63. Berlinale 2013
Die schrullige alte Dame |
||
Exposed bringt alles durcheinander | ||
(Foto: Beth B) |
Von Dunja Bialas
Berlinale: Das sind ja vor allem immer die Klagen. Über den Wettbewerb, über Kosslick, der das größte Festival Deutschlands nicht gegenüber Cannes oder Venedig zu verteidigen weiß. Darüber, dass immer nur die Zweitgarde der Stars auffährt, oder dass Filmvehikel programmiert werden, um mit ihnen zumindest den einen oder anderen Star auf den roten Teppich zu ziehen, und wenn’s auch immer dieselben sind (Cathérine Deneuve mit dem auf sie zugeschnittenen Film Elle s'en va, die unvermeidliche Nina Hoss, dieses Jahr als Westernfrau im ausgelachten Gold von Thomas Arslan, sodann Nicolas Cage, Emma Stone, beide nur als Stimmen im stark umworbenen The Croods zu
hören, Jeremy Irons, der zur Berlinale-Vorpremiere von Nachtzug nach Lissabon anreiste, weiter der Wettbewerbs-Abonnent Steven Soderbergh: dieses Jahr mit Side Effects, letztes Jahr mit Haywire, 2007
mit The Good German und 2001 mit Traffic, und sogar Jane Fonda, »die zwar keinen Film hatte, aber als Botschafterin eines Kosmetikkonzerns« nach Berlin kam, wie die Star-Rundschau des rbb registriert). Jetzt gibt es sogar schon eine Auszeichnung für die »Verbundenheit zum Festival«: Isabella
Rossellini, die ihre bereits zum Auftakt der Berlinale auf Arte ausgestrahlten Mammas – eine Art Fortsetzung von Green Porn (2008) – präsentierte, erhielt die »Berlinale Kamera«.
Aber was kümmern mich eigentlich die Stars?
Ich halte es wie alle Freunde des, ja, wie soll ich sagen, Nischenfilms: die eigentlichen Stars sind für uns die Filme. Und um diese habe ich mich reichlich gekümmert, abseits des Wettbewerbs, auf dem ein schon fast hysterisches Augenmerk liegt. Dabei zeigte sich, dass das Forum dieses Jahr – bis auf Ausnahmen – eher schwächelte, das Forum Expanded aufgrund einer nicht zu durchschauenden Waghalsigkeit in der Filmprogrammierung (Hauptsache unzugängliche oder dröge »Filme«) besser zu meiden war (großartige Ausnahme: Yugoslavia der Künstlerin Marta Popivoda). Überraschungen gab es dann aber im Panorama zu sehen.
Ausgeweidet. Gut Renovation hieß die sehr persönliche und äußerst hellsichtige Dokumentation der New Yorkerin Su Friedrich, die den Umbau ihres Viertels Williamsburg über Jahre festhält. Williamsburg ist, als der Film ansetzt, ein von Künstlern und Handwerkern bewohnter Stadtteil von Brooklyn; die großen Industrielofts haben sich die Künstler in Eigeninitiative in bescheidene und vor allem günstige Ateliers und Wohnraum umgebaut. Der Spirit des
Viertels ist die Nachbarschaftspflege: alle kennen alle, keiner ist für sich allein. Den Kiez muss man eigentlich nicht verlassen, um ein gutes Leben zu führen.
Dann aber kommt es 2005 zu einer Neuausweisung des ehemaligen Industriegebiets zum reinen Wohnviertel. Alle Werkstätten (Autowerkstätten, Schreinereien, Druckereien usw.) müssen weichen. Die derart geschickt zwangsgeräumten Bauten werden abgerissen, Friedrich zeichnet auf dem Stadtplan von Williamsburg die
Baulücken mit rotem Edding ein und zählt dabei durch: »One, two, three – four, five. Six, seven … eighty, eighty-one, eigthy-two, eighty-three.« Am Schluss des Films wird sie bei über 200 abgerissenen Bauten sein, der Stadtplan ist mit roten Flecken durchsetzt, und auch Su Friedrich räumt jetzt, als eine der letzten, ihre Wohnung.
