04.09.2017
74. Filmfestspiele von Venedig 2017

»It's all an illusion«

Foxtrot
Immerhin künstlerisch konsequent: Foxtrot
(Foto: NFP/Filmwelt)

Schlag auf Schlag: Filme, die man trotzdem mag und Neues von Sakamoto und Guediguian – Notizen aus Venedig, Folge 7

Von Rüdiger Suchsland

»Artists sense danger early. like canaries in a coal mine.«
Ryuichi Sakamoto

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Das erste Viertel von Venedig gehört immer den Ameri­ka­nern, bevor die dann nach Toronto oder neuer­dings sehr oft nach Telluride abreisen. So langsam lichten sich jetzt deren Reihen, und andere Film­na­tionen rücken in den Vorder­grund.
Heute ist generell der Tag der Filme, die ich nicht mögen will, aber trotzdem mag, oder zumindest irgendwie respek­tiere.

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Das ging schon los, mit La Melodie. Von dem ausgehend, was im Katalog stand und dem unglaub­lich geschmack­losen Plakat her, hatte ich dem Film nur eine Vier­tel­stunde gegeben: Ein Lehrer, der Aso-Kinder mit Musik zu besseren Menschen macht. OMG!! Das war so ein Beispiel für etwas, in das ich reingehe, weil gerade Zeit ist, aber eigent­lich schon mit dem festen Vorsatz, nach einer halben Stunde spätes­tens zu gehen. Ich saß am Rand, recht weit vorn, in schlechtem Winkel zur Leinwand. Es waren also aller­schlech­teste Voraus­set­zungen für den Film. Denn man lässt sich ja auch gar nicht richtig auf etwas ein, wenn man mit dieser Haltung drinsitzt.
Aber dann eben auch das Beispiel eines Films, der mich trotzdem »gekriegt« hat.

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Dabei geht es übel los. Kad Merad (Baron Noir) spielt einen Musiker, der wieder Willen in einer Schule für Sozi­al­schwache anheuert. Die Kinder aller Haut­farben und Herkünfte fluchen, pöbeln und schimpfen, sind in jeder Hinsicht nerv­tö­tend – zugleich aber ganz goldig: Alle hübsch, alle hellwach, allen steht ins Gesicht geschrieben, dass sie »gute Kinder« sind, ein bisschen zu gut.
»Was soll das? Wozu Musik? Dann können sie Rimsky-Korsakoff im Knast spielen« sagt einer und fasst damit die Vorur­teile gut zusammen.
Natürlich kommt es anders: Die Kinder können sich nicht konzen­trieren, können auch nicht gehorchen. Aber die Musik weckt ungeahnte Kräfte. Der Begab­teste ist ein kleiner dicker schwarzer Junge. Arnold, dem man es am wenigsten zutraut.
Fragen werden aufge­worfen: Wie wichtig Gleich­heit ist, dass Musik Team ist, nicht Indi­vi­duum. Wir fragen uns: ist die Kunst wichtiger, oder die Kinder?
Das ist inhal­tis­tisch, formal main­stream, ein nicht perfekt erzählter Feelgood-Film, der aber nicht mora­li­siert, sondern zeigt. Man kann ihn sich gut ansehen, und darum blieb ich im Kino.

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Dieter Kosslick und mehrere andere Berlinale-Mitar­beiter inter­es­sierten sich am Samstag besonders für Foxtrot von Samuel Maoz. Seiner­zeit hatte die Berlinale dessen Lebanon abgelehnt, genauso wie Cannes, was eine sehr richtige Entschei­dung war, die auch nicht dadurch falsch wurde, dass der Film dann in Venedig den Goldenen Löwen gewann.
Das Trauma des Krieges und der eigenen Kriegs­er­fah­rungen hält den Regisseur auch diesmal gefangen. Er ist zudem ein Reak­ti­onär, da sollten wir nicht herum­reden, wenn auch womöglich einer von Links, aber das würde es ja nur noch schlechter machen.

Foxtrot erzählt in drei Akten von einer Familie, die die Nachricht erhält, der Sohn sei gefallen – tatsäch­lich handelt es sich um eine Verwechs­lung. Als die auffliegt, ist die Erleich­te­rung kurz, denn bald darauf stirbt der Sohn bei einem Unfall tatsäch­lich. Diesen Rahmen nutzt Maoz zu einer Kritik israe­li­scher Männ­lich­keit, die in vielen kleinen Szenen und Episoden erzählt wird, anhand von Vater und Sohn, Generälen und Soldaten. Alles mündet in das Portrait einer kaputten Familie, und die Verach­tung des Regis­seurs für den – angeb­li­chen – Ausver­kauf der Erin­ne­rung an die Shoa und der jüdischen Tradition an die Pop- und Kons­um­kultur.

