Cinema Moralia – Folge 136
Und das Leben geht weiter... |
||
Szene aus Veit Harlans Opfergang | ||
(Foto: Deutsche Kinemathek) |
»Die Fälschung unterscheidet sich vom Original dadurch, dass sie echter aussieht.«
Ernst Bloch
+ + +
Ein Gerücht hält sich harttnäckig: Dass in Deutschland Filme der Nazi-Zeit verboten seien. Noch der Titel eines Dokumentarfilms suggerierte das vor wenigen Jahren. Tatsächlich ist nichts verboten. Sie stehen nur unter Vorbehalt. Das heißt, sie dürfen nur im Rahmen wissenschaftlicher Veranstaltungen oder begleitet von der Einführung eines Experten gezeigt werden. Das geht auf einen Beschluss der Alliierten
von 1945 zurück.
Man kann darüber streiten, denn die eigentlich gefährlichen – also suggestiven, nicht plumpen – NS-Filme stehen nicht unter Vorbehalt. Man kann sie-, und nahezu 90 Prozent des NS-Bestands der Murnau-Stiftung wie auch fast alle der noch gut 40 Vorbehaltsfilme derzeit längst auf You-Tube einsehen, wenn auch zum Teil in lausigen Kopien, denen man auch nicht immer trauen kann. Etwa Morgenrot von 1932, den ersten Film, den Hitler nach der Ernennung zum Reichskanzler am 2.2.1933 im Berliner Ufa-Palast am Zoo anschaute, ein im Ersten Weltkrieg angesiedelter U-Boot-Opfergang, findet man in mehreren Fassungen, die aber alle nicht vollständig sind.
Dieses Massenkino und der Unterhaltungsfilm, nicht »der« »Propagandafilm«, sind wirklich gefährlich. Ein breiter filmwissenschaftlicher Konsens besteht inzwischen darin,
dass jeder deutsche Film nach 1933 vom Regime auch propagandistisch funktionalisiert wurde – dass diese Indienstnahme aber keineswegs in jedem Fall den film-ästhetischen Wert noch den Unterhaltungscharakter des jeweiligen Werkes einschränkt.
Trotzdem das Grundgesetz klar formuliert, »Zensur findet nicht statt«, gibt es von den meisten NS-Filmen keine wissenschaftlich-kritische Ausgabe – im Unterschied zu plumper Propaganda in Schriftform wie Hitlers »Mein
Kampf« –, was im Umkehrschluss nur zeigt, für wie bedeutend und gefährlich man bei den Verantwortlichen das NS-Kino offenbar hält. Die in Deutschland missliche Lage eines Urheberrechts, das die Urheber nicht schützt, Künstler und Wissenschaftler benachteiligt, und nur den Verwertern und in diesem Fall de facto zu 90 Prozent den Erben alter Nazis dient, tut ein Übriges. Zuwenig nutzt die Öffentlichkeit, nutzen auch die Medien bislang den vom Zitatrecht gesetzten
rechtlichen Rahmen in vollem Umfang aus, nach dem auch ein »Zensureffekt de facto« vom Art 5 GG untersagt wird.
+ + +
Jetzt aber kommt Bewegung in die Angelegenheit: Rechtzeitig zum bevorstehenden hundertjährigen Jubiläum der Ufa im kommenden Jahr und der erstmaligen Herausgabe zweier berühmter NS-Filme – Veit Harlans Todesmelo Opfergang, ein deutsches Vertigo, und der Storm-Verfilmung Immensee – auf DVD/BluRay durch Concorde hat das Bundeskulturministerium (BKM) gerade einen eher vor der Öffentlichkeit versteckten, sagen wir: diskret gehandhabten »Runden Tisch« zum Thema veranstaltet, bei dem die deutschen Film-Archive ebenso gehört wurden, wie die FSK und der Zentralrat der Juden.
