72. Locarno Filmfestival 2019
Ein Tanz von Kraft um eine Mitte |
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Magari von Ginevra Elkann eröffnet Locarno 2019 | ||
(Foto: Wildside) |
Jetzt brüllt er wieder, der Leopard von Locarno, der jedenfalls im Festivaltrailer ein schweres, mächtiges Tier ist, im »weichen Gang geschmeidig starker Schritte«, wie es Rilke in seinem berühmten Gedicht über den Panther schrieb – alle Jahre wieder beherbergt der Tessiner Ferienort das kleinste unter den großen fünf europäischen Filmfestivals. Im Jahr 2019 sind es 16 internationale Produktionen, die an elf Tagen im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden kämpfen. Darunter ist diesmal auch ein deutscher Film: In Das freiwillige Jahr erzählen die gestandenen deutschen Regisseure Ulrich Köhler und Henner Winckler, die diesmal als Regie-Duo unterwegs sind, von einem Vater-Tochter-Drama und einen Generationenkonflikt, der sich auf dem Papier schwer nach Mittelklasse-Problemen anhört: Töchterchen hat keinen Bock aufs freiwillige Jahr irgendwo weit weg, der Papa macht Druck, weil die Tochter seine ungelebten Pläne verwirklichen soll. Berliner Schule trifft deutsches Fernsehen. Der Film war nämlich zunächst als reine Fernsehproduktion des WDR angekündigt.
Offenbar sind die Deutschen in diesem Jahr überhaupt im Duett unterwegs. Denn auch der deutsche Dokumentarfilm Space Dogs ist von zwei Regisseuren zusammen inszeniert worden: Elsa Kremser und Levin Peter. Sie folgen den bis in die Gegenwart reichenden Spuren von Laika, der von den Sowjets 1957 als erstes Lebewesen in den Weltraum geschossenen Hündin. Der Film läuft im zweiten Herzstück des Festivals, das ja im Prinzip überhaupt ein Nachwuchsfestival ist. Der zweite Wettbewerb ist ganz streng ausschließlich ersten und zweiten Filmen vorbehalten und hat sich mitunter als interessanter, radikaler entpuppt als die Hauptkonkurrenz: »Cinéastes du présent«, Filmemacher der Gegenwart.
Im größten Freiluftkino Europas auf der mittelalterlichen Piazza Grande kann man Stars zumindest mit dem Fernglas »in echt« angucken. Denn unter 8000 Zuschauern muss man schon gut sitzen, um Mimik zu erkennen. Zu sehen sind 2019 unter anderem Hilary Swank, John Waters, und Quentin Tarantino, dessen neuer Film Once Upon a Time... in Hollywood ein Märchen aus der bitteren Realität der Traumfabrik erzählt. Auch ein deutscher Thriller läuft in dieser populären Sektion: Das Spielfilmdebüt 7500 von Patrick Vollrath.
Eröffnet wurde am Mittwoch mit einer italienischen Familiensaga: Magari ist das Kino-Debüt der Italienerin Ginevra Elkann, von der man bisher nur erfahren konnte, dass sie die Enkelin des Fiat-Chefs Gianni Agnelli ist.
Ein Debüt ist der Mittwochabend auch für Lili Hinstin – die 42-jährige Französin ist die neue künstlerische Leiterin, nachdem der Italiener Carlo Chatrian in den vergangenen sieben Jahren am Lago Maggiore das Zepter geführt hatte – was für ihn mit der Berufung zum neuen Leiter der Berlinale endete. Auch hier ist Locarno also ein Nachwuchssprungbrett.
Zu ihrem Start setzt Hinstin auf maßvolle Erneuerung. Mehr Frauen, viel Genrefilme – das ist noch nicht so
originell. Schon eher die Retrospektive »Black Light« über das Kino von, mit und über Schwarze – in Amerika und in Europa. Man kann die Filmliste »erratisch kuratiert« nennen, aber auch divers. Am Ende wird das Ergebnis vor Ort überzeugen müssen. Wir werden berichten.
In Interviews vorab hat Hinstin jedenfalls schon viel über die Schlüsselrolle von Festivals räsonniert und Interessantes gesagt, das so klingt, als lege sie tatsächlich wert auf ein Festival als Festival, nicht nur als Abspielplattform und Industriemesse, sondern auf ein Filmfestival als immer seltener werdende Kollektiverfahrung. Stichworte: »Arthouse-Filmerlebnis«, »Event-Charakter«, man habe »Fun«, mache »Party«, treffe »Leute«. Das helfe letztlich dann auch wieder
der Kinobranche.
Das einzige, was sie fürchte, ließ Hinstin vorab in der »Neuen Zürcher Zeitung« wissen, sei nur der Zwang zur Political Correctness, der heute fast alle Kulturbereiche zu durchdringen scheine.