Cinema Moralia – Folge 188
Graf Dracula und die Oscars |
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Musen dürfen bei Donnersmarck allenfalls noch den Pinsel reichen |
»Die Kardinalsünde des 20. Jahrhunderts ist der Verlust des Gefühls dafür, dass es Dinge gibt, die man einfach nicht tut. Diesem Mangel sind Millionen von Menschen überall auf der Welt zum Opfer gefallen. Ihre Leiden gegen eine Modetorheit ins Feld zu führen, wäre selber schon ein Akt der Barbarei, weil ungehörig unangemessen. Aber dieser Umstand darf nicht verhindern, auch bei scheinbaren Kleinigkeiten den gehörigen Respekt einzuklagen. Denn als untrügliches Zeichen für die moralische Verfassung einer Gesellschaft, deren Grenzen in allen Bereichen fließend geworden sind, taugen solche geschmacklosen Auswüchse allemal. Nicht erst an den Früchten, schon an den Keimen sollt ihr sie erkennen. Sonst kommt, bei dieser zeitgemäßen Geschwindigkeit des Lebens, der bloß Gutmeinende allemal zu spät.«
Peter Buchka, SZ 18.04.1994
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Was für ein Tag! Der 30. August 2018 war der Tag des Filmjahres und man konnte es schon in diesem Morgen ahnen, dass es so sein könnte. Da liefen, gleich zu Beginn im Wettbewerb von Venedig, zuerst Roma, dann The Favourite. Beide Filme überdauerten das Festival als Kritiker- und
Publikumslieblinge, und verführten auch die Academy Awards.
Beiden Filmen wünscht man alles Glück der Welt bei dieser Preisverleihung – und es erzählt tatsächlich etwas, dass die Filme im Wettbewerb von Cannes weit weniger Nominierungen bekamen. Und dann auch meist die falschen Filme. Die Filme der Berlinale kommen aber noch weniger vor.
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Eine tatsächlich grundfalsche Nominierung ist jene in der Kategorie »Bester Ausländischer Film« für Werk ohne Autor.
Ja: ich gönne diesem Film und seinem Regisseur keinen Preis und auch keine Nominierung. Dies nicht nur, weil es ein schwacher altbackener, stilistisch erzkonservativer Film ist. Ein Film, dessen Präsenz in unseren Geschmackszentren dem deutschen
Kino, wenn es denn um dieses ginge, Schaden zufügt.
Auch nicht allein, weil schon diese eine Szene mit der Parallelmontage zwischen Dresdner Bombenangriff und Gaskammerermordung Behinderter zu den verlogensten Filmmomenten der letzten Jahre gehört. Weil es keinen Gaskammertod für Behinderte gab, sondern Giftspritzen, was aber nicht so chic aussieht, wie Gaskammer. Weil man die Gaskammer nicht mit einer Kamera betreten darf. Auch Spielberg hat das nicht gemacht. Mit dem wollen
wir eigentlich Donnersmarck gar nicht in einem Satz nennen. Spielberg geht ja NICHT in die Gaskammern – wir Zuschauer denken nur zunächst, dass er es tut. Durch diese Erwartung funktioniert die Szene. Das ist die Pointe.
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»Schindlers Liste. Steven Spielberg ist mit diesem Film keineswegs erwachsen geworden, sondern das Kind geblieben, das er schon immer war. Das ist erstens ohnehin nicht das schlechteste und zweitens im Falle des Holocaust auch kein Nachteil, weil die Vernunft der Erwachsenen bei diesem Thema auch nicht weiter reicht als das Entsetzen der Kinder. Den Schindler spielt Liam Neeson, Ben Kingsley ist sein Buchhalter, und Ralph Fiennes (sprich: Fein) gibt den Lagerkommandanten Amon Göth.«
Michael Althen, über Schindlers Liste, SZ 03.03.1994
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Was ich auch nicht mag: Die Figur der Frau des Malers, eine Kunststudentin, die sich von dem Moment an, wo sie den jungen Richter kennenlernt, nur noch dafür interessiert, dessen Muse zu sein und endlich sein Kind auszutragen. Mit der eigenen Kunst ist Schluss.
