor orthodoxen Juden gleichviel Angst wie vor Muslims: »Der Tag wird kommen, an dem die Ultras und die Araber die Mehrheit sind, und den säkularen Staat abschaffen.« Wieder andere sagen, sie würden lieber in »der Schweiz oder Holland leben«, und sind verwundert, dass es dort auch einen Militärdienst gibt. So wird dieser Film zum kondensierten Portrait der israelischen Gesellschaft. Zugleich bietet er auch – mitunter erschreckende – Innenansichten von Angst, Paranoia und Unversöhnlichkeit unter dem Soldaten-Männerbund: An die Möglichkeit friedlicher Koexistenz glaubt hier niemand: Araber sind ausnahmslos Terroristen, denen keinerlei Rechte zugestanden werden. Wenn einer widerspricht, ist er ein »Leftist« – aber wenn es dann die Gerichte sind, die Soldaten für Übergriffe und Verbrechen im Einsatz verurteilen, dann fällt der bereits zitierte Eichmann-Verweis auf den »Befehlsnotstand«. Gibt es wirklich nicht mehr aus der Geschichte zu lernen, noch nicht einmal in Israel?
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Ein besonders gelungenes Beispiel, was politisch Filme zu machen wirklich bedeuten kann, kommt aus Deutschland: Christian Petzolds Wettbewerbsbeitrag Barbara erzählt eine mehrschichte Liebesgeschichte in der DDR des Jahres 1980: Oberflächlich ist das rein privat, auch wenn die Stasi einigen der Figuren das Leben schwer macht. Bei genauerer Betrachtung ist ein auf allen seinen Ebenen ein detaillierter Gegenentwurf zu Donnersmarcks Das Leben der Anderen. Die Liebe zur Kunst, also Musik, Literatur und Malerei trennt hier nicht die Guten von den Bösen, sie macht nicht das Leben besser, sondern sie ist eine Verständigungsform. Und während Donnersmarck eine Erlösungsballade vom guten Menschen erzählt, erzählt Petzold davon, das sich das Gutsein, dass sich Moral nicht in der Motivation zeigt, nicht im Predigen von Werten, sondern darin, dass einer das Richtige tut. In diesem Sinne sind die Hauptfiguren in Barbara fast Heilige: Ganz pragmatisch stellen sie ihr Ego zurück, wenn es ganz konkret gilt, anderen zu helfen.
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Politik im Kino – das meint nicht Manifeste, nicht Thesen, und schon gar nicht, dass Filme auf der richtigen Seite stehen. Politik im Kino ist eine Haltung, die von Neugier und Fragen gesprägt ist, vom Willen zur Kritik, nicht von Versöhnlichkeit und fertigen Antworten. Von solchen wirklich politischen Filmen gab es auf der Berlinale 2012 immer noch zu wenige.