31.08.2018
75. Filmfestspiele von Venedig 2018

Schau­spie­ler­pornos, ameri­ka­ni­sche Männ­lich­keit

The Mountain von Rick Alverson
Nervig: The Mountain ist europäisches Kunstkino made in Hollywood
(Foto: The Match Factory)

Ein weitgehend enttäuschender erster Tag – Notizen aus Venedig, Folge 2

Von Rüdiger Suchsland

Bereits in Whiplash und La La Land erzählte Damien Chazelle gern von Männern unter Druck; von Männern, die etwas beweisen müssen, die etwas opfern müssen, um zu reüs­sieren.
Bisher kamen diese Männer aus der Unter­schicht, besten­falls Klein­bür­gertum, Neil Armstrong kommt, und das wird bei Chazelle betont, aus der Mittel­klasse, aus Suburbia.
Chazelle kopiert gern, viel­leicht, weil er es eilig hat oder weil er denkfaul ist. Er nimmt sich etwas von hier und etwas von da, er sorgt dafür, dass seine Filme genau das haben, was man erwartet. Also gibt es bei einem Film über die Sixties etwas Musik und etwas Rebellion aus der TV-Konserve.

Chazelle ist ungemein ehrgeizig. Ehrgeiz ist mir nicht an sich unsym­pa­thisch, man sollte ihn aber nicht über­deut­lich bemerken können. Und genau das macht das Kino von Chazelle aus: Dass es offen­kundig immer um ihn geht, um sein Geschick und seine Clever­ness, nie um eine Figur an sich, ein Thema an sich, nie um Stil, sondern immer um das Stil­be­wusst­sein des Regis­seurs.
Neil Armstrong war der erste Mensch auf dem Mond. Und First Man bezieht sich auf James R. Hansens 2005 veröf­fent­lichte Biogra­phie »First Man: The Life of Neil A. Armstrong«. Josh Singer hat das Drehbuch gemeinsam mit Chazelle bear­beitet. Das Ergebnis ist schwär­me­risch, respekt­voll, aber den meisten Respekt hat der Regisseur für sich selbst: Keine Einstel­lung strahlt nicht aus, dass Chazelle hier Bedeu­tungs­volles leistet. Ryan Gosling in der Haupt­rolle ist diskret, der Regisseur nicht, Gosling hat es nicht nötig, etwas zu beweisen, Chazelle schon.
Insgesamt ist dieser Film ein tech­ni­scher Exzess. Denn Geld hatte Chazelle genug. Aber offenbar keine Ideen, denn dieser Film hat keinen Übermut und überhaupt keine Poesie.
Statt­dessen offen­kundig kalt berech­nete Gefühls-Surrogate: Mit viel Mühe muss Armstrongs Heldentat filmisch mit dem Krebstod seiner Tochter kombi­niert werden. Das ist nicht »1969«, sondern »2018«: Gefühl um jeden Preis, Emotio­na­li­sie­rung und behaup­teter »Tiefgang«.
Die Hand-Kamera ist mitunter nur cheesy: Da wird gewackelt und gerumpelt, um uns im Saal den Eindruck zu geben, jetzt würden wir gleich mit in der Rakete abheben. Das Ergebnis ist trau­ri­ger­weise, dass alles noch kleiner und behäbiger wirkt – Chazelle verbaut sich dadurch den Weg zur Monu­men­ta­lität durch Ruhe, wie wir sie von Kubrick oder Nolan kennen.

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Inhalt­lich bleibt das alles komplett ohne Über­ra­schungen – wie auch, denn wir wissen, wie der Apollo 11-Flug ausging. Statt­dessen forcierte Spannung am Rand, die öde bleibt, weil die Über­ra­schungen fehlen. Und ein paar routi­nierte PCness-Gesten: Ein bisschen Sexis­mus­kritik, ein wenig über die Lage der Schwarzen. That’s it.
So ist First Man vor allem ein ster­bens­lang­wei­liger und durch­schnitt­li­cher Film. Der Flug, mit dem Neil Armstrong 1969 zum ersten Mensch auf dem Mond wurde, wird allzu akribisch nach­er­zählt, und dem Hollywood-Helden­my­thos vom Einzelnen, der alle Heraus­for­de­rungen meistert, allen­falls eine Fußnote hinzufügt.

