27.02.2014
64. Berlinale 2014

Museum Hours

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Johannes Holzhausens Das große Museum
(Foto: NAVIGATOR FILM)

Edelmann und Willmann führen an der Berlinale vorbei

Von Anna Edelmann & Thomas Willmann

Wir heißen Sie will­kommen zu unserem kleinen Rundgang durch die 64. Jahres­aus­stel­lung des Berli­na­leums hier am male­ri­schen Potsdamer Platz. Wir freuen uns, Sie trotz des ungewohnt schönen Wetters hier bei uns im Dunklen begrüßen zu dürfen. Bitte haben Sie Vers­tändnis, dass wir Ihnen in der Kürze der Zeit nur einen reprä­sen­ta­tiven Eindruck in unsere Sammlung bieten können, anhand einiger weniger unserer über 400 Exponate.
Wir bitten Sie nun, Ihre Mobil­te­le­fone auszu­schalten und uns zu folgen.

Bevor wir nun gleich den ersten Saal betreten, möchten wir Sie um besondere Vorsicht ersuchen. Stolpern Sie nicht in die Löcher im Parkett. Diese stammen von einer prak­ti­schen Demons­tra­tion der Verwen­dungs­weise unseres ersten Ausstel­lungs­stücks.

Eine Spitz­hacke
aus: Das große Museum
Kunst­his­to­ri­sches Museum Wien, am Aufbruch in die Post­mo­derne

Wie Sie sehen, eignet sich dieses Instru­ment der Zers­törung hervor­ra­gend dafür, veraltete Grund­lagen aufzu­bre­chen und Freifläche zu schaffen für kommer­ziell einträg­li­chere Kunst­ver­mitt­lung. Beson­deres Augenmerk möchten wir lenken auf die raffi­nierte Balance, die dabei gehalten wird zwischen vermeint­lich zeitlosem, histo­ri­schem Erbe und spät­ka­pi­ta­lis­ti­scher Markt­wirt­schaft, zwischen Schätzen der Mensch­heits­ge­schichte und Wert­schät­zung der Geschichten indi­vi­du­eller Menschen. Am besten betrachten Sie dieses Phänomen mit etwas ironi­schem, aber liebe­vollem Abstand.

Wie wir sehen, befinden sich auch jüngere Besucher unter uns. Auf die mag unser nächstes Exponat viel­leicht etwas verängs­ti­gend wirken. Aber denkt Euch nichts, schaut nur hin, dann seht Ihr ganz deutlich, dass das alles gar nicht echt ist.

Zwei Baby­puppen
aus: Shadow Days (GUI RI ZI)
Chine­si­sche Berg­pro­vinz, ca. 2013

Das erste der beiden Artefakte befindet sich in offenbar schlechtem Erhal­tungs­zu­stand. Man erkennt Biss­spuren von Straßen­kö­tern – ein über­deut­li­cher Hinweis auf ankla­gens­werte Lebens­um­stände.
Die zweite Puppe, Fabrikat »Baby Un-Born«, weist eine kunst­hand­werk­liche Appli­ka­tion von Kunstblut sowie eine Öse und Angel­schnur auf, die anschei­nend als Schwebe- und Schwenk­vor­rich­tung dienten.
Beide Exponate zeugen von einer für die Region typischen Symbol­schwan­ger­schaft und dem geschei­terten Versuch eines dort heimi­schen Künstlers, auf die brutalen Auswir­kungen der Ein-Kind-Politik hinzu­weisen.
Und gell... wie heißt Du denn, Kleine? Anke! Also, Anke: Auch wenn Dein großer Bruder manchmal frech zu Dir ist – sei froh, dass Du überhaupt ein Geschwis­ter­lein hast!

Begeben wir uns in den nächsten Raum – bleiben aber bei der sozialen Kälte. Die wir hier in ihrer japa­ni­schen Variante vorfinden, gepaart mit der realen Kälte Minne­sotas.

