34. Filmfest München 2017
The Strength of Youth |
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Das bessere Pubertier: Jugend im belgischen Home | ||
(Foto: The Party Film Sales) |
Ob es vielleicht ein Mistral, Libeccio, eine Tramontana oder ein Schirokko ist, der in Julien Samanis Jeunesse auf hoher See wütet? Oder doch die Nevera, von dem Reiseschriftsteller Paolo Rumiz in dem Buch »Der Leuchtturm« mit gebührendem Respekt schreibt, »ein kurzer gefährlicher Sturm, der imstande ist, ein Schiff im Hafen zu versenken«. Der Name des Windes, der in diesem Seefahrerfilm den Sturm entfacht hat, bleibt letztendlich unerheblich, angesichts seiner ungeheuren wütenden Kraft. Wellen brechen haushoch über das Frachtschiff Judée herein, bringen es bedrohlich in Schieflage. Die Außenwände des Schiffes knarzen nervenzerfetzend.
Auf diesem Frachter hat der 22-jährige Zico angeheuert (Kévin Azaïs spielt ihn, der derzeit auch in Souvenir an der Seite von Isabelle Huppert zu sehen ist). Seine Begeisterung für die Seefahrerei ist zügellos, seine Selbstüberschätzung auch. »Ich lerne schnell, ich könnte gut auch Leutnant«, so wird Zico beim Kapitän vorstellig. Es ist der Drang, sich beweisen zu wollen, sich spüren zu wollen. Die Welt zu erobern. Die Hierarchie innerhalb der Mannschaft an Bord ist ihm gleich. Kenntnisse über die Seefahrerei auch. Während dieser Odyssee verändert sich der junge Mann, reift von der Landratte zum Seemann heran (Kévin Azaïsin verkörpert diesen Typ kongenial, mal verträumt, zart oder ungestüm). Illusionen zerschellen. Doch in dieser Zeit blitzt auch das Moment der Jugend roh auf, bevor es verglimmt. »Da kämpft man, arbeitet, schwitzt, bringt sich beinahe, manchmal auch ganz um, immer in dem Bestreben, irgendwas durchzuführen – das man dann doch nicht fertigbringt. Nicht aus eigenem Verschulden. Man kann nur einfach nichts vollenden, nichts Großes und nichts Kleines – kein Ding auf dieser Welt«, schrieb Joseph Conrad 1898 in seiner Erzählung »Jugend«. Seine Worte ummanteln das Geschehen auf der Judée – anfangs und am Ende. So nehmen die Ereignisse auf dem rostigen Frachter unwiderruflich ihren Lauf. Nach einem ersten, herben Rückschlag setzt die Mannschaft auf dem Frachtschiff hoffnungsvoll ihre Reise fort, um erneut ihr Glück zu versuchen.
Der französische Regisseur Julien Samani hat Conrad’s Erzählung klug und visuell interessant in die Jetztzeit geholt – in dem er von einem Traum eines jungen Mannes erzählt. In einer Zeit, wo die Seefahrerei ein schnelles Geschäft ist, wo kaum eine Reederei Verantwortung oder gar Kosten übernehmen will, Naturkatastrophen billigend in Kauf nehmend. Klassische Celloeinsätze und elektronische Musik untermalen, verstärken, kontrapunktieren die Seebilder. Rauh, sperrig und versöhnlich inszeniert Samani dieses gewaltige Seeabenteuer; mit einem guten Händchen für Dialoge und die Besetzung der Seemänner. Auf dieser Odyssee macht der Protagonist erste bittere Erfahrungen über das Leben. Und dennoch erinnert man sich am Ende wehmütig an das Aufblitzen der Jugend. Sein Chuzpe, seine Unverfrorenheit und Unberechenbarkeit.
