Die Farbe unseres Zeitalters |
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Ganz Technicolor: Loseys The Boy with the Green Hair von 1948 | ||
(Foto: RKO Pictures) |
»Witz und Ekel allein reichen hier nicht aus, denn in alldem, lächerlich und gefährlich zugleich, steckt ein keimender Knalleffekt aus Blut und explosivem Muff zusammen.«
Ernst Bloch über Alexander Gauland und die AfD; aus: »Politische Messungen, Pestzeit. Vormärz«, S.86
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Journalisten, die dem Festival von San Sebastián besonders wichtig sind, bekommen in diesem Jahr neben der »Goldenen« Akkreditierung (es gibt noch gelb und blau) noch einen zweiten Badge in Magenta, also Neon-Pink. Magenta ist die Farbe des Künstlichen par excellance. In der Natur kommt sie nicht vor. Blickt man in diverse Farbenlehren und farbpsychologische Ratgeber, steht sie zwar für Idealismus, Dankbarkeit, Engagement, Ordnung und Mitgefühl. Aber auch für das Schrille, Billige, für Snobismus, Arroganz und Dominanz. Beim jetzt glücklicherweise zurückliegenden Bundestagswahlkampf haben nach der SPD und der FDP zuletzt auch die GRÜNEN Magenta für ihre Kampagne entdeckt. Wieso eigentlich? Farbtheoretisch ist das Rot-Blaue Magenta jedenfalls die Komplementärfarbe zu Grün – also dessen Gegenteil. Wofür steht diese Farbenwahl also? Natürlich ist Magenta die Farbe der Telekom, ihres trügerischen Börsengangs, und nicht nur damit auch Ausdruck des Neoliberalismus, des rot angehauchten Kapitalismus und Neoliberalismus von Links. Es ist die Farbe unseres Zeitalters.
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Im Café Principe kann man sie alle treffen: Ruben Östlund, der mit »The Square« in Cannes die Goldene Palme gewinnen hat, seinen Produzenten Phillippe Bober; Sebastian und Peter, seit zwei Jahren die beiden charmanten jungen Leiter der Grazer »Diagonale«; Eva Herrero, eine in Spanien wichtige Pressefrau; Barbara Albert, deren Film »Licht« hier im Wettbewerb läuft; die Regisseure den koreanischen
Redakteure wie Carlos Gerstenhauer vom BR, Holger Stern von ZDF-Arte, den Kölner
Produzenten Christoph Friedel (Pandora) und Inaki, den ich im vorigen Jahr kennengelernt habe, und der hier immer im Principe die Regisseursgespräche moderiert. Und das sind nur einige von denen, die ich erkenne, und die mir jetzt einfallen.
Wim Wenders allerdings haben wir dort nicht gesehen. Der war nach seinem Eröffnungsfilm am Freitag vor einer Woche dann zwar noch auf der Eröffnungsfeier, in den in den Fels gehauenen alten Kloster-Räumen von San Telmo, aber so richtig in
Partylaune schien er nicht. Etwas verträumt und eher in sich gekehrt wirkend, schlenderte er hinter den Empfangsgästen nahe der Wände entlang, und guckte sich die alten Gemälde im El-Greco-Stil an.
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Dieser latent autistische Eindruck gab Anlass, noch einmal über Wenders' Eröffnungsfilm Submergence zu reden. Wie sonderbar, nein, lassen wir die Höflichkeit: Wie schlecht der Film ist, wird einem erst klar, wenn man versucht, zu erzählen, worum es geht.
Es ist gar nicht das Altherrenhafte, das manche bereits an Wenders' letzten Filmen zu bemeckern hatten. Was das genau sein
soll, weiß ich sowieso nicht, denn auch junge und mittelalte Männer stehen auf junge hübsche Frauen (und sogar manche Frauen tun das). Und es hat für mich mindestens ein Geschmäckle, wenn ältere Damen älteren Herren vorwerfen, »altherrenhaft« zu sein. Zumal – wenn man dann umgekehrt mal einen Film oder eine Kritikerin »damenhaft«, »altjüngferlich« oder auch nur »Frauenphantasie« nennt, dann ist das angeblich sofort irgendwie frauenfeindlich.
