73. Filmfestspiele von Venedig 2016
Techniken des Überlebens... |
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La región salvaje von Amat Escalante ist, puta madre!, einer der bislang interessantesten Goldener-Löwe-Filme | ||
(Foto: Forgotten Film Entertainment) |
Gerade Frauen haben es nicht leicht in den Filmen von Venedig in diesem Jahr. Sie stehen im Zentrum, sind Hauptfiguren, aber das kostet seinen Preis. Auf Jackie Kennedy werden wir noch zu sprechen kommen. Jetzt erstmal zu den bisher zwei besten Filmen im Wettbewerb, Stand Mittwochabend.
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Riesige Steine fliegen schwerelos und überaus langsam irgendwo herum. Im Weltraum? Dann ein Schnitt: Eine junge Frau, Ende zwanzig, hübsch, sitzt nackt vor einem Bambusstamm, offenbar in einer Holzhütte. Sie schwitzt und stöhnt sanft, man glaubt erst, dass sie sich selbst befriedigt. Dann, als die Kamera langsam an ihrem makellosen Körper heruntergleitet, sieht man kurz eine Art Tentakelarm zwischen ihren Schenkeln herausgleiten, und seitwärts verschwinden...
Es folgt ein kurzer
Dialog: »You should leave.« – »Let me stay a little longer, por favor.« Dann verlässt sie, wieder angezogen in Jeans und weißer Jacke die Holzhütte, geht weg durch eine morgenfeuchte, nebelumtauchte Wald- und Wiesenlandschaft. Sie blutet aus der Hüfte, besteigt ein Motorrad, und fährt weg. Die Kamera ist dabei subjektiv, der Sound und die disharmonischen Klänge der Musik erinnern an Horror und Science-Fiction. Man kann den zweiten Teil dieser ersten Szene im Netz ansehen.
»It hurts her«, sagt ein altes Paar. Die sind offenbar so etwas wie die Gastgeber hier, oder eine seltsame Art von Forschern: An der Wand finden sich Bilder von Schädeln, Wesen aus der Urzeit, Schlangen und ähnlichem Getier.
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Puta madre, was für ein Film! Er lässt den Betrachter erst einmal allein mit der Wucht dieses Auftakts, die sich nur langsam legen wird. Die aber uns, den Zuschauern, auch sofort das Gefühl gibt: Hier nimmt uns ein Filmemacher an der Hand, hier können wir uns den Bildern überlassen. Hier weiß einer ganz unbedingt, was er tut. Mal sehen, was das wird – aber wie schön, dass wir es jetzt sehen werden.
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Ein Traum? Eine Art Traum? So darf man sich eine kurze Weile trösten, als im nächsten Bild eine andere junge Frau aufwacht. Alejandra. Neben ihr ein Mann, schlechter Sex am Morgen, der Alltag eines Ehepaares. Danach steht sie unter der Dusche, befriedigt sich, bis sie von den Kinder gestört wird. Zwei Jungs, einer ist allergisch gegen Schokolade.
Der Film ist La región salvaje, er
stammt von Amat Escalante, dem Mexikaner, der seit Sangre und Heli so bewundert wie berüchtigt ist. Hier zwei Kurzfilme des Regisseurs.
Danach sehen wir die Frau
vom Anfang, sie heißt Victoria, im Krankenhaus. Ihre Wunde wird versorgt von einem Krankenpfleger: Er heißt Fabien, ist nett, hübsch, lustig. Sie hat erzählt, die Wunde sei von einem Hundebiss – da warnt er sie vor Tollwut.
Am Abend in einer Bar toben sich junge Mexikaner aus, werden wild zu Tequila und guter schlechter Musik. Fabien und Angel, der Ehemann von Alejandra, haben Sex, sie kennen sich offenbar schon lange. Später verstehen wir: Fabien ist Alejandras
Bruder.
