29.06.2017
34. Filmfest München 2017

Girl meets boy

Western
Eine harte Männergesellschaft, heimatlos: Valeska Grisebachs meisterlicher Western
(Foto: Piffl Medien)

Verführen und Begehren ist keine Frage des Geschlechts: die Filme von Claire Denis, Sofia Coppola und Valeska Grisebach

Von Dunja Bialas

Verführen und Begehren ist keine Frage des Geschlechts: die Filme von Claire Denis, Sofia Coppola und Valeska Grisebach auf dem 35. Filmfest München

Der Eröff­nungs­film eines Festivals stellt ja immer ein Heraus­for­de­rung für die Programm­ma­cher dar, meist ist er umstritten und zufrieden ist keiner. Den Unmut aber, den Un beau soleil intérieur der fran­zö­si­schen Regis­seurin Claire Denis bei der dies­jäh­rigen Filmfest-Eröffnung hervor­ge­rufen hat, spricht Bände für das Münchner Bran­chen­pu­blikum. Das Festival jeden­falls hat mit der an sich mutigen Entschei­dung, zur Eröffnung den Film einer aner­kannten, in Deutsch­land aber nur Wenigen bekannten Autoren­fil­merin zu zeigen, dieser letztlich einen Bären­dienst erwiesen. »Ich bin klein«, stellte die Französin fest, als sie auf der Bühne des Mathäser-Kinos stand und zur großen Festi­val­lei­terin Diana Iljine aufblickte. Dies war wohl physio­gno­misch gemeint, gab es doch zum Ausdruck: Claire Denis fühlte sich fehl am Platz. Ihr Film war zuvor von einem Publikum begleitet worden, das sich wie beim Public Viewing einer Fußbal­lü­ber­tra­gung aufge­führt hatte. In normaler Sprech­laut­stärke erfolgten Kommen­tare wie: »Na, das hätten wir jetzt aber schneller haben können.« Selten hat man Leute so massiv den Saal verlassen sehen (oder hören) wie bei der dies­jäh­rigen Film­fes­teröff­nung.

Denis: Beredte Sprach­lo­sig­keit

Was aber war der Aufreger? Claire Denis macht stille, oft fast wortlose Filme. Ihr letzter Film zeigte eine neue Richtung in ihrem Werk an. Les salauds – Drecks­kerle war feinstes Genrekino, ein Gangs­ter­film, ange­sie­delt im bürger­li­chen Milieu, das sich allmäh­lich zersetzt. Mit Un beau soleil intérieur hat sie jetzt einen ganz und gar wort­ba­sierten Film gemacht, bei dem die Dialoge die Handlung nicht voran­bringen, sondern eigent­li­cher Aufent­haltsort des Films sind. Angelehnt an Roland Barthes »Fragmente einer Sprache der Liebe« zeigt Denis in verschie­denen Ausschnitten das Liebes­leben einer Frau, die immer wieder auf den Falschen trifft. Es sind frag­men­ta­ri­sche Szenen, sie formu­lieren das Extreme, nehmen Typi­sie­rungen vor und sind dabei wahn­sinnig komisch. Die Sprache gelangt an die Aphasie, an das Nicht­aus­spre­chen-Können, das Herum­drucksen: nicht mit der Sprache heraus­rü­cken, weil das Begehren zu groß und schon peinlich geworden ist.

In diesem Sinne ist Denis' Film, obwohl hier so viel geredet wird, ebenso sprachlos wie ihre früheren Filme. Ein Film, der die Handlung keiner Drama­turgie unter­ordnet, und der durch Poin­tie­rung und Stili­sie­rung das Extreme befördert: das extrem Komische, aber auch das extrem Verlorene der Frau um die Fünfzig, die vergebens eine Liebes­be­zie­hung, nicht nur eine Affäre, sucht. Juliette Binoche spielt sie, die schon in vielen Filmen als distin­gu­ierte Verfüh­rerin zu sehen war. Bei Claire Denis scheint sie sich als Verfüh­rerin zu verkleiden, um den Männern gerecht zu werden, damit ihr Begehren nicht ins Leere läuft. Und das ist das große sozio­lo­gi­sche Brennglas des Films, eine Kritik glei­cher­maßen am Mann wie an der Frau.

