Cinema Moralia – Folge 149
Hobbits an der Macht... |
||
Also, was nun? La La Land, oder lieber doch nicht? | ||
(Foto: Studiocanal GmbH) |
Ein Film, »wie gemacht für einen Parteitag der Linken«, schreibt der immer lesenswerte Alan Posener in der Welt. So recht er mit dem Rest seiner Rezension hat, muss ich da mal widersprechen: ich finde, was Karl Marx in diesem Film angetan wird, ist noch viel schlimmer: Raoul Pecks Film Der junge Karl Marx [Kritik hier] ist das passende Abend-Vergnügen für den nächsten SPD-Parteitag. So ein braver sozialdemokratischer Film...
Vorab muss es gesagt werden: Ich gebe mir Mühe, diesen Film zu mögen. Ich finde es gut, einen Film zu diesem Thema zu machen, ich respektiere enorm die Arbeit des deutschen Verleihs »Neue Visionen«, die sich Mühe geben, den Film mit mehreren hundert Kopien (irgendwo war während der Berlinale die Rede von 400) ins Kino zu bringen. Noch dazu habe ich mir sagen lassen, dass jedes Kino einen eigenen Facebook-Etat bekommt.
Ich möchte für diesen Film etwas tun! Aber Mühe allein genügt nicht,
und aus Respekt vor den Lesern und diesem Stoff sind allen Wünschen Grenzen gesetzt. Es würde mich sehr überraschen, wenn diese Kampagne funktioniert. Ich glaube: Sie wird nicht funktionieren. Aber man kann sich ja täuschen. Paula, jenes verkitschte und verblödete Biopic über Paula Modersohn-Becker hat an der Kinokasse auch funktioniert, obwohl er es nicht verdient hatte, und Der junge Karl Marx ist dreimal besser als Paula, nur dreimal besser leider. Und das deutsche Kinopublikum ähnelt, dafür gab es genug Belege in den letzten Jahren, in seiner breiten Masse, den Hobbits aus dem »Herr der Ringe«, über die der US-amerikanische Politikwissenschaftler Jason Brennan
in seinen Buch »Against Democracy« (das im April bei Ullstein auf Deutsch erscheint: »Gegen Demokratie«) schreibt: »Hobbits sind politisch im Wesentlichen apathisch und besitzen kaum politische Kenntnisse. Hooligans sind die fanatischen Sportfans der Politik. Die meisten Menschen sind entweder Hobbits oder Hooligans – und die Mehrzahl
der Hobbits sind potentielle Hooligans.«
Das Adjektiv »politisch« muss man hier nur gegen »ästhetisch« austauschen, und man hat die Lage des Kinos auf den Punkt gebracht. Wir haben ein Kinopublikum, das aus Hobbits und Hooligans besteht, aus Fans und ungebildeten Apathikern. Die Mehrheit des Publikums ist uninformiert, auch nicht an ästhetischer Weiterbildung interessiert, sondern bildungsfern und voller Feindschaft gegenüber auch nur milden Ansätzen von Didaktik. Es
begreift grundlegende künstlerische und Zusammenhänge und geschmackliche Grundlagen nicht. Was die lautstarken Meinungsmacher und Populisten in der Politik sind, das sind in der Kunst die Filme, die »reine Unterhaltung« versprechen, oder der Herrschaft der Nichtswisser das Wort reden.
Welche Rolle spielt in dieser Situation ein Film wie Der junge Karl Marx?
Die Antwort liefert hoffentlich nicht Jenny Zylka in der heutigen »taz«: »Nun sind Marx' und Engels' amouröse Verwicklungen wahrlich nicht das Erste, was einem zu ihnen einfällt. Aber sie sind ebenso wichtig wie die Philosophien, die die Theoretiker und Protagonisten des Kommunismus zur Arbeiterbewegung entwickelten.« Glaubt Zylka allen Ernstes!
In welcher Welt wir gerade leben, das begreift man vielleicht am ehesten daraus, das die klügsten – und das heißt in diesem
Fall die marxistischsten – Texte über Der junge Karl Marx in der »Welt« vom Axel Springer Verlag und im »Tagesspiegel«, wo Mathias Greffrath schreibt, und der hobbithafteste in der »taz«, wo man Greffraths Text erwartet hätte.
+ + +
Hollywood ist auch nicht mehr, was es mal war. Nicht als Traumfabrik, sondern als Albtraumrampe zeigte sich die amerikanische Filmindustrie bei der 89. Preisverleihung der traditionsreichsten Film-Auszeichnung der Welt.
Was für ein Wahnsinn! Dass ein falscher Preisträger auf die Bühne gerufen und dann wieder unsanft herunterkomplimentiert worden war – das gab es noch nie.