Mit anschwellender Wut und großem Humor erzählt Friedrich vom Beobachtungsposten ihres Fensters von den Umbrüchen. Das Zusammentreffen mit
ihrer poshigen Nachbarschaft wird ihr zum Anlass zu sarkastischen Bemerkungen über designte Hunde, die das Viertel jetzt optisch bestimmen und über die Trutzburgen, hinter die sich die neuangekommenen Banker & Co. zum Wohnen zurückziehen.
Höhepunkt des Films ist der Fund eines riesigen Felsbrockens, der die Abrissarbeiten im Grundstück gegenüber über Monate blockiert, weil die Bauarbeiter dem schweren Bunken einfach nicht beikönnen. Er wird zum letzten Symbol des
Widerstands gegen die Gentrifizierung: als er abtransportiert wird, lässt Friedrich einen jazzigen Gospel erklingen. Das Sterben des Viertels ist nun Tatsache.
Su Friedrich ist eine begnadete Dokumentarfilmerin, was sich in ihrem wachen Beobachtungssinn zeigt. Den Film in Berlin zu zeigen, hatte natürlich noch einen verschärfenden Aspekt, wo seit einiger Zeit nun auch Kreuzberg und Neukölln in den Gentrifizierungssog geraten. Am Tag nach der Filmpremiere fand eine Zwangsräumung in der Berliner Lausitzer Straße statt. Su Friedrich, die selbst einmal in Berlin gelebt hatte, war anwesend und verharrte ab 7 Uhr morgens mit den Demonstranten vor der Tür, um die Räumung zu verhindern. Aber sie wurden ausgetrickst: die steuergelderfinanzierte Polizei verhalf der Zwangsvollstreckerin über einen Seiteneingang in das Haus, und leistete damit Beihilfe für die privatwirtschaftlichen Interessen des Vermieters. So kann Staat sein. Immerhin: das benachbarte Regenbogenkino hat den Film schon mal für sich gesichert. Einen besseren Ort für seine Vorführung gibt es nicht.
+ + +
Das Panorama ist ja bekannt als Sektion, in der die Filme laufen, die irgendetwas mit Gender zu tun haben. Dies verdankt sich dem langjährigen Leiter und übrigens auch Forums-Mitbegründer Manfred Salzgeber, der sich für die schwul-lesbische Filmkultur einsetzte und ihnen mit dem Panorama eine wichtige Plattform gab. Für alle, die nicht vordergründig am Gender-Thema interessiert sind, war dies mit Grund dafür, die Reihe eher zu meiden.
Dieses Jahr aber gab sich das Panorama sehr
vielseitig, gerade in den Dokumentarfilmen. Auch Su Friedrich ist eine Lesbe, was sie gleich zu Beginn ihres Films klarstellt (und zu einer unwillkürlichen »Ah nein, bitte jetzt nicht das«-Abwehrreaktion führte). Dabei beließ sie es dann aber auch. Und wir konnten erfahren: Auch schwul-lesbische Filmemacher haben andere Themen als ihre eigene, kulturell-geschlechtliche Identität.
Beth B, New Yorker Underground-Künstlerin, machte die Geschlechtlichkeit hingegen zum starken Thema ihres Dokumentarfilms Exposed. Sie stellt die variantenreiche New Yorker Neo-Burlesque-Szene vor. Hier geht es schon lange nicht mehr nur um den Striptease. Der Körper ist politisch, so könnte man es zusammenfassen, zeigt die Otherness innerhalb einer Gesellschaft, die sich auf der anderen Seite mehr und mehr zu normieren versucht. Dicke Frauen, transsexuelle Männer, Behinderte, aber auch »normale« Frauen, die besonders offensiv mit ihrer eigenen Sexualität umgehen, zeigen teils extrem provokante Performances. Getroffen hat Beth B die TänzerInnen in einem der letzten subversiven Veranstaltungsorte der Lower East Side, dem Slipper Room. Ein Film, der auch anregte, über Normen und Standardisierungen nachzudenken, in der eigenen beschränkten Welt der Bundesrepublik.
