Cinema Moralia – Folge 139
Am Sonntag: dffb wählen! |
||
Heil – wirklich witzig, aber auch zu niedlich | ||
(Foto: X Verleih/Warner Bros.) |
Schon am Freitag geht es weiter. Zunächst einmal werden wir in den nächsten Tagen und Wochen noch unsere, auch für uns selbst ein wenig unübersichtlich gewordene Venedig-Berichterstattung im Magazin und im wunderbaren artechock-blog ordnen, ergänzen und vor allem abschließen. Zugleich geht es aber am Freitag schon nach San Sebastian.
Das dortige Filmfestival ist
immerhin das viertwichtigste unter den A-Filmfestivals der Welt, knapp hinter der Berlinale, aber weit vor Locarno. Vor allem aber ist es das Allerschönste, was vier Tage nach Venedig eine Menge bedeutet!
In diesem Jahr ist alles besonders attraktiv, da San Sebastian auch noch Kulturhauptstadt Europas ist – mal sehen, ob das dann nur heißt, dass die Pinchos teurer werden? Ein kulinarisches Kino braucht man hier jedenfalls gar nicht, weil die Stadt selbst kulinarisch ist
und der Festivaldirektor kein fanatischer Vegetarier. Das heißt, außer viel im Kino werde ich auch in Cafés sitzen und in Bars herumstehen, unter den deutschen Filmkritikern kommt hier auch nicht die Masse her, sondern Klasse – so freue ich mich schon auf die Biere mit Rudolf Worschech, dem Chefredakteur von »epd-Film«, der schon weiß, warum er hier persönlich herkommt, und nicht nur die Flagge der Evangelischen Filmkritik hochhält – eine beachtliche Leistung für
einen Katholiken. Auch der »katholische Filmdienst« ist mit Wolfgang Hamdorf vor Ort. Die Filmarbeit der Kirchen wäre auch mal ein Thema für tiefere Betrachtungen – immerhin zeigt das Engagement der beiden Konfessionen, dass die Controller noch nicht in allen Bereichen der Kirche die Macht übernommen haben, dass die Kirchen verstehen, was ihnen das Zuschussgesch äft einer Filmzeitung im Print bringt.
+ + +
Im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums des »Verband der deutschen Filmkritik schreibt Sven von Reden beim ›Filmdienst‹ seinen Blog ›Film über Film‹. In der neuesten Folge geht es um Video-Essays deutscher Zeitungsverlage. Da erzählt von Reden, wie man auf der SZ-Seite (wenn man das den wirklich wissen will) gucken kann, wie Fritz Göttler, David Steinitz und Susan Vahabzadeh aussehen: ›Die Videos der Süddeutschen wirken sehr disparat. Mal sind
Schnitte durchdacht, mal scheinen sie völlig beliebig, mal verhält man sich recht respektvoll gegenüber den Filmausschnitten, mal scheinen sie beliebige audiovisuelle Verfügungsmasse ... Und natürlich unterscheiden sich auch die »Performances« vor der Kamera je nach Talent und Neigung. Während Vahabzadeh und Steinitz scheinbar frei vor der Kamera wie in einem Interview reden, liest Göttler Texte ab, die irgendwo hinter der Kamera platziert sind. Das wirkt unweigerlich hölzern und
didaktisch, ermöglicht aber auch geschliffenere Texte. So richtig scheint man sich in der Filmredaktion über die Funktion der Videos nicht einig zu sein: Sind es einfache Filmtipps, die die Entscheidung an der Kinokasse erleichtern sollen, oder feuilletonistische Analysen?‹
›Anders als auf sueddeutsche.de werden bei faz.net die Video-Filmkritiken auf der gleichen Seite wie die Printkritiken präsentiert, beides ergänzt sich also.‹
›Bei
beiden Angeboten nervt die Werbung, die man vor einer Video-Kolumne/Kritik über sich ergehen lassen muss. Natürlich ist es völlig legitim, dass die Verlage versuchen, ihre Gratis-Internetauftritte mit Werbung zu finanzieren. Wenn man allerdings erst einen 30-sekündigen Spot überstehen muss, um eine gerade einmal 1:46 Minuten lange Internet-Filmkritik von Andreas Kilb sehen zu können, stellt sich die Frage, ob die Verhältnisse stimmen.‹«
+ + +
Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, lobt die EU-Kommission für ihre Reformvorschläge zum Urheberrecht, nutzt diese aber vor allem dazu das in der Welt einmalige deutsche Leistungsschutzrecht der Verleger gegen die eigentlichen Urheber, die Autoren, auszuspielen: »Erfreulich ist dabei vor allem, dass die Kommission sich auch dem drängenden Problem der Verlegerbeteiligung zugewandt hat. ... Die besorgniserregenden Entwicklungen bei der VG Wort zeigen die Brisanz des Themas. Partikularinteressen werden hier teilweise über die bewährte gemeinsame Rechtewahrnehmung durch Verleger und Urheber gesetzt und drohen nun die VG Wort zu beschädigen.«
+ + +
Am Sonntag sind Wahlen in Berlin. Gerade kulturpolitisch sind diese Wahlen wichtig, denn Berlin ist ja nicht nur irgendein Ort, sondern hat als Hauptstadt symbolische Wirkung auf den Rest. Berlin ist Standort der großen kulturellen Institutionen in der Republik, zumindest im Prinzip das Zentrum der deutschen Kultur. Die Bühnen, Museen und Gedenkstätten verzeichnen jährlich Besucherzahlen in zweistelliger Millionenhöhe. In der Stadt leben über 10.000 Künstlerinnen und
Künstler. Über 200.000 Menschen arbeiten im Bereich der Kultur. Kulturpolitische Perspektiven sind besonders wichtig. Doch die Hauptstadt leistet sich den Luxus, keinen eigenen Kultursenator zu haben.
