Cinema Moralia – Folge 180
Der Rekonstrukteur |
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Eine von Patalas großartigen Rekonstruktionen – Panzerkreuzer Potemkin | ||
(Foto: Sereij Eisenstein) |
»Nicht, daß Kunst verboten wird, nimmt ihr ihre Wirkung, sondern daß man sie zu gut verwaltet.«
Frieda Grafe/ Enno Patalas, 1966»Das Publikum muss stets unrecht erhalten, sich aber doch durch den Kritiker vertreten fühlen.«
Enno Patalas in der Zeitschrift »Filmkritik«
Ich habe ihn wahrscheinlich vorher schon mal gesehen, aber wahrgenommen erst Anfang der 90er. Da begann ich, später als andere, regelmäßiger Gast im Münchner Filmmuseum zu werden. Da war er, auch wenn er an der Seite stand, unübersehbar Herr des Hauses. Kein Freund der Diskussion, des Fragens, eher schon des monologischen Erzählens und Einführens vor dem Film und manchmal bellte er auch kurze Antworten, in denen ich ein bisschen Verachtung herauszuhören glaubte für den, der
fragt. Aber solche Sicherheit, Gewissheit, ja Arroganz war einer Außenwelt mühsam abgetrotzt, die er schon früh als feindselig begriffen haben muss, der er, mehr Fan als großzügiger Gastgeber, es verstand, vieles abzutrotzen.
Vor allem an einen Abend mit Enno Patalas erinnere ich mich: Anfang 1994, in seinem letzten Jahr als Direktor des Münchner Filmmuseums, sollte dort die Vorpremiere des Dokumentarfilms Beruf Neonazi gezeigt werden, über einen Aussteiger der rechtsextremen Szene. Das war ein Aufreger der Saison. Keiner kannte den Film, und die Stadt München unter OB Christian Ude sorgte auch dafür, dass das so blieb – und verbot die Vorführung.
Weil man am besten über Sachen streiten kann, die man nur vom Hörensagen kennt, kamen trotzdem ein paar hundert Demonstranten aus der linken Szene, um den Film zu verhindern, und weil die kamen,
kam auch die Polizei mit zwei Mann pro Demonstrant, um den Ruf der Stadt München zu wahren. Es war also richtig voll im Filmmuseum, es wurde laut durcheinander geredet, und mitten drin stand Enno Patalas, dessen Haare dann plötzlich wie eine Löwenmähne wirkten, diskutierte ruhig, klar, kompromisslos, erklärte, warum er den Film hätte zeigen wollen, erklärte den linken Protestlern, was Kunstfreiheit bedeutet, und hatte ein seltsames Lächeln auf den Lippen. Er schien die Situation zu
genießen.
Das war die positive Seite jener Sturheit, mit der Patalas alle, die mit ihm zu tun hatten, ziemlich oft richtig genervt hat.
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Er war ein Purist, und das ist bis vor wenigen Jahren das Fremdeste, Sperrigste gewesen, was man sich vorstellen kann. Allmählich kommt mit dem Puritanismus auch sein verwandter gegenteiliger Cousin, der Purismus wieder in Mode.
Getränke durften unter Patalas natürlich nie mit in den Kinosaal genommen werden. Das ist bis heute so geblieben. Den Genuss, das Jahrmarkthafte, das woanders zum Kino gehört, schien Patalas nicht zu mögen. Laut gelacht immerhin hat er, wenn er selbst im Kino saß. Dieser Kinosaal war pechschwarz, genauso wie heute, ein Erbe des Kinosaals im Filmmuseum in Wien, dem »unsichtbaren Kino« Peter Kubelkas. Ein komplett in Schwarz ausgeschlagener Saal ist praktisch sinnvoll: Jede Reflektion von Licht und Ton wird vollkommen abgedämmt. Die Sitze sind gut, und auch für große Menschen gibt es genug Beinfreiheit. Er war aber natürlich auch ein Statement, für die totale Reduktion auf die Funktion, und so ist es geblieben. Er ist darum auch nach seinem Weggang immer wieder ins Filmmuseum zurückgekommen.
Ich habe mich immer gefragt, ob Enno Patalas nun ein besonders großzügiger Mensch war oder doch das Gegenteil davon. Ob er unhöflich war, oder seine Art nur eine antibourgeoise Attitude eines bürgerlich sozialisierten Prä-68ers war, der an der Gesellschaft stellvertretend seine Vaterkonflikte abarbeitet. Lag ja alles in der Zeit. Ich weiß die Antwort nicht. Einfach war Patalas jedenfalls nicht, das merkte man auch schon als distanzierter Zuschauer aus einer ganz anderen
Generation.
