Cinema Moralia – Folge 146
Künstlers Werk und Zeitgeists Beitrag |
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Auch das ist Arbeit am Filmerbe: Bernardo Bertoluccis Skandal-Klassiker Der letzte Tango in Paris wurde soeben mal wieder deklassifiziert | ||
(Foto: Bernardo Bertolucci) |
»Nichts leichter als das, sagt Karlsson vom Dach, der Schlauberger mit dem Propeller auf dem Rücken, immer dann, wenn er mal wieder demonstrieren will, wie toll er ist.«– Peter Körte, FAS vom 4.12.16
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In den letzten zwei Jahren haben wir an dieser Stelle häufig über die in fast jeder Hinsicht miserable Berliner Film- und Kulturpolitik berichtet, namentlich über das unselige Wirken des Chefs der Berliner Senatskanzlei Björn Böhning (SPD). Ich stehe dazu, dass ich Böhning für einen fachlich extrem inkompetenten Filmpolitiker halte, dass ich glaube, dass er in der Causa DFFB mehrere Fehlentscheidungen zu Lasten der DFFB getroffen, und diese tolle und im Vergleich zu anderen Filmhochschulen einmalige Institution nachhaltig beschädigt hat. Seine Art und Weise der Öffentlichkeitsarbeit hat den sachlichen Fehlern noch eine desaströse Form gegeben. Zudem hat mich wie viele andere empört, dass der Fall einer erwiesenermaßen manipulierten Bewerbungsunterlage – die Bewerbung des erwünschten Kandidaten Ralph Schwingel wurde vordatiert, wie Schwingel selbst einräumt, zugleich auf die Feststellung Wert legt, dass er diese Datierung nicht selbst vorgenommen hatte, wer also dann? – von allen Beteiligten unter den Teppich gekehrt wurde. Über die Gründe der Senatskanzlei kann ich nur Vermutungen anstellen, die privat bleiben, weil sie justiziabel wären.
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Es war aber aus vielen Gründen ein Fehler der neuen, noch gar nicht richtig ins Amt gesetzten Rot-Rot-Grünen Regierung und des leider immer noch Regierenden Bürgermeister Michael Müller, Böhning im Amt zu lassen. Dieser Fehler wird nun zum ersten Skandal der Koalition und zur Belastung für Müller.
Denn seit ein paar Tagen ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Böhning. Das hat zwar meines Wissens nichts mit der DFFB-Direktoren-Besetzung zu tun, die Vorwürfe sind aber noch
härter: Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme. »Korruption« darf man das juristisch nennen, »Bestechung« nicht. Unsere Justiz liebt die feinen Unterschiede.
Wir zitieren zum Fall daher am besten den Tagesspiegel: »Es geht um die umstrittene Kooperation zwischen der Senatskanzlei
und der Beraterfirma McKinsey. Die Unternehmensberatung hatte 2015 unentgeltlich das Flüchtlingsmanagement des Senats unterstützt. Zum Jahresende erhielt McKinsey dann von Böhning den Auftrag, an einem Masterplan Integration und Sicherheit mitzuarbeiten – wofür der Senat 238.000 Euro brutto bezahlte. Der ehemalige SPD-Politiker Lutz Diwell hatte im Auftrag von Böhning ein Gutachten verfasst, demzufolge die externe Beratung des Senats legitim war. Später wurde
bekannt, dass Diwell inzwischen von McKinsey als Berater verpflichtet worden war. Damit standen Vorwürfe von Korruption und Untreue zulasten des Landes im Raum. Gegen Diwell selbst wird nun jedoch nicht ermittelt, wie Justizverwaltungssprecher Hoffmann betonte. (…) Ob Böhning angesichts eines Ermittlungsverfahrens Chef der Senatskanzlei bleiben kann, gilt auch in dessen eigener Partei als fraglich.«
Letzteres ist ja zumindest für Filmfreunde eine gute Nachricht. Zugleich
gilt, wie in allen Fällen, auch hier die Unschuldsvermutung.
