74. Filmfestspiele von Venedig 2017
The Reds and the Jews are behind it... |
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Der bis auf Weiteres bezaubernste Wettbewerbsbeitrag – The Shape of Water | ||
(Foto: Twentieth (20th) Century Fox of Germany GmbH) |
»Decency? Decency is for export. We sell it, because we don:t need it. Now get some real decency, and unfuck this mess!«
Ein US-General in »The Shape of Water«
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Heute riecht es nach Kanalisation im Sala Grande und im ganzen alten Festivalgebäude. In der Nacht zum Freitag gab es ein zweistündiges, überaus heftiges Gewitter und es hat geregnet wie aus Eimern. Als ich am Morgen dann bei Nieselregen zum Palazzo fuhr, um bereits um 8 Uhr mein erstes Radio-Gespräch des Tages zu führen, begrüßte mich Eleonora, seit Jahren die großartige Producerin der RAI mit dem schönen Satz »The shit is coming up« und einem entsprechenden Gesicht dazu.
Während ich mit der Live-Schaltung beschäftigt war, waren sie und einer »ihr« Techniker derweil mit dem Fön zugange, um die elektrischen Anschlüsse zu trocknen.
Auch bei der Pressevorführung von Andrew Haighs Lean on Pete, die ein paar Minuten später im »Darsenna« begann, tropfte es regelmäßig auf meine rechte Schulter und bestimmt noch ein paar andere Stellen im Saal – unglaublich eigentlich, denn dieser Haupt-Saal des Festivals war ja erst vor ein
paar Jahren generalrenoviert worden.
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Die Vorführung war für einen Morgen erstaunlich leer. Lean on Pete ist der erste US-Film des Briten Andrew Haigh und der Typ Film, der ein dreckiges, hoffnungsloses Amerika zeigt, um dann doch in Hoffnung zu münden, so plot-driven, dass man es nicht aushalten mag. Außerdem eigentlich zwei bis drei Filme in einem: Charlie ist 16, lebt mit alleinerziehendem Prolo-Vater bei Portland. Der Papa hat nur Ratschläge über Stripper und Bedienungen, ansonsten gilt:
Joggen und losen. Er hat mal ganz gut Football gespielt, aber damit ist es vorbei.
Durch Zufall lernt Charlie dann einen älteren Mann kennen, der sein Geld als Pferdebesitzer auf Provinzrennen verdient. Steve Buscemi spielt ihn, der Charlie Arbeit, Geld und Sinn gibt, und für ihn ein altersweiser netter Ratgeber wird, auch ein zweiter Vater: »Wo sind Deine Ess-Manieren?« sagt er ihm, aber auch »Dont run, walk«. Bald fasst Charlie besondere Zuneigung zu dem Pferd Lean on
Pete und so entwickelt sich ein das-Pferd-als-bester-Freund-des-Menschen-Drama.
Irgendwann stirbt Charlies Vater, und als dann noch »Lean on Pete« zum Pferdemetzger soll, reißt Charlie verzweifelt mit dem Pferd aus.
Nun wird der Film zu einem Drama der Heimatlosigkeit mit Western-Anleihen, und Charlie zum Drifter. Eine Viertelstunde zeigt der Film ihn vor allem in der Wüste, wie er mit dem Pferd redet. Dann kommt es zu einem Unglück, und »Lean on Pete« stirbt.
Charlie geht weiter, unter dem Radar der schwachen Sozialbehörden, auf der Suche nach seiner Tante. So ist dies auch ein Film über die Todessehnsucht im Herzen der Frontiermythen. Charlie geht in bewohnte Häuser,
Obdachlosenküchen, findet Jobs, wird beklaut, wehrt sich, und landet irgendwann in Laramie, Wyoming. »Freedom is just another word for nothing left to lose.«
Lean on Pete zeigt ein kaputtes Amerika, eines des White Trash, ohne Rassismus (auch ohne Hautfarben) und andere innere Konflikte. Die Engländer in Amerika, entdecken – wie Wenders und Schlöndorff das Deutsche –, auch nur eine Variante des Britischen in Amerika, in diesem Fall des
Sozialdramas, wie zuletzt Andrea Arnold. Kein schlechter Film, aber ein Wettbewerbsfilm ist das für mich nicht.
Doch dann, natürlich, findet er auf wundersame Weise doch noch die Tante und das ganze Leben ist wieder in Ordnung. Er wird in die Schule gehen, seine Alpträume verlieren, und nicht verwahrlosen, und er wird, wie er der Tante sagt, wieder Football spielen.
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Einen Tag vorher hätte der Regen viel besser gepasst. Da lief The Shape of Water vom Mexikaner Guillermo Del Toro am Morgen – der bis auf Weiteres bezauberndste Wettbewerbsbeitrag, in dem es auch ständig regnet. Auch Del Toro ist einer, der wie Friedkin und Schrader die »andere Seite« sucht. Diese ist im Kino immer auch die der Phantasie und der Bilderkraft, zumal bei katholischen Regisseuren wie es Del Toro ist.
