Katalanische Eröffnung |
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San Sebastian 1973: Pressekonferenz mit Orson Welles (© Archivo Festival) |
»Such were the days, still, hot, heavy, disappearing one by one into the past, as if falling into an abyss for ever open in the wake of the ship; and the ship, lonely under a wisp of smoke, held on her steadfast way black and smouldering in a luminous intensity, as if scorched by a flame flicked at her from a heaven without pity.«
Joseph Conrad, »Lord Jim«
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»Un ano mas« begrüßt mich die nette Redakteurin bei RTVE. RTVE ist das nationale, regional aufgeteilte spanische Radio, vergleichbar mit ARD, die haben zwei professionelle Studios. Als ich komme, ist gerade das Fernsehteam da, man filmt sich selbst und mich jetzt auch als »internationaler Besucher«, um zu zeigen, wie hier gearbeitet wird.
»Un ano mas« – das ist eine gute Nachricht, denn es heißt, wir leben, es geht weiter, und das die Tage dahingehen lautlos, einer nach
dem anderen in Vergangenheit sich verwandeln, ist nicht das Schlechteste, so lange die »luminous intensity«, von der Conrad schreibt, weiterbrennt.
Die Feststellung ist zugleich natürlich die resignierende Einsicht, dass die Jahre vergehen. Sie drängt sich bei einem Filmfestival ganz besonders auf, so wie man sie auch nirgendwo besser vergessen kann.
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»Espana es diferente«, »Spanien ist anders« – so warb vor vielen Jahren das spanische Tourismusministerium um Billigflugtouristen aus Deutschland. In den Bettenburgen der Costa del Sol gab es Flamenco und schweren Rotwein, in der nächsten Stadt am Wochenende Stierkampf. Die Zeiten solchen Spanienurlaubs sind vorbei, der Rotwein leichter und über Stierkampf wird auch in Spanien debattiert – was nicht unbedingt ein gutes Zeichen, sondern vielleicht nur die
neoliberale Ideologie ist, die in ganz Europa alles Störende tilgen will: Rauchen, französischen Käse, Stierkampf – purificación nannte man das unter Franco.
Aber bevor wir abschweifen: Wir wollten ja eigentlich etwas anderes sagen. In der Welt der Filmfestivals macht der alte Slogan nämlich immer noch Sinn. San Sebastián ist anders!!
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Das Filmfestival in der nordostspanischen Hauptstadt des Baskenlandes ist das qualitativ viertwichtigste der Welt. Interessanter und weniger chaotisch als Locarno, übersichtlich, nicht ausschließlich auf Filmnachwuchs fixiert – ein Global Player, der über 200 Filme zeigt, in zwei Wettbewerben Preise vergibt, Regie-Altmeistern wie Anges Varda und Stars wie in diesem Jahr Monica Bellucci, James Franco, Glenn Close und John Malkovitch auf den Roten Teppich
holt.
Im Gegensatz zu anderen großen Filmfestivals ist dieses Festival kein abgeschlossener und abgehobener Betrieb, sondern ein Festival, das mitten in einer – wunderschönen – Stadt stattfindet, und es trotzdem nicht nötig hat, sich als »Publikumsfestival« halb anzubiedern, halb zu vermarkten. Denn hier gibt es niemanden, der masochistisch fünf Stunden für irgendein Ticket ansteht, und sich gerade deshalb noch toll dabei findet. Man bekommt auch eine halbe Stunde
vor Beginn noch für vieles Karten, trotzdem sitzt man in gut gefüllten Häusern gemischt zwischen Berufs-Cinephilen und stinknormalen Kinogängern.
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Im Gegensatz zu Cannes, Venedig oder Locarno hat man hier auch nie das Gefühl, die übrige Welt komplett hinter sich zu lassen, und zehn Tage in einem eigenen Orbit zu verbringen – allein über die innenpolitischen spanischen Ereignisse, den Baskenkonflikt, der einem früher an jeder Ecke begegnete, um den es in den letzten Jahren aber ruhiger geworden ist, und über die derzeitige scharfe Debatte um das von den Nationalisten geplante, aber verfassungswidrige Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien wird man hier vielmehr tagtäglich intensiv auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, das Politische und das Ästhetische, das Kino und das Leben sind in San Sebastián nicht zu trennen.
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Dazu gehört, dass fast immer während ich hier bin, die Bundestagswahl stattfindet. Eine große Erholung ist allein schon, dass man sich den Schwachsinn nicht im Fernsehen angucken muss.
Ich hoffe vor allem aufs Ende der GroKo am Sonntag, fürchte aber, dass es so weitergeht – was ich mir eigentlich klammheimlich wünsche, das ist eine absolute Merkelmehrheit, nur das und nichts anderes wäre für sie der Supergau. Man könnte Angela Merkel nichts Schlimmeres antun, als sie mit
Horst Seehofer und Jens Spahn allein zu lassen.
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San Sebastián ist auch mein Lieblingsfestival. Könnte ich mir eine Stadt unter den vielen aussuchen, in denen Filmfestivals stattfinden, um dort ein Jahr zu verbringen, würde ich wohl San Sebastián wählen, trotz Venedig. Es ist weniger Kulisse, die Luft ist besser, das Essen auch, und vor allem sind die Spanier alles in allem natürlich viel angenehmer.
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Am Vorabend ist San Sebastián aber vor allem viel Organisation: Fahrrad holen, Akkreditierung, Internetguthaben besorgen, einkaufen, Hotel beziehen und dann den Katalog lesen.
Nebenbei läuft in allen Lokalen Fußball: Real Sociedad San Sebastián verliert und steht nach gutem Start wieder im Mittelfeld – die eigentliche Sensation ist aber, das Real Madrid noch keines seiner drei Heimspiele gewonnen hat. Am Mittwoch verloren sie gar gegen das sympathische
Durchschnittsteam von Betis Sevilla – eine Sensation.
In ein paar Stunden wird das Filmfestival eröffnet. Es ist die 65. Ausgabe. Und es ist das erste internationale Filmfestival seit langem, das einen deutschen Eröffnungsfilm hat: »Submergence« von Wim Wenders. Den werden wir später sehen und besprechen.
(to be continued)