Gleichzeitig freunden sich Victoria und Fabien an. Sie sind nett zueinander, ohne ein Paar zu werden. Wobei Victorias Motivation immer unklar bleibt. Interessiert sie Fabien? Braucht sie Unterstützung, um loszukommen von dem seltsamen Wesen? Oder will sie diesem neue Objekte zuführen? Und Objekte für was genau? Die Zeitspanne, die hier vergeht, ist nicht ganz klar, aber während sich Fabien Angel entfremdet, erfährt er von »ihm«, von dem nicht ganz klar ist ob es ein »Er«
oder eine »Sie« ist. Dem Wesen in der Hütte, das er bald darauf auch besucht. Es ist offensichtlich bedrohlich und nicht harmlos. Doch zugleich ist es offenbar auch in der Lage, den Menschen unbekannte, ungeahnte Freuden zu bereiten, Freuden, von denen sie nicht mehr los kommen.
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Eine Weile später wird auch Alejandra noch zur Besucherin der Hütte werden. Bemerkenswert ist hier die Selbstverständlichkeit, mit der alle Beteiligten dieses Wesen und seine Existenz akzeptieren. Es ist halt so. Die Selbstverständlichkeit eines Dings aus einer anderen Welt.
Die Alten, die es beherbergen, lernen wir etwas besser kennen. In der Hütte, in der sie leben, gibt es auch einen großen schwarzen Hund, der an einen Wolf erinnert. Die alte Frau könnte eine Schamanin
sein, oder auch eine alte Hexe. Sie braut seltsame Getränke, vielleicht einen harmlosen Tee, vielleicht ein Beruhigungsmittel oder eine Droge. Über ihren Mann, für den sie Arbeiten erledigt sagt sie: »Ein Wissenschaftler, mit der Sensibilität eines Steins.«
Was ist das für ein Wesen, das sie da beherbergen? »At first, you will think, that you are hallucinating«, sagt die Alte. Sie erzählt von einem Meteor, der vor langer Zeit einschlug – der Stein im Raum vom Anfang? Allemal ist Mexiko das Land der Meteore, entstand der Golf von Mexiko einst vermutlich aus einem riesigen Meteoreinschlag. In einem recht kleinen Kreisrund sieht man dazu eine Menge von Tierpaaren in paradiesischer Eintracht sich paaren.
Das sei,
erklärt die Alte, die Materialisierung von »our most primitive side«. Die fleischgewordenen Basic Instincts. Irgendwann sehen wir es: Eine Art riesengroßer Octopus. Mit seinen Tentakelarmen stiftet es Lust. »It can only give pleasure. It has never hurt anybody.«
Ganz so ist es nicht: Diese fleischgewordene Begierde ist eben auch gefährlich. Fabien wird schwer verletzt im Wald gefunden. Der Verdacht auch Alejandras fällt auf Angel, nachdem sie dessen Textbotschaften entdeckt hat. Während Escalante mit Angel einen Schwulen beschreibt, der zugleich als Schwulenhasser auftritt, der Vegetarier ist und der seine Frau schlägt, wird der nette, weiche zuvorkommende Schwule hier schwerstverletzt. »Wollte Gott Onkel Fabien bestrafen?«, fragt einer von Alejandras Söhnen. Großmutter habe das gesagt. »Grandma is a lying witch«, erklärt Alejandra.
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Eine böse Großmutter, eine böse Schwiegermutter, Hexen in Hütten im Wald, Monster und Tote am gleichen Ort – es sollte klar sein, dass wir uns hier im Land der Gebrüder Grimm befinden. La región salvaje ist ein Märchen für Erwachsene aus Mexiko, ein Zwitter aus Kunstkino und Horrorfilm, und eben auch Grimms Märchen.
Zugleich auf Mexiko zielend: Eine Betrachtung der
Männlichkeitsrituale, der Homophobie, der Heuchelei hinter den traditionellen Werten von Ehre und Familie.
Die Region, die der Titel bezeichnet, jenes »wilde Terrain« ist in uns, ist aber auch überall. Es ist unsere Natur, die gewissermaßen verführerisch ist, aber auch gefährlich, möglicherweise tödlich. Ein verführender, verführerischer und ein verführerisch rätselhafter Film.
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Ein Girl steht allein bei Tageslicht in der Wüste. Sie trägt Hotpants, Base-Cap, einen Rucksack mit »I love Texas« -Sticker und Trauer-Smilie. In der rechten Hand ein Wasserkanister, den braucht man bei der Hitze. An der linken Schulter ein Tatoo: »Suicide«. Auf den Fingernägeln dunkler Nagellack, leicht abgesplittert. Sie strahlt Coolness aus, und das, was die Amerikaner self-reliance nennen: Eigenständigkeit, Souveränität. Sie genügt sich selbst.
