33. Filmfest München 2016
Filmen in Anführungszeichen |
||
Es schärft sich der Blick für die Frage, wann hier eigentlich jemand nicht »in character« ist. |
Von Dennis Vetter
»Acting, working with actors: for me it’s chemistry. Understanding the world and understanding human beings.« – Werner Herzog
Der Schauspieler Arthur Martinez spielt einen Amateur-Schauspieler namens »Arthur Martinez«. Ein gutherziger, etwas resignierter, hin und wieder abgebrühter Kerl ist dieser »Arthur«. In vielen Filmen, in vielen Rollen, hat er einiges gesehen. Der würde doch einen hervorragenden Antihelden für einen Indiefilm abgeben!
Mit »Mike« und »Nathan« scheint er auch bereits zwei taugliche Indieregisseure zu kennen. Man setzt sich zusammen und irgendwie kann man ganz gut reden. Die Frage könnte beim Zusammentreffen von Kreativen natürlich lauten, was es dieses Mal eigentlich noch zu erzählen gilt. Gestellt wird sie aber nie so recht, man kann ja auch erst einmal herumprobieren. In der Tat scheint sich hier kaum jemand tatsächlich für eine Geschichte zu interessieren, vielmehr geht es um den Fortschritt eines Projekts. Wir sehen in der folgenden Stunde einen fortlaufenden, verwinkelten Fluss, ein nie endendes, aufreibendes Work-in-Progress. Vielleicht genügt es ja, das scheint eine wichtige Überlegung dieses Films zu sein, etwas einfach auf schlaue Art zu betrachten. Denn es gibt viele Rezepte für das Kino. Der Gestus ist am Ende das wichtige! Die Essenz! Vielleicht wird das ein Dokumentarfilm, oder ein realistischer Spielfilm, oder eine Mischform aus beidem?
Warum nicht den Entstehungsprozess eines Films filmen, wenn man schon einmal dabei ist einen zu machen? »The Making of Actor Martinez«, das wäre vielleicht ein helfender Titel für den neuen Film von Mike Ott und Nathan Silver. Actor Martinez ist ein Film, in dem sich Standardsituationen des unabhängigen Filmemachens aneinander reihen und von den Figuren reflektiert werden. In diesem Nachdenken über einen möglichen Film, der allem Anschein nach scheitern wird, entfaltet sich das Geschehen vor allem als soziale Dynamik. Ständig wird darüber geredet, was passiert. Jeder der vier ProtagonistInnen spielt sich selbst, gibt eine Variante. Die »Regisseure« sitzen abends zusammen am Set, trinken und diskutieren mit den »Schauspielern« über Arbeitsweisen und die Auffälligkeiten des Tages. Man versucht, empathisch miteinander zu sein, wenn man schon nicht viel für das Projekt bezahlen kann. Doch gerade ohne Budget, da kennt das Kunsthandwerk oft keine Hemmung. Es ist Vorsicht angebracht, damit niemand über seine Grenzen geht und sich als Privatmensch zu sehr verausgabt. Man braucht vielleicht manchmal eine Rolle, denn sie kann durch klare Grenzen einen Schutzraum vor der Übergriffigkeit der Kunst bieten.
Actor Martinez untersucht also eine »Filmcrew« auf der Suche nach einem funktionierenden Stoff und »Schauspieler« auf der Suche nach einer funktionierenden Arbeitsethik. Dieser »Arthur Martinez«, über dessen Qualifikation als Schauspieler wir nur nach und nach etwas erahnen, scheint dabei gleichermaßen auch als Produzent seiner eigenen Geschichte aufzutreten. Er ist ein bisschen eitel, könnte man sagen. Er tauscht sich mit den »Regisseuren« aus, wer denn nun seine »Geliebte« spielen wird und es wird beim Casting vorsichtig abgewogen, mit wem er eine Trennungsgeschichte denn wohl genauso glaubhaft erleben kann, wie sie sich mit seiner Exfrau tatsächlich zugetragen hat. Die zwei »Filmemacher« wollen mit ihm den Film zu Ende bringen, angeblich weil sie ihn als Schauspieler toll finden. Dass das Arbeit bedeuten könnte, müssen sie noch verstehen lernen, denn sie sind nicht nur unerfahren, sondern auch ignorant. Eine Kamera auf etwas zu richten, scheint sie in einer unbeholfenen Sicherheit zu wiegen. Trotz allem: Eine »Schauspielerin« namens Lindsay (Lindsay Burdge) kann für das Projekt gewonnen werden. Die Chemie stimmt für eine Weile und dann entgleist alles zunehmend. Weil Etwas auszudrücken eben ein Prozess ist und Sorgfalt braucht.
Sorgfalt braucht hier auch das Zusehen: Persönliche Begegnungen, inszenierte Szenen und Filmdreh-Situationen verschwimmen mit zunehmender Regelmäßigkeit. Wann eine Figur sich gerade inszeniert oder preisgibt, das ist bald extrem schwer zu erspüren. Einmal soll »Arthur« mit »Lindsay« eine Sexszene spielen. Das geht ihr zu weit. Ein Moment, der unangenehm ist und ein Wendepunkt, bei dem plötzlich die »Regisseure« in ihrem Dilettantismus zum Fokus des Kamerablicks werden. Gleichermaßen erscheinen die »Menschen« hinter den »Schauspielern«. Und doch bleiben sie allesamt Figuren. Vorstellungen des Privaten werden zum Material, zum Anschauungsgegenstand und gleichermaßen zur Strategie der Täuschung. Alles was hier zwischen den Figuren »tatsächlich« und »intim« wirkt, ist vermutlich am sorgfältigsten inszeniert.
Im Grunde ist es der Sinn für das Reale selbst, der in Otts und Silvers Film zum Protagonisten wird. Die beiden »Regisseure« versuchen sich daran, die Schutzreflexe einer Filmproduktion über den Haufen zu werfen und einen Prozess des Inszenierens so persönlich, selbstreflexiv und authentisch zu gestalten, dass ihre »Schauspieler sich in deren Rollen völlig preisgeben. Woran es diesen respektlosen Jungs mangelt, ist neben sozialem Feinsinn der Respekt und das Gespür für Grenzen. Und bald beobachten wir, wie alle Beteiligten von der mangelnden Feinfühligkeit eines Prozesses aufgerieben werden. Es schärft sich der Blick für die Frage, wann hier eigentlich jemand nicht ›in character‹ ist.«
Das Kino mit seinen Kadragen, Montagen und den sich daraus ergebenden Begrenzungen wird hier zum Bild des sich selbst Inszenierens, im Privaten wie im Öffentlichen. Wir können im Bild nur das glauben, was wir sehen. Ebenso wie wir im Sprechen und Umgehen mit Menschen auf die Hoffnung vertrauen müssen, dass unser Gegenüber ein Verständnis von Wahrheit, eine Haltung zur Wahrheit, eine Ethik der Wahrheit besitzt. Aus den Fugen gerät die Welt dann, wenn wir erkennen, dass wir weder über Bilder, noch über Worte und deren Limitationen letztlich eine vollständige Kontrolle besitzen. Und damit schon gar nicht über die Wahrheit. Was bleibt, ist die Hoffnung auf die anhaltende Verteidigung von Feinsinn und Empathie.
+ + +