Nein, dieses deutlich
erkennbare Verlangen, jung zu sein, dazu zu gehören zu den Jungen, das ist ja nur zu verständlich, und das kennt man von vielen Filmemachern. Auch wenn es manchen besser gelingt, als Wenders, tatsächlich jung zu bleiben.
Mich stört vielmehr diese Mischung aus ganz großen Themen, Kitsch und Schmunzelhumor. Die großen Themen werden dann sehr oberflächlich, bestenfalls populärphilosophisch abgehandelt, und was dabei rauskommt geht nicht über die Horoskopseite einer
Frauenzeitschrift hinaus – ist das jetzt auch wieder frauenfeindlich? Der Schmunzelhumor ist auf dem Niveau, dass die ganz ernst an der Rettung der Welt arbeitende, den Ursprung des Lebens suchende und unter Liebeskummer leidende Bio-Mathematik-Professorin – hmpf! – Alicia Vikander, dann nicht einfach in ein U-Boot steigt, sondern in ein gelbe U-Boot. Eine »Yellow Submarine« – alles klar?
A propos frauenfeindlich: Ist schon mal jemand aufgefallen, dass
man das Werk von Wim Wenders sehr klar in vier Phasen unterteilen kann? Jede dieser Phasen wird durch die Frau geprägt, mit der Wenders da gerade zusammen war.
Die noch andauernde Donata-Wenders ist ganz objektiv die, in der der Regisseur den geringsten Erfolg hatte, und dem Publikum einige wirkliche Peinlichkeiten zumutete, die selbst die enthusiastischsten Fans verschreckten.
Und jemand, der den Regisseur viel besser und länger kennt, als ich, ließ sich gar zu der Bemerkung
verführen: »Die Donata Wenders, die hat den Wim total versaut. Seit die zusammen sind, hat der Wim keinen guten Film mehr gemacht.« Ich kann leider nicht widersprechen.
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Der erste bemerkenswerte Film, noch außerhalb des Wettbewerb, war ein Anime aus Japan: Fireworks – Alles eine Frage der Zeit ist der Titel des Films von Akiyuki Shinbo. Ein Remake des gleichnamigen 50-Minuten-Films von Shunji Iwai aus den frühen 90ern – jetzt auf Spielfilmlänge, aber nicht mehr mit Schauspielern, sondern eben Anime. Das wird dieser
romantischen Nerd-Boy-meets-TraumGirl-Geschichte mit Zeitsprüngen und Tagträumen sehr gerecht. Lange ist mir bei einem Anime nicht mehr derart deutlich aufgefallen, dass Anime enorm interessante Möglichkeiten besitzt, die das Photographische einfach nicht hat, und auf die das digitale Zeitalter noch nicht gekommen ist. Etwa die Verwandlung einer Perspektive in einen viel-facettenhaften Libellenblick, in plötzliches Innehalten bei einem Wettschwimmen indem erst der Blick einer
Figur gezeugt wird, der ihrer Handlung vorausgeht.
So etwas ist spannend, und die im Prinzip sehr klassische Geschichte gefällt mir mit ihren Anspielungen auf 80er-Jahre J-Pop, etwa auf Seiko Matsuda, deren Lieder die Hauptfigur von ihrer Mutter gelernt hat: »There is no night/ which is not followed by a dawn.« Gegen den Gruppenzwang der Idioten müssen sich zwei Outsider durchsetzen.
Trotzdem man von den Japanern lernen kann, wie Romantik auf der Leinwand geht, ist dies kein
durchweg guter Film, sondern einfach ein runder Date-Movie für Teenager.
