33. Filmfest München 2016
Zeigen, was man liebt |
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Christian Petzolds Die Beischlafdiebin: meisterliches Kriminalstück und Kammerspiel, zu sehen in der Retro | ||
(Foto: Schramm Film) |
Von Dunja Bialas
Seit vor fünf Jahren Diana Iljine die Festivalleitung übernahm, gibt es nicht nur wieder Plakate mit Bildmotiven (die der eventuell protestantische Andreas Ströhl abgeschafft hatte), sondern auch, wie in der Ära Eberhard Hauff, ein Motto. Es soll die gemeinsame Perspektive der Programmer verraten und den Trend, an dem sich alles ablesen lässt. Vor drei Jahren waren es die »starken Frauen, starken Filme«, was unbeabsichtigt, aber hellsichtig, die Gründung von Pro Quote Regie im Jahr drauf vorwegnahm.
Dieses Jahr (ver)heißt das Motto »Leidenschaften«. Das klingt zunächst sehr harmlos und klischeehaft. Man kann es aber auch im starken Sinne, womöglich gegen die Festivalintention, deuten: Leidenschaft ist dann eine (noch einzulösende) Forderung an die Filme und das Filmemachen, ist Hedonismus pur. Ein Hedonismus, der Leidenschaft vor Kalkül stellt, der Intuition und nicht Umfragen vertraut, der Emotion will statt Ratio(n). Politisch gedeutet, stellt sich das Motto gegen die Novellierung des Filmförderungsgesetzes, das verstärkt auf die Wirtschaftsinteressen abhebt und die Kreativen aus den Vergabegremien verdrängen soll (Diskussion am Montag im Bayerischen Landtag in einer Veranstaltung des Bundesverbands Regie mit den Grünen).
Zeigen, was man liebt: die Frauen, die Autos, die Jungs, die Kneipen, die Flipperautomaten, die Suche nach Geld. Das waren für die »Münchner Gruppe« in den 60er und 70er Jahren Ankerpunkte ihrer Leidenschaft, aus denen heraus sie Filme machte, und mit denen sie sich gegen die Abkehr vom deutschen Genrekino stellte, gegen die Intellektuellen des Oberhausener Manifests antrat (die im übrigen mehrheitlich auch aus München kamen, die Filme der »Münchner Gruppe« jedoch als unpolitisch ausgrenzten). Rudolf Thome, Max Zihlmann, Klaus Lemke, Werner Enke, Martin Müller und die erste Regisseurin der Bundesrepublik überhaupt, May Spils zogen aus, um dem deutschen Film das Lebensgefühl einer jungen Generation zu geben, die sich nicht mehr von Papas Kino abgrenzen musste, weil es für sie keine Rolle mehr spielte, die französische Nouvelle Vague vor Augen. Sie machte Filme um jeden Preis – ungefähr zur Zeit, als die Filmförderungsanstalt gegründet wurde, um das konventionelle Filmschaffen in Deutschland zu sichern, entgegen Oberhausen, entgegen München. Klaus Lemke forderte – Jahrzehnte später, in Reaktion auf ein immer normierteres Filmemachen – in seinem »Hamburger Manifest« (2010) den Rückzug des staatlichen Eingriffs in die Kreation:
»Ich fordere Innovation statt Subvention. Ich fordere das Ende jedweder Filmförderung aus Steuermitteln. Der Staat soll seine Griffeln aus dem Film endlich wieder rausnehmen. (…) Wir bauen die schönsten Autos. Wir haben die schönsten Frauen. Aber unsere Filme sind wie Grabsteine. Brav. Banal. Begütigend. Goetheinstitut. Aber Film ist keine aussterbende Tierart. Film ist auch kein Intelligenzbeschleuniger. Film muss noch nicht mal gut sein. Film muss nur wirken.«
Zeigen, was man liebt, das ist auch der Titel der Dokumentation von Frank Göhre, Borwin Richter und Torsten Stegmann, die die Erinnerungen von Iris Berben, Klaus Lemke, Werner Enke, May Spils und Rudolf Thome eingesammelt haben. Erinnerungen an ein München im Aufbruch, an das Kinomachen in Schwabing, das zwischen dem »Kleinen Bungalow« und dem Türkendolch-Kino stattfand, mit vielen irren Ideen, hübschen Mädchen, coolen Jungs, nicht geschriebenen Drehbüchern, mit der Alexandra-Filmproduktion und der Unterstützung von intellektuellen Filmerneuerern wie Jean-Marie Straub und Peter Nestler.
