34. Filmfest München 2017
Girl meets boy |
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Eine harte Männergesellschaft, heimatlos: Valeska Grisebachs meisterlicher Western | ||
(Foto: Piffl Medien) |
Von Dunja Bialas
Der Eröffnungsfilm eines Festivals stellt ja immer ein Herausforderung für die Programmmacher dar, meist ist er umstritten und zufrieden ist keiner. Den Unmut aber, den Un beau soleil intérieur der französischen Regisseurin Claire Denis bei der diesjährigen Filmfest-Eröffnung hervorgerufen hat, spricht Bände für das Münchner Branchenpublikum. Das Festival jedenfalls hat mit der an sich mutigen Entscheidung, zur Eröffnung den Film einer anerkannten, in Deutschland aber nur Wenigen bekannten Autorenfilmerin zu zeigen, dieser letztlich einen Bärendienst erwiesen. »Ich bin klein«, stellte die Französin fest, als sie auf der Bühne des Mathäser-Kinos stand und zur großen Festivalleiterin Diana Iljine aufblickte. Dies war wohl physiognomisch gemeint, gab es doch zum Ausdruck: Claire Denis fühlte sich fehl am Platz. Ihr Film war zuvor von einem Publikum begleitet worden, das sich wie beim Public Viewing einer Fußballübertragung aufgeführt hatte. In normaler Sprechlautstärke erfolgten Kommentare wie: »Na, das hätten wir jetzt aber schneller haben können.« Selten hat man Leute so massiv den Saal verlassen sehen (oder hören) wie bei der diesjährigen Filmfesteröffnung.
Was aber war der Aufreger? Claire Denis macht stille, oft fast wortlose Filme. Ihr letzter Film zeigte eine neue Richtung in ihrem Werk an. Les salauds – Dreckskerle war feinstes Genrekino, ein Gangsterfilm, angesiedelt im bürgerlichen Milieu, das sich allmählich zersetzt. Mit Un beau soleil intérieur hat sie jetzt einen ganz und gar wortbasierten Film gemacht, bei dem die Dialoge die Handlung nicht voranbringen, sondern eigentlicher Aufenthaltsort des Films sind. Angelehnt an Roland Barthes »Fragmente einer Sprache der Liebe« zeigt Denis in verschiedenen Ausschnitten das Liebesleben einer Frau, die immer wieder auf den Falschen trifft. Es sind fragmentarische Szenen, sie formulieren das Extreme, nehmen Typisierungen vor und sind dabei wahnsinnig komisch. Die Sprache gelangt an die Aphasie, an das Nichtaussprechen-Können, das Herumdrucksen: nicht mit der Sprache herausrücken, weil das Begehren zu groß und schon peinlich geworden ist.
In diesem Sinne ist Denis' Film, obwohl hier so viel geredet wird, ebenso sprachlos wie ihre früheren Filme. Ein Film, der die Handlung keiner Dramaturgie unterordnet, und der durch Pointierung und Stilisierung das Extreme befördert: das extrem Komische, aber auch das extrem Verlorene der Frau um die Fünfzig, die vergebens eine Liebesbeziehung, nicht nur eine Affäre, sucht. Juliette Binoche spielt sie, die schon in vielen Filmen als distinguierte Verführerin zu sehen war. Bei Claire Denis scheint sie sich als Verführerin zu verkleiden, um den Männern gerecht zu werden, damit ihr Begehren nicht ins Leere läuft. Und das ist das große soziologische Brennglas des Films, eine Kritik gleichermaßen am Mann wie an der Frau.
»Diesen Film sollte man verbieten«, war die spontane Reaktion einer Regisseurin, die ich nach ihrer Meinung zum Film fragte. Der starke Vorwurf war, dass Un beau soleil intérieur die Frau nur in Bezug auf den Mann zeige. »Als hätte sie kein eigenes Leben!« Das ist richtig, zugleich aber geht es am Film vorbei, der kein realistisch-naturalistisches Abbild des Lebens sein will. Das große Missverständnis lautet ja: Sobald die Bilder sich bewegen, wird Welt abgebildet. Dass das Kino aber nach Godard auch eine Form sein kann, in der das Denken sich in Bildern äußert, gerät über das derzeit grassierende pseudo-dokumentarische Kino mit Sozialrealismus und Biopics und der damit verbundenen Realitätsbehauptung allmählich in Vergessenheit.
