Cinema Moralia – Folge 184
You better watch out, you better not cry |
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Der ewige Tango – Maria Schneider und Marlon Brando | ||
(Foto: Bernardo Bertolucci) |
»You better watch out, you better not cry/ Better not pout, I’m telling you why/ Santa Claus is comin' to town/He’s making a list and checking it twice/ Gonna find out who’s naughty and nice/ Santa Claus is comin' to town/ He sees you when you're sleepin'/ He knows when you're a wake/ He knows if you've been bad or good/ So be good for goodness sake...«
Haven Gillespie / J. Fred Coots
Ausnahmsweise bevorzuge ich die Version von Frank Sinatra gegen über der von Dean Martin
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Sie machen sich Sorgen. Sogar »ernsthaft«. Also nicht nur so, nicht nur, weil es gut klingt in einer Filmkritik.
Immer wenn Filmkritiker zu Therapeuten werden, sollte man die gelbe Warnweste anziehen, und seinen Kunstverstand entsichern.
Jetzt im Doppelpack in der Stuttgarter Nachrichten/ Stuttgarter Zeitung. Der letzte Satz lautet »Es ist Zeit, sich ernsthaft Sorgen zu machen um die psychische Verfassung dieses genialen Filmregisseurs.« Diese medizinisch-psychiatrische Diagnose ist aus dem Text zuvor nicht begründet. Dort wird über »Lars von Triers Gewaltorgie« geschrieben,
dass sie »niedere menschliche Reflexe kitzelt«, und behauptet, Lars von Trier habe einen »zynischen Blick auf ein waffenstarrendes und – narrendes Amerika voller wahnsinniger Revolverhelden« – wo man indes doch auch fragen könnte, ob wirklich der Blick des Filmemachers zynisch ist, oder nicht eher die Verhältnisse, die er beschreibt.
Aber warum wird hier nicht einfach gut begründet, warum der Film nicht gefällt? Warum muss ein Künstler, der dem Kritiker nichts sagt,
oder den er nicht versteht, dafür zur Strafe pathologisiert werden?
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Die FR wählt einen anderen Weg um der Aufgabe einer Kunstkritik, nämlich die ästhetische Auseinandersetzung und Interpretation, auszuweichen: »Das Kino Lars von Triers funktioniert wie eine Maschine, nicht nur, was seine dramaturgischen Tricks angeht, sein hoch effektives Spiel mit Emotion und Kalkül, Anteilnahme und Distanz. Es ist auch eine Geldmaschine, die sich die Großzügigkeit aber auch die Eitelkeit europäischer Filmförderer virtuos zunutze macht. Jeder
möchte dabei sein und zahlt ein in den Topf der Firma mit dem schönen Namen ›Pain Unlimited‹: Seine Filme sind preiswert abgedreht und doch hoch budgetiert, so sichert sich Lars von Trier persönlich Millionengagen, auch die Produzenten verdienen gut daran – noch bevor eine einzige Karte verkauft worden ist. Von den Stars wird dagegen erwartet, dass es ihnen die anspruchsvollen Rollen wert sind, für ein Minimum zu spielen.«
Der Ton der Formulierungen und die
Rhetorik sprechen für sich.
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Für die Empörten: In meinem Nachruf auf den großen Bernardo Bertolucci kommen die bizarren Behauptungen von Missbrauch und Schlimmerem nicht vor. Dies erstens, weil es mit der Würdigung des Künstlers aber auch nichts zu tun hat; zweitens, weil Kunst und Moral zwei ziemlich getrennte Dinge sind und bleiben sollten. »Und das ist auch gut so.«
Trotzdem aber hier für all jene, die nur lesen, was sie lesen wollen (und weil ich zwar finde, dass das Thema hier eigentlich komplett zu ignorieren ist, ich mich andererseits nicht dem Vorwurf der Drückebergerei aussetzen möchte, und außerdem auf entsprechende Kollegen eingehen muss) eine Klarstellung:
Entgegen anderslautender und zur Zeit gern zitierter Informationen hat Bertolucci nie behauptet (oder gar »eingestanden«), sich mit Marlon Brando am Set zu einer
Vergewaltigung abgesprochen zu haben. Vielmehr spricht von »Vegewaltigung« nicht mal das angebliche »Opfer«, sondern nur die ungenauen Leser und Hörensager.