Mit wunderbarem, sehr originellem Production-Design und nostalgischen Bildern, in den Grün-, Gelb- und Brauntöne dominieren, erzählt The Shape of Water eine märchenhafte Geschichte, in der Eliza (Sally Hawkins) gewissermaßen eine amerikanische Cousine von Jeuets Amélie, in einem imaginären Früh-Sechziger-Jahre Baltimore als Putzfrau in einem Rüstungsbetrieb arbeitet. Eliza ist auch noch stumm und da sie direkt über einem Kino wohnt – dort läuft gerade anspielungsreich der Kostümschinken The Story of Ruth, was den Film exakt auf das Jahr 1960 datiert – so besteht ihr Leben vor allem aus dem Schwärmen für diverse Fernsehstars. Diese Helden aus der Frühzeit des Fernsehens kenne ich leider zu wenig, um Bezüge herstellen zu können. Aber die Botschaft ist klar: Es geht um eine Unschuld, die in den nächsten Jahren zerbrechen wird, es geht auch um eine Gegenwelt zur Vorhandenen, die diese zweite Traumfabrik Amerikas seit den Fünfzigern bis weit in die 80er, frühen 90er Jahre hinein repräsentierte, bevor das globalisierte Kommerzfernsehen diese fest gefügte (nicht geschlossene) auf ihre subversive Art heile Welt zerbrechen ließ. Diese Welt, die auch in George Clooney Suburbicon (siehe unten) eine wichtige Rolle spielt, war nach innen durchlässig, sie war offen für den Zeitgeist, und ihr lagen bei aller Zerstreuungsabsicht aufklärerische Grundabsichten zugrunde, es war die Schule der Gesellschaft.
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Eines Tages entdeckt Eliza in ihrer Firma ein Wesen aus einer anderen Welt, eine Mischung aus Mensch und Fisch, die bis zum Ende namenlos bleibt. Es wird in Ketten gehalten und brutal misshandelt, Wissenschaftler wollen es mit plumpen Methoden erforschen, die Militärs am liebsten töten.
Eliza dagegen ist vom ersten Augenblick an fasziniert, sie freundet sich mit dem Wesen an, was ihr durch ihre Fähigkeit zur Zeichensprache offenbar besonders leicht fällt. Außerdem hilft die Musik.
Die scheinbar unscheinbare Eliza freundet sich mit diesem Wesen an, von dem sie sich verstanden fühlt, und als »normal« wahrgenommen.
Ihr Gegenspieler wird bald der vom Militär abgestellte, ihm unterstellte Sicherheitschef Strickland (Michael Shannon einmal mehr in einer für ihn gemachten Rolle): »I do not feel. I deliver.« Er foltert das gefangene Wesen, worauf ihm dieses einmal zwei Finger abbeißt. Sein Kommentar: »But I still got my thumb, my trigger and my
pussyfinger.«
Strickland lebt in den Suburbs eine Musterexistenz des weißen American Dream: Rassist, Reaktionär, Sadist voller unterdrückter böser Triebe und Traumata.
Kaum besser sein Kommandeur, ein Fünf-Sterne-General, dem das Drehbuch die schönsten Sätze schenkt: »You see the stars on my shoulder? Count them. They are five. You know, what those five stars mean? They mean I can do, whatever I want.«
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So entfaltet sich eine vielschichtige Romanze, eine Abenteuerfantasy-Geschichte für Erwachsene, die zugleich von Paranoia, in der sowjetische Spione, ein repressives US-Suburbia und die Faszination für das alte Hollywood-Kino die Hauptrolle spielen – »Die Schöne und das Biest im Kalten Krieg«. Das Ende ist offen, poetisch, ein Märchen ist dies auf jeden Fall.
Ganz klar aber auch eine Hommage ans Kino und ans Fernsehen. Ein Film voller Klischees, aber auch das bewusste
Spiel mit ihnen, eine Feier des Kinos, dieser Regisseur liebt das Kino mit seinen Klischees, sein neuer Film gefällt vor vor allem durch seine Lust am Geschichtenerzählen und an einem Kino der Bilder – und es ist dabei auch Kino, dem es gelingt, en passent vom Klimawandel und der Ökologie zu erzählen, so viel klüger und subtiler, als etwa Alexander Payne.
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In diesem Jahr in Venedig treffe ich in der gleichen Reihe, in der ich im »Darsenna« gern sitze, ein paar Italiener, die auch immer wieder in Cannes (wo ich richtige Lieblingsplätze habe) regelmäßig neben mir sitzen – es gibt unter uns offenbar so etwas wie einen gemeinsamen Platzgeschmack, einen instinktiven Hang zu bestimmten Plätzen im Kino.
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Klare Parallelen zu Del Toro und leichte Parallelen zu Payne sind in »Suburbicon« zu entdecken, dem neuen Film von George Clooney als Regisseur, dessen Drehbuch die Coen-Brüder schrieben, dessen schwarzen, brutalen und brutal-abgründigen Komödien dieser Film noch mehr ähnelt, als Clooneys bisherigen Regie-Arbeiten.