Ein solches Treffen war dringend nötig. Denn die schleichende Rückkehr des NS-Kinos ins
öffentliche Bewusstsein findet längst statt, das öffentliche Interesse an Vorbehaltsfilmen und dem NS-Kino wird im In- und Ausland immer größer. Zugleich sind die Filme wie alles analoge Filmmaterial von Zerfall bedroht. Ohne Restaurierung und Digitalisierung würden diese Filme früher oder später aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden.
Aber bei den sogenannten Vorbehaltsfilmen handelt es sich um einen essenziellen Teil des deutschen Filmerbes, das eine ebenso
sorgsame Behandlung zu erfahren hat, wie das Kino aller anderen Epochen. Das Filmerbe ist unteilbar, man kann und darf seinen ungeliebten Teil nicht ausschlagen. Denn das Verdrängte kehrt zurück, ist schon zurückgekehrt – man sieht es jeden Tag im deutschen Kino.
+ + +
Im Übrigen: Ein Nazi, ob Alt oder Neo, der einen Vorbehaltsfilm sehen will, kann das ohne Probleme tun: es gibt entsprechende Netzwerke, zu denen gerade jene, die sich unverdächtig informieren wollen, keinen Zugang haben. Ihnen sollte man sorgfältig edierte und gut kommentierte Ausgaben zur Verfügung stellen.
Vergleichbar mit der kritischen Edition von »Mein Kampf« sollten – »gerade heute«! – wissenschaftlich aufbereitete Fassungen wichtiger NS-Filme zugänglich
gemacht werden.
Erst mit breit zugänglichen, nur im Einzelfall restriktiv gehandhabten Ausgaben wäre eine reflektierte, von Experten angeleitete Rezeption dieser Filme im Kino möglich.
+ + +
Vor über 83 Jahren ging der Berliner Reichstag in Flammen auf. Die Folgen sind bekannt, die Hintergründe bis heute unklar. Wenn auch bis heute ungeklärt ist, wer den Reichstag tatsächlich angezündet hat, ist eines unbestritten: Der Brand nützte den Nationalsozialisten, die nun den willkommenen Vorwand hatten, um in der Folge ihre Gegner zu verhaften, einzusperren, in die Flucht zu treiben oder zu töten. Der Brand war dafür der äußere, höchst willkommene Anlass. Ein
Gottesgeschenk sozusagen.
Auch wenn sich der Brand scheinbar gegen die NS-Regierung richtete – er nutzte ihr. Es gibt gute Gründe zu vermuten, dass die Nazis ihn selbst gelegt und den potenziellen Staatsstreich inszeniert haben, um damit einen Vorwand für die Ausschaltung ihrer Gegner zu schaffen. Das Verhalten von Göring und anderen NS-Amtsträgern ist verdächtig. Deckten sie den Rückzug anderer Brandstifter? Es gibt viele Ungereimtheiten und offene Fragen.
+ + +
Heute vor 72 Jahren missglückte das Attentat gegen Hitler. Man feiert die Attentäter als Helden, zu Recht, auch wenn sich unter ihnen nicht wenige befanden, die überzeugte Antidemokraten waren, oder Ex-Nazi-Bonzen wie der immer gern von den Attentatshistorikern aus Schamgefühl unter den Teppich gekehrte SA-Graf Wolf-Heinrich von Helldorff, der gerade noch in dem sonst erstaunlich geglückten ARD/arte-Doku-Drama »Der Traum von Olympia« die Schurkenrolle zu spielen hatte. Wäre
das Attentat seinerzeit geglückt, hätten man es einen »Militärputsch« genannt.
Oder ein zweites Gedankenspiel: Wenn die Reichswehr 1934 gegen die Nazis geputscht und Hitler getötet hätte – wären sie unsere Helden oder üble Caudillos? Würden wir diese Gewalt richtig finden oder auf dem Grundsatz der »Gewaltfreiheit unter allen Umständen« beharren?
