Cinema Moralia – Folge 195
Ein Revolutionär des Stils und das Dokumentarfilm-Kondom |
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Die faszinierenden Kessler-Zwillinge in Die Tote von Beverly Hills | ||
(Foto: Filmmuseum München | Die Tote von Beverly Hills) |
»Der junge Regie-Star hatte ein Spiel mit der Aufnahmetechnik betrieben, das Zuschauer wie Kritiker verstörte. Er häufte Schnitte und Blenden, Tricks und Montagen. Er ließ Motorroller durchs Wasser und Boote auf der Landstraße fahren.«
»Der Spiegel«, über Michael Pfleghar
Die Sechziger Jahre waren soviel mehr, als der bei genauerer Betrachtung doch mitunter auch recht öde und ästhetisch, oft auch geistig enge »Neue Deutsche Film«. Der von den Regisseuren in die Welt gesetzte schwarze Mythos vom bösen »Papas Kino« war sowieso immer schon falsch.
Wer dafür Bestätigung braucht, der sollte in dieser Woche am 27.4. das Münchner Filmmuseum besuchen. Dort laufen zwei Kinofilme von Michael Pfleghar, den man ansonsten vor allem als Regisseur von »Klimbim«
und »Zwei himmlische Töchter« kennt, zwei Highlights des westdeutschen Fernsehens. Die Tote von Beverly Hills (1964) und Serenade für zwei Spione (1965) sind Solitäre: So klug, witzig und stilbewusst, wie sonst nur das Werk von Will Tremper, aber viel internationaler im Geschmack. Pfleghar
war ein Weltmann und ein »Homme des femmes«, der sich nicht nur mit einigen der interessantesten Frauen seiner Zeit umgab, sondern sie in seinen Filmen wie Fernsehshows auch sehr gern an- und auszog. Das, ebenso wie Pfleghars Leichtigkeit waren schon damals für die deutschen Spießbürger aller Klassen undenkbar, also hochsuspekt. Heute würde man ihn wahrscheinlich ausbürgern.
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Damals aber lief Die Tote von Beverly Hills im Wettbewerb von Cannes – das waren noch Zeiten, auch an der Croisette. Womit ein weiteres Vorurteil widerlegt wäre, dass nämlich vor Fassbinder, Herzog und Wenders keine deutschen Filme in Cannes gezeigt wurden. Das Gegenteil ist der Fall, es liefen vor 1968 mehr Filme als danach.
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Anmoderiert wird die Reihe von Hans Schifferle. In der Süddeutschen Zeitung kann man ihn nicht mehr lesen, weil die Entscheider dort auf junge Eindeutigkeit setzen, statt auf die großartige Schifferlesche Ambiguität – ein Grund mehr, das Abo abzubestellen, und besser alle Texte im Programmheft des Filmmuseums zu lesen. Dort beschreibt Schifferle Michael Pfleghar, »Wunderkind und Showman«, wie folgt: »Einen Pfleghar-Film sehen, das heißt, eine Reise zu unternehmen in
die Vergangenheit der Zukunft. Seine genuinen Cine-Spektakel der Swinging Sixties, die eigentlich unvorstellbar sind im deutschen Kino jener Zeit, gleichen irrwitzigen Trips durch eine Jetset-Pop-Welt, in der ein Supersonic Feeling herrscht, das den Zuschauer verwirrt, verzückt, verändert. Pfleghar versucht … nichts Geringeres als die Welt aus den Angeln zu heben. Er ist ein Revolutionär des Stils, der Narration, des Rhythmus. Seine attraktiven Scope-Bilder scheinen zu tanzen
in Ekstase. … Pfleghars gesamtes Werk ist gleichsam geboren aus dem Geist des Slapstick. … Die Tote von Beverly Hills, nach dem reflexiven Erotikroman von Curt Goetz entstanden, ist ein schwindelerregender Film. Vertigo a gogo. Ein Spiel mit Realitäten, mit der Dialektik von Verfremdung und Illusion. Selbst Brecht wäre verwirrt gewesen. Pfleghar signalisiert gleich zu Anfang,
dass alles Kino ist, ein Spiel der Figuren aus Licht und Schatten, ein Auftritt von Geistern.«
Gratulation zu diesem Text!!!
