02.03.2017
Cinema Moralia – Folge 149

Hobbits an der Macht...

La La Land
Also, was nun? La La Land, oder lieber doch nicht?
(Foto: Studiocanal GmbH)

...und die Hooligans vor den Türen: Karl Marx und die diesjährige Oscar-Verleihung – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 149. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Ein Film, »wie gemacht für einen Parteitag der Linken«, schreibt der immer lesens­werte Alan Posener in der Welt. So recht er mit dem Rest seiner Rezension hat, muss ich da mal wider­spre­chen: ich finde, was Karl Marx in diesem Film angetan wird, ist noch viel schlimmer: Raoul Pecks Film Der junge Karl Marx [Kritik hier] ist das passende Abend-Vergnügen für den nächsten SPD-Parteitag. So ein braver sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Film...

Vorab muss es gesagt werden: Ich gebe mir Mühe, diesen Film zu mögen. Ich finde es gut, einen Film zu diesem Thema zu machen, ich respek­tiere enorm die Arbeit des deutschen Verleihs »Neue Visionen«, die sich Mühe geben, den Film mit mehreren hundert Kopien (irgendwo war während der Berlinale die Rede von 400) ins Kino zu bringen. Noch dazu habe ich mir sagen lassen, dass jedes Kino einen eigenen Facebook-Etat bekommt.
Ich möchte für diesen Film etwas tun! Aber Mühe allein genügt nicht, und aus Respekt vor den Lesern und diesem Stoff sind allen Wünschen Grenzen gesetzt. Es würde mich sehr über­ra­schen, wenn diese Kampagne funk­tio­niert. Ich glaube: Sie wird nicht funk­tio­nieren. Aber man kann sich ja täuschen. Paula, jenes verkitschte und verblö­dete Biopic über Paula Modersohn-Becker hat an der Kinokasse auch funk­tio­niert, obwohl er es nicht verdient hatte, und Der junge Karl Marx ist dreimal besser als Paula, nur dreimal besser leider. Und das deutsche Kino­pu­blikum ähnelt, dafür gab es genug Belege in den letzten Jahren, in seiner breiten Masse, den Hobbits aus dem »Herr der Ringe«, über die der US-ameri­ka­ni­sche Poli­tik­wis­sen­schaftler Jason Brennan in seinen Buch »Against Democracy« (das im April bei Ullstein auf Deutsch erscheint: »Gegen Demo­kratie«) schreibt: »Hobbits sind politisch im Wesent­li­chen apathisch und besitzen kaum poli­ti­sche Kennt­nisse. Hooligans sind die fana­ti­schen Sportfans der Politik. Die meisten Menschen sind entweder Hobbits oder Hooligans – und die Mehrzahl der Hobbits sind poten­ti­elle Hooligans.«
Das Adjektiv »politisch« muss man hier nur gegen »ästhe­tisch« austau­schen, und man hat die Lage des Kinos auf den Punkt gebracht. Wir haben ein Kino­pu­blikum, das aus Hobbits und Hooligans besteht, aus Fans und unge­bil­deten Apathi­kern. Die Mehrheit des Publikums ist unin­for­miert, auch nicht an ästhe­ti­scher Weiter­bil­dung inter­es­siert, sondern bildungs­fern und voller Feind­schaft gegenüber auch nur milden Ansätzen von Didaktik. Es begreift grund­le­gende künst­le­ri­sche und Zusam­men­hänge und geschmack­liche Grund­lagen nicht. Was die laut­starken Meinungs­ma­cher und Popu­listen in der Politik sind, das sind in der Kunst die Filme, die »reine Unter­hal­tung« verspre­chen, oder der Herr­schaft der Nichts­wisser das Wort reden.

Welche Rolle spielt in dieser Situation ein Film wie Der junge Karl Marx?

Die Antwort liefert hoffent­lich nicht Jenny Zylka in der heutigen »taz«: »Nun sind Marx' und Engels' amouröse Verwick­lungen wahrlich nicht das Erste, was einem zu ihnen einfällt. Aber sie sind ebenso wichtig wie die Philo­so­phien, die die Theo­re­tiker und Prot­ago­nisten des Kommu­nismus zur Arbei­ter­be­we­gung entwi­ckelten.« Glaubt Zylka allen Ernstes!
In welcher Welt wir gerade leben, das begreift man viel­leicht am ehesten daraus, das die klügsten – und das heißt in diesem Fall die marxis­tischsten – Texte über Der junge Karl Marx in der »Welt« vom Axel Springer Verlag und im »Tages­spiegel«, wo Mathias Greffrath schreibt, und der hobbit­haf­teste in der »taz«, wo man Gref­fraths Text erwartet hätte.