Der Wortlaut ihres Interviews lautet: »During the scene, even though what Marlon was doing wasn*ft real, I was crying real tears. I felt humiliated and, to be honest, I felt a little raped ... Thankfully, there was just one take.«
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»A little raped« – da mag nun jeder sich sein Urteil bilden. Traumatisiert klingt es allemal nicht. Hier auch der Link zu einem entsprechenden SPIEGEL-Text, in dem Bertolucci recht präzis auf die Vorwürfe und Missverständnisse eingeht, und die alles in anderem Licht erscheinen
lassen.
Man muss das trotzdem nicht geschmackvoll finden, aber man könnte einmal grundsätzlicher und weniger hysterisch darüber nachdenken, welche Provokationen eines Künstlers gerechtfertigt sind, um Resultate, also hier: gute Kunst zu erzielen. Ich meine in der Tat, dass es gerechtfertigt ist, wenn Bertolucci argumentiert, er wollte die Reaktion der jungen Frau, nicht die der von ihr gespielten Figur. Aber wie auch immer: Um Bertolucci nun zum Schuldigen zu erklären und
noch dazu in einen Vergewaltigungskontext zu bringen, taugen die Vorwürfe allemal nicht.
Im Übrigen ist es eigentlich auch egal, wer hier jetzt sachlich und moralisch recht hat – das Thema Missbrauch und Vergewaltigung ist zu wichtig, um es bei einer solchen Gelegenheit en passant anzuteasern.
Da muss man länger und genauer drüber reden.
Für einen Nachruf ist das alles unpassend. Auch die Frage des Verhältnisses zwischen Moral und Kunst ist zu kompliziert und verdient Sensibilität, und dieser spezielle Film ist erst recht eine Sache für sich.
Die Erklärung für vieles ist im Rückblick wohl vor allem der in vielem immer noch sympathische Zeitgeist der Seventies, zu dem auch eine wahnsinnige Gedankenlosigkeit und Leichtsinn und Todesnähe (wie auch der Film zeigt) gehört, die uns allen heute schwer verständlich ist.
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Zur Kultur des Nachrufs: Sie hat in manchen Texten zu Bertoluccis Tod einen Tiefpunkt erreicht.
Was ist das für ein Journalismus? Ist es überhaupt Journalismus?
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Noch ein Fall merkwürdigen Journalismus: In der Süddeutschen, erschien nur fünf Tage vor Bertoluccis Tod ein Text über Maria Schneider und den Tango-Film, einen Text, dem ich in vielen Punkten nicht zustimme, der aber gut recherchiert ist und den ich gern und mit großem Interesse gelesen habe.
Zu »Last Tango«: »...dieser
pseudointellektuelle Halbporno, in dem ein Mann seine schlechte Laune vor sich herträgt, während eine junge Frau oben ohne durch seine Wohnung geistert...« Aber das ist immerhin gut und witzig geschrieben, und ihre Meinung will ich der Zeitung auch nicht nehmen.
