25.04.2019
Cinema Moralia – Folge 195

Ein Revo­lu­ti­onär des Stils und das Doku­men­tar­film-Kondom

Die Tote von Beverly Hills
Die faszinierenden Kessler-Zwillinge in Die Tote von Beverly Hills
(Foto: Filmmuseum München | Die Tote von Beverly Hills)

Wie man die Welt aus den Angeln hebt, und wie man sie zurecht stutzt – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogängers, 195. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Der junge Regie-Star hatte ein Spiel mit der Aufnah­me­technik betrieben, das Zuschauer wie Kritiker verstörte. Er häufte Schnitte und Blenden, Tricks und Montagen. Er ließ Motor­roller durchs Wasser und Boote auf der Land­straße fahren.«
»Der Spiegel«, über Michael Pfleghar

Die Sechziger Jahre waren soviel mehr, als der bei genauerer Betrach­tung doch mitunter auch recht öde und ästhe­tisch, oft auch geistig enge »Neue Deutsche Film«. Der von den Regis­seuren in die Welt gesetzte schwarze Mythos vom bösen »Papas Kino« war sowieso immer schon falsch.
Wer dafür Bestä­ti­gung braucht, der sollte in dieser Woche am 27.4. das Münchner Film­mu­seum besuchen. Dort laufen zwei Kinofilme von Michael Pfleghar, den man ansonsten vor allem als Regisseur von »Klimbim« und »Zwei himm­li­sche Töchter« kennt, zwei High­lights des west­deut­schen Fern­se­hens. Die Tote von Beverly Hills (1964) und Serenade für zwei Spione (1965) sind Solitäre: So klug, witzig und stil­be­wusst, wie sonst nur das Werk von Will Tremper, aber viel inter­na­tio­naler im Geschmack. Pfleghar war ein Weltmann und ein »Homme des femmes«, der sich nicht nur mit einigen der inter­es­san­testen Frauen seiner Zeit umgab, sondern sie in seinen Filmen wie Fern­seh­shows auch sehr gern an- und auszog. Das, ebenso wie Pfleghars Leich­tig­keit waren schon damals für die deutschen Spieß­bürger aller Klassen undenkbar, also hoch­su­spekt. Heute würde man ihn wahr­schein­lich ausbür­gern.

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Damals aber lief Die Tote von Beverly Hills im Wett­be­werb von Cannes – das waren noch Zeiten, auch an der Croisette. Womit ein weiteres Vorurteil widerlegt wäre, dass nämlich vor Fass­binder, Herzog und Wenders keine deutschen Filme in Cannes gezeigt wurden. Das Gegenteil ist der Fall, es liefen vor 1968 mehr Filme als danach.

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Anmo­de­riert wird die Reihe von Hans Schif­ferle. In der Süddeut­schen Zeitung kann man ihn nicht mehr lesen, weil die Entscheider dort auf junge Eindeu­tig­keit setzen, statt auf die groß­ar­tige Schif­fer­le­sche Ambi­guität – ein Grund mehr, das Abo abzu­be­stellen, und besser alle Texte im Programm­heft des Film­mu­seums zu lesen. Dort beschreibt Schif­ferle Michael Pfleghar, »Wunder­kind und Showman«, wie folgt: »Einen Pfleghar-Film sehen, das heißt, eine Reise zu unter­nehmen in die Vergan­gen­heit der Zukunft. Seine genuinen Cine-Spektakel der Swinging Sixties, die eigent­lich unvor­stellbar sind im deutschen Kino jener Zeit, gleichen irrwit­zigen Trips durch eine Jetset-Pop-Welt, in der ein Super­sonic Feeling herrscht, das den Zuschauer verwirrt, verzückt, verändert. Pfleghar versucht … nichts Gerin­geres als die Welt aus den Angeln zu heben. Er ist ein Revo­lu­ti­onär des Stils, der Narration, des Rhythmus. Seine attrak­tiven Scope-Bilder scheinen zu tanzen in Ekstase. … Pfleghars gesamtes Werk ist gleichsam geboren aus dem Geist des Slapstick. … Die Tote von Beverly Hills, nach dem refle­xiven Erotik­roman von Curt Goetz entstanden, ist ein schwin­del­erre­gender Film. Vertigo a gogo. Ein Spiel mit Reali­täten, mit der Dialektik von Verfrem­dung und Illusion. Selbst Brecht wäre verwirrt gewesen. Pfleghar signa­li­siert gleich zu Anfang, dass alles Kino ist, ein Spiel der Figuren aus Licht und Schatten, ein Auftritt von Geistern.«
Gratu­la­tion zu diesem Text!!!