Es wird schon schlimm genug sein, zu sehen, dass die Rechtsextremisten der AfD mit über 10 Prozent ins Parlament kommen werden – aber überhaupt ist Berlin allen Umfragen nach der erste Ort in Deutschland, der die These widerlegt, in Deutschland werde es nie wieder »Weimarer
Verhältnisse« geben. Man wüsste schon gern, wann das Kino endlich darauf reagiert. Alle Filme, die bisher bei uns über Neonazis gemacht wurden, ob »Kriegerin«, ob der »NSU«-Dreiteiler der ARD, ob die pseudolustigen Nazi-Klamotten wie »Er ist wieder da« und »Heil« (der wirklich witzig ist) sind niedlich, viel zu niedlich und ihrem Gegenstand nicht wirklich gewachsen. Ob sich das ändert? Oder warten die Filmemacher erst darauf, dass es bei uns auch so wird wie in Ungarn und der Türkei,
wenn die v ölkische Frau Petry und die sieben Zwerge mal regieren.
+ + +
Aber wir wollten ja etwas zur Kulturpolitik schreiben, und da fällt einem zur AfD wirklich nichts ein – außer dass die Menge der pensionierten ehemaligen FAZ-Redakteure und -Autoren in den Führungsriegen der Partei auch schon wieder ein kulturelles Phänomen sind. Umso mehr fällt einem ein zur SPD und das ist auch keine gute Nachricht.
Alle Kunstinteressierten und Künstler, alle Filminteressierten und Filmemacher, die in Berlin wählen, möchte ich bei dieser
Gelegenheit daran erinnern, wie die Kulturpolitik des Rot-Schwarzen Senats aussah. Da sollte man zuerst mal daran erinnern, dass die SPD unter Wowereit das Amt des Kultursenators (immerhin eingeführt von Willy Brandt) de facto ersatzlos abschaffte. Theoretisch ist Berlins Regierender Bürgermeister wie-heißt-er-doch-gleich-Michael-Müller (äh, SPD) auch Kultursenator. Praktisch sind heute zwei Senatsstaatssekretäre zuständig, wobei der Kulturstaatssekretär, der hippe
»Rammstein«-Produzent Tim Renner auch formal nichts mit Film zu tun hat. Zuständig für Film ist Björn Boehning, der seine Kompetenz in dem Desaster um die Besetzung des Direktorenpostens der Filmhochschule DFFB hinlänglich unter Beweis gestellt hat. Nur zur Erinnerung: Gescheiterte Kandidaten, filmferne Auswahlkriterien, schlechte Beratung, manipulierte Bewerbungen, Gerichtsurteile
gegen den Senat, eine ganzjährige Dauerkrise und eine grundsätzliche, bis heute nicht bereinigte Beschädigung der renommierten Institution sollten Grund genug sein, diesen Senat abzuwählen. Aber Tim Renner ist eigentlich noch schlimmer:
Chris Dercon, Chef der Londoner Tate Modern, soll aus der Volksbühne ein mehrspartiges, internationales Bühnen-Kunst-Event-Produkt machen – einen »Eventschuppen«, wie Claus Peymann bemerkte. Ähnlich Paul Spies, neuer Intendant für das Humboldt-Forum, und Oliver Reese ab 2017 im BE. Die TAZ nennt das treffend den »Bedeutungswandel spezifischer Berliner Kulturpolitik hin zu einem Stadtmarketing-trächtigen, repräsentativen Akzent«.
Ä hnlich die CDU im Bund.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) finanzierte 2015 Berlin 200 Millionen Euro für den geplanten Neubau des Museums der Moderne und weitere 28,1 Millionen für den Erweiterungsbau für das Bauhaus Archiv. Und wieviel für Filmpolitik?
+ + +
Die Partei des Regierenden Bürgermeisters will im Wahlkampf nicht über Kulturpolitik reden. Der Regierende Bürgermeister wirkt auf alle unkommunikativ. Er, Boehning und Renner haben offenbar Angst vor jeder lebendigen Auseinandersetzung, die doch zur Kultur gehört. »Müller und sein Kulturstaatssekretär Tim Renner verhandeln die Dinge lieber in 'intransparenten Verfahren'« schreibt die TAZ am Beispiel der heimlichen Neubesetzung der Volksbühnen-Intendanz und der Umstrukturierung des Theaters ab 2017 monierten. »Bis heute gilt die Einwechselung von Chris Dercon als Ersatz für den Noch-Intendanten Frank Castorf als Skandal in der Berliner Theaterlandschaft, die sich deswegen nicht beruhigen will. Claus Peymann, Direktor des Berliner Ensembles (BE), und die Mitarbeiter der Volksbühne verlangen eine Revision der Intendantenberufung.«
+ + +
Aus meiner Sicht ändert sich unter den derzeitigen Umständen nur dann etwas, wenn man die jeweils Regierenden konsequent abwählt. Und darum ist meine sehr persönliche Meinungsäußerung zur Wahl, dass ich hoffe, dass die Große Koalition in Berlin abgewählt wird. Vor allem dass die Partei des Regierenden Bürgermeisters für ihre Nicht-Kulturpolitik bestraft wird.
Vielleicht wird in Berlin am Sonntag ja DFFB gewählt!
(to be continued)