Cinema Moralia – Folge 141
Die Vandalen und das Filmerbe |
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Der Mann aus Marmor: Gedenkstein für den soeben verstorbenen polnischen Regisseurs Andrzej Wajda (am heutigen Donnerstag im Münchner Filmmuseum zu sehen) und Mahnmal für den richtigen Umgang mit dem Filmerbe, zu dem es diesen Mittwoch eine Anhörung im Bundestag gab |
»Alte Filme zu sehen, heißt auch einen Kontrollgang durch seine eigene Vergangenheit machen.«
Siegfried Kracauer
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Gespräch in der Filmgalerie Berlin, nachdem ich vergangene Woche nach dem Nachruf die DVDs mit Andrzej Wajdas Filmen zurückbrachte. Was bleibe denn noch im europäischen Kino, seufzte der Mann an der Kasse. »Wie wär’s mit Frankreich?« Seine Antwort: »Ja, Frankreich. Stimmt. Die haben Catherine Deneuve und Jeanne Moreau, wir haben Iris Berben und Senta Berger.«
Eine deprimierende Feststellung. Der Unterschied zwischen beiden Kinematographien zieht sich durch die
Generationen. Man könnte auch formulieren: Die haben Lea Seydoux, wir haben Karoline Herfurth.
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Das Verhältnis von Realität und Fiktion, Wahrheit und Legende, Leben und Film steht in allen Filmen Andrzej Wajdas im Zentrum. Ganz besonders vielleicht in Der Mann aus Marmor, einem der wichtigsten Filme des polnischen Regisseurs, der am 9. Oktober im Alter von 90 Jahren in Warschau verstarb. Denn Der Mann
aus Marmor ist Wajdas Citizen Kane. Ein Film, der Dokumentarisches und Fiktionales vermischt, Gegenwart und Vergangenheit, der über Medien, Propaganda, Legendenbildung, der einem derzeit überaus aktuell vorkommt.
Eine junge Filmemacherin dreht das Portrait eines Arbeiterhelden, und beginnt über die Filmische Nachforschung sich selbst neu in Frage zu stellen. Der Fall eines
Helden. Ein Film der Desillusionierung. Das Münchner Filmmuseum zeigt den Film am heutigen Donnerstag, 20.10.2016, um 19.00 Uhr in seiner »Open Scene«.
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An diesem Mittwoch debattierte der Bundestagskulturauschuss über das Filmerbe. Passend dazu veröffentlichte der Berliner Filmemacher RP Kahl einen spannenden Text – leider beim Senderblättchen »Blickpunkt Film«, das kaum einer liest, und wenn, dann meist die Falschen. Das nächste Mal vielleicht bei artechock, dann bekommen es mehr Leute mit. Glücklicherweise hat RP den Text in seinem Blog online gestellt.
Klaus Kreimeier, der 2013 die schwelende Debatte in die breite Öffentlichkeit getreten hatte, hat jetzt seinen seinerzeitigen Aufruf ergänzt.
Es gibt andere lesenswerte Texte: Der Historiker Dirk Alt hat die Seite »Filmdokumente retten« ins Leben gerufen, bereits im vergangenen Jahr gab es in Frankfurt eine interessante Podiumsdiskussion, vor wenigen Wochen eine eher staatstragende Debatte in
Berlin.
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Gemeinsam ist diesen Wortmeldungen zum einen die gemeinsame Sorge um das Filmerbe, zum zweiten die Ratlosigkeit angesichts der Untätigkeit und Verschleppungstaktik der Bundesregierung, sowie der schieren Unkenntnis der Verantwortlichen. Da die Sachlage kompliziert ist, und man sich leicht in Einzelheiten verheddert, versuchen wir hier zunächst mal ein paar Schneisen in den Dschungel zu schlagen.
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Es geht nämlich nicht um Einzelheiten und Faktenhuberei, sondern ums Prinzip. Das Prinzip muss heißen: Fritz Lang ist genauso wichtig wie Thomas Mann. Die Erhaltung und Rekonstruktion historischer Filmdokumente wie zum Beispiel Stadtansichten Hamburgs oder Kölns oder Münchens, oder der Industriefilme der BASF oder der Krupp-Werke oder frühe private Super-8-Filme sind nicht weniger wichtig, als Erhalt und Rekonstruktion der Stasi-Akten oder des zerstörten Kölner Stadtarchivs
(die beide in teuren komplizierten Verfahren zusammengeschnipselt werden) oder der vielen tausenden von Papierkilometern umfassenden Akten der deutschen Regierungen im 20. Jahrhundert.
So einfach ist es! Davon müssen wir ausgehen, dahinter dürfen wir nicht zurück!!
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Besagte Akten werden ebenso wie allerlei anderes – zum Beispiel die »Diskussionen des Parlamentarischen Rates« – auf Zehntausenden von auf Mikrofilm gesichert. Viele lagern etwa unter der Erde im Barbarastollen bei Freiburg.
Warum auf Film und nicht nur digital, wenn digitale Verfahren doch so
sicher und so optimal sind? Die Frage kann jeder selbst beantworten: Weil die Kulturstaatsministerin Monika Grütters und andere Verantwortliche sehr wohl wissen, dass Filmmaterial sicherer ist als digitale Datenspeicher.
Warum wird Film nicht auf Film gesichert, wo man doch sehr wohl Papier auf Film sichert?
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Es ist pervers, wie sich der Bund verhält.
Monika Grütters, mehr Ministerin für Kunstgeschichte und Repräsentationsbauten als für die Kultur, verpulvert Millionen und Abermillionen für den unnötigen Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses der Preußenkönige. Stattdessen leistet sie der Vernichtung deutscher Filmkulturschätze Vorschub.