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Es bleibt noch die Frage nach dem Kino: »What happened to Shunji Iwai?« Ja, was wurde eigentlich aus Shunji Iwai, dem begabtesten, besten japanischen Regisseur der 90er Jahre? Bald nach seinem Meisterwerk All About Lily Chou-Chou (2002 im Berlinale-Panorama), dass ich nach wie vor jedem empfehlen kann, und das leider international auch nicht entsprechend gewürdigt wurde, starb sein Kameramann Noboru Shinoda. Seitdem hat auch Shunji Iwai kaum noch etwas gemacht. Zerronnen im Sand der Zeit.
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Best trust the happy moments. What they gave
Makes man less fearful of the certain grave,
And gives his work compassion and new eyes.
The days that make us happy make us wise.
John Masefield: »Biography«
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Die diesjährige Retrospektive – und es gibt dieses Jahr im Gegensatz zu anderen Jahren nur eine einzige – gilt Joseph Losey. Als ich das zuerst hörte, war ich enttäuscht. Ich weiß fast nichts von Losey, und vermute, dass dies schon seinen Grund haben wird. Aber ganz so ist es nicht, das wird schon am ersten Tag klar.
Es geht damit los, dass Losey, geboren 1909, gestorben 1984, Amerikaner ist, obwohl ihn viele heute für einen Briten halten. Denn nach seinem zweiten Film
emigrierte der widerständige Einzelkämpfer vor McCarthys Liberalenhatz nach Europa, drehte dort seine Filme, die ihn erst sehr allmählich berühmt machten – einmal gewann er sogar die Goldene Palme von Cannes.
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Mit dabei habe ich das Losey-Buch aus der alten (blauen) »Reihe Film« des Hanser Verlags (Bd.11), herausgegeben von Wolfram Schütte und Peter W. Jansen, das sich als sehr lesenswert entpuppt.
Aber Losey selbst ist mühsam zu sehen, und sehr schwer zu fassen. Ein dezidiert linker Filmemacher, zeitweise Stalinist, drehte er ganz früh einen Werbefilm, der die Vorzüge des American Way of Life mit denen der Ölindustrie zusammen anpries. Viele seiner Filme sind überdeutlich in ihren
Aussagen, unangenehm didaktisch – allerdings auch Auftragsarbeiten und im Ergebnis erzwungen, insofern in ihren Schwächen nicht unbedingt dem Regisseur anzulasten.
Schon sein erster Spielfilm zeigt einige Leitmotive und Qualitäten Loseys: das soziale Engagement, die Bereitschaft vom schlicht-Realistischen abzusehen, das Interesse für Kinder und Kinderperspektiven und für Vater-Sohn-Konflikte. Loseys Blick ist übrigens sehr männerlastig. Auch die Kinder sind immer
Jungs. Frauen aus eigenem Recht und in eigener Perspektive sieht man kaum in Loseys Filmen.
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The Boy with the Green Hair von 1948 ist ein Film in Technicolor, dem man anmerkt, dass Technicolor damals noch sehr neu war, dass man mit den Effekten experimentierte, der aber auch jenseits seiner visuellen Effekte – sonnendurchflutete, orangene Himmel, rosastrahlende Kugeln an einem Weihnachtsbaum, und tatsächlich ein Junge mit leuchtend grünem Haar,
seine Reize hat.
Es beginnt mit einem stummen, kahlgeschorenen Jungen auf einer Polizeistation. Gespielt wird er eindringlich und extrem professionell von Kinderstar Dean Stockwell, seinerzeit 12 Jahre alt, der es später tatsächlich schaffte, auch als Erwachsener zum Routinier zu werden, und in so unterschiedlichen Filmen wie u.a. Paris, Texas, To Live and Die in L.A., Blue Velvet und The Player mitzuspielen. Für seinen Auftritt in Married to the Mob bekam er gar eine Oscar-Nominierung.