Eine VHS-Kassette von FARGO und eine hand­ge­stickte Schatz­karte
aus: Kumiko, The Treasure Hunter
Japanisch-amerikanisches Winter Wonderland, 1996, 2001, 2003, 2014

Zum besseren Vers­tändnis viel­leicht ein paar Worte zum histo­ri­schen Hinter­grund: 1996 versahen die Gebrüder Coen ihr Licht­spiel FARGO mit der – inzwi­schen als fingiert enttarnten – Vorbe­mer­kung »This is a true story«. 2001 beging die Japanerin Takako Konishi unweit Fargos Selbst­mord – was in den Medien zu der Legen­den­bil­dung führte, sie sei auf der leicht­gläu­bigen Suche nach dem Geld­koffer, der am Ende des Films herrenlos im Schnee vergraben auf einen neuen Besitzer wartet, tragi­scher­weise erfroren. Wer sich für diesen realen Fall inter­es­siert: Im Muse­ums­shop finden sie die Doku­men­ta­tion THIS IS A TRUE STORY von Paul Berc­zeller.
Die hier präsen­tierten Objekte stellen eine gewollt skurrile Inter­pre­ta­tion der puren Legende dar. Man erkennt an ihnen zwanglos die verharm­lo­senden, vernied­li­chenden Züge und die unelegant appli­zierte Sozi­al­kritik naiver Kunst.
Die Artefakte dienen heute nur noch als eindring­liche Warnung an Kunst­schaf­fende vor leicht­fer­tigen Wahr­heits­be­haup­tungen: »Willst Du Dein Publikum behalten, darfst nicht die Wahrheit umge­stalten!«

Im Zuge der vorhin bereits erwähnten Reno­vie­rung wird die VHS-Kassette demnächst durch eine DVD ersetzt.
Anke – eine DVD war so etwas, damit hat man früher Filme ange­schaut, bevor es Streaming gab!

Doch nun lassen Sie uns freund­li­chere Töne anstimmen.

Ein Noten­blatt mit einem Marsch-Thema
aus: The Monuments Men
Land of the Free, Home of the Brave, (Faksimile, 2013)

Wer kann von Ihnen Noten lesen? Würden Sie das einmal vorpfeifen?
Danke, sehr schön. Jetzt, wo wir alle die Melodie im Ohr haben – und zwar für den Rest des Tages: Wen erinnert sie denn an etwas?
Ja, die kleine Anke? Trau Dich ruhig!
Nein, leider, die Katze aus »Peter und der Wolf« ist es nicht. Schon ähnlich, aber doch andere Inter­valle. Aber fein, dass Du Dich mit Klassik so gut auskennst!
Sonst wer? Nein? Hat niemand ameri­ka­ni­sche, britische und fran­zö­si­sche Kriegs­filme der 1950er und 1960er gesehen? The Guns of Navarone? The Great Escape? The Dam Busters? Die große Sause? Niemand, wirklich?
Ah, dann verstehen Sie freilich nicht, auf welche Kunst­gat­tung sich dieses Exponat bezieht und tun sich schwer, seinen nost­al­gisch-heroi­schen Esprit zu würdigen.

Aber das folgende Geräusch kennen Sie bestimmt!
Gell, dieses Rattern kommt Ihnen vertraut vor.

Eine Bolex-Kamera
aus: Is The Man Who Is Tall Happy?
Am Grenz übergang der Welten von Noam Chomsky und Michel Gondry, 24x/Sekunde

Natürlich können wir auf einem so kurso­ri­schen Streifzug einem solch komplexen Thema nicht gerecht werden – Inter­es­sierte finden weiter­füh­rende Lektüre ausliegen, wenn Sie das Museum durch den Geschenk­shop verlassen. Dort können Sie auch unsere aus recy­cleten PVC-Flaschen gewebten Berli­na­leum-Taschen in Hollun­der­grau mit Aufdruck wahlweise in Rot, Blau, Lila oder Telekom käuflich erwerben.
Den meisten von Ihnen dürfte Noam Chomsky zumindest als poli­ti­scher Aktivist bekannt sein – diese Arbeit aber beschäf­tigt sich vornehm­lich mit seinem Wirken als Linguist. Zentral ist hier vor allem eine seiner Theorien, die der »psychic conti­nuity«, in der es um die Konti­nuität kogni­tiver Entitäten geht, die unab­hängig ist von noch so radikalen Wand­lungen derer äußeren Eigen­schaften. Und woran erinnert das? Lauter einzelne, aufein­an­der­fol­gende Bilder, die wir dennoch als etwas Zusam­men­hän­gendes, Belebtes, Iden­ti­sches empfinden? Nun, natürlich an den Film mit seinen Einzel­bil­dern – und insbe­son­dere an den Anima­ti­ons­film!
Und das ist auch die erstaun­lich sinn­fäl­lige Verbin­dung zwischen dem Intel­lek­tu­ellen Chomsky und dem Träumer Michel Gondry, auch wenn es sprach­lich zwischen ihnen gewisse Hürden gibt. Und die Bolex-Kamera entpuppt sich als gutge­tarntes Zeit­mess­ob­jekt, das zur animierten Unter­hal­tung zwingt.

