01.07.2016
33. Filmfest München 2016

Deutsch und deutlich

Unter­wä­schelügen
Das Münchner Gefühl: Sich durchs Leben schnorren, weil’s sonst nicht fürs Leben reicht
(Foto: Unter­wä­schelügen)

Unterwäschelügen von Klaus Lemke auf dem 34. Filmfest München

Von Dennis Vetter

Man könnte beinahe meinen, Klaus Lemkes neuer Film Unter­wä­schelügen fühlt sich rastlos an. Dafür ist er aber zu leicht. Wenn man kein Gewicht hat, ist es offen­sicht­lich, dass man ohne große Mühe in Bewegung bleibt. Ist der Film aber egal? Oder gleich­gültig? Vor allem setzt er sich über solche Kate­go­rien hinweg. Es gibt solche Leute, die man argu­men­tativ nicht so recht in den Griff bekommt. Unter anderem in der Politik, vor allem aber auch im Kunst­be­trieb. Nun ja, ganz so schlimm ist es hier dann aber auch nicht. Zumindest aber so: Was auch immer Henning, der Prot­ago­nist des Films, an den Kopf geschmissen bekommt und anderen an den Kopf schmeißt, es scheint niemanden so recht aus der Bahn zu werfen. Das einzige Gefühl scheint in diesem Kerl ein Welt­ge­fühl zu sein, irgendwie und mit allen Ausreden zele­briert, während die Stadt beim ziellosen Gehen an ihm vorbei­zieht, oder vielmehr: er an ihr. Eine Liebes­ge­schichte zwischen Häusern und ein pene­trantes Universum in fünf Fragen:

»Erstens: Wer will ich sein? Zweitens: Was will ich machen? Drittens: Wer will mit mir spielen? Viertens: Warum will ich mich umbringen? Und fünftens: Wieso will ich Henning immer einen blasen?«

Es gibt unzählige Schnapp­schüsse zu Beginn, wenn Henning durch die Stadt geht und sich hier und da nach Gele­gen­heiten umsieht, etwas mitzu­nehmen. Jeder Tisch entlang des Gehwegs zieht seine Aufmerk­sam­keit. Nimm alles, was du kriegen kannst und bleib nur nicht stehen! Während er zwei Mädels foto­gra­fiert, stiehlt er einem Bonzen einmal den Geld­beutel. Den Film wolle er entwi­ckeln gehn, behauptet er. Das klingt genauso abge­dro­schen wie die Geschichte vom Kippen­holen, aber die nehmen es ihm irgendwie ab. Charme! Um die Ecke reißt er, noch immer charmant, das Geknipste aus der Kamera und wirft es auf die Straße. Die Bilder waren nie dafür bestimmt, dass jemand sie sieht. Es reichte, sie aus einem Grund zu machen, irgend­einem Grund, für einen Moment waren sie ein Mittel der Ablenkung und jeder hat sich auf sie einge­lassen. Viel­leicht noch nicht einmal das. Dass dabei dieses Mal auch noch Geld rumkam, das war aller­dings ein netter Neben­ef­fekt. Die Miete zahlt sich schließ­lich nicht mit Gefäl­lig­keiten. Oder doch? In jedem Fall ist sie im voraus fällig, man soll sich ja gefäl­ligst überlegen, was man tut. Da spielt Henning nicht mit.

Später, als es um Geld geht, ist da ein Moment, als ich einen Bekannten als verrückten Kurator im Film auftau­chen sehe. Das lässt schon wieder ganz andere Fragen hoch kommen, auch zu Kontexten, wo man sich zuvor begegnete. Übrigens habe ich mit diesem Klaus Lemke noch kaum Erfah­rungen gemacht. Im Gespräch am Telefon war er ein cooler Typ, mit flotten und entschlos­senen Sprüchen – und zwar vielen davon. »Endlich macht mal wieder jemand Stress«, das (oder etwas Ähnliches) sagt er über unseren Plan, in Berlin eine Woche der Kritik zu machen. Gegen das Estab­lish­ment, so ist es richtig! Seinen Film zeigt er dann als Welt­pre­miere in München. Und wenn man ihn sieht, den Film, dann macht das natürlich auch sehr viel Sinn. Sogar das Festival selbst hat seinen Auftritt. Henning flirtet zotig mit einer Mode­ra­torin und kommen­tiert dann ihre Filman­kün­di­gung mit großen Worten, Tätsche­leien und Küssen: »Das hast du richtig gut gemacht, Baby, nein ehrlich! So gut! Du redest deutsch und deutlich, das kann fast keiner! Du bist großartig, ich liebe dich! Superstar!«

Und was ist eigent­lich mit Mela und Leila, mit denen dieser Henning in einer Zweck­ge­mein­schaft lebt? Die spielen auch nicht mit im System. Mela ist Künst­lerin und Leila eine neuro­ti­sche Rumtrei­berin, die jeden Tag mit einem andern ins Bett steigt. Das ist hier natürlich alles toll und geil und sexy und witzig. Wenn übrigens niemand jemals nach irgend­wel­chen Regeln spielt, verliert man sich aus den Augen, sogar hier. Das ist viel­leicht ein Dilemma der Freien, dass man mitein­ander, oder – noch schlimmer – ohne einander verpufft in dieser Tristesse der Städte. Im Fall der Filmbande hier gilt es einfach, sich durch alle Draht­seil­akte hindurch mit dem größt­mög­li­chen Spaß unbe­schä­digt davon­zu­stehlen. So ziehen auch die Bilder dieses Lemke­films an einem vorbei: unbe­schä­digt. Im richtigen Moment, mit Gespür für das Momentane und Uner­probte im Schau­spiel geschossen und immer dann zerschnitten, wenn ein Aufblitzen grade am Schönsten ist. Selbst das Vögeln darf hier nicht dauern. Das ist fast schon genuss­feind­lich.

Man weiß gar nicht, wo man den Film jetzt anpacken oder angreifen oder loben möchte, weil er ständig schon wieder weiter­ge­laufen ist. Da drin ist nichts für den Schmuck­kasten: Kein Staunen, kein Inne­halten, und wider­sprüch­li­ches Nach­denken. Aber so ist das nun mal. Wenn etwas nicht rund ist, dann schleift es sich halt durch die Welt. Voran kommt man trotzdem. Es gibt hier und da mal ein Luftholen nach einem Spurt oder das Aufkeimen eines Wett­ei­ferns, ein Sondieren der nächsten Spinnerei. Eine Geste, wenn sie einem nützt, oder jemanden zum Lachen bringt. Oder man erklärt sich mal eben den nächsten groß­ar­tigen Plan, der dann nicht immer einge­halten wird. Eben­so­wenig wie die damit verbun­denen Hoff­nungen. Sind diese Menschen aber enttäuscht? Im wört­li­chen Sinne viel­leicht, denn Illu­sionen scheint hier tatsäch­lich niemand zu haben. Nicht über die eigenen Abhän­gig­keiten, selbst nicht über Hass, der einen hier einfach ebenso verbindet wie Liebe: als verwe­genes Gefühl.

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UNTERWÄSCHELÜGEN · R: Klaus Lemke · D 2016 · 81 min.
Wdh. am Sa. 02.07. 20:00 Uhr, Münchner Freiheit 1
Nach dem Film: Q&A mit Regisseur Klaus Lemke