Robert Ryan ist ein Kinderpsychologe und soll ihn zum Sprechen bringen. Das schafft er, indem er dem Hungrigen ein Sandwhich vor die Nase*Lhält: »Lets start where it all began.« Im Rückblick erzählt der Junge namens Peter nun seine Erinnerungen, an die Eltern, den Großvater, der ihn pflegte, wenn die Eltern auf Reisen waren – es gibt Showeinlagen, die erzählerisch sinnlos sind, aber die Bedürfnisse des
Unterhaltungskinos befriedigen –, von häufigen Wohnungswechseln. Eines Tages sieht er in der Schule Plakate, die ihn auf das Schicksal von Kriegswaisen und den vielen zu Opfern des Zweiten Weltkriegs gewordenen Kindern hinweisen: »Remember Greece«, »Jugoslavian Children.«. Und es stellt sich heraus, dass alle in der Schule wissen, dass er selbst Kriegswaise ist – nur Peter will es nicht wahrhaben. Die öffentliche Enthüllung (= Bloßstellung) traumatisiert ihn
endgültig.
Als er am nächsten Morgen aufwacht, hat er grüne Haare, »the color of spring, of hope« – und der Film stellt sich auf die Seite des Jungen, zeigt seine grünen Haare und dementiert deswegen alle Versuche, dies einfach als bloße Einbildung, als psychischen Spleen abtun.
In der Wirkung auf die Außenwelt stellt sich ein Gefühl ein für das, was einmal Punk hieß: Die Mädchen finden die Haare erst schön, werden dann von ihren Müttern zurückgepfiffen, die Jungs verspotten
den »Freak«. Er wird vom Opfer des Kriegs zum Außenseiter des Friedens, wird zuerst Verfolgung ausgesetzt, dann durch Gruppenzwang unter Druck gesetzt. Die Erwachsenen sind noch furchtbarer als ihre Kinder: Um Gerüchten entgegenzutreten, die Milch sei verseucht, das Wasser – ein Hauch von Atomangst ist, nur unbewusst spürbar, tritt erst später, im Rückblick, nachdem ich Loseys »The Damned« gesehen habe, ans Bewußtsein –, muss Peter such die Haare abscheren lassen. Da
hilft es nichts, dass der Arzt des Ortes ihn für komplett gesund erklärt und ebenso an seine Seite tritt, wie die Lehrerin – das alte Bündnis der Aufklärung aus praktischer Wissenschaft und progressiver Erziehung funktioniert gegen einen postfaktisch motivierten Mob bereits 1948 nicht.
Der Film ist voller platter Allegorien und Symbolismen, wie dem offenkundig phantasierten Treffen Peters mit den geisterhaften Kindern auf den Schul-Kriegskinderpostern, die Peter im
Wald voller Pathos über seine Mission als Antikriegszeuge aufklären, und ein bisschen didaktisch, etwa auch seiner Schlußforderung »Remind them!«
Aber man merkt sich diesen bizarren Film mit seinen eindringlichen Bildern
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Der Pazifismus verbindet diesen Film mit King and Country, der 16 Jahre später, 1964 entstand. Losey war etabliert, wenn auch noch nicht als großer Autorenfilmer wahrgenommen.
Bilder des Arc de Triomphe leiten den Film ein, die Kamera geht hinunter zu Toten und Stiefeln, ein Schnitt zu Granateinschlägen, ein Schnitt zu einem Skelett,
das noch mit Uniform bekleidet ist.
Dann geht das eigentliche Drama los: Ein Theaterstück? Jedenfalls theatralisch. Viel Gerede. Kein Film, sondern abgefilmtes Theater. Aber gute Schauspieler. Im Ersten Weltkrieg, Westfront, es geht um eine Anklage gegen einen Deserteur, ihm droht die Todesstrafe. Dirk Bogarde ist der zwangsbestellte Verteidiger des Kriegsgerichts, ein desillusionierter Mann, der widerwillig seine Pflicht tut, aber zunehmend den generellen Zorn über die
Lage auf den Fall projiziert.
Neben den erkennbar gebauten Kulissen sieht man Regen, permanenten Matsch, im Dreckloch tollt ein theaterhafter Chor aus »einfachen Soldaten« und räsoniert über die schändlichen Seiten des Kriegs.