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Der letzte Tango in Paris war von Anfang an ein Skandalfilm. Alle Gerichtsverfahren zu ihm, alle Zensureingriffe und Verbote des Films trugen bei zu seinem Nimbus als tabubrechendes Meisterwerk, das die bürgerlichen Vorurteile einer konformistischen Mittelstandsgesellschaft direkt attackierte und entzweibrach. Wenn man den Film heute sieht, ist das nur zum Teil nachvollziehbar. Ein toller Film, getränkt in sehr viel Zeitgeist der frühen Seventies, bleibt er allemal: Ein junges französisches Hippie-Girl, gespielt von Maria Schneider in ihrem Filmdebüt und ein alternder, todessehnsüchtiger, graumelierter Amerikaner, dessen Frau sich gerade umgebracht hat, und der dadurch von Ennui und Schuldgefühlen gequält wird, gespielt von Hollywood-Superstar Marlon Brando in seinem ersten Ausflug ins europäische Autorenkino, haben einvernehmlichen Sex in einer leeren Wohnung, in der sie ein paar Tage verleben. Am Ende erschießt aber das Mädchen den Mann – das alles ist bis heute für manche verstörend, aber auch voller Anspielungen an die moderne Kunst, besonders die Malerei Francis Bacons, und an die Begegnungen der Amerikaner mit Paris, von Scott Fitzgerald und Hemingway bis Fred Astaire, an die abendländische Mythologie: Eros und Thanatos im Zweikampf.
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Man kann so etwas heute veraltet und verschwurbelt finden. Mir geht es anders: Ich gehöre eher zu jenen vielen Cinephilen, die bedauern, dass kaum ein gegenwärtiger Autorenfilm je dieses Niveau an ästhetischer Reflexion und intellektuellem Anspruch erreicht – wohl jeder, der den Film heute sieht, wird baff sein über die Konsequenz der Vision, und die Offenheit, mit der die Melancholie zur Sprache gebracht wird, die Depression, die Gegenkultur nach der gescheiterten
Revolution von 1968 erfasste, man wird ihre Hinwendung ins Privatistische, Sexuelle, Esoterische entdecken, die »Tyrannei der Intimität«, die das Herz jener Restauration bildet, in der wir bis heute leben.
Damals schon war dieser Film, der vieles in den Schatten stellt, was heute gemacht wird, eine Revolution: Die New Yorker Filmkritikerin Pauline Kael, eine Legende ihres Berufsstands, verglich die Wirkung des Films nach seiner Premiere 1972 in seiner Bedeutung für die
Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts mit der Premiere von Igor Stravinskys »Sacre du Printemps«. Von »hypnotischer Erregung«, »primitiver Kraft« und »mitreißenden Erotizismus« schrieb die erklärte Feministin Kael. Es waren andere Zeiten, auch für den Feminismus.
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Heute nun wollen manche den Skandal wiederholen und dem Film, der seinerzeit freigesprochen wurde, doch noch den Prozess machen.
Maria Schneider, deren Karriere nach diesem Debüt bald ins Stocken kam, hat dieses Stocken Jahrzehnte später auch damit erklärt, dass sie sich durch diesen Film gezeichnet fühlte. Sie, damals erst neunzehn und möglicherweise etwas naiv, hat sich Jahrzehnte später darüber beschwert, dass der Regisseur, der einmal eine offenbar private Liebesszene
zwischen den beiden Hauptdarstellern mitfilmte, diese in den Film hineingeschnitten hat.
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Zeitgeist – dazu gehört, dass man früher wahrscheinlich zu wenig, jedenfalls andere Formen von Respekt gegenüber Frauen hatte. Wer von Missbrauch, gar Vergewaltigung sprechen wollte, der konnte zu hören bekommen: »Hab' dich doch nicht so.« Ob das falsch war oder richtig ist, vermag ich weniger leicht zu entscheiden, als die meisten, die sich heute zu Wort melden. Ich bin nicht sicher, ob Reden für die Betroffenen immer besser ist als Schweigen. Sicher bin ich allerdings, dass
die Betroffenen es unbedingt selbst entscheiden sollten.
