66. Berlinale 2016
Brot und Spiele |
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Iand-Ek Ghes lässt alles weit hinter sich, was »der« Dokumentarfilm bislang über Einwanderer in Deutschland erzählt hat | ||
(Foto: Grandfilm) |
Von Dunja Bialas
In der Sichtung paaren sich die Filme. Das kann dann wirklich absurd sein: Herausstolpernd aus der überwältigenden Großproduktion Hail, Caesar!, mit der die Berlinale eröffnete und der für die Presse bereits am frühen Vormittag zu sehen war (Wettbewerb außer Konkurrenz), geht man direkt in den nächsten Kinosaal und sieht ohne Interludium And-Ek Ghes (Forum). Und entdeckt unerwartete Gemeinsamkeiten, sieht eine ganz dem Kino verpflichtete Erzähllust in den beiden so unterschiedlichen Filmen, die sonst wohl nie in einen gemeinsamen Dialog getreten w ären.
Der große Film: starring George Clooney und Scarlett Johansson. Der kleine Film: starring die Familie Velcu aus Rumänien. Beide Filme: zwei Regisseure. Hier Joel & Ethan Coen, die man nur in einem Atemzug nennen kann, dort Philip Scheffner mit Colorado Velcu als Co-Regisseur. Beide Filme sind Film-in-Film, Making-of und punktuell Musical, in ihren schönsten Momenten (beide!). Beide Filme sind außerdem Bühne ihrer selbst, Hail, Caesar! eine Abfolge von Western-, Seemanns-, Gladiatoren- und Wassernixenset, And-Ek Ghes nimmt sich die Wohnung, in der der Film spielt, als Bühne, lässt die dokumentarischen Protagonisten auf- und abtreten.
Unter der Selbstreferentialität beginnt in beiden Filmen die Dekonstruktion ihrer Anordnungen, bei Scheffner erhellend, bei den Coen-Brüdern lustvoll. Sie fügen das Golden Age des Hollywood wie ein Puzzle aus Dreh-Momenten zusammen und bringen die perfekten Set- und Schauspieler-Anordnungen unter den zeitgenössischen Kameraeinstellungen in Verschiebungen, lassen es abweichen und entweichen: Ein Versuch, die Studio-Illusion zu entlarven, mehr als nur »hinter die Kulissen« zu blicken, in dem die Schauspieler in der Handlung jenseits der aufgebauten Film-Sets wieder auch nur Schauspieler spielen. Scarlett Johansson ist die Nixe in einem opulent choreographierten Wasserballett und gibt sich ansonsten als verruchte Femme fatale, George Clooney ist der Gladiator mit dem Alkohol- und Autorensyndikatsproblem. Die Coen-Brothers geben dabei allen möglichen, dem Gossip der Illustrierten entsprungenen Stereotypen nach, die Coen-mäßig auf die Spitze getrieben werden. Ihr Film will kein historischer Film sein, ist ein Film der unbestimmten Zitate, die die Imago überhaupt von Hollywood erkennen lassen: als groteske Fratze.
Scheffner hat der Familie Velcu die Kamera in die Hand gedrückt und lässt sie ihr eigenes Leben filmen. Colorado Velcu sitzt immer wieder am Küchentisch, schreibt das Drehbuch für den Dokumentarfilm, deren Szenen dann von der Familie umgesetzt werden, wie in Hail, Caesar! oft in mehreren Takes. Scheffner gibt der Roma-Familie eine eigene Stimme, verlässt den (imperialistischen) Außenblick des objektfremden Regisseurs, überlässt sich der Innenperspektive und räumt, indem er die Protagonisten ganz dicht, als Subjekte ihrer eigenen Erzählung an seinen Film heranlässt, mit der Geste des Dokumentarfilmers an sich auf. Einer der schönsten Berlinale-Momente bislang ist die Bollywood-Hommage, die sich plötzlich im dokumentarischen Essay And-Ek Ghes auftut. Und alles weit hinter sich lässt, was „der“ Dokumentarfilm bislang uns über das Leben von Einwanderern in Deutschland zu erzählen wusste.
Um es einmal mit einem Zitat von Rousseau zu versuchen: Der französische Meister kinematographischer Vignetten Jean-Claude Rousseau hat einmal gesagt, dass im Idealfall jeder Film sein eigenes Making-of miterzählen sollte.