Die Debatten konfrontieren Law mit Justice. Was ist wichtiger?
Ganz toll ist, wie die Offiziere untereinander reden, jenes distinguierte Oberklassenenglisch, das Losey immer wieder einsetzt. Ganz toll ist auch Dirk Bogarde. Sein schlanker Körper
in dieser Uniform, mit den Beinen einer Balletttänzerin. Seine Erschütterung, als der Angeklagte, sein Mandant trotzdem zum Tod verurteilt wird, to »teach them a lesson.« »It was a technical desertion«, ist Bogarde zum Wegschmelzen.
Dann zitiert er John Masefields very georgian poem »Biography«:
When I am buried, all my thoughts and acts
Will be reduced to lists of dates and facts,
And long before this wandering flesh is rotten
The dates which made
me will be all forgotten
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The Big Night von 1951 ist der zweite amerikanische Film von Losey. Im Zentrum dieser einfachen Geschichte steht George (John Drew Barrymore), ein »angry young man«. »He still smells like milk« sagen die Kumpels, das Repressive der Jugendkultur im Amerika der frühen 50er wird von Losey sofort herausgearbeitet. Der Vater sagt ihm dann noch, dass er sich einen
Haircut besorgen solle – wieder wird das Haareschneiden zum Symbol von Zivilisierung und Eingliederung ins angeblich bessere Große, Ganze.
Und tatsächlich ist dies ein Film über ein Vaterproblem, das vieler amerikanischer Filme, und um die Zivilisierung und Bändigung des Sohnes. Die »big night« ist die eines törrichten Jungen, der in diesem Stationendrama einen Fehler nach dem anderen macht, und so unter Mühen und Opfern die Welt der Erwachsenen kennen und vor allem
anerkennen lernt.
Der Vater war Boxer und ist zu stark, die Mutter war eine Schlampe, wie er heimlich ahnt, und so steht dieser Hysteriker zwischen allen Stühlen. Georges muss sich erst betrinken, um seine Gefühle auszusprechen, dann gesteht er einer liebevollen jungen Frau: »I just want to say: father I love you. I felt all tight up.«
Zuvor aber stößt er die Menschen vor den Kopf, oder beleidigt sie gar ungewollt, wie in der großartigsten Szene von »The Big Night«, die in einem
Nachtclub spielt, und in der der betrunkene Georges eine schwarze Sängerin schüchtern anspricht, und den Moment sofort verdirbt. Die Sängerin Mauri Lynn spielt sie in einem von nur drei Filmauftritten ihres Lebens – es ist ein Augenblick für die Ewigkeit, wenn sie singt, und dann wenn ihr Gesicht erstarrt, als sie die Beleidigung hört.
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Immer wieder steht dieser junge Mann vor irgendeinem Spiegel, immer wieder sagt er dumme schreckliche Dinge, die er dann vergeblich mit einem »I didn*ft mean to say it« zurückzunehmen sucht, und immer wieder erkennt er, der brave all american boy, neue hässliche Seiten in sich selbst.
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In seinem dritten amerikanischen Film hat Losey dann etwas gemacht, was er nicht hätte tun sollen, weil es nicht gutgehen kann: Ein Remake von Fritz Langs M. Alles spielt in Los Angeles, ist weit statt eng, sonnig statt nächtlich und angesichts von Langs meisterhafter Vorlage von unglaublichem Unverstand geprägt. Daran trägt Losey keine Hauptschuld, er hat das Projekt angeblich sogar zweimal
abgelehnt, aber er tut auch zu wenig, um das Desaster zu verhindern: Alle guten Einfälle des Films stammen von Lang, sind hier aber herunterbanalisiert, alles Schlechte, und das ist viel, ist neu.
