Cinema Moralia – Folge 187
Filme, die die Welt nicht braucht |
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Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot wurde leider nicht für den Deutschen Filmpreis nominiert | ||
(Foto: W-Film) |
»Alcohol, hashish, prussic acid, strychnine are weak dilutions. The surest poison is time.«
Emerson: Society and Solitude
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Sie werden jetzt wieder sagen, dass sei doch alles waaaahnsinnig demokratisch. Und manche werden uns sogar versuchen, weiszumachen, 100 Dinge habe doch auch etwas mit Filmkultur zu tun, und sei natürlich einer der besten Filme des Jahres 2018. Und andere werden wieder umständlich und juristisch vollkommen korrekt erklären, dass Bille August mit Eleanor & Colette einen durch und durch deutschen Film gedreht hat, und einen guten obendrein.
Aber es hilft nichts. Die Veröffentlichung der Vorauswahl zum deutschen Filmpreis bietet wieder einmal ein Panoptikum der Mittelmäßigkeit und künstlerischen Bedeutungslosigkeit, dass es zum
Himmel schreit.
Dass Ulrich Köhlers In My Room gut genug war für Cannes, aber nicht gut genug für die deutsche Filmakademie, dass Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot nicht eine einzige Nominierung bekommt – in der Vorauswahl, Leute!!! –, auch nicht für Kamera, auch nicht für die
großartige Julia Zange, dass Lomo – The Language of Many Others auf der Liste fehlt, das beweist wie so manche andere Entscheidung hier, dass es mit der Filmakademie nach nunmehr 15 Jahren Verschlimmbesserung des Bundesfilmpreises nichts mehr werden kann, und dass die auch hier zuständige Kulturstaatsministerin Monika Grütters ihr hoffentlich bald die Verwaltung des Filmpreises
entzieht, so wie Dieter Kosslick die Erbpacht auf die Berlinale.
Diversität wird gern gefordert. Es gibt aber auch eine ästhetische Diversität.
Der deutsche Film according to deutsche Filmakademie ist ein Biotop der Harmlosigkeit und Irrelevanz. Wahnsinnig demokratisch eben. Aber vor allem wahnsinnig. Und so demokratisch halt, wie es ist, dass die AfD in den Parlamenten sitzt.
Auch durch so etwas wächst das Unbehagen in der Demokratie.
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Es liegt auch Institutionen wie der sogenannten Filmakademie, die alles ist, aber bestimmt nicht akademisch, dass Film auch im Kulturministerium immer noch nicht als Kulturgut für voll genommen wird. Wie anders ist es zu erklären, dass gestern vom BKM wieder mal eine Jury für die Villa Massimo, also ein Künstlerstipendium in Rom benannt wurde, und das Kino als einzige Kunst fehlt?
Architektur, Literatur, »Bildende« Kunst und Musik finden wir, aber keinen Film.
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In der FAS vom 06.01.2019 hat Peter Körte einen hochinteressanten Text geschrieben. Darin geht er auf viele wichtige Fragen der deutschen Filmfinanzierung ein. Das wichtigste aber: Er bringt Zahlen. Denn Zahlen lügen nicht – man muss sie aber lesen können. Körtes Zahlen – es sind die der FFA – widerlegen die Mythen der Filmförderung. Denn blickt man auf das Verhältnis von Fördergeldern und Kinobesuch wird klar, dass vor allem teuer geförderte Filme –
Werk ohne Autor, Drei Zinnen oder der auch von der FFA mit 5,6 Millionen Euro durchgefütterte Actionschrott Renegades – Mission of Honor vergleichsweise kein Geld einspielen.
Was klar ist: Kulturelle Förderung gibt es nicht. Wirtschaftliche kaum. Was
sich Filmförderung nennt, ist dümmste Subvention für die mittelständische Betriebe einer unwirtschaftlichen Branche – für filmische Steinkohle, Butterberge und Milchseen. Filme die die Welt nicht braucht.
Dazu Körte: »Was man aus diesen Resultaten schließen kann? In erster Linie, dass offenbar in den Fördergremien Leute sitzen, die glauben wollen, was Produzenten ihnen erzählen, angebliches kommerzielles Potential beim Nennwert nehmen und übersehen, dass da zum
Beispiel ein Drehbuch vorliegt, bei dem sich solche Ambitionen bei genauerer Betrachtung als Hirngespinste erweisen würden. Was leider dauernd vorkommt und nichts mit einer Haltung zu tun hat, die von der künstlerischen Qualität eines Projekts überzeugt ist und es genau deshalb subventioniert – auch wenn die kommerziellen Aussichten limitiert sind. ... In anderen Branchen würden solche notorischen Fehleinschätzungen, ... dazu führen, dass Leute von ihren Aufgaben entbunden
werden. Aber die deutsche Filmbranche (wenngleich nicht nur sie) ist halt ein bisschen anders als die anderen.«
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Vielleicht gewinnt Florian Henckel von Donnersmarck ja den deutschen Filmpreis. Den Golden Globe schon mal nicht.
Aber was ist eigentlich gerade los in Hollywood? Die »Golden Globes«, die am Wochenende verliehen wurden, und die Oscars, die es in ein paar Wochen geben wird, sind dafür keineswegs ein verlässliches Barometer, sondern eher die Ausnahme.
