33. Filmfest München 2016
Deutsch und deutlich |
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Das Münchner Gefühl: Sich durchs Leben schnorren, weil’s sonst nicht fürs Leben reicht | ||
(Foto: Unterwäschelügen) |
Von Dennis Vetter
Man könnte beinahe meinen, Klaus Lemkes neuer Film Unterwäschelügen fühlt sich rastlos an. Dafür ist er aber zu leicht. Wenn man kein Gewicht hat, ist es offensichtlich, dass man ohne große Mühe in Bewegung bleibt. Ist der Film aber egal? Oder gleichgültig? Vor allem setzt er sich über solche Kategorien hinweg. Es gibt solche Leute, die man argumentativ nicht so recht in den Griff bekommt. Unter anderem in der Politik, vor allem aber auch im Kunstbetrieb. Nun ja, ganz so schlimm ist es hier dann aber auch nicht. Zumindest aber so: Was auch immer Henning, der Protagonist des Films, an den Kopf geschmissen bekommt und anderen an den Kopf schmeißt, es scheint niemanden so recht aus der Bahn zu werfen. Das einzige Gefühl scheint in diesem Kerl ein Weltgefühl zu sein, irgendwie und mit allen Ausreden zelebriert, während die Stadt beim ziellosen Gehen an ihm vorbeizieht, oder vielmehr: er an ihr. Eine Liebesgeschichte zwischen Häusern und ein penetrantes Universum in fünf Fragen:
»Erstens: Wer will ich sein? Zweitens: Was will ich machen? Drittens: Wer will mit mir spielen? Viertens: Warum will ich mich umbringen? Und fünftens: Wieso will ich Henning immer einen blasen?«
Es gibt unzählige Schnappschüsse zu Beginn, wenn Henning durch die Stadt geht und sich hier und da nach Gelegenheiten umsieht, etwas mitzunehmen. Jeder Tisch entlang des Gehwegs zieht seine Aufmerksamkeit. Nimm alles, was du kriegen kannst und bleib nur nicht stehen! Während er zwei Mädels fotografiert, stiehlt er einem Bonzen einmal den Geldbeutel. Den Film wolle er entwickeln gehn, behauptet er. Das klingt genauso abgedroschen wie die Geschichte vom Kippenholen, aber die nehmen es ihm irgendwie ab. Charme! Um die Ecke reißt er, noch immer charmant, das Geknipste aus der Kamera und wirft es auf die Straße. Die Bilder waren nie dafür bestimmt, dass jemand sie sieht. Es reichte, sie aus einem Grund zu machen, irgendeinem Grund, für einen Moment waren sie ein Mittel der Ablenkung und jeder hat sich auf sie eingelassen. Vielleicht noch nicht einmal das. Dass dabei dieses Mal auch noch Geld rumkam, das war allerdings ein netter Nebeneffekt. Die Miete zahlt sich schließlich nicht mit Gefälligkeiten. Oder doch? In jedem Fall ist sie im voraus fällig, man soll sich ja gefälligst überlegen, was man tut. Da spielt Henning nicht mit.
Später, als es um Geld geht, ist da ein Moment, als ich einen Bekannten als verrückten Kurator im Film auftauchen sehe. Das lässt schon wieder ganz andere Fragen hoch kommen, auch zu Kontexten, wo man sich zuvor begegnete. Übrigens habe ich mit diesem Klaus Lemke noch kaum Erfahrungen gemacht. Im Gespräch am Telefon war er ein cooler Typ, mit flotten und entschlossenen Sprüchen – und zwar vielen davon. »Endlich macht mal wieder jemand Stress«, das (oder etwas Ähnliches) sagt er über unseren Plan, in Berlin eine Woche der Kritik zu machen. Gegen das Establishment, so ist es richtig! Seinen Film zeigt er dann als Weltpremiere in München. Und wenn man ihn sieht, den Film, dann macht das natürlich auch sehr viel Sinn. Sogar das Festival selbst hat seinen Auftritt. Henning flirtet zotig mit einer Moderatorin und kommentiert dann ihre Filmankündigung mit großen Worten, Tätscheleien und Küssen: »Das hast du richtig gut gemacht, Baby, nein ehrlich! So gut! Du redest deutsch und deutlich, das kann fast keiner! Du bist großartig, ich liebe dich! Superstar!«
Und was ist eigentlich mit Mela und Leila, mit denen dieser Henning in einer Zweckgemeinschaft lebt? Die spielen auch nicht mit im System. Mela ist Künstlerin und Leila eine neurotische Rumtreiberin, die jeden Tag mit einem andern ins Bett steigt. Das ist hier natürlich alles toll und geil und sexy und witzig. Wenn übrigens niemand jemals nach irgendwelchen Regeln spielt, verliert man sich aus den Augen, sogar hier. Das ist vielleicht ein Dilemma der Freien, dass man miteinander, oder – noch schlimmer – ohne einander verpufft in dieser Tristesse der Städte. Im Fall der Filmbande hier gilt es einfach, sich durch alle Drahtseilakte hindurch mit dem größtmöglichen Spaß unbeschädigt davonzustehlen. So ziehen auch die Bilder dieses Lemkefilms an einem vorbei: unbeschädigt. Im richtigen Moment, mit Gespür für das Momentane und Unerprobte im Schauspiel geschossen und immer dann zerschnitten, wenn ein Aufblitzen grade am Schönsten ist. Selbst das Vögeln darf hier nicht dauern. Das ist fast schon genussfeindlich.
Man weiß gar nicht, wo man den Film jetzt anpacken oder angreifen oder loben möchte, weil er ständig schon wieder weitergelaufen ist. Da drin ist nichts für den Schmuckkasten: Kein Staunen, kein Innehalten, und widersprüchliches Nachdenken. Aber so ist das nun mal. Wenn etwas nicht rund ist, dann schleift es sich halt durch die Welt. Voran kommt man trotzdem. Es gibt hier und da mal ein Luftholen nach einem Spurt oder das Aufkeimen eines Wetteiferns, ein Sondieren der nächsten Spinnerei. Eine Geste, wenn sie einem nützt, oder jemanden zum Lachen bringt. Oder man erklärt sich mal eben den nächsten großartigen Plan, der dann nicht immer eingehalten wird. Ebensowenig wie die damit verbundenen Hoffnungen. Sind diese Menschen aber enttäuscht? Im wörtlichen Sinne vielleicht, denn Illusionen scheint hier tatsächlich niemand zu haben. Nicht über die eigenen Abhängigkeiten, selbst nicht über Hass, der einen hier einfach ebenso verbindet wie Liebe: als verwegenes Gefühl.
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