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Ein einziger Offenbarungseid ist in diesem Zusammenhang die neueste Stellungnahme der Staatsministerin in ihrer Pressemitteilung vom 19. Oktober 2016. Darin heißt es (ungekürzt): »Im Film wird unser aller nationales Gedächtnis lebendig. Gut 100 Jahre, nachdem die Bilder laufen lernten, wird es tatsächlich zu einer Jahrhundertaufgabe, dieses Erbe sowohl analog als auch digital zu sichern. Deshalb stellt der Bund seit Jahren Gelder zur Restaurierung und jeweils 1 Mio. Euro
für die Digitalisierung wichtiger Filme zur Verfügung.«
Kurze Lesehilfe: Eine Million für Digitalisierung ist nichts. Zumal man in Deutschland mit dieser Digitalisierung kaum angefangen hat. In Frankreich beträgt die Summe ein Vielfaches, etwa 20 Millionen. Für das teure Prestigeprojekt des Stadtschlosses allein hat der Bund dagegen seit 2008 über 550 Millionen ausgegeben, Nebenkosten durch die Baumaßnahmen und Folgekosten durch den Betrieb nicht mitgerechnet. Der
– sehr begrüßenswerte – Ankauf der Thomas-Mann-Villa in Los Angeles (wozu eigentlich? Aber ich find’s gut) ist dem Außenministerium (nicht der im Prinzip zuständigen Kulturminsterin) allein ca 13 Millionen wert, bevorstehende Restaurierung und Umbau nicht mitgerechnet.
Bezeichnenderweise nennt Grütters für die Film-Restaurierung in ihrer Mitteilung dagegen keine Summe. Da müsste sie nämlich schamrot in der Erde versinken.
Ebenfalls
bezeichnenderweise erwähnt Grütters noch nicht einmal den Kostenpunkt Archivierung. Auf die Aufbewahrung der analogen Originalnegative und -positivkopien wollen sich die Verantwortlichen nämlich so weit wie möglich herumdrücken.
Weiter im ungekürzten Text der Grütters-Mitteilung: »So konnten bereits Klassiker wie Metropolis restauriert und mehr als 400 Filme digitalisiert
werden. Dieses Engagement des Bundes allein reicht aber bei weitem nicht aus. Für Kultur sind in Deutschland die Länder hoheitlich zuständig, die nun endlich auch beim Filmerbe ihre Verantwortung wahrnehmen müssen. Auf ein solches Signal und auf einen signifikanten Beitrag warten wir schon viel zu lange.
Die Kulturstaatsministerin hat außerdem den Ausbau eines Bestandskatalogs gefördert, der einen öffentlich zugänglichen Überblick über die in den Filmarchiven lagernden
Filme ermöglichen und somit die Digitalisierung erleichtern soll (www.filmportal.de).«
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Lesehilfe: Grütters gibt also zu: Ihr Engagement reicht nicht aus. Ebenfalls gibt sie durch die Blume zu: Außer dem Sonderfall »Metropolis« wurde im Prinzip bislang sehr wenig restauriert. Es sind pro Jahr bestenfalls eine Handvoll Filme. Für Grütters ist der Schutz des Filmerbes ganz offensichtlich nur eine Frage der Digitalisierung.
Schließlich schiebt sie die Schuld auf andere. Die gleiche Ministerin, die bei anderer Gelegenheit gern betont, Kultur könne nicht allein
Ländersache sein, ignoriert das im Feld ihrer maßgeblichem Zuständigkeit, beim Film. Anstatt durch eine Vorleistung des BKM die Länder unter Zugzwang zu setzen.
Filmkopien, also die Originale, werden von den Archivaren dagegen aktiv zerstört. Michael Hollmann vom Bundesarchiv geht noch über seine Ministerin hinaus, wenn er wie geschehen öffentlich ausführt, den Bestand nach 1945 werde man nicht komplett sichern können.
Fazit: Nicht die Bilder, die Ministerin muss laufen
lernen!
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Nach RP Kahls großzügiger Schätzung kann man das komplette deutsche Filmerbe für etwa 600 Millionen Euro sichern. Das ist so viel, wie Grütters' DFFF in zehn Jahren an Fördergeld zur Verfügung stellt. Es ist vor allem weniger, als der Neubau des Hohenzollern-Stadtschlosses kostet.
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Nur als Erinnerung: Auf die Medici, die der freie Demokrat RP Kahl in seinem schönen, wie gesagt äußerst lesenswerten Text zum Vorbild für unsere Republik ernennt, zumindest in puncto Mäzenatentum und historischen Sinn, folgte 1527 der »Sacco die Roma«. Davon wird auch die Kunsthistorikerin Monika Grütters schon gehört haben.
Es waren deutsche Landsknechte, die seinerzeit beflügelt von christlich-fundamentaistischem Furor die Stadt plünderten und ihre Kunst zerstörten.
Die Vandalen der Gegenwart sparen sich die Reisekosten und wüten daheim.
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Das BKM und das Bundesarchiv verhalten sich unhistorisch, und zerstören aktiv deutsches Kulturgut. BKM und das Bundesarchiv agieren in Bezug auf das Filmerbe als die neuen Vandalen.
Schön wäre es, wenn sich Fach-Verbände und Archive zu einer Sammelklage wegen Vernachlässigung der Aufgaben entscheiden könnten.
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RP Kahl bringt es in seinem Text auf den Punkt: »Ständig fragen wir uns, warum wir keine besseren Filme machen. Eine der Antworten darauf könnte sein: Ohne Vergangenheit kein Jetzt und auch keine Zukunft. – Wir müssen das Filmerbe retten!«
(to be continued)