Sie sind selbst eine Werbeveranstaltung der Filmbranche, die einen schönen Schein erzeugen will, um von der Realität
abzulenken. Denn da feiert eine Branche sich selbst, da tut sie so, als hätte sich nichts geändert seit den goldenen Zeiten von Ava Gardner, Marilyn Monroe, James Stewart und James Dean.
Da gibt es ein Amerika ohne Trump und Rassismus, und Filme ohne Superhelden und digital erzeugte alternative Fakten, ein Amerika, das Frauen nicht nur gleichstellt, sondern zur Zeit sogar bevorzugt, das der Waffenlobby Widerstand leistet, die tatsächlich nicht zuletzt viele Hollywoodfilme als
gesponserte Werbeclips für ihre neuesten Produkte benutzt.
Aber bei den Oscars und Golden Globes gewinnen nie die Großkonzerne, und die Comicverfilmungen bekommen bestenfalls mal einen Trostpreis für visuelles Design oder Tonmischung und oft noch nicht mal das.
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Wer wissen will, was wirklich los ist in Hollywood, der sollte sich die Mühe machen, einmal über die Liste der amerikanischen Titel zu schauen, die im vergangenen Jahr in Deutschland angelaufen sind. Es sind viele knapp 200 – von insgesamt 684 Filmstarts 2019. Auf der Liste des letzten Jahres werden Tendenzen der Vorjahre für alle unübersehbar.
Denn was gab es denn aus Hollywood? Natürlich: Superhelden im doppelten Dutzend. Manchmal treten sie kohortenweise in einem
einzigen Film auf, die heißen dann Avengers oder Guardians of the Galaxy, manchmal bekommen sie ihren eigenen Superheldenfilm. Aber jenseits all dieser Comic-Verfilmungen, die vor allem auf zwei Konzerne und ihre Fantasy-Universen zurückgehen, gibt es kaum noch klassische Action, ohne Superhelden, dafür mit Menschen: Die eine glorreiche Ausnahme war ein einsamer Tom-Cruise-Blockbuster, Mission: Impossible – Fallout von Christopher McQuarrie – genaugenommen auch der die neueste Folge einer Franchise, denn es ist die sechste Kinofortsetzung der Fernsehserie »Mission Impossible«.
Aber dann? Wo sind die Bruce-Willis-, Stallone- und Schwarzenegger-Filme von heute? Wo sind die Psychothriller, die klassischen Polizeifilme?
Diese Stoffe sind aus dem Kino
ausgebürgert worden, und ins Format der Fernseh-Serien emigriert, die heute per Streaming oder DVD konsumiert werden: Meisterwerke wie True Detective oder Sharp Objects wären früher im Kino gelaufen.
Die einzige klassische Genretradition, die sich erhalten hat, ist das Biopic, die Filmbiographie in der ein bekannter Darsteller eine bekannte Persönlichkeit aus Kunst- oder Politikgeschichte möglichst passgenau verkörpert. Vor
Weihnachten war es Bohemian Rhapsody über Queen, letzte Woche war es Keira Knightley als Colette, in ein paar Tagen wird es Christian Bale als Dick Cheyney sein.
Dieses Biopic spielt unserem gegenwärtigen Bedürfnis in die Hände, alles zu personalisieren, und uns Geschichte nur
individualisiert, als Treiben großer Männer und neuerdings ein paar großer Frauen vorstellen zu können.
Aber sonst? Wo sind die subversiven Komödien für Erwachsene? Würden Lubitsch und Billy Wilder heute Serien drehen? Natürlich gab es einzelne bemerkenswerte Filme. Aber gibt es noch einen zweiten Three Billboards Outside Ebbing, Missouri?
Und tatsächlich auch einen echten neuen
Trend: Nein, nicht der leuchte Anstieg sogenannter Frauenfilme im Gefolge der »#Me-Too«-Proteste, sondern die Selbstermächtigung der amerikanischen Schwarzen:
Ein paar neue Filmemacher waren hier bemerkenswert, das Comeback des großen Spike Lee mit seinem zornig-ironischen BlacKkKlansman war dafür unentbehrlich,
am allerwichtigsten aber war ein anderer Film: Black Panther – der erste Film mit einem schwarzen Superhelden, der sich eindeutig an ein weltweites Mainstreampublikum richtet.
Filmisch war das zwar keine Offenbarung, aber immerhin der Blick in eine diversere, abwechslungsreichere Kino-Zukunft.
Ansonsten aber: Noch nie liefen die neuen Filme von Woody Allen oder Ridley Scott und selbst Steven Spielbergs derart unsichtbar und folgenlos
im deutschen Kino.
Zur Zeit bricht zwischen Blockbustergeldmaschinen, ein paar Agitprop-Dokus im Michael-Moore-Stil, bedeutungsheischendem Wellness-Arthouse-Mainstream eine ganze Autorenfilmtradition ersatzlos weg.
Die zunehmende Macht der börsengetriebenen privaten Streamingdienste verstärkt noch die Formatierung, die immer schon ein Teil der Filmindustrie war.
Dies alles sei ohne Wertung einfach konstatiert, um unseren Blick für die Verhältnisse zu schärfen – vielleicht mit leichtem Bedauern eines Nostalgikers, der immer noch überzeugt ist, dass man auf der Leinwand mehr sieht und intensivere Erfahrungen macht als auf dem Flachbildschirm, vom Smartphone ganz zu schweigen.
Hollywood verändert sich? Und es verändert uns.
(to be continued)