Für Großzügigkeit spricht aber zumindest seine Schreib-Partnerschaft mit Frieda Grafe. Oft standen über deren Texten beide Namen.
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Alte Texte von Patalas zu lesen, war kein Vergnügen, es war im Gegenteil für einen, der in den 90ern, in Patalas' Endphase beim Filmmuseum, überhaupt erst begann, in alten Filmkritiken zu stöbern, der einen eigenen Stil entwickeln wollte, über Film zu schreiben und für den Jargon der 68er zu spät dran war, für so einen war es genau das, was man (erstmal) nicht wollte. Aber der gleiche Mann zeigte tolle Filme: Die Nibelungen mit großartigen, erkenntnisöffnenden Texten dazu. Menschen am Sonntag begleitet von Aljoscha Zimmermann, den aus Russland emigrierten Musiker, den er als Stummfilmpianisten ans Filmmuseum geholt hatte.
Als Kritiker war Patalas schon immer sehr umstritten. In der legendären, heute aber auch etwas zu sehr verklärten
Zeitschrift »Filmkritik« machte er sich einen Sport daraus, die größten Regisseure und tollsten Filme zu versenken, mit hämischen Worten und der Härte eine Fallbeils. In die »Geschichte des Films« (die Patalas gemeinsam mit Ulrich Gregor schrieb) wurde zum Beispiel Howard Hawks nicht aufgenommen. Andererseits hatte er schon früh eine wohlwollende »Sozialgeschichte der Stars« geschrieben. Und später dann zeigte er im Filmmuseum einfach alle Filme von Hawks.
Dieses Prinzip des
»alles Zeigen«, das Gegenteil vom Kuratieren, das meine Generation (auch ich manchmal) heute auf jeden Bereich des Lebens zu übertragen versucht, war das Patalas-Prinzip – und es ist das einzig richtige für ein Filmmuseum: Nichts vorkauen; nicht vorauswählen; dem Zuschauer vertrauen.
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Sein Schreiben blieb mir fremd. Es hat manchmal etwas gehabt, das ich damals als stalinistisch empfunden habe: Diese Häme, dieser schneidige Ton des Polit-Kommissars, dem man leider den Offizierssohn anmerkte, der Patalas eben auch war. Diese unerträgliche Gewissheit. Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen. Gewissheit, was ein Film muss und sollte. Zum Beispiel hier: »Komik dieser Art verleitet den, den sie erreicht, nicht dazu, die Welt, die ihn umgibt, infrage zu stellen ... hier brechen keine Widersprüche auf, hier geht die Wirklichkeit nicht in die Binsen. Vielmehr wird eine milde, allenfalls ironisch getönte Heiterkeit hervorgerufen.« – So über den französischen Komiker Pierre Étaix. Auch die Unfähigkeit oder der Unwillen, hier das Subversive an der Ironie zu erkennen. So schrieb man mal, wenn man ein bedeutender Kritiker war. Da hat Gunter Groll, der von Patalas verabscheute Feuilletonist, ihm so unendlich viel Verstand voraus.
Später dann aber wurde es anders, und über das Kino Lubitschs, der natürlich auch der ungleich bessere und interessantere Filmemacher ist, schreibt er dann in seinem passenderweise »Lektion in Kino« betitelten Text großzügiger, und fast ein bisschen gönnerhaft: »Das ist kein Kino der Revolte. Aber es treibt die Formen des Bestehenden, ihre Eigenbewegung nutzend, ein Stückchen weiter ihrer selbsttätigen Zerstörung entgegen.« Na, da hatte Lubitsch ja nochmal Glück gehabt; auch wenn wir über die Behauptung, dass sein Kino nicht revoltiert, gerne mit Patalas diskutiert hätten.
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Adorno mit seiner dialektischen Ironie, und Benjamin hatten geholfen, die Nouvelle Vague auch, vor allem aber seine Frau Frieda Grafe, mit der er seit 1962 verheiratet war, dass Patalas sich irgendwann Ende der 60er öffnete, fast neu erfand, und plötzlich das Ästhetische, das Uneindeutige gegen alles als Parteinahme verstandene Politische verteidigte.