Aber gell, das war einigen von Ihnen jetzt zu intel­lek­tuell! Drum wenden wir uns nach rechts, zu leichter Genieß­barem. In unserer nächste Vitrine sehen Sie gleich zwei, sich ähnelnde Exponate.

Eine rosane Schachtel der Confi­serie Mendl
(vermut­lich hand­ge­fer­tigt von Willem Dafoe)
aus: The Grand Budapest Hotel
Stefan Zweigs k. und k.-Welt, getr äumt

Eine rosane Geschenkbox
aus: Kraft­idioten
Norwegischer Sozialstaat, heute, bzw. gestern oder morgen – time slows when it snows

Lassen Sie sich nicht von dem char­manten, zucker­bä­cke­ri­schen Äußeren täuschen: Es reprä­sen­tiert eine Welt der verlo­renen Unschuld und des längst deka­denten Luxus'. Ihr Inneres offenbart eine härtere Wirk­lich­keit.
Weil selbst die Gefäng­nis­wärter die filigrane Illusion nicht zerstören wollen, taugt das Mendlsche Naschwerk als Schmug­gel­behältnis für das Ausbruchs­werk­zeug. Und die Haupt­sache bei den norwe­gi­schen Gangstern ist der nett verpackte Versuch der Versöh­nung, auch wenn er inhalt­lich die etwas ungus­tiöse Form eines nunmehr buchs­täb­lich kopflosen Mitar­bei­ters annimmt – es herrscht Höflich­keit unter Barbaren.
Betrachtet man beide Ausstel­lungs­stücke gemeinsam, eröffnet sich einem die Konti­nuität eines Strebens des orga­ni­sierten Verbre­chens nach präsen­ta­blen Umgangs­formen.

Ah, eine Zwischen­frage von dem Herren dort? Wie?

Ein Karton voll Gerümpel
Arbeits­titel: The Midnight After
Hong Kong, nahe Zukunft
unkatalogisiert

Nein, dieser über­quel­lenden Spiel­zeug­kiste müssen Sie keine Beachtung schenken. Da hat ein eigent­lich arri­vierter Künstler sich an einem post­mo­dernen Genrewerk versucht, ist aber über die umfang­reiche Mate­ri­al­samm­lung nicht hinaus­ge­kommen. Wir wissen nicht wirklich, was wir damit anfangen sollen. Wir lassen sie da jetzt erstmal stehen, in der Hoffnung, dass er sie abholen wird.

Nun kommen wir auch schon zum Ende unserer kleinen Führung. Wir hoffen, Sie hat Ihnen gefallen, und wir konnten Ihnen einen Eindruck vermit­teln unserer Sammlung bewegter Bilder.
Vor sich sehen Sie unser finales Ausstel­lungs­stück.

Historia Del Miedo
Eine Problem­land­schaft jenseits unseres Inter­esses, nicht enden wollend

Zu Ihrer Rechten und Linken erkennen Sie den heime­ligen Schein unserer Notaus­gangs­be­schil­de­rung. Wir verstehen Ihre Eile ange­sichts des unver­dau­li­chen latein­ame­ri­ka­ni­schen Symbo­lismus', möchten Sie aber bitten, aus Rück­sicht­nahme auf die kleine Selektion an Spezia­listen, die noch verbleiben will, nicht alle gleich­zeitig zum Ausgang zu drängen. Verlassen Sie den Saal bitte geordnet in Gruppen zu drei bis vier Personen.

Wir würden uns freuen, Sie nächstes Jahr wieder bei uns begrüßen zu dürfen.