Losey hat, wie seine Kommentare zum Film belegen, Lang überhaupt nicht verstanden, er glaubt, dieser habe den von Peter Lorre gespielten »Sexkiller« ... »als Monstrum zeigen wollen, das den Tod verdient habe.« Das Gegenteil trifft zu.
Die wirkliche Veränderung, vom Schauplatz
abgesehen, besteht im Einbruch der Psychoanalyse ins kultursoziologische Terrain von Langs Vorlage. Dem Täter wird eine Mutterfixierung und der entsprechende Ödipuskomplex angeschminkt, aber das führt nur zu Verwirrung, erklärt nichts, sondern bestätigt nur eine Hollywood-Mode.
Immerhin zeigt der Film passend zur McCarthy-Ära eine Gesellschaft in Panik auf Phantomjagd und die fanatische Hatz gegen Einzelne – wenn auch hier durch »Schuld« legitimiert.
Gutes
Bazin-Zitat dazu: »Das wahre Verbrechen des Verbrechers ist: anders zu sein, als der normale durchschnittliche amerikanische Mensch.«
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Das Motiv des von der Massen Gehetzten, der einzelnen Verlorenen ist es, das Losey von M – Eine Stadt sucht einen Mörder behält und mehrfach in seine nun einsetzenden europäischen Filme überträgt – vielleicht auch aus der Identifikation des Opfers der Blacklist.
Erstmals in Embarco a Mezzanotte (englisch: »Stranger on the Prowl«), den Losey nach seiner Flucht 1952 in Italien drehte. Henri Alekan führte die Kamera in diesem trotz aller sentimentalen, kitschigen, unglaubwürdigen, und offen konstruierten Elemente erstaunlich geglückten Film. Nichts ist subtil hier, aber sehr dicht, handwerklich sehr anständig gemacht.
Hintergrund bildet ein neorealistisches Szenario: Die Not der kleinen Leute im Nachkriegsitalien,
Kinder, die sich nach dem Zirkus sehnen. Anfangs kann man es kaum mit ansehen, will rausgehen, aber dann zieht der Film an.
Zwei Erzählstränge und eine Handvoll Personen verbinden sich, kommen zusammen im Finale. Giacomo, ein Straßenjunge, lebt mit seiner Schwester, und seiner Mutter, einer Anna Magnani für Arme, die als Wäscherin arbeitet,unter kargen Verhältnissen, trägt Wäsche aus, spielt Murmeln für Geld, will den Zirkus besuchen, und sucht eigentlich einen Ersatzvater
Den findet
er in einem älteren Mann (bis zum Schluss namenlos), der mit einen Schiff mitgenommen werden will, aber die 25.000 Lire für die Passage nicht zahlen kann. Sein einziges Gut: Eine Pistole. Er will verkaufen, aber es glückt nicht.
Aus Versehen tötet er eine Händlerin. Als die Polizei ihm auf den Fersen ist, trifft er auf Giacomo, der naiv glaubt,sie jage ihn. Beide helfen einander.
Es gibt viele Nebenfiguren und Handlungen, die aber alle am Ende irgendeinen Sinn machen: Ein doofer
Radrennfahrer, den eine kleine Angestellte anschwärmt; der böse Polizist mit sadistischem Einschlag; ein alter Mann der – »Life is hard« – sein altes Pferd zum Pferdemetzger bringt; ein böser Reicher, der von der Angestellten Sex will, im Gegenzug fürs Totschweigen von Diebstählen. Ausgerechnet er erklärt Giacomo: »Business is not like playing marbles. Business is hard work.«
Giacomo ist streetwise, hilft dem Mann auf der Flucht durch Kanäle und Straßen, bis in die
Wohnung der Angestellten. Am Ende rettet der Alte das Leben von Giacomo – dann wird er von der Polizei erschossen. Neorealismus mit sehr melodramatischem Einschlag: »Why didnt you give him a piece of cheese – you would have prevented a murder.«
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Wieder Zirkus, wieder Kinder, wieder Vatersuche, wieder Jagd – einige Leitmotive schälen sich bereits heraus.
(to be continued)