Cinema Moralia – Folge 161
»...darf man getrost als Ohrfeige für die Berliner Kulturpolitik verstehen...« |
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Harun Farocki wird mit einer Werkschau im Arsenal in Berlin gewürdigt. Ganz abseits des Wahlkampfs, der auch ein Filmhaus promoted. |
»I'll stay here for 400 years. Civil servants come and go, but art stays.«
Wladimir Majakowski, 1927
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Endlich! Monika Grütters schenkt den Berlinern ein Filmhaus!! Ein bisschen klingt es so in den Zitaten, die die Staatsministerin für Kultur am Wochenende per Interview einer Presseagentur verbreiten ließ. »Ein wichtiges Thema für einen Koalitionsvertrag« sei ein »repräsentatives Filmhaus in der Hauptstadt«, meinte die CDU-Politikern da, und sprach von der »wachsenden Bedeutung des Filmstandorts Berlin-Brandenburg.«
Natürlich ist alles ein bisschen weniger schön und
blumig, als es auf den ersten Blick scheint. Denn es ist weniger ihr Ministerium, als ihre eigene Karriere, die Grütters in den letzten Monaten bestellt.
In den letzten Wochen gab sich die studierte Kunsthistorikerin gerade im Filmbereich so rührig und aktiv wie in den vergangenen vier Jahren zusammen nicht. Das hat sie auch bitter nötig.
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Gar nicht so sehr, weil ja gerade Wahlkampf ist. Schon eher, weil einiges dafür spricht, dass Grütters ihren Posten nach der Wahl verlieren könnte.
Als Kulturministerin ist Grütters nämlich nicht sonderlich erfolgreich, da mag sie gerade noch so viele Denkmäler eröffnen, und Etaterhöhungen verkünden:
- Das Kulturgutschutzgesetz wurde gründlich vermasselt und ist vor allem den gut betuchten CDU-Wählern ein Dorn im Auge.
- Das zum Humboldtform umbenannte preußische Stadtschloss aus der Retorte ist umstrittener denn je und sorgt im Wochentakt für neuen Ärger.
- Das neue Filmfördergesetz ändert an der grundsätzlichen Misere des deutschen Films rein gar nichts.
Und in vielen anderen brisanten Fragen laviert Grütters konturlos hin und her.
Dafür hat sich die Neu-Berlinerin aus Münster von Angela Merkel zum Berliner CDU-Vorsitz drängen lassen – ein Amt, das man seinem ärgsten Feind nicht wünschen möchte. In knapp vier Jahren will sie Regierende Bürgermeisterin werden. Darum muss Grütters nun mit jeder Kultur-Entscheidung auch ein bisschen Berlin-Flagge zeigen. Da kommt das wohlfeile Versprechen eines Berliner Filmhauses gerade recht.
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Aber wem nutzt eigentlich ein solches Filmhaus? Öffentlich hat sich bisher nur eine Lokalzeitung, nämlich der Berliner »Tagesspiegel«, für ein Filmhaus stark gemacht. Die meisten anderen halten sich bedeckt. Außer Dieter Kosslick. Der Noch-Berlinale-Direktor kämpft gerade hinter den Kulissen und gegen eine Menge interner Widerstände mit allen Mitteln für eine weitere Verlängerung seines Vertrags – da machen sich neue Projekte super. Und so verkündete Kosslick bereits Anfang
des Jahres, auch dies im Tagesspiegel, er würde gern »den Übergang begleiten.«
Wer ansonsten wirklich ein Filmhaus will, ist schwer zu sagen.
Heftiger Streit über dieses Thema ist sowieso vorpogrammiert: SPD-Senatskanzleichef Björn Böhnung behauptete vor zwei Wochen in einem Zeitungsartikel, ein Filmhaus sei nicht genug, es müsse wenn schon, dann gleich ein ganzes »Medienhaus« her.
Dann der Standort: Warum muss ein solches Gebäude eigentlich ausgerechnet direkt neben dem wunderschönen, denkmalgeschützen Gropiusbau stehen? Und nur ein paar Schritte von Gedenkort der »Topographie des Terrors« entfernt.
Muss
eigentlich auch die letzte luftige Freifläche in Berlin zugebaut werden?
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Die vor allem entscheidende Frage ist aber nicht, was Frau Grütters will und was Dieter Kosslick sich wünscht, sondern: Wer zahlt? Wofür? Und wer bestimmt über das zukünftige Filmhaus. Hoffentlich nicht Dieter Kosslick, hoffentlich nicht die Berlinale-Leitung. Und hoffentlich nicht Monika Grütters.
Denn ein solches Filmhaus ist zu wichtig, als das die Karrierewünsche einer Politikerin und eines scheidenden Festivalleiters den Ton angeben dürfen.