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Die Tote von Beverly Hills und Serenade für zwei Spione wurden von Hans-Jürgen Pohland produziert. An Pohland ist bemerkenswert, dass er als Unterzeichner des Oberhausener Manifests die »oft unproduktive Trennung von Papas Kino und Neuem Deutschen Film« (Schifferle) unterlaufen und ignoriert hat.
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Im Berliner Arsenal Kino läuft bereits diesen Freitag (26.4., um 19:00 Uhr) im Rahmen der Filmreihe »Hinter den Gräben« der vielfach preisgekrönte Dokumentarfilm Die Siedler Francos (2013). Gleich danach kommt um 21:30 Uhr die Fortsetzung Franco vor Gericht: Das spanische Nürnberg?. Die Filmemacher Lucía Palacios und Dietmar Post werden zu beiden Aufführungen anwesend sein.
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Die Produktionsgeschichte beider Werke erzählt auch einiges über den Umgang mit Dokumentarfilmen, besonders in den öffentlich-rechtlichen Sendern und den Filmförderanstalten.
Denn während die Filme in Spanien gefeiert wurden, gab es Streit mit den beteiligten deutschen Sendern. Nachdem Arte eine 52-minütige Version gezeigt hatte, weigerte sich die ARD, die beauftragte 45-Minuten-Version abzunehmen, berichtet Dietmar Post: »Sie lehnten grundweg die Machart des Films ab,
hielten ihn für nicht sendbar und beschlossen dann, uns Produzenten nicht die letzte Rate auszuzahlen. Neben dem inhaltlichen und ästhetischen Druck sollten wir jetzt auch finanziell bestraft werden.« Das Projekt sei um ein Jahr zurückgeworfen worden. Erst durch Vermittlung kam es zu einer Einigung.
Dem Sender fehlte die »Emotionalität« und die eindeutige Tendenz, er war nicht »reißerisch« und tränendrüsig genug.
Tatsächlich verzichten die Macher auf Musikuntermalung
und den gern gewollten einordnenden Off-Kommentar, der den Zuschauern sagt, was er denken soll.
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Hochinteressant ist auch die ungewöhnliche, aber offenbar für die Produzenten erfolgreiche Auswertungsstrategie: »Wir lassen uns nicht auf unterschiedliche Verwertungsfenster für Kinostart, DVD- und Fernsehauswertung im von Filmförderern vorgegebenem Zeitabstand ein«, erklärt Dietmar Post. Stattdessen vermarktet er Kinostart, DVD-Auswertung und ein Buch parallel.
Derartige von gar nicht so wenigen Produzenten gewünschte Auswertungsmodelle werden von den
mindestens altmodisch, manche würden sagen »stalinistisch« denkenden und agierenden Kinobetreiberlobbys wie Teufelswerk betrachtet und mit allen Mitteln behindert.
Dazu ist allerdings zu ergänzen, dass Die Siedler Francos mit nur 65.000 Euro überaus billig ist, und dass der Film ohne Filmförderung produziert wurde – die Filme unter Umständen teurer macht, und durch diverse Verpflichtungen und Auflagen in der Vermarktung behindert.
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Dieses Beispiel zeigt, wie sehr in unseren neoliberalen Verhältnissen, in denen man für Dokumentarfilme im Fernsehen mit dem gleichen Slogan wirbt, wie für Kondome – »Gefühlsecht!« – ein bestimmter, geschmeidig angepasster Dokumentarfilm, von den gar nicht unabhängigen öffentlichen Geldgebern protegiert wird: Statt Fakten und Fragen will man Emotionen und »schöne Geschichten« (Claas Relotius).
(to be continued)