Der Film ist ein Blick in die Vergangenheit, der auch wehmütig stimmen kann, der aber nicht vergessen lässt, dass es auch andernorts, immer wieder, Aufbruch und Erneuerung gab und gibt. Der Berliner Christian Petzold erzählt gerade in der »tatsächlich vollständigen« Retrospektive seiner Filme (wie Robert Fischer im ersten Gespräch mit Petzold herausfand), wie für ihn der Aufbruch und das Filmemachen war. Petzold kam vom geisteswissenschaftlichen Germanistik- und Theaterwissenschafts-Studium an die dffb, in die Klasse von Harun Farocki, war in der Konzeptfilmer-Gruppe, die das Seminar auseinandernahm. Bei Farocki hatte er es als Akademiker, die dieser grundsätzlich nicht mochte, erst einmal schwer, nach einem Seminar-Nachmittag auf dem Bolzplatz, wo Petzold ein entscheidendes Tor schoss, begann dann aber die prägende Freundschaft und Zusammenarbeit mit Farocki, erinnert sich Petzold. Und wieso er vor allem »Frauenfilme« macht, Filme, in deren Mittelpunkt Frauen-Paarungen stehen, oder einfach nur Nina Hoss, die eine Frau in Petzolds Filmen: »Zwei müssen was Drittes hervorbringen, das war die erzählerische Kraft. Mit Nina Hoss wurde mir klar: auch nur eine Frau kann was Drittes hervorbringen.« Warum es die Frauen bei Petzold wurden, erklärt er mit einem (unverifizierbaren) Zitat von Claude Chabrol: »Männer leben, Frauen überleben.« Deshalb waren Frauen für ihn schon immer die interessanteren Figuren, was zuletzt in Phoenix großartig nachvollzogen werden kann. Hier gibt es in der Nebengeschichte auch eine Frauen-Paarung: die beiden »Ninas«, Nina Hoss und Nina Kunzendorf. Deren Geschichte, die Freundinnen Nelly und Lene, die gemeinsam den Krieg durchstanden haben und in der Nachkriegszeit ums Überleben kämpfen, könnte bereits in einer der Kurzgeschichten angelegt sein, die Petzold zum Auftakt der Retrospektive zeigte: Beischlafdiebinnen, Abgebrannte, die ein anderes Leben wollen, Anarchie & Leidenschaft.
Die Berliner Schule, Christian Petzold, Thomas Arslan, der anti-intellektuelle Analytiker Farocki, Angela Schanelec, haben, wenn auch ganz anders, fortgeführt, womit die Münchner Gruppe begonnen hatte, vielleicht mehr als das, was die »Oberhausener« wollten. Maren Ade, daran sei erinnert, kam von der Münchner HFF mit dem Starter Filmpreis der Stadt für Der Wald vor lauter Bäumen nach Berlin, zur zweiten Generation der Berliner Schule. Ihr Toni Erdmann eröffnete jetzt das Filmfest und markiert hoffentlich den Auftakt für eine neue Film-Leidenschaft, in der man nicht nur zeigt, was man liebt, sondern sich auch traut, was immer man will.
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ZEIGEN WAS MAN LIEBT, R: Frank Göhre, Borwin Richter, Torsten Stegmann
Mo. 27.06. 17:30 Uhr, HFF Kino 1, mit Q&A mit den Regisseuren
Di. 28.06. 21:30 Uhr, HFF Kino 2, mit Q&A mit den Regisseuren
Mi. 29.06. 19:30 Uhr, City 3
PILOTINNEN (1995), R: Christian Petzold
Mo. 27.06. 17:30 Uhr, Filmmuseum München
CUBA LIBRE (1996)
Di. 28.6. 22:30 Uhr, Filmmuseum München
DIE BESCHLAFDIEBIN (1998)
Mi. 29.06. 17:30 Uhr, Filmmuseum München