Es gibt einen Zaun, durch den sie kam. Es gibt ein System, es gibt Behörden, die jenen, die ausgeschlossen werden, oder freiwillig gehen, eine Nummer eintätowieren. Es gibt ein Schild, auf dem steht: Dies hier jenseits des Zauns ist nicht länger Texas. Es gibt ein totes Auto, in das sich das Girl zurückzieht, ausruht, Lippenstift auflegt.
Da kommt ein Golf-Caddie-Wagen, mit zwei Leuten drin. Sie rennt weg, wird gefangen. Nächstes Bild: Sie wacht auf, mit den Füßen in Eisenketten, mit den Armen ausgebreitet an Seilen festgebunden, in einem postapokalyptischen Trailer-Park, der von einer Gruppe von muskelbepacktem White-Trash (Wrestlern?) bewohnt wird. Gleich darauf erhält sie eine Spritze, dann wird ihr der rechte Unterschenkel und der rechte Unterarm abgesägt. Beides landet auf einem Grill, und wird von den
Einwohnern bald genüsslich zum Abendessen verspeist.
Auf den Fingern der verlorenen Hand der jungen Frau stand eintätowiert »F E A R«. Damit, aber das werden wir erst später verstehen, hat man ihr auch alle Furcht genommen.
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Bald darauf versucht sie auszubrechen, und auch wenn man es kaum glauben mag, es gelingt: Dies ist ein Film über das Überleben und über Überlebenstechniken. Das ist wohl gerade ein zeitgemäßes Sujet, aber die Sympathie mit denen, die gehen alle und alles zu überleben versuchen und denen das Überleben gelingt, ist – siehe The Revenant – sehr amerikanisch. Zugleich
ist die US-Flagge hier, damit auch insofern keine Missverständnisse aufkommen, das Zeichen der Bösen, des Stammes von dem wir vor der Flucht noch genug gesehen haben, um uns über seine kannibalische Natur wie seine moralische Verworfenheit keine Illusionen zu machen. »Why are you so obsessed with me?« erklingt dazu vom Sounddepartment.
Sie wird gefunden von einem Obdachlosen, der in der Wüste mit einem Bollerwagen herumfährt, und in eine neue »Stadt« gebracht, ein
Fort aus Containern. Das heißt »Comfort«. »You can’t enter the dream unless the dream enters you«, steht an der Wand.
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Ana Lily Amirpour, Perserin mit amerikanischem Pass, die 1980 in England geboren und in den USA aufgewachsen ist, war vor zwei Jahren über Nacht mit ihrem Spielfilmdebüt zum Shooting-Star der internationalen Filmszene geworden: A Girl Walks Home Alone At Night war zwar in Schwarzweiß und in Farsi, der perserischen Sprache gedreht, hatte aber trotzdem in den USA reüssiert und war sogar im cinephoben Deutschland ins Kino gekommen. Ihr zweiter Film ist The Bad Batch, der jetzt in Venedig läuft und am Dienstagabend Premiere hatte, ist ohne Frage einer der besten und originellsten Filme im diesjährigen Wettbewerb um den Goldenen Löwen.
Die Kannibalen spielen hier nun trotz des Auftakts nur eine Nebenrolle. Eher handelt es sich um ein Science-Fiction-Szenario in der Tradition der Mad Max-Filme und noch mehr des »Tank Girl«-Comics: In einer postapokalyptischen Welt nahe des texanisch-mexikanischen Border-Country leben Menschen jenseits staatlicher Ordnung in verschiedenen Gemeinschaften. Nahrung ist knapp, Energie offenbar weniger, denn statt Western-Pferden fährt man Motorbike. Das
Hauptthema ist wie erwähnt die Kunst des Überlebens, die zentrale Figur ist die junge Frau, deren Namen man erst spät erfährt: Arlen (eindrucksvoll gespielt von Suki Waterhouse). An die Stelle des verlorenen Beins tritt in »Comfort« bald eine Prothese, während der Arm aus unerfindlichen Gründen nie ersetzt wird.
»5 Monate später« setzt die Handlung wieder ein.
