73. Filmfestspiele von Venedig 2016
Herstory statt History |
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Jackie von Pablo Larraín mit Nathalie Portman ist ein ganz und gar amerikanischer Film | ||
(Foto: Tobis Film GmbH) |
In diesem Jahr gucke ich relativ viel im »Sala Grande« dem Galakino des Filmfestivals von Venedig. An keinem Ort kann man besser spüren, dass Venedig nicht Cannes ist, als hier. Auch wenn er vollbesetzt ist, sitzen nur ein paar hundert Leute im Saal. Der Raum ist schlecht beleuchtet, schlecht renoviert.
Am zweitbesten begreift man es im absurden Presseraum. Die Arbeitsverhältnisse sind hier fast so schlecht wie bei der Berlinale. Der Raum ist zwar ungleich größer, aber man
erlaubt Journalisten nicht, ihren eigenen Computer zu benutzen – denn da stehen ja die Computer des Sponsors.
Man muss solche Dinge den Festivals vorwerfen, denn sie sind es ja, die die Journalisten bei sich haben wollen. Die von ihnen Texte wollen. Die ihre Existenzberechtigung sofort verwirkt hätten, wenn keiner berichten würde. Die ihnen dann aber nicht bereit sind, ihnen angemessene Arbeitsbedingungen einzuräumen.
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Einmal saß ich ganz hinten im Sala Grande. Vielleicht lag es ja daran. Denn was dieser Blick aus der Ferne mit den Filmen macht, möchte man nicht wissen. Es lief Spira Merabilis, ein sonderbarer Episodenfilm im Wettbewerb, der schon mit den Sprüchen einer Schamanin losgeht. Von Anfang an impressionistisch, zeigt der Film Meeresforscher und Maschinen und Fischer, einen Marmorsteinbruch, Wald und Worte – Bäumefällen mit Blaufilter im Wald der Worte. Es wird immer esoterischer, und nach 45 Minuten ging die Massenabwanderung los. Bemerkenswert trotzdem für mich, dass viele Deutsche darunter waren. Ich auch.
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»In Jahrzehnten wird man sich an Sie erinnern. Sie sind wie eine Mutter für das ganze Land gewesen.« – Also sprach Robert Kennedy, US-Justizminister und Bruder des ermorden US-Präsidenten John F. Kennedy im November 1963, zumindest wenn man diesem Film glaubt: Er sagt das in diesem Film zu Jackie, Jacqueline Kennedy, der Präsidentenwitwe. Um sie geht es in Jackie, dem neuen Film des Chilenen Pablo Larraín (No!), der von Regisseur Darren Aronofsky produziert wurde, und ein komplett amerikanischer ist: Ein Hollywood-Melo, das, getragen von einer beeindruckenden Nathalie Portman in der Titelrolle (der man den Schauspielpreis schwer versagen kann), detailverliebt in Dokumentarszenen, inszenierten Dokumentarszenen, Vorblenden und Rückblenden, von den Tagen erzählt, die zwischen Kennedys Ermordung am 22.November und seiner Trauerfeier am 25. November ‘63 lagen.
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Im Zentrum steht die Frage, wer über die Trauerfeier entschied, die die Beerdigung Abraham Lincolns zum Vorbild nahm, über die Beisetzung und die entsprechende politische Symbolik. Es geht also um die Macht der Bilder und die Herrschaft über sie. Der Film zeigt eine Jackie Kennedy, die schwer getroffen ist und trotzdem kühl schon wenige Stunden nach dem Tod ihres Mannes damit beginnt, am Bild-Gedächtnis und Mythos von dessen Präsidentschaft zu arbeiten – gegen alle
Gegenkräfte.
Es geht aber natürlich auch um das Phänomen Jacqueline Kennedy, später »Jackie O.«
Ob dieses Bild der historischen Wahrheit entspricht, und Jackies Rolle gerecht wird – wer weiß? Eine gute Kinogeschichte ist es allemal – auch wenn Larraíns aufwendig gemachter Film nicht weniger manipulativ ist, als er es den US-Mächtigen unterstellt.
Präsentiert wird nur Herstory statt History.
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Warum nicht mal ad hominem? Der Chilene Pablo Larraín ist der Sackerlpicker der Geschichtsschreibung. Eines meiner österreichischen Lieblingsworte. Er hat in seinen Filmen immer reaktionäre, revisionistische politische Agenden. Er möchte Gott sein, die Geschichte umschreiben. Aber alle, nein: Viel zu viele gehen ihm auf den Leim. Die Lobeshymnen kann man sich schon jetzt ausmalen. Und Darren Aronofsky, der hat, folgt man seinen Filmen, Probleme mit oder sagen wir: Ein sonderbares Verhältnis zu Frauen.
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Jackie ist nicht schlecht, aber auch nicht super. Im Grunde ist der Film seicht, oberflächlich und wieder von Larraíns Wunsch getrieben, Gott zu spielen.
(to be continued)