Zeitgeist ist allerdings auch, dass sich heute die entsprechende Debatte um 180 Grad gedreht hat. So wie »damals« der vermeintliche Täter einen Vorschuss bekam, bekommen es heute die vermeintlichen Opfer. Wenn es um Vergewaltigung und Missbrauch geht, dann siegt der Skandalisierungstrieb der Gesellschaft über den Rechtsgrundsatz der Unschuldsvermutung.
Ich frage mich, ob man unseren jetzigem Umgang in vierzig,
fünfzig Jahren nicht womöglich genauso einseitig und zeitgeistig finden wird, wie den um 1970.
Wir leben auch heute nicht in der besten aller Welten, im Gegenteil.
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In einem Video bestätigte Bertolucci vor drei Jahren, seine Schauspielerin sei »missbraucht« worden – ohne das im Detail genauer zu erklären. Er fühle sich schuldig, aber seine Entscheidung bereue er nicht. Darin bleibt auch Bertolucci ein Kind einer postrevolutionären Epoche, die vom Experiment besessen war. Diese Haltung – alles für die Kunst! – ist der Kunst, die ihrem Wesen nach radikal und irritierend ist, angemessener als eine, die Kunst der Moral
und politischen Wünschen unterordnet und dienstbar machen will.
Jetzt wurde das Bertolucci-Video im Namen einer Aktion gegen Gewalt gegen Frauen neu ins Netz gestellt, und über digitale Netzwerke verbreitet. Die Absicht ist klar: Skandalisierung.
Solches Skandalisieren ist inzwischen längst auch in den selbsternannten Qualitäts-Medien en vogue. Meist läuft es so: Der »Spiegel« legt vor und alle legen nach. So war bei Lars von Trier in Cannes, so war es auch diesmal: entweder
vermeintlich Neofaschistisches oder Frauenfeindliches. Vielleicht noch was gegen Naturschutz oder gegen Tiere. Das sind die »Stöckchen« (Angela Merkel) über die dann alle springen. Spiegel-Online am Sonntag, FAZ und Süddeutsche am Montagmorgen.
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Nun fordern manche, die Hollywood Academy sollte Brando und Bertolucci ihre Oscars aberkennen. Es ist erst einmal im Argumentationsgang bemerkenswert. Aber wieder lösen sich in diesen Debatten die Grenzen zwischen Kunst und Leben, zwischen einem Werk und seinen Machern auf, nur ganz anders, in entgegengesetzter Richtung, als um 1968 – unter den Vorzeichen einer starken, in jeder Ecke neue Tabus errichtenden »Politischen Correctness«. So haben die 68er in einer merkwürdigen Umdrehung der Verhältnisse tatsächlich gesiegt.
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Aber man muss fragen: Wird ein Kunstwerk, ein Film schlechter, weil einem dessen Macher unsympathisch sind, oder moralisch und politisch suspekt. Sind Céline, Jünger und Eisenstein schlechte Künstler, weil sie mit Diktaturen sympathisierten? Dann könnte man ganze Galerien und Museen schließen, Werkausgaben und Filmfestivals die Förderung entziehen. »Zensur findet nicht statt« steht aber im Grundgesetz (Art.5).
Wenn wir diesen Grundsatz, dass die Kunst frei ist und frei
bleiben muss, ernst nehmen, sollten wir das Moralisieren über die Werke einfach bleiben lassen.
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Gegenüber der Ungnade, die Bertolucci trifft, ist die Gnade für Werner Herzog erstaunlich. Denn er hat etwas gemacht, was für einen Künstler wirklich schlimm ist: Schlechte Kunst. Nein, eigentlich hundsmiserable.
