14.02.2016
66. Berlinale 2016

Brot und Spiele

Iand-Ek Ghes
Iand-Ek Ghes lässt alles weit hinter sich, was »der« Dokumentarfilm bislang über Einwanderer in Deutschland erzählt hat
(Foto: Grandfilm)

Was ein essayistischer Dokumentarfilm mit dem diesjährigen Eröffnungsfilm Hail, Caesar! zu tun hat

Von Dunja Bialas

In der Sichtung paaren sich die Filme. Das kann dann wirklich absurd sein: Heraus­stol­pernd aus der über­wäl­ti­genden Groß­pro­duk­tion Hail, Caesar!, mit der die Berlinale eröffnete und der für die Presse bereits am frühen Vormittag zu sehen war (Wett­be­werb außer Konkur­renz), geht man direkt in den nächsten Kinosaal und sieht ohne Inter­lu­dium And-Ek Ghes (Forum). Und entdeckt uner­war­tete Gemein­sam­keiten, sieht eine ganz dem Kino verpflich­tete Erzähl­lust in den beiden so unter­schied­li­chen Filmen, die sonst wohl nie in einen gemein­samen Dialog getreten w ären.

Der große Film: starring George Clooney und Scarlett Johansson. Der kleine Film: starring die Familie Velcu aus Rumänien. Beide Filme: zwei Regis­seure. Hier Joel & Ethan Coen, die man nur in einem Atemzug nennen kann, dort Philip Scheffner mit Colorado Velcu als Co-Regisseur. Beide Filme sind Film-in-Film, Making-of und punktuell Musical, in ihren schönsten Momenten (beide!). Beide Filme sind außerdem Bühne ihrer selbst, Hail, Caesar! eine Abfolge von Western-, Seemanns-, Gladia­toren- und Wasser­ni­xenset, And-Ek Ghes nimmt sich die Wohnung, in der der Film spielt, als Bühne, lässt die doku­men­ta­ri­schen Prot­ago­nisten auf- und abtreten.

Unter der Selbst­re­fe­ren­tia­lität beginnt in beiden Filmen die Dekon­struk­tion ihrer Anord­nungen, bei Scheffner erhellend, bei den Coen-Brüdern lustvoll. Sie fügen das Golden Age des Hollywood wie ein Puzzle aus Dreh-Momenten zusammen und bringen die perfekten Set- und Schau­spieler-Anord­nungen unter den zeit­genös­si­schen Kame­ra­ein­stel­lungen in Verschie­bungen, lassen es abweichen und entwei­chen: Ein Versuch, die Studio-Illusion zu entlarven, mehr als nur »hinter die Kulissen« zu blicken, in dem die Schau­spieler in der Handlung jenseits der aufge­bauten Film-Sets wieder auch nur Schau­spieler spielen. Scarlett Johansson ist die Nixe in einem opulent choreo­gra­phierten Wasser­bal­lett und gibt sich ansonsten als verruchte Femme fatale, George Clooney ist der Gladiator mit dem Alkohol- und Auto­ren­syn­di­kats­pro­blem. Die Coen-Brothers geben dabei allen möglichen, dem Gossip der Illus­trierten entsprun­genen Stereo­typen nach, die Coen-mäßig auf die Spitze getrieben werden. Ihr Film will kein histo­ri­scher Film sein, ist ein Film der unbe­stimmten Zitate, die die Imago überhaupt von Hollywood erkennen lassen: als groteske Fratze.

Scheffner hat der Familie Velcu die Kamera in die Hand gedrückt und lässt sie ihr eigenes Leben filmen. Colorado Velcu sitzt immer wieder am Küchen­tisch, schreibt das Drehbuch für den Doku­men­tar­film, deren Szenen dann von der Familie umgesetzt werden, wie in Hail, Caesar! oft in mehreren Takes. Scheffner gibt der Roma-Familie eine eigene Stimme, verlässt den (impe­ria­lis­ti­schen) Außen­blick des objekt­fremden Regis­seurs, überlässt sich der Innen­per­spek­tive und räumt, indem er die Prot­ago­nisten ganz dicht, als Subjekte ihrer eigenen Erzählung an seinen Film heran­lässt, mit der Geste des Doku­men­tar­fil­mers an sich auf. Einer der schönsten Berlinale-Momente bislang ist die Bollywood-Hommage, die sich plötzlich im doku­men­ta­ri­schen Essay And-Ek Ghes auftut. Und alles weit hinter sich lässt, was „der“ Doku­men­tar­film bislang uns über das Leben von Einwan­de­rern in Deutsch­land zu erzählen wusste.

Um es einmal mit einem Zitat von Rousseau zu versuchen: Der fran­zö­si­sche Meister kine­ma­to­gra­phi­scher Vignetten Jean-Claude Rousseau hat einmal gesagt, dass im Idealfall jeder Film sein eigenes Making-of miter­zählen sollte.