Mit dem Kritiken schreiben hörte er dann aber auch bald auf – wobei ihm Wolf-Eckart Bühler, dem vor wenigen Tagen erst
das Filmfestival in Locarno eine kleine Hommage widmete, entscheidend geholfen hat, indem er Patalas 1970 als Chef-Redakteur der »Filmkritik« stürzte – und wurde Filmhistoriker, oder Filmlehrer oder cinephiler Fan, jedenfalls einer, der einfach Filme zeigte.
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Und zwar nach dem Patalas-Prinzip: Alles, nach dem Autorenprinzip von einem Regisseur, oder nach dem Genreprinzip alle Facetten der Filmgeschichte (ob er aber Splatter zeigte, weiß ich nicht mehr, oder Horror?) und immer im Original, immer auf Film. Man lernte von ihm: Nur wer alles sieht, und nicht vorschnell urteilt, sondern sich die Neugier, die Kinofreundschaft bewahrt, kommt irgendwann zu einem Urteil.
Aber um sehen zu können, muss man die Filme haben, in anständigen Kopien,
also gut erhalten. Und so fand Enno Patalas, seit 1973 Leiter des Münchner Filmmuseums, seine wahre Bestimmung und wurde der wichtigste deutsche Filmhistoriker. Großartige Rekonstruktionen (nicht: Restaurierungen) deutscher Klassiker entstanden: Nosferatu, Die Nibelungen, Metropolis, aber auch Panzerkreuzer Potemkin – das Filmmuseum München wurde durch ihn weltberühmt.
Auch hier war er wieder mit dem robusten Selbstbewusstsein seiner frühen Kritiken am Werk: Selbstherrlich und stur dealte Patalas mit den ihm anvertrauten Kopien, tauschte mit
Sowjetarchiven, gab viele den Absendern nie zurück.
Das ist kein Vorwurf: So machte man es halt, auch das lehrte er, und Patalas hat vermutlich das Beste draus gemacht. Nicht für sich, sondern für die Institution, und vor allem für das Kino. An seinen hehren Ansichten kann genauso wenig Zweifel bestehen, wie an der erwähnten Selbstherrlichkeit – verschweigen sollte man die aber eben auch nicht.
Wer will, kann ja mal die Veteranen von der Murnau-Stiftung dazu befragen, dem
tatsächlichen Rechteinhaber all der Filme, für deren Rekonstruktion Patalas auch das Urheberrecht beanspruchte – und bis heute gibt es langjährige juristische Händel zwischen diesen zwei öffentlich geförderten Institutionen, die doch Hand in Hand arbeiten sollten.
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Es gibt einen herrlichen Text von Patalas, aus der FAZ vom 06.01.2005. »Die heilige Madonna der Schlafwagen« über Eisner, Kracauer und das Kino von Weimar.
Auch hier scheint nochmal kurz die alte Scharfrichter-Attitude auf in den Urteilen über G.W. Pabst: »Pabst, der nach fünf Exiljahren nach Deutschland zurückgekehrt war und sich Goebbels für drei Historienschinken über 'große Deutsche' zur Verfügung gestellt hatte...«
Dann aber erzählt er eine Anekdote, die alles verrät
über den früheren Umgang mit Kopien und die Haltung der Archivare den Filmen gegenüber: Nitrokopien im Gepäck mitzuführen war wegen Explosionsgefahr streng verboten, weshalb Eisner diese im Nachtzug unterm Bett transportierte – der Zoll traute sich damals noch nicht, unter der Bettdecke einer Dame nachzugucken. Natürlich brachte Eisner nie ganze Filme mit, sondern oft einzelne Rollen von verschiedenen.
An Eisners »Die dämonische Leinwand« und deren Murnau-Buch lobt er,
sie hätten »weniger zur Wissenschaft von der Filmgeschichte beigetragen als zu ihrer konkreten Erschließung.« Da beschreibt Patalas vor allem seine eigene Position: »Ohne Eisners detailversessene Beschwörung des Weimar-Kinos wäre es nicht zu dessen Rekonstruktion seit den siebziger Jahren gekommen.«
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Später erst, im Rückblick, habe ich auch seine Texte mehr schätzen gelernt. Etwa seine Totalabrechnung mit der SZ-Filmkritik aus dem Jahr 2005: Die eingebettete Filmkritik. Sie mündet in die auch 13 Jahre später aktuelle Aufforderung: »No more bullshit please!«
Der Mann hatte Prinzipientreue.
(to be continued)