65. Berlinale 2015
Die Zärtlichkeit der Welt |
||
Christian Bale und Natalie Portman in Knight of Cups | ||
(Foto: Studiocanal GmbH) |
Ein Mann in der Salz-Wüste, irgendwo im Heute, irgendwo in Amerika, vielleicht dem Death Valley, jenem »Tal des Todes«, das zwischen Los Angeles und Las Vegas gelegen ist. Diese beiden Städte nahe der amerikanischen Westküste sind die beiden Angelpunkte dieses Films. Er ist der siebte Film von Terrence Malick, jenem seltenen Exemplar eines amerikanischen Autorenfilmers. Mit Badlands erschloss der Amerikaner Malick vor über 40 Jahren dem Kino völlig neues Terrain, mit Der schmale Grat bezauberte er 1999 ein weltweites Publikum, mit The Tree of Life gewann er vor vier Jahren die Goldene Palme in Cannes, faszinierte wieder, spaltete aber
auch.
Malick ist ein Meister filmischer Poesie, zugleich auch ein Philosoph des Kinos, aber eben ein Suchender, einer der nicht immer Antworten präsentiert in seinen Filmen, und schon gar keine gradlinigen Handlungsstränge; ihn interessieren Fragen.
+ + +
Und von den ersten Sekunden an wirft einen dieser Film hinein in unsicheres Gelände: Auf das Bild des Mannes in der Wüste folgt ein Blick aus dem Weltraum auf Erde. Kein Mensch kann so blicken, sondern nur ein Schöpfer, ein Gott möglicherweise...
Dieser göttliche Erzähler, der mit der milden Stimme Ben Kingsleys zu uns spricht, berichtet von einem Vater, der seinen Sohn in ein unbekanntes Land schickte. Dieser Sohn sei ein Fürst, ein Ritter, ein Pilger, er sei bestimmt, auf dem Grunde
des Ozeans eine Perle zu finden.
Zur Erzählung dieser Fabel, die biblische Motive mit Elementen der Kreuzzuggeschichte mischt, sehen wir einen Mann im Hier und Heute. Am Strand, in Luxusappartements mit schönen Frauen. Aus dem Off erklingt bald seine Stimme. Später hören wir auch andere Erzähler.
Knight of Cups so der Titel, bezeichnet eine Tarot-Karte. Darauf ein Ritter in
stählerner Rüstung mit einem goldenen Kelch. Dieser »Ritter des Kelches« ist ein Künstler, ein Abenteurer, ein Romantiker. Diese Karte steht für Offenheit, Gelegenheiten, für Möglichkeitssinn.
In den folgenden zwei Stunden deckt der Regisseur wie ein Weissager immer neue Schicksals-Karten vor dem Zuschauer auf: In acht Kapiteln, die heißen wie Tarot-Blätter: Der Gehenkte, Der Turm, Die Hohepriesterin, Der Tod.
+ + +
Das alles in dem für Terrence Malick so typischen, fesselnden, einmaligen Stil: Fast ohne Dialoge, dafür in ständigen inneren Monologen erzählt. Auch die Kamera schwebt, tänzelt, driftet, kreist, blickt nicht so wie Kameras, sondern so, wie Menschen blicken.
In diesem Fall wie ein Mann. Diese Hauptfigur, der Mann vom Anfang ist ein Hollywood-Drehbuchautor. Er ist reich, erfolgreich, einer von den oberen Zehntausend.
Er ist ganz offensichtlich jener Ritter, der auch ein Pilger
ist, im fremden Land, ein Schlafwandler, der immer wieder neue Träume träumt, wie es heißt, aber eben auch ein Mensch auf der Suche nach dem Sinn im Leben, und damit der Prototyp von uns allen.
+ + +
Der Ton des Films fängt einen sofort ein. Oder stößt ab. Der Film ist offen, aber kompromisslos. Er biedert sich nicht an. Das nimmt unbedingt, also bedingungslos für ihn ein.
+ + +
Dies ist kein Film für alle und jeden. Kein Wunder, dass da auch manche zischen und tuscheln in den Reihen hinter mir. Die Blinden können das nicht sehen, die Tauben nicht hören, die Taubblinden der Kritik sind auf sich zurückgeworfen. Klar ist diese Haltung elitär, klar ist dieser Film elitär. Aber ist er dies, so ist er doch zugleich auch sein Gegenteil.
+ + +
Malick ist wie gesagt ein Philosoph des Kinos, und wenn man sich nicht auf seine Art zu denken und zu empfinden, einlassen kann, sitzt man wie ein Taubblinder im Kino.
Malicks Denk- und Seh-Stil ist assoziativ, seinem Kino als Bewusstseinsstrom genügen kurze Andeutungen für Handlungselemente, für die andere Regisseure einen ganzen Film brauchen: der Vaterkonflikt, der Selbstmord des Bruders, die Unerfülltheit der Hauptfigur in seiner Arbeit und seiner Ehe.
Denn vor allem geht es hier um die Suche eines Menschen nach Gott, also nach der Liebe.
+ + +
Es geht um Rationalität, um Aufklärung, um Einsicht, um Licht.
Es geht um Transzendenz, um Jenseits, um Mystik, um Licht.
+ + +
»Wo es einen Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch einen Möglichkeitssinn geben.«
Robert Musil
+ + +
Es geht um Wirklichkeit: »No one cares about reality anymore.« Das wahre Leben ist nicht da, wo man glaubt. Wo ist es? »Get out of the cloud of dust, everyone is making up.«
+ + +
Es geht um Möglichkeit: »Everything is possible, do anything, start over.« »The Palmtrees tell you everything is possible«.
Das letzte Kapitel des Films heißt »Freiheit«. Das letzte Wort heißt »Begin!«
+ + +
Malick erzählt von der Vergänglichkeit der Welt, von der Dekadenz der Partys der Reichen und Berühmten, von der inneren Leere der modernen Hofgesellschaften. Und von der Verdammnis, die wie es auch einmal heißt, »einen im Alter ereilt, wenn die Stücke des eigenen Lebens sich zusammenfügen.«
Demgegenüber steht die sinnliche Gewissheit: die der grandiosen Architektur von Los Angeles, die ein eigener Hauptdarsteller in diesem Film ist. Es ist eine Architektur der Offenheit, der Luft, des Lichts, des Durchlässigen.
Und der Natur, der Körper, des Wassers, des Meeres, der Tiere. Der unmittelbaren Allpräsenz des Spirituellen in der Welt – Gottes möglicherweise.
Und die der Liebe.
+ + +
Denn in dieser, Malicks sehr persönlicher Phänomenologie des Geistes materialisieren sich die Erkenntnisstufen des Lebens, die Evolution des Wissens der Hauptfigur in Form der Frauen, denen er begegnet.
Zugegeben sehr schönen Frauen mit Idealmaßen, die aussehen, wie Cate Blanchet, Natalie Portman, und Freida Pinto.
Mit Knight of Cups ist Terrence Malick ein grandioser Film
gelungen, wunderschön anzusehen und geistreich, anspruchsvoll in seinen Anspielungen, die von Plato bis Spinoza reichen, von Beethoven bis Arvo Pärt.
Aber zugleich direkt, klar und sinnlich: ein Film über die Zärtlichkeit der Welt. Nur die Taubblinden werden hier nicht mitträumen können.