25.01.2019
Cinema Moralia – Folge 188

Graf Dracula und die Oscars

Robert
Musen dürfen bei Donnersmarck allenfalls noch den Pinsel reichen

Phantom der Macht: Es gibt auch ästhetischen Missbrauch wie der Fall Donnersmarck zeigt – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 188. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Die Kardi­nalsünde des 20. Jahr­hun­derts ist der Verlust des Gefühls dafür, dass es Dinge gibt, die man einfach nicht tut. Diesem Mangel sind Millionen von Menschen überall auf der Welt zum Opfer gefallen. Ihre Leiden gegen eine Mode­tor­heit ins Feld zu führen, wäre selber schon ein Akt der Barbarei, weil ungehörig unan­ge­messen. Aber dieser Umstand darf nicht verhin­dern, auch bei schein­baren Klei­nig­keiten den gehörigen Respekt einzu­klagen. Denn als untrüg­li­ches Zeichen für die mora­li­sche Verfas­sung einer Gesell­schaft, deren Grenzen in allen Bereichen fließend geworden sind, taugen solche geschmack­losen Auswüchse allemal. Nicht erst an den Früchten, schon an den Keimen sollt ihr sie erkennen. Sonst kommt, bei dieser zeit­ge­mäßen Geschwin­dig­keit des Lebens, der bloß Gutmei­nende allemal zu spät.«
Peter Buchka, SZ 18.04.1994

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Was für ein Tag! Der 30. August 2018 war der Tag des Film­jahres und man konnte es schon in diesem Morgen ahnen, dass es so sein könnte. Da liefen, gleich zu Beginn im Wett­be­werb von Venedig, zuerst Roma, dann The Favourite. Beide Filme über­dau­erten das Festival als Kritiker- und Publi­kums­lieb­linge, und verführten auch die Academy Awards.
Beiden Filmen wünscht man alles Glück der Welt bei dieser Preis­ver­lei­hung – und es erzählt tatsäch­lich etwas, dass die Filme im Wett­be­werb von Cannes weit weniger Nomi­nie­rungen bekamen. Und dann auch meist die falschen Filme. Die Filme der Berlinale kommen aber noch weniger vor.

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Eine tatsäch­lich grund­fal­sche Nomi­nie­rung ist jene in der Kategorie »Bester Auslän­di­scher Film« für Werk ohne Autor.
Ja: ich gönne diesem Film und seinem Regisseur keinen Preis und auch keine Nomi­nie­rung. Dies nicht nur, weil es ein schwacher altba­ckener, stilis­tisch erzkon­ser­va­tiver Film ist. Ein Film, dessen Präsenz in unseren Geschmacks­zen­tren dem deutschen Kino, wenn es denn um dieses ginge, Schaden zufügt.
Auch nicht allein, weil schon diese eine Szene mit der Paral­lel­mon­tage zwischen Dresdner Bomben­an­griff und Gaskam­me­rer­mor­dung Behin­derter zu den verlo­gensten Film­mo­menten der letzten Jahre gehört. Weil es keinen Gaskam­mertod für Behin­derte gab, sondern Giftspritzen, was aber nicht so chic aussieht, wie Gaskammer. Weil man die Gaskammer nicht mit einer Kamera betreten darf. Auch Spielberg hat das nicht gemacht. Mit dem wollen wir eigent­lich Donners­marck gar nicht in einem Satz nennen. Spielberg geht ja NICHT in die Gaskam­mern – wir Zuschauer denken nur zunächst, dass er es tut. Durch diese Erwartung funk­tio­niert die Szene. Das ist die Pointe.

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»Schind­lers Liste. Steven Spielberg ist mit diesem Film keines­wegs erwachsen geworden, sondern das Kind geblieben, das er schon immer war. Das ist erstens ohnehin nicht das schlech­teste und zweitens im Falle des Holocaust auch kein Nachteil, weil die Vernunft der Erwach­senen bei diesem Thema auch nicht weiter reicht als das Entsetzen der Kinder. Den Schindler spielt Liam Neeson, Ben Kingsley ist sein Buch­halter, und Ralph Fiennes (sprich: Fein) gibt den Lager­kom­man­danten Amon Göth.«
Michael Althen, über Schind­lers Liste, SZ 03.03.1994

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Was ich auch nicht mag: Die Figur der Frau des Malers, eine Kunst­stu­dentin, die sich von dem Moment an, wo sie den jungen Richter kennen­lernt, nur noch dafür inter­es­siert, dessen Muse zu sein und endlich sein Kind auszu­tragen. Mit der eigenen Kunst ist Schluss.
Vor allem aber finde ich die Form der Exploita­tion von Richters Kunst durch diesen spießigen Konser­va­tiven extrem unan­ge­nehm. Das geht Richter selbst offenbar nicht anders, deshalb hat er es Donners­marck mit einem gut vorbe­rei­teten, exakt gesetzten öffent­li­chen Hieb jetzt heim­ge­zahlt.