Und was passiert: Neben angemessenen Verrissen finden alle möglichen Autoren, die sonst gern den strengen Mann geben, und bei Brian De Palma oder Denis Villeneuve keineswegs besonders gnädig sind, plötzlich Gründe, Herzog zu verteidigen. Nichts leichter, als
das.
»Sterbenslangweilig« findet es Peter Körte in der FAS, »über die hölzernen Dialoge und über das sparsame Spiel von Veronica Ferres in Werner Herzogs neuem Film Salt and Fire zu spotten.« Mag sein. Aber vielleicht auch einfach angemessen.
Muss man nur, um sich weniger zu langweilen (um die Leser geht es ja offenbar nicht) sich einen abbrechen – »Salt and Fire ist ein Thriller. Wer einen Thriller wie alle anderen erwartet, wird enttäuscht sein; wer Herzog schätzt, wäre enttäuscht, wenn es ein Thriller wie alle anderen wäre« – und Gründe herbeilabern, um dem Film noch was Gutes abzugewinnen: Die Natur werde »vom Schauplatz zum Hauptdarsteller ... Sollte es Aliens geben, würden sie vermutlich hier landen, sollte es sich bei
ihnen um intelligentes Leben handeln, ließen sie sich sicher, wie es in der Schlusssequenz des Films versucht wird, von einer Magnumflasche Champagner anlocken. Die Menschen, die da in der Wüste herumstehen, würden ihnen vermutlich gar nicht weiter auffallen.« Das ist sehr schön geschrieben. Aber warum kann man nicht nochmal kurz hinterherschreiben, dass Herzog mit diesem Film wirklich jedes Wohlwollen und jede Toleranzgrenze gesprengt hat?
Genereller gefragt: Gibt es neben
der Kür nicht für jeden Filmkritiker auch eine Pflicht?
Natürlich: Wenn Körte den Film jetzt ernsthaft toll fände, müsste er das schreiben, und das wäre ein wirklich spannender Text. Tut er aber glaube ich nicht. Er möchte nur nicht das machen, was alle machen. Verständlich, sympathisch, aber am falschen Objekt demonstriert.
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Viel schlimmer aber Ekkehard Knörer bei »critic.de«. Ziemlich früh steht da: »Südamerika benimmt sich, auch weiterhin, sehr südamerikanisch. ... ein Südamerika der philosophischen Meditation, der strahlenden Wüste, von Salz und Feuer und Uturuncu-Vulkan. Egal, ob da ein Hinauswollen ist – allemal ist da ein Hinausgehen, ein Hinausrasen, hinaus aus dem Plot, hinaus aus allen realen geografischen und politischen Daten, ein Hinauseilen, eine horrende
Zentrifugalität, die alles zerreißt, was Thriller wäre und Forschermission. Und dann ist plötzlich eine himmlische oder höllische Ruhe.«
Ein Beispiel für die alte Einsicht, dass gut schreiben nicht genügt, man sollte schon etwas zu sagen haben. Immerhin: Die Ferres mag der Knörer nicht im Gegensatz zum Herzog. »Die Kamera, der Herzogfilm zeigen sich an diesem blonden Körper, dem Körper von Veronica Ferres sehr interessiert. Veronica Ferres zeigt der Kamera und dem Herzogfilm, was
sie kann. Das ist ziemlich erbärmlich. Es ist zitternde, bebende deutsche Fernsehschauspielerei.«
Dann aber »Freilich sind da auch Dialoge, die kann man kaum würdevoll sprechen. Was im Umkehrschluss heißt, dass der Film nicht auf Würde hinauswill.« Würde Knörer sowas auch über viele andere deutsche Regisseure schreiben, jenseits der Berliner Schule und des alten Jungfilmer wie Herzog?
Würde er nicht, behaupte ich.
Im Ästhetischen, im Unterschied zum Juristischen, gilt
aber keine Unschuldsvermutung. Schon gar nicht für Werner Herzog. Der nimmt nur gern die Pose des naiven Narren ein, hat es aber faustdick hinter den Ohren.
(to be continued)