Kann man glauben, dass das alles nur Zufall ist? Ausgerechnet Faye Dunaway und Warren
Beatty, also eigentlich »Bonny and Clyde«, die zwei charismatischen Gangster aus Hollywoods so viel besserer Zeit, den späten Sechzigern, als die Studios zusammenbrachen und die Traumfabrik sich notgedrungen als »New Hollywood« neu erfand, verlasen den Irrtum.
Oder haben hier die zwei Rebellen dem Establishment einen letzten, anarchistischen Streich gespielt?
+ + +
Die Wettanbieter müssen jedenfalls sowieso einiges Geld verloren haben, denn gleich mehrfach siegten in dieser Oscar-Nacht Außenseiter über Favoriten.
Ganz so aufregend war die übrige Veranstaltung dann aber auch wieder nicht. Man fragt sich eher, ob der ganze Hype es eigentlich wert ist?
Denn bilden diese Preise, diese Nominierungen wirklich noch das ab, was im Weltkino derzeit geschieht? Oder sind sie nur ein Abbild politischer Stimmungen? Eines billigen Protests der
Arrivierten, die es nichts kostet, gegen Trump zu sein, und unbekannten schwarzen Darstellern einen Preis zu geben um ihr weißes Gewissen zu beruhigen?
Wo ist ein so toller Film wie Certain Women [zur Kritik] geblieben?
Warum bekommt Rogue One: A Star Wars
Story nur eine Alibi-Nominierung?
Ist Batman v Superman: Dawn of Justice wirklich so schlecht, dass er gar nicht vorkommen darf?
+ + +
Aber – was soll auch schon herauskommen bei einer Massenabstimmung von über 7000 Mitgliedern der »Academy of Motion Picture Arts and Science«? Da kommen – ähnlich wie bei der deutschen Filmakademie und dem Bundesfilmpreis – meist nur die kleinsten gemeinsamen Nenner zustande, aber keine radikalen Entscheidungen und nur selten echte Überraschungen – hierfür braucht man Jurys wie bei allen ernstzunehmenden Filmfestivals der Welt.
Die Oscars sind keine Preise für die beste Filmkunst, sondern gegenseitiges Schulterklopfen, die Selbstfeier eines Teils der Industrie. Die Oscars sind ein Spiegelbild der mittelständischen Filmindustrie Amerikas. Und ein Spiegelbild ihrer politischen Ansichten.
Das so liberale wie wohlhabende Hillary-Clinton-Lager – sehr wohl mitverantwortlich, dass so ein Horror-Clown wie Trump überhaupt ins Weiße Haus einziehen konnte – gefällt sich hier in wohlfeilen
und sympathischen Statements, politischen Sonntagsreden, die im Alltag folgenlos bleiben.
Natürlich freut man sich, das Schwarze besser »repräsentiert« sind. Aber heißt diese »Repräsentation«, dass sie auch tatsächlich die besten Leistungen geboten haben? Oder geht es hier um politische Quoten? Ist Moonlight der beste Film, oder nur der politisch-korrekteste, eine tränenselige
Schmonzette in schlechtester Hollywood-Tradition?
Dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch die Lobby der Hispanics und die der Asian Americans stark genug ist, um ihren Anteil einzuklagen. Und die der Behindertenverbände. Und und und...
Außerdem bleibt die Kernfrage, ob Quoten wirklich etwas mit Kunst zu tun haben, mit Gerechtigkeit oder doch nur mit der neoliberalen Durchregulierung aller Lebensbereiche.
+ + +
Und noch ein paar Worte zum deutschen Oscar-Nichtgewinner, zu Toni Erdmann. Grundsätzlich gilt: Die Ausnahme beweist nichts. Und Toni Erdmann ist die Ausnahme – die Regel im deutschen Kino heißt Misserfolg. Er ist auch kein Erfolg der Frauenquote.
Die »kollektiv hyperventilierende« (hübsche
Formulierung einer Kollegin) deutsche Filmbranche, die ziemlich spät auf den Erdmann-Zug aufgesprungen ist, darf sich davon nicht blenden lassen.
Wenn »wir« etwas aus diesem Film und seinem Erfolg lernen können, dann das: Nicht jetzt zu versuchen, Toni Erdmann am Fließband zu produzieren – das geht sowieso schief. Sondern mehr Freiheit für die Künstler, weniger Regulierung, weniger
Quotierung.
Wir haben es wieder einmal gelernt, beim (fast nicht) gescheiterten Favoriten La La Land wie bei Toni Erdmann: Dont believe the hype!
+ + +
Es kommt nicht darauf an, das Kino zu interpretieren – man muss es verändern. Oder?
(to be continued)