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Zunächst sucht Arlen Rache, und der Zufall spielt ihr bald eine Kannibalin zu. Die Frau mit einem T-Shirt, das die Aufschrift »Vamos a la playa« trägt, liegt verletzt an einer Müllhalde, die sie plündern wollte. Ihre Tochter steht daneben: »Does your kid eat people too?« fragt Arlen. »I am just trying to survive. We are the same.« – »Oh no! We are not the same.« Und Arlen erschießt die Frau, um dann über ihre Tat zu erschrecken. Verlorene Unschuld und die Aufgabe
erlernter Verhaltensweisen gehören zur Technik des Überlebens.
Zu der gehört aber auch das Überleben der Humanität. Und tatsächlich ist dieser Film mehreres: Das Brutale, Menschenverachtende ist nur die Oberfläche. Darunter kreist alles darum, wie unter Bedingungen der Gewalt das Menschliche bewahrt werden kann – und worin dieses Menschliche eigentlich liegt. Denn selbstverständlich ist Rache menschlich. Selbstverständlich ist es menschlich, unter bestimmten
Umständen zu töten.
Doch Arlen kümmert sich eben nach dem Mord an deren Mutter um die Tochter eines ihrer Ex-Peiniger, der auch malt, aus Kuba stammt, und auf den Namen Miel hört. Sie widersteht den Fängen des charismatischen Diktators von Comfort, den Keanu Reeves verkörpert, und der von einem Dutzend Girlie-Prätorianern bewacht wird, die alle schwanger sind, und T-Shirts tragen mit der Aufschrift: »The dream is in here.«
Sie findet einen Ausgleich mit Miel, eine Art
Gesellschaftsvertrag: »You dont see things as they are. You just see things like you are.« – »I hate you« – »No problem for me. Doesn’t change anything.« – »So the next thing, that can happen to us, can happen to us.« – »In this place is only death for sure.«
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Was das Böse ist, ist relativ. Aber es gibt Böses. Zugleich zeigen manche Episoden in diesem epischen Film, dass das Gute manchmal auch zurückkommt.
Die Frage, was Zivilisation ist, steht im Zentrum. Die von Keanu Reeves gespielte Figur, wie gesagt ein Diktator mit merkwürdigen Gewohnheiten, der zugleich aber auf seine Art selbstverständlich ein Vertreter des zivilisatorischen und der Ordnung in dieser chaotischen Gesellschaft ist, der lange Vorträge darüber hält, wie
er dafür sorgt, dass das Abflusssystem der Toiletten funktioniert – Mussolini ließ sich auch als »Trockenleger der Pontinischen Sümpfe« feiern –, dieser Mann ist sich der Kosten der zivilisatorischen Anstrengungen stärker bewusst, als andere: »All the things you have done, brought you right here«, sagt er zu Arlen, »where would you rather be? Costs you a lot to be here. Costs you an arm, a leg. But you don’t like it here, do you?«
Die
Zivilisierung brutaler Verhältnisse ist die Botschaft.
Viel mehr noch aber als von seiner Botschaft, lebt die Erfahrung dieses exzellenten Films von seinen Eindrücken, den sinnlichen Gewissheiten einer selten gelungenen Kombination aus Schönheit und Gewalt, Glamour und Horror. Dies ist, wie alles interessante Kino, ein Phantasiestück, das wir auch nach dem nicht im Ganzen aufzulösen vermögen. Ein sehr musikalischer Film, zugleich ein sehr lakonischer Film. Die Logikfrage ist ein Problem in dieser Erzählung. Egal!
Großes
Kino, das mit hervorragendem Setdesign, Kamera- und Musikeinsatz ebenso fasziniert wie mit ungesehenen Bildern in der Tradition des phantastischen Films – vor allem Alejandro Jodorowskys Meisterwerk, der surrealistische Western El Topo ist eine eindeutige Referenz
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Am Schluss muss man noch dazu sagen: The Bad Batch ist auch ziemlich lustig. Wer das alles zu ernst nimmt, tut sich und dem Film ebenso keinen Gefallen, wie wenn man ihn nicht ernst genug nimmt.
Das Kind, das namenlos bleibt, hat ihre Gefangenschaft gut überstanden, und ist hungrig: »I want Spaghetti!« Darin darf man auch eine Anspielung oder eine Referenz an den Spaghetti-Western sehen. Die Antwort gibt der von Jason Momoa gespielte Vater: Er nimmt den
Spielgefährten der Tochter und brät ihn am Feuer.
