17.02.2013
63. Berlinale 2013

Des Kaisers neue Kleider

Einstellung aus Stemple Pass
There’s a cabin in the wood
(Foto: J. Benning)

Ein paar Bemerkungen zu Stemple Pass, dem neuen Film von James Benning, der jetzt auf der Berlinale seine internationale Premiere hatte

Von Dunja Bialas

James Benning hat neue Kleider. Seitdem er mit Ruhr (2009), seinem Film­bei­trag zur »RUHR.2010«, anfing, digital zu drehen, muss man sich an ein neues Aussehen seiner Filme gewöhnen. Christina Nord stimmte anläss­lich der Duis­burger Filmwoche in der »taz« in die Lobes­hymne Bennings auf das Digitale ein, wenn sie vermerkt: »Und einen ästhe­ti­schen Gewinn gibt es durchaus. Minutiös legt der Regisseur am Beispiel der dritten Einstel­lung von Ruhr dar, wie das digitale Bild etwas regis­triert, was auf dem 16-mm-Filmbild nicht sichtbar wäre. Weil das Bild komplett still­steht, weil es nicht vom Tanz des Filmkorns bewegt wird, sieht man, wie ein kleiner Zweig aus dem Bildkader heraus­schnellt.«
Ein Jahr später kam dann der digitale Small Roads, ein Fort­füh­rung des noch auf 16mm gedrehten Rail­mo­vies RR, eine Art Car-Spotting auf den entle­genen Land­straßen der USA. Small Roads war wie RR ein Film mit einer großen Komik, bei der die Betrach­tung des Bildes durch die Erwartung des baldigen Ereig­nisses abgelenkt war.
Dann, auf der Viennale letztes Jahr, Bennings eigen­wil­lige Annähe­rung an Easy Rider. Disparate Bilder, die er auf der nach­ge­fah­renen Route findet, montiert er zu einem »Essay Rider«, dem aller­dings nur noch bereit­wil­lige Bild­ex­egeten folgen mochten. Der Rest sah: arbiträr montierte Bilder unter­schied­lichster Art, digital flaue Aufnahmen, die viel­leicht viele Details offen­baren, denen aber jegliche Mate­ria­lität abhanden gekommen ist. So sieht man in Bennings Easy Rider statt tiefer Spuren und Furchen in einem nuan­cen­rei­chen braun-grau-matschigen Erdgewühl nur eine unan­sehn­lich gefleckte Fläche, die nichts weiter ist als: Matsch. Oder vielmehr nur noch das entma­te­ria­li­sie­rierte Zeichen für Matsch, ohne uns in die Refe­ren­tia­lität des Matschigen zu entführen: sein Geruch, seine Konsis­tenz, seine Schwere.

Bei seinem dies­jäh­rigen Forums-Beitrag der Berlinale wird deutlich, wie sehr Benning mit der Wahl einer (schlechten?) Digi­tal­ka­mera auf die Anschau­lich­keit und sogar Anschau­bar­keit seiner Bilder verzichtet. In vier stati­schen Einstel­lungen, die jeweils dreißig Minuten dauern, gibt Benning den Blick auf ein laub­be­wal­detes Tal frei, in dem sich im unteren rechten Bildrand eine Hütte birgt, dies im Wechsel der Jahres­zeiten (Frühling, Herbst, Winter, Sommer). Stemple Pass heißt die filmische Fort­set­zung seines letztes Jahr begon­nenen Kunst­pro­jekts, das um radikale Ameri­kaner und deren Frei­heits­be­griff kreiste. In Stemple Pass liest Benning aus den Tage­büchern des Unabom­bers Ted Kaczynski, die dieser zu schreiben begann, als er in eine einsame Hütte im Wald zog.

Während wir dem Text (und vor allem der Stimme Bennings!) lauschen, haben wir Zeit, das Land­schafts­bild zu betrachten. Früher war mehr Bild!, möchte man ausrufen, während das Auge versucht, sich in das belaubte Tal zu versenken. Flächig bleibt das Bild, grün in grün (später auch grau in schwarz­weiß). Aber in der digital verschwim­menden Land­schaft kann das Auge keine Konturen finden, kein Punktum, um sich dort zu verankern, kann keine Mikro­er­eig­nisse in der Natur entdecken, alles Dinge, die einst die Spannung der mono­the­ma­ti­schen 16mm-Film­land­schaften wie 13 Lakes oder 10 Skys ausmachten.