Hier noch der wunderbare und sehr wahre Schlussabsatz des Textes: »Wer wissen möchte, wer Maria Schneider war – oder wer sie auch war, sehe sich Michelangelo Antonionis fabelhaften Film Beruf: Reporter (1975) an, mit Jack Nicholson in der Hauptrolle und an seiner Seite: die 23-jährige Maria Schneider. Hier ist sie keine niedlich geschminkte Puppe, die dauernd ihre Brüste zeigen muss, sondern ein Mensch, eine junge erwachsene Frau, Architekturstudentin in Barcelona, die Entscheidungen trifft mit für die Handlung weitreichenden Folgen. Sie hilft Jack Nicholson, der die Identität eines Toten angenommen hat, den er in Afrika in einem Hotelbett fand, und nun durch Europa gejagt wird, ohne zu wissen, warum und von wem, bei der Flucht. Der Thriller, der auch in München spielt, am Flughafen Riem und in der St.-Georg-Kirche auf dem Bogenhausener Friedhof, zeigt eine andere Maria Schneider. Sie ist ein bisschen melancholisch, aber mutig und eigenwillig, störrisch, lebhaft und wunderschön. Sie ist frei.«
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Auf die Formulierung »transgressiver Maelstrom« in meiner Kritik zu Climax bekomme ich die Nachfrage, was das sei. Meine Antwort will ich der übrigen Welt nicht vorenthalten: Ich könnte das alles auch so ausdrücken: 'Ein überwältigender Strudel' oder 'Ein Strudel der Überschreitungen'. Und zwar der Überschreitungen von Tabugrenzen, von Genregrenzen, von Geschmacksgrenzen.
Das
wäre aber zu kompliziert und zu lang, und klänge weniger verführerisch und 'Sog' hatte ich schon benutzt. In diesem Fall wollte ich bewusst uneindeutig und Assoziationen weckend formulieren.
Und ich setze auf Leser, die z.B. bei 'transgressiv' an Auflösung von Geschlechter und Rassengrenzen, aber auch Überschreitung von Moralgrenzen denken, oder ans 'Cinema of Transgression'; bei 'Maelstrom' an 'Sog', 'Gezeitenstrom', und an Edgar Allen Poe’s Story: 'A Descent into the Maelstroem'.
Das Cambridge-Lexikon beschreibt es natürlich viel schöner als ich je könnte: 'a situation in which there is great confusion, violence, and destruction: 'The country is gradually being sucked into the maelstrom of civil
war.'
Genau so ist der Film.
Und dazu nochmal Georg Seeßlen in der ZEIT über Bertolucci und das »Wort, das bei ihm immer wiederkehrt: trasgressione, das Überschreiten einer Grenze oder die Verwandlung in etwas anderes.«
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Es war ein nicht nur für die Berliner spannender Text, der bereits am 26. Oktober in der SZ erschienen ist. Er trug den Titel »Die Mächtige« – und jeder, der sich für Kultur in Deutschland interessiert, sollte ihn lesen!
Gemeint ist mit dem Titel die Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Kühl, präzise, nicht gerade wohlwollend, sondern wunderbar böse formuliert und voller herrlichen Klatsches wird über die Staatsministerin getragen und eine Menge von dem zusammengetragen, was man seit langem so über Grütters erzählt bekommt, was aber eher der stumpfen Ebene des Hörensagens und Gerüchtekochens angehört. Insbesondere die Methoden der Einschüchterung und Gängelung, mit der Grütters ihr Amt nach Gutsherrinnen-Art führt.
Erst neulich hörte man wieder aus einer hochbedeutenden Kulturinstitution mit spitzer weiblicher Zunge die Feststellung, dass Grütters ja immer im Gegensatz zu ihrem Vorgänger »Ich« sage und von »meinem Geld« rede, nicht von Steuergeldern.
Auf ein Dutzend kommen Berichte von Anrufen aus dem BKM, die Willfährigkeit fordern, Abtrünnige auf Linie bringen oder Dissidenten strafen. Einer der Verfasser der Protestbriefe gegen das Berlinale-Regiment von Dieter Kosslick bekam kryptisch-eindeutig am Telefin zu hören:»Wir merken uns das!«
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Die SZ zitiert andere: »'Geht ihr jemand auf den Geist', erzählt der Chef einer Institution aus eigener Erfahrung, 'tut sie alles, um ihn fertigzumachen.'«
Intendanten, Museumschefs, Direktorinnen, die man zu ihr befragt, fürchten nichts so sehr wie ihren Zorn.
