75. Filmfestspiele von Venedig 2018
Schauspielerpornos, amerikanische Männlichkeit |
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Nervig: The Mountain ist europäisches Kunstkino made in Hollywood | ||
(Foto: The Match Factory) |
Bereits in Whiplash und La La Land erzählte Damien Chazelle gern von Männern unter Druck; von Männern, die etwas beweisen müssen, die etwas opfern müssen, um zu reüssieren.
Bisher kamen diese Männer aus der Unterschicht, bestenfalls Kleinbürgertum, Neil Armstrong kommt, und das wird bei
Chazelle betont, aus der Mittelklasse, aus Suburbia.
Chazelle kopiert gern, vielleicht, weil er es eilig hat oder weil er denkfaul ist. Er nimmt sich etwas von hier und etwas von da, er sorgt dafür, dass seine Filme genau das haben, was man erwartet. Also gibt es bei einem Film über die Sixties etwas Musik und etwas Rebellion aus der TV-Konserve.
Chazelle ist ungemein ehrgeizig. Ehrgeiz ist mir nicht an sich unsympathisch, man sollte ihn aber nicht überdeutlich bemerken können. Und genau das macht das Kino von Chazelle aus: Dass es offenkundig immer um ihn geht, um sein Geschick und seine Cleverness, nie um eine Figur an sich, ein Thema an sich, nie um Stil, sondern immer um das Stilbewusstsein des Regisseurs.
Neil Armstrong war der erste Mensch auf dem Mond. Und First Man bezieht sich auf James R. Hansens 2005 veröffentlichte Biographie »First Man: The Life of Neil A. Armstrong«. Josh Singer hat das Drehbuch gemeinsam mit Chazelle bearbeitet. Das Ergebnis ist schwärmerisch, respektvoll, aber den meisten Respekt hat der Regisseur für sich selbst: Keine Einstellung strahlt nicht aus, dass Chazelle hier Bedeutungsvolles leistet. Ryan Gosling in der Hauptrolle ist diskret, der Regisseur nicht,
Gosling hat es nicht nötig, etwas zu beweisen, Chazelle schon.
Insgesamt ist dieser Film ein technischer Exzess. Denn Geld hatte Chazelle genug. Aber offenbar keine Ideen, denn dieser Film hat keinen Übermut und überhaupt keine Poesie.
Stattdessen offenkundig kalt berechnete Gefühls-Surrogate: Mit viel Mühe muss Armstrongs Heldentat filmisch mit dem Krebstod seiner Tochter kombiniert werden. Das ist nicht »1969«, sondern »2018«: Gefühl um jeden Preis, Emotionalisierung und
behaupteter »Tiefgang«.
Die Hand-Kamera ist mitunter nur cheesy: Da wird gewackelt und gerumpelt, um uns im Saal den Eindruck zu geben, jetzt würden wir gleich mit in der Rakete abheben. Das Ergebnis ist traurigerweise, dass alles noch kleiner und behäbiger wirkt – Chazelle verbaut sich dadurch den Weg zur Monumentalität durch Ruhe, wie wir sie von Kubrick oder Nolan kennen.
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Inhaltlich bleibt das alles komplett ohne Überraschungen – wie auch, denn wir wissen, wie der Apollo 11-Flug ausging. Stattdessen forcierte Spannung am Rand, die öde bleibt, weil die Überraschungen fehlen. Und ein paar routinierte PCness-Gesten: Ein bisschen Sexismuskritik, ein wenig über die Lage der Schwarzen. That’s it.
So ist First Man vor allem ein
sterbenslangweiliger und durchschnittlicher Film. Der Flug, mit dem Neil Armstrong 1969 zum ersten Mensch auf dem Mond wurde, wird allzu akribisch nacherzählt, und dem Hollywood-Heldenmythos vom Einzelnen, der alle Herausforderungen meistert, allenfalls eine Fußnote hinzufügt.
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Noch am gleichen Tag folgte der eigentliche Auftakt im Wettbewerb: The Mountain von Rick Alverson, einem bisher nicht weiter bekannten Amerikaner. Das dürfte sich kaum ändern nach dieser prätentiösen Kunstübung, die man einem Filmstudenten kaum durchgehen lassen würde. Allein Produktion-Design, Kostüm und Kamera verdienen Erwähnung bei diesem auch sonst komplett designten Film. Schwarz und melancholisch geht es los, mit Bildern von Eisläuferinnen in den
amerikanischen Fünfzigern.