Mich wundert jedenfalls die Einstimmigkeit mit der alle den Militärputsch in der Türkei verurteilen und sich freuen, dass
die »demokratisch gewählte Regierung« den Putsch abwehren konnte. Auch Hitler wurde seinerzeit »demokratisch gewählt.«
Also etwas mehr Gehirnschmalz und Argumente bitte.
+ + +
In Berlin fand heute im Bendlerblock ein feierliches Gelöbnis und viel Militärkapellenmusik statt – der Geist Stauffenbergs wird bedient. Merkwürdig und bei aller Terrorgefahr doch gerade der Armee einer wehrhaften Demokratie unangemessen wirkt aber, dass dieses Tschingderassabum unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, dass das Gelöbnis der Bürgerarmee vor den Bürgern mit weitreichenden Absperrungen offenbar geschützt werden muss.
+ + +
»Wer sich dem Sog fremder Phantasie nie ausgesetzt hat, kann sehr schwer eigene entwickeln; kann Bedrohungen und Zwänge der wirklichen Welt kaum Aktivität entgegensetzen, nicht einmal Toleranz. Denn der, der Muße nicht kennengelernt hat, bleibt ohne Initiative. Der Mensch, der nicht träumt, wird wahnsinnig. Eine Gesellschaft, die den Traum wegfiltert, ist anfällig dem Wahn. 'Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer', heißt eines der eindrucksvollsten von Goyas Capriccios. Intellektueller Trägheit entspricht schnell moralische Leere. Sie ist auffüllbar zum Beispiel mit politischem Chaos.«
Fritz J. Raddatz
+ + +
Der Wind wird uns tragen, Der Geschmack der Kirsche, Wo ist das Haus meines Freundes?, Und das
Leben geht weiter – schon die Titel seiner Filme atmen eine ihrer wesentlichen Eigenschaften: Das lyrische Element durchzieht das Werk des persischen Regisseurs Abbas Kiarostami.
Kiarostamis Filme waren auf den ersten Blick einfach und direkt, auf den zweiten eröffneten sie ein ganzes Kaleidoskop von Ebenen, Bedeutungen und Verständnismöglichkeiten. Es ist ein Werk voller Widersprüche: Kiarostami war ein Kenner der Filmgeschichte, doch er arbeitete gern mit
Laien, und schätzte die Improvisation. Von der Welt zeigte er lange ein quasi naturalistisches Bild, zeigte Vorgefundenes. Zugleich hatte er keine Scheu, seine Bilder dann mit Vivaldi oder Mozart zu unterlegen.
Kiarostamis Kino war langsam und er erzählte mit Plansequenzen, die dem Zuschauer viel Zeit gaben, sich auf die Welt einzulassen, die sie zeigten. Aber diese langen Einstellungen hatten immer etwas ganz Heiteres und Selbstverständliches, sie wirkten nie so
manieriert und bemüht, nie so bedeutungsschwer und symbolistisch wie 80 Prozent des gegenwärtigen Kunst-Kinos. In dieser Selbstverständlichkeit lag die ganze Kunst und das Geheimnis dieses Regisseurs.
In den 90er Jahren hatte Kiarostami seine große Zeit. Da wurde er und mit ihm das ganze iranische Autorenkino für den Westen entdeckt, ein Kino, das so anders war, als der Autorenfilm des Westens. Aufgewachsen war Kiarostami als Sohn eines Freskenmalers, nach einem
Kunststudium war er zunächst Werbefilmer gewesen, und hatte in den 70ern mit Spielfilmen begonnen. Von Anfang an nutzte er die Lücken der strikten Zensur und prägte mit zwei prinzipiellen Entscheidungen – die auch von vielen Kollegen übernommen werden – das Gesicht des persischen Kinos bis heute: Viele seiner Filme stellen Kinder ins Zentrum, weil die auf der Leinwand Dinge allegorisch tun und stellvertretend erleben dürfen, die Erwachsenen dort versagt sind –
und er drehte gern in Autos: Weil das Auto gewissermaßen ein dritter, der religiösen Zensur schwer fassbarer Raum ist, nicht recht drinnen, aber auch nicht draußen. Dort spielt Ten, ein in zehn Einstellungen gedrehter Film, komplett, aber auch ein Großteil von Der Geschmack der Kirsche, mit dem
Kiarostami 1997 die Goldene Palme von Cannes gewann. So war Kiarostami, der jetzt in seiner zweiten Heimat Paris an Krebs gestorben ist, kein Regisseur direkt politischer Filme, aber einer, der politisch Filme machte.