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Immerhin in einem Punkt zeigt Monika Grütters Flagge: In der Frage der skandalösen Besetzung der Berliner Volksbühne. Als die Fachzeitschrift »Theater heute« die Volksbühne vor zwei Wochen zum zweiten Mal in Folge zum »Theater des Jahres« kürte, nutzte Grütters die Gelegenheit: Eine »großartige und hochverdiente Auszeichnung« sei dies, »diese Verbeugung gilt der großen Inszenierungsleistung Frank Castorfs ebenso wie seinem starken Schauspieler-Ensemble, das in perfekt inszeniertem Spiel und mit kraftvollen und fulminanten Auftritten die Theaterkritiker nachhaltig beeindruckt und überzeugt hat. Trotz provokanter und umstrittener Inszenierungen ist es der Volksbühne mit ihrer so typischen Kultur der Kommunikation gelungen, ein breites Publikum, Jung und Alt, an sich zu binden. Als kultureller Gesamtkosmos ist diese einzigartige Bühne ein starker Player in der Stadt und international ein großer Botschafter für die deutsche Theaterlandschaft. ... Diese Auszeichnung darf man getrost als Ohrfeige für die Berliner Kulturpolitik verstehen, die den Übergang von der Ära Castorf zu seinem Nachfolger bemerkenswert unsensibel gehandhabt hat. Die Volksbühne mit ihrer eindrucksvollen Geschichte und Tradition ist mehr als 'nur' ein besonderes Theater. Sie hat einen wesentlichen Teil dazu beigetragen, dass Berlin kulturell so attraktiv, so avantgardistisch, so spektakulär ist. Wenige Häuser sind in der Stadtgesellschaft so verankert wie die Volksbühne. Die Berliner Kulturpolitik hat dies beherzt ignoriert. Ich gratuliere der Volksbühne herzlich zu der Auszeichnung. Sie stärkt noch im Nachhinein Frank Castorf und dem Ensemble der Volksbühne den Rücken. Das haben sie alle verdient.«
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»...große Inszenierungsleistung ... kultureller Gesamtkosmos ... starker Player« – na gut, die Sprache. Daran kann man noch feilen.
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Natürlich ist auch das Wahlkampf. Natürlich zielt das gegen die Berliner SPD. Aber man muss zumindest allen Berliner Lesern sagen: Wenn es auch nur Grund gäbe, nicht SPD zu wählen, ist es Tim Renner, der bis letztes Jahr im Senat verantwortliche SPD-Ehrgeizling, der sich jetzt um ein Direktmandat in Berlin bewirbt. Da kann ich es nicht dezenter sagen, als so: Berliner, auch wenn ihr SPD wählen solltet, wählt NICHT Tim Renner! Er ist der, der wirklich nicht gewinnen darf, er ist das Allerletzte! Tim Renner steht für unbefangene Dummheit, für das Gegenteil von Demut, für das es kein Wort gibt.
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Zur Volksbühne nochmal die Erinnerung an die Petition, die bereits über 40.000 Leute, längst nicht nur Berliner, unterschrieben haben (in München gäbe es natürlich auch Dinge für und gegen die man unterschreiben könnte), und die mir wirklich am Herzen liegt – nicht »weil wir unseren Frank Castorf
wiederhaben wollen«, um den geht’s gar nicht.
Sondern es geht um die Freiheit und Unabhängigkeit der Kunst gegenüber Eingriffen der Politik. Das sollte uns allen am Herzen liegen. An den Erstunterzeichnern sieht man, dass man mit seiner Unterschrift auch in guter Gesellschaft ist. Das Beispiel des Filmerbe-Aufrufs hat gezeigt, dass solche Petitionen tatsächlich etwas bewirken können.
Monika Grütters hab ich da übrigens nicht gefunden.
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Drei Jahre nach Harun Farockis plötzlichem Tod im Sommer 2014 gibt es jetzt eine umfangreiche Schau zu diesem einzigartigen Filmemacher im Berliner Arsenal: »Harun Farocki: Nacheinander / Nebeneinander« wird an diesem Freitag eröffnet.
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Zu guter Letzt: »Hollywoods ungezähmtes Ausnahmetalent: Jennifer Lawrence in der Rolle ihres Lebens!« So jubelte eine Pressemitteilung heute zum nervtötendsten Film des Jahres – Darren Aronofskys mother!, der morgen startet. Meiner Kritik aus Venedig zum Film habe ich nichts hinzuzufügen.
Sehr subtil, wie
Verleih-Pressemitteilungen so sind, wird aber auch in der werbend-wertenden Form angedeutet, um was für einen ärgerlichen Hammerschrott es sich handelt. Es lohnt, sich die Formulierungen anzugucken: »In Darren Aronofskys schonungslosem Psychothriller mother! verschreibt sich Jennifer Lawrence ihrer Rolle als aufopferungsvolle Ehefrau und Muse nun mit Leib und Seele und liefert
damit die eindringlichste und zugleich drastischste Performance ihrer bisherigen Karriere.«
(to be continued)