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Hollywood ist auch nicht mehr, was es mal war. Nicht als Traum­fa­brik, sondern als Albtraum­rampe zeigte sich die ameri­ka­ni­sche Film­in­dus­trie bei der 89. Preis­ver­lei­hung der tradi­ti­ons­reichsten Film-Auszeich­nung der Welt.
Was für ein Wahnsinn! Dass ein falscher Preis­träger auf die Bühne gerufen und dann wieder unsanft herun­ter­kom­pli­men­tiert worden war – das gab es noch nie.
Kann man glauben, dass das alles nur Zufall ist? Ausge­rechnet Faye Dunaway und Warren Beatty, also eigent­lich »Bonny and Clyde«, die zwei charis­ma­ti­schen Gangster aus Holly­woods so viel besserer Zeit, den späten Sech­zi­gern, als die Studios zusam­men­bra­chen und die Traum­fa­brik sich notge­drungen als »New Hollywood« neu erfand, verlasen den Irrtum.
Oder haben hier die zwei Rebellen dem Estab­lish­ment einen letzten, anar­chis­ti­schen Streich gespielt?

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Die Wett­an­bieter müssen jeden­falls sowieso einiges Geld verloren haben, denn gleich mehrfach siegten in dieser Oscar-Nacht Außen­seiter über Favoriten.
Ganz so aufregend war die übrige Veran­stal­tung dann aber auch wieder nicht. Man fragt sich eher, ob der ganze Hype es eigent­lich wert ist?
Denn bilden diese Preise, diese Nomi­nie­rungen wirklich noch das ab, was im Weltkino derzeit geschieht? Oder sind sie nur ein Abbild poli­ti­scher Stim­mungen? Eines billigen Protests der Arri­vierten, die es nichts kostet, gegen Trump zu sein, und unbe­kannten schwarzen Darstel­lern einen Preis zu geben um ihr weißes Gewissen zu beruhigen?
Wo ist ein so toller Film wie Certain Women [zur Kritik] geblieben?
Warum bekommt Rogue One: A Star Wars Story nur eine Alibi-Nomi­nie­rung?
Ist Batman v Superman: Dawn of Justice wirklich so schlecht, dass er gar nicht vorkommen darf?

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Aber – was soll auch schon heraus­kommen bei einer Massen­ab­stim­mung von über 7000 Mitglie­dern der »Academy of Motion Picture Arts and Science«? Da kommen – ähnlich wie bei der deutschen Film­aka­demie und dem Bundes­film­preis – meist nur die kleinsten gemein­samen Nenner zustande, aber keine radikalen Entschei­dungen und nur selten echte Über­ra­schungen – hierfür braucht man Jurys wie bei allen ernst­zu­neh­menden Film­fes­ti­vals der Welt.

Die Oscars sind keine Preise für die beste Filmkunst, sondern gegen­sei­tiges Schul­ter­klopfen, die Selbst­feier eines Teils der Industrie. Die Oscars sind ein Spie­gel­bild der mittelstän­di­schen Film­in­dus­trie Amerikas. Und ein Spie­gel­bild ihrer poli­ti­schen Ansichten.
Das so liberale wie wohl­ha­bende Hillary-Clinton-Lager – sehr wohl mitver­ant­wort­lich, dass so ein Horror-Clown wie Trump überhaupt ins Weiße Haus einziehen konnte – gefällt sich hier in wohl­feilen und sympa­thi­schen State­ments, poli­ti­schen Sonn­tags­reden, die im Alltag folgenlos bleiben.
Natürlich freut man sich, das Schwarze besser »reprä­sen­tiert« sind. Aber heißt diese »Reprä­sen­ta­tion«, dass sie auch tatsäch­lich die besten Leis­tungen geboten haben? Oder geht es hier um poli­ti­sche Quoten? Ist Moonlight der beste Film, oder nur der politisch-korrek­teste, eine tränen­se­lige Schmon­zette in schlech­tester Hollywood-Tradition?
Dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch die Lobby der Hispanics und die der Asian Americans stark genug ist, um ihren Anteil einzu­klagen. Und die der Behin­der­ten­ver­bände. Und und und...
Außerdem bleibt die Kernfrage, ob Quoten wirklich etwas mit Kunst zu tun haben, mit Gerech­tig­keit oder doch nur mit der neoli­be­ralen Durch­re­gu­lie­rung aller Lebens­be­reiche.

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Und noch ein paar Worte zum deutschen Oscar-Nicht­ge­winner, zu Toni Erdmann. Grund­sätz­lich gilt: Die Ausnahme beweist nichts. Und Toni Erdmann ist die Ausnahme – die Regel im deutschen Kino heißt Miss­erfolg. Er ist auch kein Erfolg der Frau­en­quote.
Die »kollektiv hyper­ven­ti­lie­rende« (hübsche Formu­lie­rung einer Kollegin) deutsche Film­branche, die ziemlich spät auf den Erdmann-Zug aufge­sprungen ist, darf sich davon nicht blenden lassen.
Wenn »wir« etwas aus diesem Film und seinem Erfolg lernen können, dann das: Nicht jetzt zu versuchen, Toni Erdmann am Fließband zu produ­zieren – das geht sowieso schief. Sondern mehr Freiheit für die Künstler, weniger Regu­lie­rung, weniger Quotie­rung.
Wir haben es wieder einmal gelernt, beim (fast nicht) geschei­terten Favoriten La La Land wie bei Toni Erdmann: Dont believe the hype!

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Es kommt nicht darauf an, das Kino zu inter­pre­tieren – man muss es verändern. Oder?

(to be continued)