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Noch am gleichen Tag folgte der eigent­liche Auftakt im Wett­be­werb: The Mountain von Rick Alverson, einem bisher nicht weiter bekannten Ameri­kaner. Das dürfte sich kaum ändern nach dieser präten­tiösen Kuns­tü­bung, die man einem Film­stu­denten kaum durch­gehen lassen würde. Allein Produk­tion-Design, Kostüm und Kamera verdienen Erwähnung bei diesem auch sonst komplett designten Film. Schwarz und melan­cho­lisch geht es los, mit Bildern von Eisläu­fe­rinnen in den ameri­ka­ni­schen Fünf­zi­gern.
Aber schon wenn Udo Kier als Eiskunst­lehrer auftritt und »Am Brunnen vor dem Tore« singt, wird es unfrei­willig trashy. Jungstar Tye Sheridan spielt seinen Sohn, von Anfang an als »angry young man« aus der Klischee­büchse und mit Gesten und Blicken, die Marlon Brandos Auftritte in den Filmen von Elia Kazan nachäffen.
Die ist purer »actor’s porn«: Hoch­sti­li­sierte Schau­spie­lerü­bungen, bei denen sich der Regisseur entweder nicht getraut hat, seinen Darstel­lern Grenzen zu setzen, oder – noch schlimmer – es gut fand, was sie da aufführen. Mit Abstand am besten ist Jeff Goldblum, der den Direktor einer Psych­ia­trie mit viel char­manter Ironie spielt.
Denis Lavant, der in der Mitte des Films auftaucht, macht dann sowieso sein eigenes Ding. Das ist schön anzusehen, besonders wenn er tanzt, hat aber mit dem Rest in keiner Hinsicht etwas zu tun – oder doch ganz viel, denn es ist nur ein weiterer autis­ti­scher Auftritt in einem durch und durch autis­ti­schen Film

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Man hat den Eindruck, Regisseur und Produ­zenten hätten sich am Reißbrett die Aufgabe »Wie drehe ich als Ameri­kaner einen europäi­schen Autoren­film?« zur Lösung vorge­nommen: Man rühre einen unver­s­tänd­li­chen Plot und schön stili­sierte Schau­plätze in langsamen Bildern zu Quark, nehme einen in Amerika lebenden deutschen Kult-Darsteller für das Indie-Feeling und einen Franzosen für den French-radical-Touch – zumal Lavant als Darsteller in den Filmen des sehr spezi­ellen Leos Carax (Die Liebenden von Pont-Neuf; Pola X) berühmt wurde –, Schau­spieler sind auch Zeichen, dazu dann Perry-Como-Songs für den Trash-Faktor.
Die Haupt­figur ist Sheridan, der von allerlei Tabus und 50er-Jahre-Klischees umstellt, verbotene Dinge sieht, eine verbotene Kammer mit Sex-Bildern betritt, auf denen unter anderem ein Herm­aphrodit eine Rolle spielt. Der antike Mythos von Hermes und Aphrodite wird noch eine Rolle spielen. Dann erlebt er den Tod des Vaters. Es geht überhaupt um Väter, darin ist der Film sehr ameri­ka­nisch, um Söhne auch, um Träume und Psycho­ana­lyse. Wie gesagt, sind Design und Kamera toll, es ist aber alles auch komplett sinnlos.

Der größte Teil des Publikums war fassungslos oder belustigt ange­sichts dieser verkrampften Kunst-Übung, die in Deutsch­land leider ins Kino kommen wird – im Gegensatz zu so vielen besseren Filmen, die es verdient hätten.
Gehe ich wegen so einem Film ins Kino? Bestimmt nicht.

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Warum gehe ich eigent­lich ins Kino? Ich gehe (und bin dabei vermut­lich nicht der einzige) gern ins Kino, wegen der Iden­ti­fi­ka­tion, der Abstoßung gegenüber bestimmten Figuren. Und, um Antwort auf den Sinn des Lebens zu bekommen. Und weil der Regisseur eine Haltung hat, der Film eine Textur. Filme sind Stell­ver­treter-Erfah­rungen, Surrogate, Erwei­te­rungen des Bewusst­seins, Abenteuer, Irri­ta­tionen.
Das zu leisten, war bisher das Geheimnis des Erfolgs von Hollywood, trotz allem, wie des Erfolgs des europäi­schen Autoren­kinos. Dieses Autoren­kino verschwindet zunehmend, und wird – auch in der Vorstel­lung des Publikums – zunehmend ersetzt durch seichte Wohl­fühl­filme, die entweder vorgeb­lich politisch und bedeu­tungs­voll sind, oder noch nicht einmal das, in jedem Fall aber einlul­lend.
Oder durch bleiernes Kunstkino, das es darauf anzulegen scheint, dem Publikum die gute Laune auszu­treiben, und es, statt ihm etwas zu zeigen, besser gleich erzieht. Und zwar zu Dingen, und das ist hier wichtig, zu denen es nicht erzogen werden will.
Von solchem Kino sieht man auf jedem Festival ein paar Beispiele. Ist auch okay so. Die werden aber gerade in Venedig norma­ler­weise ausge­gli­chen durch Genre, B-Movies, Unter­hal­tungs­kino verschie­densten Niveaus. Aber wenn die Ameri­kaner jetzt auch noch anfangen, europäi­sches Kunst­hand­werk zu kopieren, wird es nervig.

(to be continued)