67. Filmfestspiele Cannes 2014
Formen der Abweichung |
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Sebastiãno Salgado |
Von Dieter Wieczorek
Für Insider des Cannes-Festivals ist es keine Neuigkeit: die wirklich komplexen, außergewöhnlichen und innovativen Filme laufen nur ausnahmsweise im Wettbewerb. Dagegen hat der sich gerne auf Experimente einlassende Betrachter in der Nebenreihe »Un certain Regard« weit bessere Chancen, auf seine Kosten zu kommen. Hier wird noch gelegentlich eine wirkliche Differenzarbeit geleistet, angesichts eines heutigen Situation des Weltkinos, das immer normierter und linearer wirkt, kein Wunder bei der nun üblichen Drehbuchdominanzdominanz und -kontrolle im Entstehungsprozess, wo bereits von Anfang an Produktionsanstalten und Schauspiel-VIPs mit ihren »Ansprüchen« intervenieren.
Da bieten sich schon einmal kleine Abweichungen vom Üblichen als Strategien an. Wim Wenders nutzte diesen kleinen Schritt ins Abseits des Genormten und brachte nicht den innovativesten Film, wohl aber das wichtigste kulturelle Dokument in diesem Jahr nach Cannes, ein Werk, das mit stehenden Ovationen gefeiert wurde: The Salt of the Earth. Das Konzept ist denkbar schlicht. Er porträtiert den brasilianischen Fotographen Sebastiãno Salgado, der mit seiner Kamera die tragischen Schlüsselsituationen des 20. Jahrhunderts begleitet hat und dabei fast sein seelisches Gleichgewicht verlor. Salgado war in Äthiopien während der großen Hungerkatastrophe, er photographierte die im Ölschlamm versinkenden Arbeiter in den brennenden Feldern Kuwaits, lebt mit zurückgezogenen Einheimischen im tropischen Regenwald, die problemlose Polygamie leben, er konfrontiert sich mit dem Genozid in Ruanda und schließlich mit den martialischen Barbarismen des zerfallenden Jugoslawien. In seinen Weltgeschichte abbildenden Photos respektiert er stets die Situation und das Erleben des Einzelnen, ein Gesicht, ein Körper, eine Geste, in der sich die Tragödie einer ganzen Ethnie oder verdammten sozialen Gruppe spiegelt. Dies fantastischen Fotos nun auf einer hochauflösenden Leinwand zu sehen, ist allein schon ein unvergessliches Erlebnis. Wim Wenders freundschaftlicher Kontakt mit Sebastiãno und seinem ihn begleitenden Sohn Juliano Ribeiro Salgado, Mitautor des Filmes, ermöglicht ein schlichtes und intimes Porträt, stets nur mit wenigen vorsichtigen, mit gedämpfter Stimme gesprochenen Kommentaren versehen. Hier werden Salgados Zweifel am Recht der menschlichen Rasse angedeutet, die ihn zu einer physisch-psychischen Krise mündeten.