08.09.2016
73. Filmfestspiele von Venedig 2016

Herstory statt History

Jackie von Pablo Larraín
Jackie von Pablo Larraín mit Nathalie Portman ist ein ganz und gar amerikanischer Film
(Foto: Tobis Film GmbH)

Nathalie Portman als »Jackie« Kennedy – Notizen aus Venedig, Folge 5

Von Rüdiger Suchsland

In diesem Jahr gucke ich relativ viel im »Sala Grande« dem Galakino des Film­fes­ti­vals von Venedig. An keinem Ort kann man besser spüren, dass Venedig nicht Cannes ist, als hier. Auch wenn er voll­be­setzt ist, sitzen nur ein paar hundert Leute im Saal. Der Raum ist schlecht beleuchtet, schlecht renoviert.
Am zweit­besten begreift man es im absurden Pres­se­raum. Die Arbeits­ver­hält­nisse sind hier fast so schlecht wie bei der Berlinale. Der Raum ist zwar ungleich größer, aber man erlaubt Jour­na­listen nicht, ihren eigenen Computer zu benutzen – denn da stehen ja die Computer des Sponsors.
Man muss solche Dinge den Festivals vorwerfen, denn sie sind es ja, die die Jour­na­listen bei sich haben wollen. Die von ihnen Texte wollen. Die ihre Exis­tenz­be­rech­ti­gung sofort verwirkt hätten, wenn keiner berichten würde. Die ihnen dann aber nicht bereit sind, ihnen ange­mes­sene Arbeits­be­din­gungen einzu­räumen.

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Einmal saß ich ganz hinten im Sala Grande. Viel­leicht lag es ja daran. Denn was dieser Blick aus der Ferne mit den Filmen macht, möchte man nicht wissen. Es lief Spira Merabilis, ein sonder­barer Episo­den­film im Wett­be­werb, der schon mit den Sprüchen einer Schamanin losgeht. Von Anfang an impres­sio­nis­tisch, zeigt der Film Meeres­for­scher und Maschinen und Fischer, einen Marmor­stein­bruch, Wald und Worte – Bäum­e­fällen mit Blau­filter im Wald der Worte. Es wird immer esote­ri­scher, und nach 45 Minuten ging die Massen­ab­wan­de­rung los. Bemer­kens­wert trotzdem für mich, dass viele Deutsche darunter waren. Ich auch.

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»In Jahr­zehnten wird man sich an Sie erinnern. Sie sind wie eine Mutter für das ganze Land gewesen.« – Also sprach Robert Kennedy, US-Justiz­mi­nister und Bruder des ermorden US-Präsi­denten John F. Kennedy im November 1963, zumindest wenn man diesem Film glaubt: Er sagt das in diesem Film zu Jackie, Jacque­line Kennedy, der Präsi­den­ten­witwe. Um sie geht es in Jackie, dem neuen Film des Chilenen Pablo Larraín (No!), der von Regisseur Darren Aronofsky produ­ziert wurde, und ein komplett ameri­ka­ni­scher ist: Ein Hollywood-Melo, das, getragen von einer beein­dru­ckenden Nathalie Portman in der Titel­rolle (der man den Schau­spiel­preis schwer versagen kann), detail­ver­liebt in Doku­men­tar­szenen, insze­nierten Doku­men­tar­szenen, Vorblenden und Rück­blenden, von den Tagen erzählt, die zwischen Kennedys Ermordung am 22.November und seiner Trau­er­feier am 25. November ‘63 lagen.

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Im Zentrum steht die Frage, wer über die Trau­er­feier entschied, die die Beer­di­gung Abraham Lincolns zum Vorbild nahm, über die Beiset­zung und die entspre­chende poli­ti­sche Symbolik. Es geht also um die Macht der Bilder und die Herr­schaft über sie. Der Film zeigt eine Jackie Kennedy, die schwer getroffen ist und trotzdem kühl schon wenige Stunden nach dem Tod ihres Mannes damit beginnt, am Bild-Gedächtnis und Mythos von dessen Präsi­dent­schaft zu arbeiten – gegen alle Gegen­kräfte.
Es geht aber natürlich auch um das Phänomen Jacque­line Kennedy, später »Jackie O.«
Ob dieses Bild der histo­ri­schen Wahrheit entspricht, und Jackies Rolle gerecht wird – wer weiß? Eine gute Kino­ge­schichte ist es allemal – auch wenn Larraíns aufwendig gemachter Film nicht weniger mani­pu­lativ ist, als er es den US-Mächtigen unter­stellt.
Präsen­tiert wird nur Herstory statt History.

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Warum nicht mal ad hominem? Der Chilene Pablo Larraín ist der Sackerl­pi­cker der Geschichts­schrei­bung. Eines meiner öster­rei­chi­schen Lieb­lings­worte. Er hat in seinen Filmen immer reak­ti­onäre, revi­sio­nis­ti­sche poli­ti­sche Agenden. Er möchte Gott sein, die Geschichte umschreiben. Aber alle, nein: Viel zu viele gehen ihm auf den Leim. Die Lobes­hymnen kann man sich schon jetzt ausmalen. Und Darren Aronofsky, der hat, folgt man seinen Filmen, Probleme mit oder sagen wir: Ein sonder­bares Verhältnis zu Frauen.

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Jackie ist nicht schlecht, aber auch nicht super. Im Grunde ist der Film seicht, ober­fläch­lich und wieder von Larraíns Wunsch getrieben, Gott zu spielen.

(to be continued)