Auch hier 50er Jahre-Setting; alles ganz klar auf 1959 datiert, also wiederum auf das vorletzte Jahr der Eisenhower-Ära, als das »amerikanische Jahrhundert« bereits
fragwürdig und die amerikanischen Träume brüchig wurden.
Auch hier eine ähnliche Rolle des (Schwarzweiß-)Fernsehens mit seiner Funktion als weltordnende und weltgliedernde, auch beruhigende, stabilisierende und damit quasi religiöse Macht.
»Suburbicon« ist irgendwo in Kalifornien angesiedelt, eine fiktive idealtypische Vorstadtsiedlung, die dem »Leisureland« in Paynes Downsizing so ähnlich seht, wie dem Suburbia in der Truman Show: Idealtypisches 50er-Jahre Leben. Dazu gehört auch die white community. Als eine neue Familie schwarze Hautfarbe hat, zeigt Suburbicon sein hässliches Gesicht: »We don‘t want them here.« Wird gerufen, und dann machen Spießer-Faschos mit Crew Cut vor dem Haus hasserfüllte
Dauerrandale.
Es ist auch sonst eine wahre Horror-Welt. Im Radio boomen die letzten großen Radioshows in denen Gothic Tales über »Hounted Houses« und Serienmörder im Zentrum stehen, und draußen sieht es nicht besser aus.
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Erzählt werden aus doppelter Kinderperspektive ein paar Tage im Leben von Nicky und Noah. Nicky lebt mit Vater Gardner (Matt Damon), seiner querschnittgelähmten Mutter Rose (Julianne Moore) und deren Zwillingsschwester Maggie (wieder Moore) in Suburbicon, Noah ist der neu hinzugezogene schwarze Nachbarsjunge. Eines Nachts wird Nicky geweckt, zwei fremde Männer sind ins Haus eingedrungen, haben die Erwachsenen als Geiseln genommen. Alle werden gefesselt und betäubt, am nächsten Morgen ist die Mutter tot, und das Paradies der Kindheit endgültig zerstört. Schnell und überaus gradlinig entwickelt sich die Handlung weiter: Nickys Vater beginnt bald nach dem Überfall wieder mit der Büroarbeit. Dann kommt ein Anruf der Polizei: Zwei Verdächtige sind gefasst worden, es soll eine Zeugen-Gegenüberstellung stattfinden. Maggie bringt Nicky mit und darum sieht dieser, was er nie sehen sollte: Die Verdächtigen sind tatsächlich die Täter, aber Vater und Tante wollen sie nicht identifizieren. Der Junge ist erschüttert. Stündlich wächst sein Misstrauen gegen Vater und Tante, nicht erst, als die Tante zur hexenhaften bösen Stiefmutter mutiert, als er sieht, wie der Vater nachts ins Zimmer der Tante schleicht, als er beide einmal im Keller bei Sado-Maso-Sexspielchen mit dem Tischtennisschläger erwischt – Clooney erzählt hier auch eine radikalisierte Form des Erwachsenwerdens, der Emanzipation von den Eltern. Der Vater spürt die Distanzierung, zugleich hat er offenkundig etwas zu verbergen. Der Sohn soll auf eine Militärakademie, »um Disziplin zu lernen«.
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Es ist die Perversion des American Dream,um die es Clooney geht, die zeitgenössische, die aber in seinem Blick eine historische Tiefendimension bekommt. Auch Amerika hat seinen Keller und seine Leichen darin. Die Vaterfigur wird in diesem Film ein für alle mal beseitigt – nicht nur, weil der Vater kriminell ist, sondern auch, weil er ein Vollidiot ist.
Es ist bald klar, dass Vater und Tante professionelle Killer engagierten, um an die Versicherungspolice zu kommen,
und es ist bald ebenso klar, dass sie dabei so dilettantisch agierten, dass das Verbrechen auffliegen wird. Offen ist nur, wie schnell und wie viele Menschen vorher noch sterben werden. Der Investigator der Versicherung taucht auf, ein professioneller Skeptiker, der Koinzidenz nicht glauben will: »That happens in the opera a lot, but in real life its quite rare.«
Clooney nutzt die Mittel des Paranoia-Films um über »Coincidences« und Wahrscheinlichkeiten zu reflektieren. Die Paranoia ist anders, als bei Schrader. Denn Schrader glaubt an Autoritäten und seien es die Gottes, und sein Film »First Reformed« ist darum ein autoritärer. »Suburbicon« ist antiautoritär und anarchistisch, am Ende sogar abgründig. Denn die 50er Jahre dieses Films wirken vor dem Hintergrund von Charlottesville überaus zeitgemäß. Alles was Nicky passiert,
passiert auf andere Weise auch Noah – nur dass hier seine Eltern auch Opfer sind. Der Horror in Nickys Elternhaus lenkt nur von der Lynchstimmung des Mobs auf der Straße vor Noahs Elternhaus ab – dies sind genaugenommen die weitaus empörenderen Vorfälle. Mit diesem Janusantlitz der Handlung spielt der Film.
Im Gegensatz zu Noah ist für Nicky der Alptraum irgendwann zuende. Im letzten Bild spielen Noah und Nicky Baseball – über den Gartenzaun hinweg.
(to be continued)