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»Gerhard Richter rechnet mit Henckel von Donners­marck ab«, titelte der Spiegel: »Mit scharfen Worten hat sich Gerhard Richter von dem Film ›Werk ohne Autor‹ distan­ziert«.

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Immer Ärger mit Donners­marck. Warum eigent­lich? Warum muss bei diesem Regisseur immer alles zwei, drei Nummern zu groß sein, so groß, dass die Blase irgend­wann platzt? Warum fehlt ihm alle Beschei­den­heit, alles Maß?
Schon bei das Das Leben der Anderen bekam Jenny Gröllmann
vor Gericht gegen Donners­marck recht, und Passagen seines Suhrkamp-Buchs zum Film mussten geschwärzt werden.

Andere, die vom deutschen Adel grund­sätz­lich begeis­terter sind als ich, würden sagen, dass Adel doch genau das bedeutet: Maßhalten. Beschei­den­heit. Mehr sein als scheinen. »Preußi­sche Tugenden« hat man das mal genannt.

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In einem wahn­sinnig langen, wahn­sinnig lesens­werten Artikel hat der »New Yorker« Donners­marck jetzt portrai­tiert.
Was da beschrieben wird, strotzt von Anekdoten, Momenten und Zitaten, wegen derer manche diesen Regisseur so mögen und die aller­meisten meiner Freunde und Bekannten besten­falls über ihn lachen. Es ist lustig, weil sich in Deutsch­land kaum einer trauen würde, mit ironi­schem Tonfall über das narziss­ti­sche »Babyface« und den »giant living among humans« zu schreiben.
Was darin aber vor allem steht: Zitate von Gerhard Richter, mit dessen angeb­li­chem Segen und angeb­li­cher Zusam­men­ar­beit der deutsche Regisseur bereits vor der Premiere seines Films hausieren ging. Werk ohne Autor, dies für die vielen, die ihn noch nicht gesehen haben, handelt von einem Maler, dessen Lebens­lauf mit dem Richters weit­ge­hend identisch ist, wie auch seine Mitmen­schen, wie auch seine Gemälde – auch wenn die Namen verändert wurden, sind jene Ähnlich­keiten keines­wegs zufällig. Sollen sie auch nicht sein. Vielmehr hat der Regisseur sich offen­kundig mit vampi­ri­scher Energie der Biogra­phie des Malers und eines Teils seiner Familie bemäch­tigt und diese entschlossen für seine Zwecke ausge­sogen.
Nach Darstel­lung von Donners­marck war das Verhältnis freund­lich – Richter hätte das Drehbuch für gut befunden und sogar erwogen, eigens Bilder zum Film beizu­steuern.

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Der »New Yorker« zitiert den Brief des Malers an die Redaktion:
»I thank you for your kind letter about the film of Florian Henckel von Donners­marck. To recall all the events, I had a look into the quite hefty folder regarding the case von Donners­marck. Unfort­u­n­a­tely, this visua­liza­tion of all the facts caused such bad feelings, and my dislike of both the movie and the person grew so much again, that I find it impos­sible to give you an answer.
I hope for your under­stan­ding, but I can’t help it.
With best regards,
Gerhard Richter«
»Very soon after his first or second visit I told him clearly that I would not approve a movie about Gerhard Richter. ... I gave him something in writing stating that he was expli­citly not allowed to use or publish either my name or any of my paintings. He reassured me to respect my wishes.
But in reality, he has done ever­y­thing to link my name to his movie, and the press was helping him to the best of its ability. Fort­u­n­a­tely, the most important news­pa­pers here reviewed his concoc­tion very skep­ti­cally and criti­cally. Nevert­heless, he managed to abuse and grossly distort my biography! I don’t want to say more about this.«

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Hoffent­lich werden die Mitglieder der Academy den »New Yorker« lesen und Donners­marck auch aus mora­li­schen Gründen keinen Oscar geben. Ästhe­tisch verdient hat er ihn sowieso nicht.

(to be continued)