Mal ehrlich…

Die Unkon­tu­riert­heit und Flachheit des digitalen Benning sind schuld, dass bei mir zum ersten Mal so etwas wie Lange­weile aufkommt. Wo einstmals Höchst­span­nung geherrscht hatte, während sich das Benningsche Bild in meine Retina brannte, verbreitet sich in mir nun entsetz­liche Unruhe. Während der Text versucht, sich Bahn in mein Bewusst­sein zu brechen, während ich an der Illus­tra­tion der »einsamen Hütte im Tal« verzwei­fele, vernehme ich zuerst leise, dann immer lauter, eine Stimme, die direkt aus meinem Kopf kommt:
»Aber er hat ja gar nichts an!«

– Wie, er hat nichts an?
– Naja, siehst du es nicht, da ist gar nichts mehr zu sehen! Benning ist völlig nackt!
Und klar, jetzt sehe ich es, das komplett entblößte Bild. Die Stimme werde ich nun nicht mehr los.

»Aber er hat gar nichts mehr an«, wieder­holt sie, als ich lese, was Martina Knoben in der »SZ« zu Benning schreibt: »Auch der Mensch ist schließ­lich ein Teil der Natur, und dass diese Natur ganz und gar nicht lieblich ist, lässt sich in jeder Minute dieses klugen Films erfahren.«
Oder wenn Michael Kienzl in der geschätzten critic.de versucht, sich die Sache schön­zu­schreiben – »Stemple Pass zeigt nicht nur auf eindrucks­volle Weise, wie sich die Schönheit der Natur als Projek­ti­ons­fläche für zerstö­re­ri­sches Gedan­kengut eignet, sondern auch, wie Worte die Wirkung von Bildern beein­flussen können« – dann kommt die Stimme wieder und sagt achsel­zu­ckend: »Aber er hat gar nichts mehr an!«

Die digitalen Filme von James Benning machen auf eindrucks­volle Weise deutlich, wie ein bestimmtes Film­schaffen im digitalen Zeitalter zugrunde geht. Der Trapper Benning, der sich mit seiner 16mm-Kamera in der Land­schaft auf die Lauer legte und uns zum Sehen ins Korn und in die Tiefe seines belich­teten Film­ma­te­rials schickte, hat mit der Mate­ria­lität seiner Filme auch die Leinwand eingebüßt, seien wir ehrlich. Kann ein flauer, unkon­tu­rierter Beam die Film­pro­jek­tion im Kino noch recht­fer­tigen? Ist Benning damit nicht vielmehr ganz im instal­la­tiven Bereich von Ausstel­lungen aufge­gangen, wo die beschei­denen Projek­ti­ons­tech­niken dem Kinobild niemals gerecht wurden, dem sich die digitalen Bilder aber problemlos fügen? Einst war bei Benning die Verweil­dauer vor dem Kinobild entschei­dend, um den Sog der Land­schaften zu erleben, um die Mikro­er­eig­nisse nicht zu verpassen. Die kriti­sierte Arbi­tra­rität der Bilder in Easy Rider fängt Benning in Stemple Pass durch ein gebautes Setting (die Hütte) und das Sprechen passender Texte auf – und versieht damit sein Werk mit einer Art Verweil-Prothese, ähnlich einem Audio­guide, der unsere Zeit vor den Kunst­werken bestimmt, auch wenn wir finden, dass es hier nichts mehr zu sehen gäbe.

Inter­es­sant bleibt zum Schluss noch eins: Wieso wagt kaum einer auszu­spre­chen, dass Benning einen quali­ta­tiven Verlust erlitten hat, als er das Medium wechselte? Bei Ruhr wurde noch stel­len­weise das Ausufernde seiner Einstel­lungen bemängelt – wo es vormals Konzep­tion und Knappheit zu bewundern gab. Über die mangel­hafte visuelle Qualität seiner flachen Digi­tal­bilder aber wird sich ausge­schwiegen oder mit dem Hinweis auf einen »schlechten Beam« negiert. Man zeige mir den Beam, der seine Bilder wieder zum Leben erwecken könnte. Bis dahin sagt die Stimme in meinem Kopf: »Er hat gar nichts mehr an.«