Erstaunlich ist die Wut der Frauen gegenüber Denis' Film dennoch. »Boy meets girl« heißt die von Billy Wilder gefundene Formel des Erzählkinos. Wenn dies jetzt Regisseurinnen umkehren zu einem »girl meets boy«, wie Claire Denis oder jetzt auch Sofia Coppola mit The Beguiled, in der ein Mann in einem Mädchenpensionat Opfer des Begehrens von gleich sieben Frauen wird, dann wird eine Fortführung des alten Systems unter dem Deckmantel der Weiblichkeit gemutmaßt. Die Gegenformel hierzu lautet: Bechdel, benannt nach der Amerikanerin Alison Bechdel, die in den 1980er Jahren erstmals die Stereotypisierung von Frauen im Film untersuchte. Erst wenn Frauen Frauen inszenieren, die sich über etwas anderes als Männer unterhalten, ist das weibliche Kino bei sich angekommen, so die feministische Theorie. Da ist was dran. Gleichzeitig muss man sich aber auch fragen: Was wären Geschichten ohne Begehren? Ist Erotik nicht ein Motor des Lebens, und sei es nur in der Sublimierung, wie Freud es behauptet? Was wäre das Kino, wenn am Ende nur noch die geschlechterneutrale Rationalität bliebe? Eine Anhäufung von Thesen- und Themenfilmen?
Valeska Grisebach hat mit ihrem bereits in Cannes gefeierten Western ein großartiges Beispiel dafür geschaffen, dass die besten Filme oftmals dann entstehen, wenn politisch korrektes Gendering außen vor bleibt. Sie erzählt von der Gemeinschaft deutscher Arbeiter, die in Bulgarien eine Straße errichten sollen. »Infrastrukturmaßnahme«, nennt es mal einer, »wir bringen die Zivilisation«. Weil ihnen das Wasser fehlt und der bestellte Kies nicht geliefert wird, ergibt sich Stillstand an der Frontier. Einer der Männer freundet sich mit den Einheimischen an, findet in der Dorfgemeinschaft Heimat, Wärme und ein bisschen Liebe. Grisebachs Film lässt Frauen nur am Rand vorkommen, zeigt sie, wie sie das Essen zubereiten und sich im Hintergrund halten, lässt die Männer auf ihre Pos blicken, sie zum Sexobjekt werden. Zwischen den Männern lässt sie Springmesser sprechen und ernstgemeinte Ringkämpfe austragen. Dabei erzählt sie eine vielleicht tiefere Wahrheit über das Begehren und von der Schwierigkeit, diesem (als Mann) geschlechterverträglich Ausdruck zu verleihen. Bis zur echten Annäherung der Geschlechter, die bei ihr auch den Eintritt in eine fremde Kultur bedeutet.
Valeska Grisebachs Western erzählt so viel mehr über das männliche Begehren als beispielsweise Fikkefuchs von Jan Henrik Stahlberg, ebenfalls auf dem Filmfest zu sehen, der satirisch und provokant sein will, aber nur so vor sich hinblödelt. Western ist nicht nur ein sehr guter Film, er ist im Zweifelsfall sogar ein richtig guter Männerfilm, der in die Tiefe des menschlichen Lebens geht. Begehren ist keine Frage des Geschlechts, und auch nicht die Inszenierung von Begehren. Den Bechdel-Test hätte Western aber keinesfalls bestanden.
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Western, Donnerstag, 29.6.2017, 17:00 Uhr, ARRI Kino, und Freitag, 30.6.2017, 17:30 Uhr, Carl-Orff-Saal