Aber schon wenn Udo Kier als Eiskunstlehrer auftritt und »Am Brunnen vor dem Tore« singt, wird es unfreiwillig trashy. Jungstar Tye Sheridan spielt seinen Sohn, von Anfang an als »angry young man« aus der Klischeebüchse und mit Gesten und Blicken, die Marlon Brandos Auftritte in den Filmen von Elia Kazan nachäffen.
Die ist purer »actor’s porn«: Hochstilisierte Schauspielerübungen, bei denen sich der Regisseur entweder nicht getraut hat,
seinen Darstellern Grenzen zu setzen, oder – noch schlimmer – es gut fand, was sie da aufführen. Mit Abstand am besten ist Jeff Goldblum, der den Direktor einer Psychiatrie mit viel charmanter Ironie spielt.
Denis Lavant, der in der Mitte des Films auftaucht, macht dann sowieso sein eigenes Ding. Das ist schön anzusehen, besonders wenn er tanzt, hat aber mit dem Rest in keiner Hinsicht etwas zu tun – oder doch ganz viel, denn es ist nur ein weiterer autistischer
Auftritt in einem durch und durch autistischen Film
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Man hat den Eindruck, Regisseur und Produzenten hätten sich am Reißbrett die Aufgabe »Wie drehe ich als Amerikaner einen europäischen Autorenfilm?« zur Lösung vorgenommen: Man rühre einen unverständlichen Plot und schön stilisierte Schauplätze in langsamen Bildern zu Quark, nehme einen in Amerika lebenden deutschen Kult-Darsteller für das Indie-Feeling und einen Franzosen für den French-radical-Touch – zumal Lavant als Darsteller in den Filmen des sehr speziellen Leos Carax
(Die Liebenden von Pont-Neuf; Pola X) berühmt wurde –, Schauspieler sind auch Zeichen, dazu dann Perry-Como-Songs für den Trash-Faktor.
Die Hauptfigur ist Sheridan, der von allerlei Tabus und 50er-Jahre-Klischees umstellt, verbotene Dinge sieht, eine verbotene Kammer mit Sex-Bildern betritt, auf denen
unter anderem ein Hermaphrodit eine Rolle spielt. Der antike Mythos von Hermes und Aphrodite wird noch eine Rolle spielen. Dann erlebt er den Tod des Vaters. Es geht überhaupt um Väter, darin ist der Film sehr amerikanisch, um Söhne auch, um Träume und Psychoanalyse. Wie gesagt, sind Design und Kamera toll, es ist aber alles auch komplett sinnlos.
Der größte Teil des Publikums war fassungslos oder belustigt angesichts dieser verkrampften Kunst-Übung, die in Deutschland leider ins Kino kommen wird – im Gegensatz zu so vielen besseren Filmen, die es verdient hätten.
Gehe ich wegen so einem Film ins Kino? Bestimmt nicht.
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Warum gehe ich eigentlich ins Kino? Ich gehe (und bin dabei vermutlich nicht der einzige) gern ins Kino, wegen der Identifikation, der Abstoßung gegenüber bestimmten Figuren. Und, um Antwort auf den Sinn des Lebens zu bekommen. Und weil der Regisseur eine Haltung hat, der Film eine Textur. Filme sind Stellvertreter-Erfahrungen, Surrogate, Erweiterungen des Bewusstseins, Abenteuer, Irritationen.
Das zu leisten, war bisher das Geheimnis des Erfolgs von Hollywood, trotz allem,
wie des Erfolgs des europäischen Autorenkinos. Dieses Autorenkino verschwindet zunehmend, und wird – auch in der Vorstellung des Publikums – zunehmend ersetzt durch seichte Wohlfühlfilme, die entweder vorgeblich politisch und bedeutungsvoll sind, oder noch nicht einmal das, in jedem Fall aber einlullend.
Oder durch bleiernes Kunstkino, das es darauf anzulegen scheint, dem Publikum die gute Laune auszutreiben, und es, statt ihm etwas zu zeigen, besser gleich erzieht.
Und zwar zu Dingen, und das ist hier wichtig, zu denen es nicht erzogen werden will.
Von solchem Kino sieht man auf jedem Festival ein paar Beispiele. Ist auch okay so. Die werden aber gerade in Venedig normalerweise ausgeglichen durch Genre, B-Movies, Unterhaltungskino verschiedensten Niveaus. Aber wenn die Amerikaner jetzt auch noch anfangen, europäisches Kunsthandwerk zu kopieren, wird es nervig.
(to be continued)