»Diesen Film sollte man verbieten«, war die spontane Reaktion einer Regis­seurin, die ich nach ihrer Meinung zum Film fragte. Der starke Vorwurf war, dass Un beau soleil intérieur die Frau nur in Bezug auf den Mann zeige. »Als hätte sie kein eigenes Leben!« Das ist richtig, zugleich aber geht es am Film vorbei, der kein realis­tisch-natu­ra­lis­ti­sches Abbild des Lebens sein will. Das große Miss­ver­s­tändnis lautet ja: Sobald die Bilder sich bewegen, wird Welt abge­bildet. Dass das Kino aber nach Godard auch eine Form sein kann, in der das Denken sich in Bildern äußert, gerät über das derzeit gras­sie­rende pseudo-doku­men­ta­ri­sche Kino mit Sozi­al­rea­lismus und Biopics und der damit verbun­denen Reali­täts­be­haup­tung allmäh­lich in Verges­sen­heit.

Coppola: Ein Mann im Mädchen­pen­sionat

Erstaun­lich ist die Wut der Frauen gegenüber Denis' Film dennoch. »Boy meets girl« heißt die von Billy Wilder gefundene Formel des Erzähl­kinos. Wenn dies jetzt Regis­seu­rinnen umkehren zu einem »girl meets boy«, wie Claire Denis oder jetzt auch Sofia Coppola mit The Beguiled, in der ein Mann in einem Mädchen­pen­sionat Opfer des Begehrens von gleich sieben Frauen wird, dann wird eine Fort­füh­rung des alten Systems unter dem Deck­mantel der Weib­lich­keit gemutmaßt. Die Gegen­formel hierzu lautet: Bechdel, benannt nach der Ameri­ka­nerin Alison Bechdel, die in den 1980er Jahren erstmals die Stereo­ty­pi­sie­rung von Frauen im Film unter­suchte. Erst wenn Frauen Frauen insze­nieren, die sich über etwas anderes als Männer unter­halten, ist das weibliche Kino bei sich ange­kommen, so die femi­nis­ti­sche Theorie. Da ist was dran. Gleich­zeitig muss man sich aber auch fragen: Was wären Geschichten ohne Begehren? Ist Erotik nicht ein Motor des Lebens, und sei es nur in der Subli­mie­rung, wie Freud es behauptet? Was wäre das Kino, wenn am Ende nur noch die geschlecht­er­neu­trale Ratio­na­lität bliebe? Eine Anhäufung von Thesen- und Themen­filmen?

Grisebach: Sprin­gende Klingen

Valeska Grisebach hat mit ihrem bereits in Cannes gefei­erten Western ein groß­ar­tiges Beispiel dafür geschaffen, dass die besten Filme oftmals dann entstehen, wenn politisch korrektes Gendering außen vor bleibt. Sie erzählt von der Gemein­schaft deutscher Arbeiter, die in Bulgarien eine Straße errichten sollen. »Infra­struk­tur­maß­nahme«, nennt es mal einer, »wir bringen die Zivi­li­sa­tion«. Weil ihnen das Wasser fehlt und der bestellte Kies nicht geliefert wird, ergibt sich Still­stand an der Frontier. Einer der Männer freundet sich mit den Einhei­mi­schen an, findet in der Dorf­ge­mein­schaft Heimat, Wärme und ein bisschen Liebe. Grise­bachs Film lässt Frauen nur am Rand vorkommen, zeigt sie, wie sie das Essen zube­reiten und sich im Hinter­grund halten, lässt die Männer auf ihre Pos blicken, sie zum Sexobjekt werden. Zwischen den Männern lässt sie Spring­messer sprechen und ernst­ge­meinte Ring­kämpfe austragen. Dabei erzählt sie eine viel­leicht tiefere Wahrheit über das Begehren und von der Schwie­rig­keit, diesem (als Mann) geschlech­ter­ver­träg­lich Ausdruck zu verleihen. Bis zur echten Annähe­rung der Geschlechter, die bei ihr auch den Eintritt in eine fremde Kultur bedeutet.

Valeska Grise­bachs Western erzählt so viel mehr über das männliche Begehren als beispiels­weise Fikke­fuchs von Jan Henrik Stahlberg, ebenfalls auf dem Filmfest zu sehen, der satirisch und provokant sein will, aber nur so vor sich hinblö­delt. Western ist nicht nur ein sehr guter Film, er ist im Zwei­fels­fall sogar ein richtig guter Männer­film, der in die Tiefe des mensch­li­chen Lebens geht. Begehren ist keine Frage des Geschlechts, und auch nicht die Insze­nie­rung von Begehren. Den Bechdel-Test hätte Western aber keines­falls bestanden.

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Western, Donnerstag, 29.6.2017, 17:00 Uhr, ARRI Kino, und Freitag, 30.6.2017, 17:30 Uhr, Carl-Orff-Saal