26.06.2016
33. Filmfest München 2016

Zeigen, was man liebt

beischlafdiebin
Christian Petzolds Die Beischlafdiebin: meisterliches Kriminalstück und Kammerspiel, zu sehen in der Retro
(Foto: Schramm Film)

Zeigen, was man liebt – Münchner Gruppe, Berliner Schule, Lemke & Petzold: »Leidenschaft«, das Motto des Filmfests, filmpolitisch gedeutet

Von Dunja Bialas

Münchner Gruppe, Berliner Schule, Lemke & Petzold: »Leiden­schaft«, das Motto des Filmfests, könnte auch ein Aufruf zu einem anderen Filme­ma­chen sein

Seit vor fünf Jahren Diana Iljine die Festi­val­lei­tung übernahm, gibt es nicht nur wieder Plakate mit Bild­mo­tiven (die der eventuell protes­tan­ti­sche Andreas Ströhl abge­schafft hatte), sondern auch, wie in der Ära Eberhard Hauff, ein Motto. Es soll die gemein­same Perspek­tive der Programmer verraten und den Trend, an dem sich alles ablesen lässt. Vor drei Jahren waren es die »starken Frauen, starken Filme«, was unbe­ab­sich­tigt, aber hell­sichtig, die Gründung von Pro Quote Regie im Jahr drauf vorweg­nahm.

Dieses Jahr (ver)heißt das Motto »Leiden­schaften«. Das klingt zunächst sehr harmlos und klischee­haft. Man kann es aber auch im starken Sinne, womöglich gegen die Festi­val­in­ten­tion, deuten: Leiden­schaft ist dann eine (noch einzu­lö­sende) Forderung an die Filme und das Filme­ma­chen, ist Hedo­nismus pur. Ein Hedo­nismus, der Leiden­schaft vor Kalkül stellt, der Intuition und nicht Umfragen vertraut, der Emotion will statt Ratio(n). Politisch gedeutet, stellt sich das Motto gegen die Novel­lie­rung des Film­för­de­rungs­ge­setzes, das verstärkt auf die Wirt­schafts­in­ter­essen abhebt und die Kreativen aus den Verga­be­gre­mien verdrängen soll (Diskus­sion am Montag im Baye­ri­schen Landtag in einer Veran­stal­tung des Bundes­ver­bands Regie mit den Grünen).

Münchner Aufbruch im Kleinen Bungalow

Zeigen, was man liebt: die Frauen, die Autos, die Jungs, die Kneipen, die Flip­per­au­to­maten, die Suche nach Geld. Das waren für die »Münchner Gruppe« in den 60er und 70er Jahren Anker­punkte ihrer Leiden­schaft, aus denen heraus sie Filme machte, und mit denen sie sich gegen die Abkehr vom deutschen Genrekino stellte, gegen die Intel­lek­tu­ellen des Ober­hau­sener Manifests antrat (die im übrigen mehr­heit­lich auch aus München kamen, die Filme der »Münchner Gruppe« jedoch als unpo­li­tisch ausgrenzten). Rudolf Thome, Max Zihlmann, Klaus Lemke, Werner Enke, Martin Müller und die erste Regis­seurin der Bundes­re­pu­blik überhaupt, May Spils zogen aus, um dem deutschen Film das Lebens­ge­fühl einer jungen Gene­ra­tion zu geben, die sich nicht mehr von Papas Kino abgrenzen musste, weil es für sie keine Rolle mehr spielte, die fran­zö­si­sche Nouvelle Vague vor Augen. Sie machte Filme um jeden Preis – ungefähr zur Zeit, als die Film­för­de­rungs­an­stalt gegründet wurde, um das konven­tio­nelle Film­schaffen in Deutsch­land zu sichern, entgegen Ober­hausen, entgegen München. Klaus Lemke forderte – Jahr­zehnte später, in Reaktion auf ein immer normier­teres Filme­ma­chen – in seinem »Hamburger Manifest« (2010) den Rückzug des staat­li­chen Eingriffs in die Kreation:

»Ich fordere Inno­va­tion statt Subven­tion. Ich fordere das Ende jedweder Film­för­de­rung aus Steu­er­mit­teln. Der Staat soll seine Griffeln aus dem Film endlich wieder raus­nehmen. (…) Wir bauen die schönsten Autos. Wir haben die schönsten Frauen. Aber unsere Filme sind wie Grab­steine. Brav. Banal. Begü­ti­gend. Goethe­institut. Aber Film ist keine ausster­bende Tierart. Film ist auch kein Intel­li­genz­be­schleu­niger. Film muss noch nicht mal gut sein. Film muss nur wirken.«

Zeigen, was man liebt, das ist auch der Titel der Doku­men­ta­tion von Frank Göhre, Borwin Richter und Torsten Stegmann, die die Erin­ne­rungen von Iris Berben, Klaus Lemke, Werner Enke, May Spils und Rudolf Thome einge­sam­melt haben. Erin­ne­rungen an ein München im Aufbruch, an das Kino­ma­chen in Schwabing, das zwischen dem »Kleinen Bungalow« und dem Türken­dolch-Kino stattfand, mit vielen irren Ideen, hübschen Mädchen, coolen Jungs, nicht geschrie­benen Dreh­büchern, mit der Alexandra-Film­pro­duk­tion und der Unter­s­tüt­zung von intel­lek­tu­ellen Filmerneue­rern wie Jean-Marie Straub und Peter Nestler.

