63. Berlinale 2013
Des Kaisers neue Kleider |
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There’s a cabin in the wood | ||
(Foto: J. Benning) |
Von Dunja Bialas
James Benning hat neue Kleider. Seitdem er mit Ruhr (2009), seinem Filmbeitrag zur »RUHR.2010«, anfing, digital zu drehen, muss man sich an ein neues Aussehen seiner Filme gewöhnen. Christina Nord stimmte anlässlich der Duisburger Filmwoche in der »taz« in die Lobeshymne
Bennings auf das Digitale ein, wenn sie vermerkt: »Und einen ästhetischen Gewinn gibt es durchaus. Minutiös legt der Regisseur am Beispiel der dritten Einstellung von Ruhr dar, wie das digitale Bild etwas registriert, was auf dem 16-mm-Filmbild nicht sichtbar wäre. Weil das Bild komplett stillsteht, weil es nicht vom Tanz des Filmkorns bewegt wird, sieht man, wie ein kleiner Zweig aus dem Bildkader herausschnellt.«
Ein Jahr später kam dann der digitale Small Roads, ein Fortführung des noch auf 16mm gedrehten Railmovies RR, eine Art Car-Spotting auf den entlegenen Landstraßen der USA. Small Roads war wie RR ein Film mit einer großen Komik, bei der die Betrachtung des Bildes durch die Erwartung des baldigen
Ereignisses abgelenkt war.
Dann, auf der Viennale letztes Jahr, Bennings eigenwillige Annäherung an Easy Rider. Disparate Bilder, die er auf der nachgefahrenen Route findet, montiert er zu einem »Essay Rider«, dem allerdings nur noch bereitwillige Bildexegeten folgen mochten. Der Rest sah: arbiträr montierte Bilder unterschiedlichster Art, digital flaue Aufnahmen, die vielleicht
viele Details offenbaren, denen aber jegliche Materialität abhanden gekommen ist. So sieht man in Bennings Easy Rider statt tiefer Spuren und Furchen in einem nuancenreichen braun-grau-matschigen Erdgewühl nur eine unansehnlich gefleckte Fläche, die nichts weiter ist als: Matsch. Oder vielmehr nur noch das entmaterialisierierte Zeichen für Matsch, ohne uns in die Referentialität des Matschigen zu entführen: sein Geruch, seine Konsistenz, seine
Schwere.
Bei seinem diesjährigen Forums-Beitrag der Berlinale wird deutlich, wie sehr Benning mit der Wahl einer (schlechten?) Digitalkamera auf die Anschaulichkeit und sogar Anschaubarkeit seiner Bilder verzichtet. In vier statischen Einstellungen, die jeweils dreißig Minuten dauern, gibt Benning den Blick auf ein laubbewaldetes Tal frei, in dem sich im unteren rechten Bildrand eine Hütte birgt, dies im Wechsel der Jahreszeiten (Frühling, Herbst, Winter, Sommer). Stemple Pass heißt die filmische Fortsetzung seines letztes Jahr begonnenen Kunstprojekts, das um radikale Amerikaner und deren Freiheitsbegriff kreiste. In Stemple Pass liest Benning aus den Tagebüchern des Unabombers Ted Kaczynski, die dieser zu schreiben begann, als er in eine einsame Hütte im Wald zog.
Während wir dem Text (und vor allem der Stimme Bennings!) lauschen, haben wir Zeit, das Landschaftsbild zu betrachten. Früher war mehr Bild!, möchte man ausrufen, während das Auge versucht, sich in das belaubte Tal zu versenken. Flächig bleibt das Bild, grün in grün (später auch grau in schwarzweiß). Aber in der digital verschwimmenden Landschaft kann das Auge keine Konturen finden, kein Punktum, um sich dort zu verankern, kann keine Mikroereignisse in der Natur entdecken, alles Dinge, die einst die Spannung der monothematischen 16mm-Filmlandschaften wie 13 Lakes oder 10 Skys ausmachten.