Als ich jüngst im Zuge meiner Kuratortätigkeit für das Dok.fest in München einen peruanischen Film sichtete, staunte ich nicht schlecht. Völlig unreflektiert präsentierte die Filmemacherin einen in Reichtum strotzenden Haushalt, mit Hausangestellten und der eigenen gelifteten Großmutter, die herrische Anweisungen gab, und einem Hund, der von der Großmutter auf unangenehme Weise geherzt wurde.
Und so staunte ich noch mal nicht schlecht, als mir fast das gleiche Setting in dem mexikanischen Spielfilm Workers von José Luis Valle entgegenschlug. Eine an den Rollstuhl gefesselte und geliftete ältere Dame in einem prunkenden Haus hat nur noch eines im Leben: einen Windhund, den sie »Prinzessin« nennt und ebenso behandelt. Für dessen Wohlergehen hält sie ihr gesamtes
Dienstpersonal auf Trab: das Zimmermädchen, die Haushälterin, den Chauffeur. Als sie stirbt, setzt sie Prinzessin als Alleinerben ein; erst, wenn der Hund – eines natürlichen Todes – gestorben sein wird, kann das treue Dienstpersonal erben. Der Plot ist natürlich vorhersehbar (und erinnert lustigerweise an Garfield 2, wo ein dicker Kater in einem englischen Schloss Alleinerbe
ist und das Dienstpersonal versucht, ihn um die Ecke zu bringen). Aber es gibt noch eine Parallelhandlung: Rafael, einem Arbeiter bei »Philips«, wird die Pensionierung verweigert, weil er seit dreißig Jahren illegal in Mexiko lebt. Daraufhin beginnt dieser mit konsequenter Sabotage, sich am Betrieb zu rächen.
Die große Stärke des Films war aber – last but not least im Unterschied natürlich zu Garfield 2 –, dass der Film nicht auserzählt wurde, sondern sich vielmehr in Andeutungen, Stimmungen aufhielt, auch um die beiden Erzählstränge ineinander zu führen. Ein atmosphärischer Film, der auf leichte und dennoch tiefgründige Art die Herrschaftsverhältnisse in einer ungerechten Gesellschaftsanordnung verdeutlichte.
Fast das gleiche Setting – reicher Haushalt, Dienstboten, ein Haustier – gab es in dem argentinischen Forums-Film La Paz von Santiago Loza zu sehen. Eine Mutter, die sonst nichts zu tun hat, betüdelt ihren erwachsenen Sohnemann, der gerade aus der Psychiatrie entlassen wurde. Liso aber will ausbrechen: nicht nur aus seiner problematischen psychischen Gefasstheit, vor allem aus der Enge der familiären Umsorgung. Das bolivianische
Dienstmädchen hilft ihm dann schließlich, seinen Frieden zu finden.
La Paz ist mit großer Leichtigkeit und Improvisationsgabe erzählt. Lisandro Rodriguez, der Liso spielt, hat seine eigene neunzigjährige Großmutter gewinnen können, er fährt sie im Film immer wieder auf dem Motorrad durch die Stadt. Auch hier übernehmen die stimmungsgeladenen Sequenzen in bloßen Andeutungen das Erzählen. Auch hier: kein starker Plot, der dramaturgisch
vorangetrieben wird, sondern ein dezentes sich Entwickeln der Handlung, das viel Offenheit und Spielraum, für die Akteure wie für den Zuschauer, zulässt.
Ein subtiles, subkutan wirkendes Erzählkino, dem hier noch andere Beispiele folgen könnten.
So gibt es im Fazit natürlich nicht »die« Berlinale. Jedes Festival setzt sich zusammen aus der Vielzahl und Unterschiedlichkeit seiner Filme. Vielleicht wäre es an der Zeit, die Filme durch die Sektionen zu schicken (und den Wettbewerb neu zu bestücken). Heraus käme eine weniger lärmende Berlinale, aber vielleicht eine, die sich einen neuen internationalen Stellenwert als A-Festival neben Cannes und Venedig erschließen könnte, ähnlich wie Rotterdam, das sich den filmischen Neuentdeckungen verschrieben hat. Aber so viel Mut zum Leisesein im großschnäuzigen Berlin wäre natürlich Kamikaze. Berlin ist und bleibt: eine schrullige alte Dame, die man bedienen muss. Auch wenn sie hie und da ziemlich geliftet ist.