Vor allem aber finde ich die Form der Exploitation von Richters Kunst durch diesen spießigen Konservativen extrem unangenehm. Das geht Richter selbst offenbar nicht anders, deshalb hat er es Donnersmarck mit einem gut
vorbereiteten, exakt gesetzten öffentlichen Hieb jetzt heimgezahlt.
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»Gerhard Richter rechnet mit Henckel von Donnersmarck ab«, titelte der Spiegel: »Mit scharfen Worten hat sich Gerhard Richter von dem Film ›Werk ohne Autor‹ distanziert«.
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Immer Ärger mit Donnersmarck. Warum eigentlich? Warum muss bei diesem Regisseur immer alles zwei, drei Nummern zu groß sein, so groß, dass die Blase irgendwann platzt? Warum fehlt ihm alle Bescheidenheit, alles Maß?
Schon bei das Das Leben der Anderen bekam Jenny Gröllmann
vor Gericht gegen Donnersmarck recht, und Passagen seines Suhrkamp-Buchs zum Film mussten geschwärzt werden.
Andere, die vom deutschen Adel grundsätzlich begeisterter sind als ich, würden sagen, dass Adel doch genau das bedeutet: Maßhalten. Bescheidenheit. Mehr sein als scheinen. »Preußische Tugenden« hat man das mal genannt.
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In einem wahnsinnig langen, wahnsinnig lesenswerten Artikel hat der »New Yorker« Donnersmarck jetzt portraitiert.
Was da beschrieben wird, strotzt von Anekdoten, Momenten und Zitaten, wegen derer manche diesen Regisseur so mögen und die allermeisten meiner Freunde und Bekannten bestenfalls über ihn lachen. Es ist lustig, weil sich in
Deutschland kaum einer trauen würde, mit ironischem Tonfall über das narzisstische »Babyface« und den »giant living among humans« zu schreiben.
Was darin aber vor allem steht: Zitate von Gerhard Richter, mit dessen angeblichem Segen und angeblicher Zusammenarbeit der deutsche Regisseur bereits vor der Premiere seines Films hausieren ging. Werk ohne Autor, dies für die
vielen, die ihn noch nicht gesehen haben, handelt von einem Maler, dessen Lebenslauf mit dem Richters weitgehend identisch ist, wie auch seine Mitmenschen, wie auch seine Gemälde – auch wenn die Namen verändert wurden, sind jene Ähnlichkeiten keineswegs zufällig. Sollen sie auch nicht sein. Vielmehr hat der Regisseur sich offenkundig mit vampirischer Energie der Biographie des Malers und eines Teils seiner Familie bemächtigt und diese entschlossen für seine Zwecke
ausgesogen.
Nach Darstellung von Donnersmarck war das Verhältnis freundlich – Richter hätte das Drehbuch für gut befunden und sogar erwogen, eigens Bilder zum Film beizusteuern.
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Der »New Yorker« zitiert den Brief des Malers an die Redaktion:
»I thank you for your kind letter about the film of Florian Henckel von Donnersmarck. To recall all the events, I had a look into the quite hefty folder regarding the case von Donnersmarck. Unfortunately, this visualization of all the facts caused such bad feelings, and my dislike of both the movie and the person grew so much again, that I find it impossible to give you an answer.
I hope for your understanding,
but I can’t help it.
With best regards,
Gerhard Richter«
»Very soon after his first or second visit I told him clearly that I would not approve a movie about Gerhard Richter. ... I gave him something in writing stating that he was explicitly not allowed to use or publish either my name or any of my paintings. He reassured me to respect my wishes.
But in reality, he has done everything to link my name to his movie, and the press was helping him to the best of its ability.
Fortunately, the most important newspapers here reviewed his concoction very skeptically and critically. Nevertheless, he managed to abuse and grossly distort my biography! I don’t want to say more about this.«
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Hoffentlich werden die Mitglieder der Academy den »New Yorker« lesen und Donnersmarck auch aus moralischen Gründen keinen Oscar geben. Ästhetisch verdient hat er ihn sowieso nicht.
(to be continued)