63. Berlinale 2013
Mutti muss es richten |
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Herausragende Notlösung – Berlinale Gewinner: Child’s Pose | ||
(Foto: Calin Peter Netzer) |
Wir müssen uns noch erholen. Von der Berlinale, von der unausgegorenen, katerbehafteten Mischung aus Uninteressantem im Wettbewerb, guten Filmen in den Nebenreihen, allzu vielen sympathischen und interessanten Menschen, die man kaum verarbeiten kann. Erstmal schlafen. Dann schreiben. Trotzdem hier ein paar erste Gedanken.
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Alle Achtung: Acht Jahre nachdem auf dem Festival von Cannes die »Rumanian New Wave« entdeckt wurde, sechs Jahre nach der Goldenen Palme von Cannes für Cristi Mungius 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage, hat auch die Berlinale das rumänische Kino entdeckt. Besser spät als nie.
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»Mein Sohn kümmert sich nicht mehr viel um mich«, sagt die ältere Frau. So geht der Film los, dann kommt ein Telefonanruf, und es geschieht, was für sie zum höchsten Glück wird: Denn jetzt steht der Sohn unter schwerer Anklage und ist wieder von seiner Mutter abhängig, der einzigen, die ihm jetzt noch helfen kann. Und die Mutter nutzt diese Situation skrupellos aus, um wieder die Macht zu übernehmen. Mutter & Sohn, im internationalen Titel Child’s Pose, also »Kinderpose«, heißt dieser Film des Rumänen Calin Peter Netzer, der am Wochenende in Berlin den Goldenen Bären gewann. Thematisch ist das hochinteressant, denn die Geschichte von der Ohnmacht der Jungen, der Übermacht der Alten, die nicht loslassen wollen, ist auch bei uns hochaktuell. Wie das Müttermotiv: Sogar an »Mutti Merkel« dachten manche Beobachter bei den Tricksereien der Alten, die sich notfalls ihr Recht kaufen will. Ästhetisch zeichnet der Gewinner das Leben als Druckkammer: Mit hektisch nervöser Kamera ist der ganze Film von Nervosität und leicht überhitzter Intensität bestimmt.
Der Sieg war verdient, denn zusammen mit nur zwei, drei anderen Filmen ragte Child’s Pose aus dem Wettbewerb der diesjährigen Berlinale heraus. Zugleich war das Ergebnis eine offenkundige Notlösung: Denn der Boom rumänischer Filme ist keine Entdeckung mehr, zumal Netzers Film zwar gut ist, aber doch in keiner Weise über die Werke von Adrian Sitaru, Cristi Puiu oder Radu Muntean herausragt, oder ihnen stilistisch irgendetwas Neues hinzufügt.
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Dass mit alldem auch noch alle meine persönlichen Regeln der Kosslick-Berlinale Bestand haben, ist natürlich am Rande zusätzlich sehr herzerwärmend.
Zum Abschluss erhielt der diesjährige Wettbewerb von nationalen wie internationalen Beobachtern überwiegend schwache, zum Teil hundsmiserable Noten.
Es läuft etwas falsch, wenn in den Berliner Tageszeitungen seit Jahren die negativen Wertungen überwiegen und alljährlich ein künstlerischer Leiter gefordert wird,
wenn im Filmspiegel der Branchenzeitschrift »Screen« nur drei Filme als »gut«, mehr als eine Handvoll aber als »unterdurchschnittlich« bewertet werden – auch wenn man über Einzelnes immer streiten kann, ist das einfach zu wenig für ein Festival vom Rang der Berlinale. »Ein schwaches Bild« titelte die FAZ zum Abschluss.
Zum Teil mag zwar da zwar das Welt-Kino Mitschuld haben: Labels wie »Berlinale der Frauen« oder »Spannungsfeld Religion« verstellen eher den Blick und verschleiern, dass klare Trends ebensowenig zu erkennen sind, wie der Auf- oder Abstieg bestimmter Filmnationen. Für das deutsche Kino war das diesjährige Berlinale-Jahr schlicht und einfach qualitativ wie quantitativ verhältnismäßig schwach.
Aber der Blick auf die Programme von Cannes oder Venedig macht klar, warum die
Berlinale seit knapp zehn Jahren hinter diese Festivals mehr und mehr zurückfällt: Dort laufen zusammen weniger Filme als die knapp 400 der Berlinale, dort schaffen wenige klar gewichtete Reihen schnelle Orientierung, während in Berlin je nach Zählweise 7-11 Sektionen und Untersektionen in sich zunehmend ununterscheidbar werden – manches läuft dann sogar nur am Stadtrand.
Dabei machen gerade diese Nebenreihen den Reiz der Berlinale aus: Während das einstige »Internationale Forum des jungen Films« stagniert, spürbar altert, und einige der interessantesten Reihen übers »Forum Expanded« ins Museum ausgelagert sind – welch ein Verlust! –, sind die echten jungen Filme heute eher in der Reihe »Generation« zu finden, Innovatives und Poppiges vor allem im »Panorama«. in diesen Reihen sah man mit zwei israelischen, zwei türkischen und weiteren Beiträgen eine Handvoll Filme, die den Wettbewerb unbedingt bereichert hätten.