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Eine ganz andere Tonart schlägt da der Spielfilm Home der Belgierin Fien Troch an, dessen Story um eine Gruppe Jugendlicher kreist. Kevin (Sebastian Van Dun) wurde gerade aus dem Jugendgefängnis entlassen, wo er wegen schwerer Körperverletzung einige Monate eingesessen hatte. Und da Kevin vorerst nicht nach Hause kann – die Streitereien mit seinem Vater enden zumeist in einer Schlägerei – nimmt ihn seine Tante kurzerhand auf; sein Onkel bietet ihm zudem einen Job als Lehrling in seinem Sanitätsbetrieb an. Leicht befangen nimmt Kevin das Angebot, ein neues Leben zu beginnen, an und zieht in das geräumige Kellerzimmer im Haus ein. So lernt er über seinen Cousin Sammy John und Lisa kennen; bald schon gehört Kevin zu ihrer Clique. Gemeinsam hängen sie auf einem Parkplatz hinter einem Discounter ab, abends ziehen sie um die Häuser. Auf einem ihrer Streifzüge schaut Lisa ein Video auf ihrem Handy. Sie spult erneut zu der Sequenz, in der Kevin einen Mann des nächtens brutal zusammenschlägt, bis dieser wehrlos am Boden liegt. Dann tritt er noch einmal nach. Lisa blickt zu Kevin hinüber, der ihren Blick still schweigend erwidert.
Es ist eine große Stärke von Home, Szenen ihre Mehrdeutigkeit zu lassen, auf Details um zu schwenken und dennoch straight eine Geschichte zu entwickeln. Für diesen dokumentarischen Stil wurde die belgische Regisseurin Fien Troch in Venedig – im Parallelwettbewerb »Orizzonti« – mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet. Gleich von der ersten Szene an zieht Troch den Zuschauer tief ins Geschehen hinein. Sie führt den Betrachter nah an die Protagonisten einer lost generation heran und überlässt die Einordnung des Gesehenen seiner Urteilskraft. Wenn Lehrer Schüler strikt zur Rede stellen, wenn die Jugendlichen Selfies auf Partys erstellen (nahtlos geht hier die Kameraaufnahme in die Handyaufnahmen der Handlungsebene über). Oder wenn John, nach einem zermürbenden Gespräch mit seiner Mutter, sich zwanghaft an den Armen kratzt.
Neben dem dokumentarischen Stil spielt auch verbales und nonverbales in Home eine zentrale Rolle. Die Kommunikation zwischen den Jugendlichen läuft größtenteils übers Smartphone ab. Per SMS können sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen, können gegen eine stark reglementierte Welt aufbegehren. Auch wenn dies als Verleugnungsrundmail oder Hassausruf sicherlich nicht das richtige Maß annimmt. Die Kommunikation der Erwachsenen hingegen pocht auf Autorität – und läuft bei den Jugendlichen ins Leere. Ein tiefer Graben zieht sich zwischen den Generationen. So dass sich in Home der Konflikt zwischen den Jugendlichen und der Welt der Erwachsenen mehr und mehr verdichtet, bis sich dieser eines Nachts entlädt.
Fien Trochs Bild einer Jugend, ist das, einer in sich gefangenen und stark unter Druck stehenden Generation. Körperlichkeit, Sexualität und Selbstbestimmung sind Themen, die sie stark beschäftigen. Wie Generationen zuvor. Nur ist die Gesellschaft in den medialen Zeiten eine andere; sie lässt wenig Raum für jugendliches Drängen und Sichausprobieren. Die Träume dieser Jugend werden ignorant beiseite geschoben, ohne das Ausmaß dieser Ablehnung zu erkennen. Die Kommunikation zwischen den Generationen erlahmt. Home wirft somit Fragen auf über unsere Gesellschaft auf, die Leistung als höchstes Ziel proklamiert. Am Ende ein Hoffnungsschimmer. Kevin lässt seine Kraft nicht impulsiv wie ein junger Stier heraus. Er steigt aus dem Auto und dreht eine Runde, bis die Wut verflogen ist. Beeindruckend.