Er benennt Misserfolge und charakterliche Schwächen: Grütters setze »oft auf Glamour und PR, ohne Rücksicht auf Verluste. ... Disruption dient bei ihr weniger der Innovation, sie ist Teil einer Strategie des
Teilens und Herrschens. Besonders wenn sie persönlich involviert ist, gibt sie Kommandos und erwartet Gehorsam, auch wenn es nicht immer ausgesprochen werden muss.«
Machtspiele, Setzen auf kulturelle Blockbuster,
Die deutsche Kulturpolitik ist in miserabler Verfassung und Schuld hat die Ministerin – aber den Leuten ist es egal.
Grütters passt zur postmodernen Spektakelpolitlk. Aber wo liegt ihre eigene, private Leidenschaft?
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»Keine kämpft so entschlossen, keine hat sich so viel Macht gesichert, keine verfügt über mehr Stellen – 300 sind es heute – , keiner macht mehr Geld locker als sie. ... Grütters festigt ihre marktbeherrschende Stellung immer mehr, bläht ihren Apparat immer weiter auf. Doch da sie ideologisch so ungreifbar bleibt, da ihre Einmischungen nur strategischer Art sind, und da die 'Zuwendungsempfänger' weiter auf Zuwächse hoffen können, üben sie sich in Duldsamkeit. Politik und Presse sehen nicht so genau hin.«
Es ist, genau besehen, eine Erfolgsgeschichte, und man fragt sich beim Lesen, warum eigentlich an diesem Freitag AKK als Mini-Merkel zur CDU-Vorsitzenden gewählt wird, hätte man da doch eine Maxi-Merkel im Kanzleramt sitzen.
Das erste zentrale Urteil des Autors: »Grütters hat keine kulturelle Agenda, oder: Ihre kulturelle Agenda ist Funktion ihrer politischen Agenda und die lautet, Freunde gewinnen, Feinde neutralisieren, den eigenen Einfluss mehren, um am Ende politische Erfolge vorweisen zu können. ... Ziel ist maximale Verflechtung. 'Das System ist eine Spinne', heißt es aus BKM-Kreisen.«
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Das zweite zentrale Urteil, noch wichtiger: »Es kann nicht richtig sein, wenn es keinen Wettbewerb um wichtige Stellen gibt, wenn Posten heute noch auf Lebenszeit besetzt werden, wenn die besten Köpfe in der deutschen Kultur nicht offen über ihre Arbeit sprechen können, weil sie fürchten, in Berlin sonst nie wieder einen Job zu finden. Die intellektuelle Lähmung ist schon jetzt spürbar.«
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De facto Monarchie, länger als Angela Merkel Kanzlerin ist: Die neueste Blackbox nun greift dieses Porträt auf. Um ihm eine süffisante Wendung zu geben: Denn dort wird der Titel nicht allein auf Grütters gemünzt, sondern auf »eine andere mächtige Frau in der Filmwelt, deren Vertrag stets klammheimlich verlängert wurde«: auf Kirsten Niehuus, seit 15 Jahren Chefin des Medienboards Berlin Brandenburg (MBB).
Chapeau! Hier wird Niehuus frontal angegriffen, erinnert daran, dass das
Intendantenmodell – eine Frau entscheidet seit 14 Jahren allein im Stil einer absolutistischen Monarchin über zweistellige Millionensummen – ursprünglich im Dialog mit der Branche überdacht werden sollte »Nix davon passiert im Gegenteil: Der anfangs eingerichtete Beirat mit Vertretern der unabhängigen Filmszene wurde sukzessive abgeschafft.«
Das zutreffende prinzipielle Fazit: Ein solches Machtmonopol in Form von zu langen Amtszeiten, mangelnder
Transparenz und fehlender Bereitschaft, die eigene Förderpraxis kritisch zu reflektieren, gilt es zu bekämpfen.
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Dem ist nichts hinzuzufügen. Das Schweigekartell um Niehuus wird beschrieben, weil man ja die Hand nicht beißt, die einen füttert.
(to be continued)