+ + +
Im großartigen Haliflor, das eine feste Bank ist, wenn man mittwochs ein CM fertigschreiben will, treffe ich Sasha, die ich aus Postdam kenne, wo sie Film studiert, die ursprünglich aus Serbien kommt, und die mir vom jugoslawischen Archiv erzählt. Wir reden über Kusturica, Tito und Veit Harlan, was für eine Kombination. Underground war der allererste Film, über den ich was in einer Zeitung schrieb, 1996 in der längst vergessenen »Wochenpost«. Aus den Boxen läuft »Tu vou fa americano«, ein tolles Lied aus der Nachkriegszeit. »Wir müssen es abschütteln« sagt Sasha – aber was genau?
+ + +
Götz George ist auch gestorben, was mich weniger berührt hat, als bei Kiarostami. Im Radio habe ich darüber geredet, und mich schwer getan, ganz fair zu sein. Wie redet man über einen großartigen Schauspieler, der als solcher doch auch ganz klare Grenzen gehabt hat, und wie lässt man wenigstens durchblicken, dass der Mann ein Kotzbrocken sein konnte, ein unglaublich eitler obendrein?
Man vergisst gern, wie erotisch er wirkte. Er war ein Sex-Symbol, er war längst nicht so steif
wie die überwiegende Zahl dieser deutschen Post-NS-Körper des Nachkriegskinos.
Auf die Frage, wie George, dem ich zweimal begegnet bin, persönlich war, kann ich so freundlich wie wahrheitsgemäß sagen, dass George sensibel war. Das bedeutet ja aufnahmefähig, offen, geöffnet und demzufolge verwundbar auch, verwundbar im besten Sinn des Wortes – aber manchmal auch im schlechtesten: überempfindlich, er konnte sich so verhalten, dass es zumindest eitel und arrogant wirkte.
Dahinter steckte ohne Frage eine tiefe, nie erfüllte Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung. Ob die gezeigte Bescheidenheit echt war? Hard to tell.
Seine wichtigsten Rollen? Da muss man natürlich die des Schimanski nennen. Die Figur hat George zwar nicht erfunden, aber er ist mit ihr verschmolzen, und hat für eine bestimmte Zeit mit ihr den Fernsehkrimi revolutioniert.
Noch ein Fernsehfilm muss genannt werden: Aus einem deutschen Leben von Kotulla, dann natürlich der Totmacher von Karmakar. Die abgründigen Bösen hat er weniger gut gespielt, sein Mengele in einem fast vergessenen Film ist peinlich und sein Auftritt als sein Vater im Dokudrama George zeigt nur, wie meilenweit entfernt er von dessen Qualitäten immer blieb. Er stand auch
immer im Schatten Heinrich Georges und mir scheint, dass er am besten immer dann war, wenn er eine Rolle spielte, in der man sich seinen furchtbaren auch furchtbar genialen Alten nicht vorstellen kann: Thriller wie Die Katze oder Der Sandmann und moderne Melodramen wie Solo für
Klarinette.
Und natürlich die Komödien: George konnte im Kino auch freiwillig böse sein: bei Dietl in Schtonk und Rossini...
+ + +
Zum Abschluß ein Fundstück, das man nicht allzu ernst nehmen sollte, das zu verschweigen ich heute aber zu eitel bin: »Zehn großartige Filme die Godard beeinflusst haben.«
(to be continued)