Die Unkonturiertheit und Flachheit des digitalen Benning sind schuld, dass bei mir zum ersten Mal so etwas wie Langeweile aufkommt. Wo einstmals Höchstspannung geherrscht hatte, während sich das Benningsche Bild in meine Retina brannte, verbreitet sich in mir nun entsetzliche Unruhe. Während der Text versucht, sich Bahn in mein Bewusstsein zu brechen, während ich an der Illustration der »einsamen Hütte im Tal« verzweifele, vernehme ich zuerst leise, dann immer lauter, eine Stimme,
die direkt aus meinem Kopf kommt:
»Aber er hat ja gar nichts an!«
– Wie, er hat nichts an?
– Naja, siehst du es nicht, da ist gar nichts mehr zu sehen! Benning ist völlig nackt!
Und klar, jetzt sehe ich es, das komplett entblößte Bild. Die Stimme werde ich nun nicht mehr los.
»Aber er hat gar nichts mehr an«, wiederholt sie, als ich lese, was Martina Knoben in der »SZ« zu Benning schreibt: »Auch der Mensch ist schließlich ein Teil der Natur, und dass diese Natur ganz und gar nicht lieblich ist, lässt sich in jeder Minute dieses klugen Films erfahren.«
Oder wenn Michael Kienzl in der geschätzten critic.de versucht, sich die Sache schönzuschreiben –
»Stemple Pass zeigt nicht nur auf eindrucksvolle Weise, wie sich die Schönheit der Natur als Projektionsfläche für zerstörerisches Gedankengut eignet, sondern auch, wie Worte die Wirkung von Bildern beeinflussen können« – dann kommt die Stimme wieder und sagt achselzuckend: »Aber er hat gar nichts mehr an!«
Die digitalen Filme von James Benning machen auf eindrucksvolle Weise deutlich, wie ein bestimmtes Filmschaffen im digitalen Zeitalter zugrunde geht. Der Trapper Benning, der sich mit seiner 16mm-Kamera in der Landschaft auf die Lauer legte und uns zum Sehen ins Korn und in die Tiefe seines belichteten Filmmaterials schickte, hat mit der Materialität seiner Filme auch die Leinwand eingebüßt, seien wir ehrlich. Kann ein flauer, unkonturierter Beam die Filmprojektion im Kino noch rechtfertigen? Ist Benning damit nicht vielmehr ganz im installativen Bereich von Ausstellungen aufgegangen, wo die bescheidenen Projektionstechniken dem Kinobild niemals gerecht wurden, dem sich die digitalen Bilder aber problemlos fügen? Einst war bei Benning die Verweildauer vor dem Kinobild entscheidend, um den Sog der Landschaften zu erleben, um die Mikroereignisse nicht zu verpassen. Die kritisierte Arbitrarität der Bilder in Easy Rider fängt Benning in Stemple Pass durch ein gebautes Setting (die Hütte) und das Sprechen passender Texte auf – und versieht damit sein Werk mit einer Art Verweil-Prothese, ähnlich einem Audioguide, der unsere Zeit vor den Kunstwerken bestimmt, auch wenn wir finden, dass es hier nichts mehr zu sehen gäbe.
Interessant bleibt zum Schluss noch eins: Wieso wagt kaum einer auszusprechen, dass Benning einen qualitativen Verlust erlitten hat, als er das Medium wechselte? Bei Ruhr wurde noch stellenweise das Ausufernde seiner Einstellungen bemängelt – wo es vormals Konzeption und Knappheit zu bewundern gab. Über die mangelhafte visuelle Qualität seiner flachen Digitalbilder aber wird sich ausgeschwiegen oder mit dem Hinweis auf einen »schlechten Beam« negiert. Man zeige mir den Beam, der seine Bilder wieder zum Leben erwecken könnte. Bis dahin sagt die Stimme in meinem Kopf: »Er hat gar nichts mehr an.«