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Der erste Teil, der von der Todes­nach­richt, den Folgen und ihrer Revision erzählt besticht durch Set-Design: Moderne Kunst, abstrakte Muster der Boden­fließen, die mal wie ein David­stern, mal wie Quadrate aussehen, Möbel der klas­si­schen Moderne (merke: Das Böse im Film ist oft modern einge­richtet), ein Gemälde in der aller­ersten Einstel­lung zeigt schwarze Quadrate so über­ein­ander gelegt, und in sich gedreht, dass es einen horriblen Abgrund ergibt.
Der zweite Teil soll auf dem Absur­dismus des Krieges herum­reiten, zeigt das Militär wie einen Außen­posten auf einem anderen Planet: Lange­weile, die nur durch Musik, Tanz, und ein Kamel unter­bro­chen sind, das regel­mäßig dir Grenze kreuzt.
Es dominiert hier über­trie­benes Set-Design: Ein rostiger Container, wie ein Raum­schiff in einem Tarkowski-Film, ein total versautes Klo, ekelige Dosen­nah­rung – sie sollen uns den Krieg madig machen.

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Mich stört dieses billige Herum­ha­cken auf dem Krieg, dieses bescheu­erte Heran­ziehen einsei­tiger Beispiele, in denen ja tatsäch­lich auch mal Unschul­dige an einem Gren­zü­ber­gang über den Haufen geschossen werden. Als dann der Sohn doch stirbt, tut er es natürlich nicht durch eine Hamas-Granate, oder eine paläs­ti­nen­si­sche Selbst­mord­at­ten­tä­terin, sondern durch einen Unfall bei dem der Fahrer dem Kamel auswei­chen wollte. Haha.
Zuvor erfahren wir noch: »It’s all an illusion.« Ein General behauptet: »War is war. In war: shit happens.«

Das kann man alles so machen. Die Frage ist, ob man das so machen sollte. Ob sich das irgendwer ansehen möchte? Der Film ist nicht schön, nicht unter­haltsam, und er ist auch nicht klug. Und wenn es weder das eine, noch das andere ist, noch das Dritte, warum dann überhaupt einen solchen Film machen? Mit deutschem Förder­geld wurde »Foxtrott« aber üppig finan­ziert – offenbar waren die Kommis­sionen in diesem Fall überzeugt.

Ein künst­le­risch konse­quenter Film mit vielen Stärken, politisch aber ein erzkon­ser­va­tiver letztlich auch anti­is­rae­li­scher Film aus Israel. Ich kann nicht sagen, dass ich ihn irgendwie mag, eigent­lich stündlich weniger, aber er ist schon quali­tativ gut – immerhin weckt er starken Wider­stand.

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La villa vom Franzosen Robert Guedi­guian, gleich­falls im Wett­be­werb, ist dagegen eine kleine, hoff­nungs­volle Fami­li­en­ge­schichte über das Altern und den Umgang mit dem Tod, um das Fran­zö­si­sche. Am Anfang bekommt der alte Vater einen Schlag­an­fall. Die drei Geschwister treffen sich nach Jahren im Eltern­haus am Meer irgendwo in einer Bucht der Cote d’Azur, während das Militär Terro­risten sucht. Die Geschwister finden dafür drei junge Flücht­lings­kinder und nehmen sie auf – Bilder, die den Zeitgeist einfangen, aber auch Bilder der Hoffnung und Soli­da­rität in Krisen­zeiten.
Ein Rückblick nutzt einen wunder­baren alten Film, optische Mittel der 70er. Bob Dylan: »I want you« – tatsäch­lich sind das Ausschnitte erst von 1985: Ki Lo Sa, Guedi­guians zweiter Spielfilm mit den gleichen Darstel­lern in jung.

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Eine wunder­schöne Hommage ist Ryuichi Sakamoto: Coda, ein Selbst­por­trait des berühmten japa­ni­schen Kompo­nisten, der seit den Sieb­zi­gern unver­ges­sene Film-Sound­tracks schrieb: Merry Christmas, Mr. Lawrence, wo er auch selbst spielte, Der letzte Kaiser, Himmel über der Wüste, zuletzt The Revenant. Sakamoto ist ein visueller Musiker, der sich immer auf das Kino bezogen hat – »think cine­ma­ti­cally!« sagt er im Film.

Der Einstieg mit Fukushima nervt erstmal, dann aber folgt ein Sakamoto-Konzert in Fukushima und das ist toll. Man sieht ihn dann bei der Arbeit, auf Konzerten, bei Recher­chen in Fukushima. Irgend­wann wird alles ein bisschen redundant. Aber immer wieder Perlen wie eine Reflexion über Technik. Die Fest­stel­lung, dass nicht nur ein Atom­kraft­werk, auch ein Klavier ist ein Ding mit äußerst viel Technik und tech­ni­schem Aufwand. Nur der Tsunami ist für Sakamoto eine »resto­ra­tion of nature« – kein unge­wöhn­li­cher Film, aber sensibel und kluge Entspan­nung zwischen den (notwen­digen) Kata­stro­phen­bil­dern anderer Filme.

(to be continued)