Berliner Bolzplatz

Der Film ist ein Blick in die Vergan­gen­heit, der auch wehmütig stimmen kann, der aber nicht vergessen lässt, dass es auch andern­orts, immer wieder, Aufbruch und Erneue­rung gab und gibt. Der Berliner Christian Petzold erzählt gerade in der »tatsäch­lich volls­tän­digen« Retro­spek­tive seiner Filme (wie Robert Fischer im ersten Gespräch mit Petzold heraus­fand), wie für ihn der Aufbruch und das Filme­ma­chen war. Petzold kam vom geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Germa­nistik- und Thea­ter­wis­sen­schafts-Studium an die dffb, in die Klasse von Harun Farocki, war in der Konzept­filmer-Gruppe, die das Seminar ausein­an­der­nahm. Bei Farocki hatte er es als Akade­miker, die dieser grund­sätz­lich nicht mochte, erst einmal schwer, nach einem Seminar-Nach­mittag auf dem Bolzplatz, wo Petzold ein entschei­dendes Tor schoss, begann dann aber die prägende Freund­schaft und Zusam­men­ar­beit mit Farocki, erinnert sich Petzold. Und wieso er vor allem »Frau­en­filme« macht, Filme, in deren Mittel­punkt Frauen-Paarungen stehen, oder einfach nur Nina Hoss, die eine Frau in Petzolds Filmen: »Zwei müssen was Drittes hervor­bringen, das war die erzäh­le­ri­sche Kraft. Mit Nina Hoss wurde mir klar: auch nur eine Frau kann was Drittes hervor­bringen.« Warum es die Frauen bei Petzold wurden, erklärt er mit einem (unve­ri­fi­zier­baren) Zitat von Claude Chabrol: »Männer leben, Frauen überleben.« Deshalb waren Frauen für ihn schon immer die inter­es­san­teren Figuren, was zuletzt in Phoenix großartig nach­voll­zogen werden kann. Hier gibt es in der Neben­ge­schichte auch eine Frauen-Paarung: die beiden »Ninas«, Nina Hoss und Nina Kunzen­dorf. Deren Geschichte, die Freun­dinnen Nelly und Lene, die gemeinsam den Krieg durch­standen haben und in der Nach­kriegs­zeit ums Überleben kämpfen, könnte bereits in einer der Kurz­ge­schichten angelegt sein, die Petzold zum Auftakt der Retro­spek­tive zeigte: Beischlaf­die­binnen, Abge­brannte, die ein anderes Leben wollen, Anarchie & Leiden­schaft.

Die Berliner Schule, Christian Petzold, Thomas Arslan, der anti-intel­lek­tu­elle Analy­tiker Farocki, Angela Schanelec, haben, wenn auch ganz anders, fort­ge­führt, womit die Münchner Gruppe begonnen hatte, viel­leicht mehr als das, was die »Ober­hau­sener« wollten. Maren Ade, daran sei erinnert, kam von der Münchner HFF mit dem Starter Filmpreis der Stadt für Der Wald vor lauter Bäumen nach Berlin, zur zweiten Gene­ra­tion der Berliner Schule. Ihr Toni Erdmann eröffnete jetzt das Filmfest und markiert hoffent­lich den Auftakt für eine neue Film-Leiden­schaft, in der man nicht nur zeigt, was man liebt, sondern sich auch traut, was immer man will.

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ZEIGEN WAS MAN LIEBT, R: Frank Göhre, Borwin Richter, Torsten Stegmann
Mo. 27.06. 17:30 Uhr, HFF Kino 1, mit Q&A mit den Regis­seuren
Di. 28.06. 21:30 Uhr, HFF Kino 2, mit Q&A mit den Regis­seuren
Mi. 29.06. 19:30 Uhr, City 3

PILOTINNEN (1995), R: Christian Petzold
Mo. 27.06. 17:30 Uhr, Film­mu­seum München

CUBA LIBRE (1996)
Di. 28.6. 22:30 Uhr, Film­mu­seum München

DIE BESCHLAFDIEBIN (1998)
Mi. 29.06. 17:30 Uhr, Film­mu­seum München