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Die Tote von Beverly Hills und Serenade für zwei Spione wurden von Hans-Jürgen Pohland produ­ziert. An Pohland ist bemer­kens­wert, dass er als Unter­zeichner des Ober­hau­sener Manifests die »oft unpro­duk­tive Trennung von Papas Kino und Neuem Deutschen Film« (Schif­ferle) unter­laufen und ignoriert hat.

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Im Berliner Arsenal Kino läuft bereits diesen Freitag (26.4., um 19:00 Uhr) im Rahmen der Filmreihe »Hinter den Gräben« der vielfach preis­ge­krönte Doku­men­tar­film Die Siedler Francos (2013). Gleich danach kommt um 21:30 Uhr die Fort­set­zung Franco vor Gericht: Das spanische Nürnberg?. Die Filme­ma­cher Lucía Palacios und Dietmar Post werden zu beiden Auffüh­rungen anwesend sein.

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Die Produk­ti­ons­ge­schichte beider Werke erzählt auch einiges über den Umgang mit Doku­men­tar­filmen, besonders in den öffent­lich-recht­li­chen Sendern und den Film­för­der­an­stalten.
Denn während die Filme in Spanien gefeiert wurden, gab es Streit mit den betei­ligten deutschen Sendern. Nachdem Arte eine 52-minütige Version gezeigt hatte, weigerte sich die ARD, die beauf­tragte 45-Minuten-Version abzu­nehmen, berichtet Dietmar Post: »Sie lehnten grundweg die Machart des Films ab, hielten ihn für nicht sendbar und beschlossen dann, uns Produ­zenten nicht die letzte Rate auszu­zahlen. Neben dem inhalt­li­chen und ästhe­ti­schen Druck sollten wir jetzt auch finan­ziell bestraft werden.« Das Projekt sei um ein Jahr zurück­ge­worfen worden. Erst durch Vermitt­lung kam es zu einer Einigung.
Dem Sender fehlte die »Emotio­na­lität« und die eindeu­tige Tendenz, er war nicht »reiße­risch« und tränen­drüsig genug.
Tatsäch­lich verzichten die Macher auf Musik­un­ter­ma­lung und den gern gewollten einord­nenden Off-Kommentar, der den Zuschauern sagt, was er denken soll.

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Hoch­in­ter­es­sant ist auch die unge­wöhn­liche, aber offenbar für die Produ­zenten erfolg­reiche Auswer­tungs­stra­tegie: »Wir lassen uns nicht auf unter­schied­liche Verwer­tungs­fenster für Kinostart, DVD- und Fern­seh­aus­wer­tung im von Film­för­de­rern vorge­ge­benem Zeit­ab­stand ein«, erklärt Dietmar Post. Statt­dessen vermarktet er Kinostart, DVD-Auswer­tung und ein Buch parallel.
Derartige von gar nicht so wenigen Produ­zenten gewünschte Auswer­tungs­mo­delle werden von den mindes­tens altmo­disch, manche würden sagen »stali­nis­tisch« denkenden und agie­renden Kino­be­trei­ber­lobbys wie Teufels­werk betrachtet und mit allen Mitteln behindert.
Dazu ist aller­dings zu ergänzen, dass Die Siedler Francos mit nur 65.000 Euro überaus billig ist, und dass der Film ohne Film­för­de­rung produ­ziert wurde – die Filme unter Umständen teurer macht, und durch diverse Verpflich­tungen und Auflagen in der Vermark­tung behindert.

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Dieses Beispiel zeigt, wie sehr in unseren neoli­be­ralen Verhält­nissen, in denen man für Doku­men­tar­filme im Fernsehen mit dem gleichen Slogan wirbt, wie für Kondome – »Gefühls­echt!« – ein bestimmter, geschmeidig ange­passter Doku­men­tar­film, von den gar nicht unab­hän­gigen öffent­li­chen Geld­ge­bern prote­giert wird: Statt Fakten und Fragen will man Emotionen und »schöne Geschichten« (Claas Relotius).

(to be continued)