Dies ist eben kein Spaghetti-Western; und Zivilisation hat mit vielem zu tun, auch etwas mit Abhärtung und mit Fleisch-Essen. The Bad Batch ist in jeder Hinsicht ein Film für Anti-Vegetarier.
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Dieser Film wird also keinen Preis kriegen am Ende, so wenig wie Amat Escalante, schon gar nicht hier in Venedig – wo noch nie wilde Filme einen Preis bekamen, nicht Bigelow, nicht De Palma, nicht Garell, nicht Kechiche, nicht Jessica Hausner, nicht Mendoza, aber unglaublich viele brave, längst vergessene Schmonzetten und der schlechteste Sofis-Coppola-Film ever.
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Entsprechend lustig wurde dann Pressekonferenz im marmorgetäfelten alten Lido-»Casino« aus Zeiten des italienischen Kannibalen Benito Mussolini. »Whats your next project?« habe man sie schon in Sundance gefragt, direkt nach der Premiere von A Girl…. Der erste spontane Pitch sei gewesen »A cannibal falls in love with his next meal«. Sie habe halt eine »Weirdo-Agenda«, meint die Regisseurin weiter, die Produzenten, die sie angesprochen hatten, hätten kurz geschluckt, und dann nur gesagt: »Ok – if you do it in colour and in english.«
Da merkt man, wie das Filmgeschäft funktioniert, was sich eine leisten kann, die gerade als »hot« gilt und wozu Produzenten bereit, sind, wenn sie ihre Dagobert-Duck-Brille aufhaben.
Aus »Ein Kannibale verliebt sich in seine nächste Mahlzeit« sei dann dieser »Cannibal-Love-Story-Western« geworden, als den Amirpour ihren neuen Film beschreibt. Man muss das nicht so sehen, diese Beschreibung nicht teilen, um den Film zu mögen. Pferde gibt es hier jedenfalls nicht, und auch andere
Western-Referenzen halten sich in Grenzen. Spuren des Konzepts finden sich derzeit noch in der IMDb wo sie bestimmt auch bald verschwinden werden.
An filmischen Einflüssen nennt sie tatsächlich Romancing the Stone, ok, nun ja und kaum zu glauben: Neverending
Story. Ich kann auch nicht sagen, dass sie mir wahnsinnig sympathisch wäre. Amirpour ist mir zu amerikanisch. Zu muskulös, zu auftrumpfend selbstbewußt, zu offensichtlich medientrainiert, zu glatt, zu... Sie hat die fanatische Ausstrahlung einer Joggerin am Morgen, die auch an der Ampel noch auf der Stelle läuft, und in der linken Hand dabei eine Flasche stilles Mineralwasser hält. Zweimal in den 29 Minuten Pressekonferenz vergleicht sie etwas – ihren
Musikgeschmack zum Beispiel – mit Sex. Da denke ich dann: Die die öffentlich drüber reden, haben entweder keinen oder einen, den man nicht haben möchte – aber das ist natürlich auch Unsinn.
Und sowieso: Der Film ist gut, die Frau ist klug, und hat Humor.
Im Rest der Antwort zum Umgang mit Musik – die im Film ein extrem wichtiges Element ist – beruft sie sich komplett auf ihr Gefühl: »When it feels right.« Und weiter: »I don’t know how to explain
style. You have that aestetic, that lense, that camera. Its difficult to explain.«
Auf die dann irgendwie vorhersehbare Frage: »Why is it necessary to show us a lot of violence?« reagiert sie dann unnötig uncool, obwohl doch die Fragerin offensichtlich den Film mochte: »What is a lot? Maybe it is not for you. My film is a reflection of the world we are living in. Violence is in a lot of things, so I find it absurd to ask about it... You wanna ban it? Good
luck.«
Lustiger dann, als eine andere Fragerin, in ihrer Frage Papst Franziskus zitierte: »Was the pope in my screening?«
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»She is a bit arrogant«, plappert es da hinter mir – das muss eine Deutsche sein, und ja tatsächlich. Aber ich sag jetzt nicht wer.
(to be continued)