70. Berlinale 2020
Die Perspektive ist das Entscheidende |
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Preisgekrönt: Los Lobos | ||
(Foto: © Octavio Arauz, Berlinale) |
Von Christel Strobel
Die Berlinale ist 70 geworden und wartete mit Veränderungen auf, angefangen von der neuen Leitung sowie Neubesetzungen in den Sektionen Panorama und Forum bis zu Neuerungen in den Programmschienen. Das 1977 ins Leben gerufene Berlinale-»Kinderfilmfest« erfuhr bereits einmal, nämlich 2006, einen großen Wandel mit dem Namen »Generation«, unter dessen Dach es seitdem zwei Programme für junges Publikum gibt: Für Kinder »Kplus« und für Jugendliche »14plus«. Diese Struktur hat sich bewährt, ebenso die Kontinuität in der Sektionsleitung, wo Maryanne Redpath 1993 begann, seit 2008 als Leiterin fungiert und – zusammen mit ihrem Auswahl-Team – immer wieder ein besonderes Filmangebot für das junge Berlinale-Publikum präsentiert. Für sie gehört die emotionale Intensität der filmischen Stoffe zum Programm von Generation, denn: »Viele Menschen haben immer noch diese Idee im Kopf, dass ein Film für Kinder leichte Kost sein muss. Oft bedeutet dieses Klischee aber, dass Kinder angesehen, aber nicht gesehen werden. Für mich ist die Perspektive das Entscheidende: Aus welcher Sicht ist die Geschichte erzählt, aber auch: Wer schaut und erlebt diesen Film mit? Als Erwachsene sind wir eingeladen, junge Menschen mit all ihren Erfahrungen zu erkennen und zu respektieren, Erfahrungen, die auch schon als Kind sehr intensiv und existenziell sein können.«
Das galt auch – und besonders – für diesen Jahrgang, der für das »Kplus«- und vor allem auch fürs »14plus«-Publikum (siehe eigener Bericht) An- und Aufregendes zu bieten hatte. Vorstellungen beider Programme fanden auch wieder mal im Urania-Palast statt, dem früheren langjährigen Spielort vom »Kinderfilmfest«, was jetzt wegen der Renovierung im Haus der Kulturen der Welt notwendig wurde. Der seinerzeit zum Berlinale-Kino umfunktionierte Vortragssaal in der Urania war damals wegen der günstigen Lage des Cafes ideal, weil sich dort die gesamte Kinderfilmszene mehrmals am Tag über den Weg lief…
Der australische Eröffnungsfilm H Is for Happiness ist schon gleich ein wunderbares Beispiel: Das zwölfjährige Mädchen Candice Phee mit einem Gesicht voller Sommersprossen und herrlich rotem Haar, mal zu Zöpfen geflochten, mal offen, betrachtet ihre Welt zuweilen mit einem sehr schrägen Blick, aber auch mit überströmendem Optimismus. Den braucht sie auch, denn in ihrem Elternhaus herrscht Unfrieden, der Vater hat Streit mit seinem Bruder, die Mutter trauert um ihr plötzlich verstorbenes Baby. Das Glück scheint an einen anderen Ort gezogen zu sein und Candice mit ihrem ungewollt komischen Enthusiasmus steht dazwischen. Da kommt ihr neuer Banknachbar in der Schule gerade recht, denn der passt perfekt zu ihr – »Douglas Benson from another Dimension« ist fest davon überzeugt, aus einer anderen Dimension gefallen zu sein. Und Candice Phee hat in ihm schon bald einen glühenden wie rührenden Verehrer. Nun hat sie sich das Schulprojekt mit großem Eifer und Einfallsreichtum vorgenommen, um ihre Familie zu versöhnen.
Der Theaterregisseur John Sheedy hat sich das erfolgreiche Buch »My Life as an Alphabet« von Barry Jonsberg als Vorlage genommen für seinen fantasievollen wie rasanten Debütfilm. Von Anfang an fasziniert das besondere Farbkonzept – sei es für die Kleidung (vorherrschend rot und grün) oder in der Landschaftsästhetik. So ist der Film eine Augenweide, und nicht zuletzt der Blick auf einen Radweg, der sich oberhalb des Meeres durch eine sattgrüne Landschaft schlängelt und über den die Kinder immer wieder sausen, während die grandiose Sicht auf die Küstenlandschaft und die Brandung das Bild weitet, bleibt im Gedächtnis. Die Dreharbeiten übrigens fanden bei Albany an der Südküste von West-Australien statt. Es ist zu hoffen, dass dieser rundum gelungene Kinder-/Familienfilm bald einen Verleih findet und im Kino zu sehen ist.
Mit SWEET THING (Alexandre Rockwell, USA) ist ein Film im Programm, der die Spannweite von Kplus auslotet. Gedreht in schwarz/weiß, begibt er sich in labile Familienverhältnisse irgendwo in den USA. Die Geschwister Billie und Nico haben es schwer mit ihrem Vater, denn der rastet aus nach zu viel Alkohol, und das oft und gewaltig. Ihre unstete und häufig abwesende Mutter ist ihnen in dieser Situation keine Hilfe. Was die Erwachsenen nicht schaffen, macht erst die Freundschaft mit Malik, einem gleichaltrigen Jungen, möglich. Mit ihm erleben sie Freiheit und Selbstbestimmung. Nach diesen Erfahrungen ist auch ein Leben mit dem Vater auf einer anderen Grundlage möglich. Nicht nur das s/w-Format verleiht diesem Film eine dokumentarische Atmosphäre, auch Musik und die Liebe zum Kino spielen eine Rolle. Es sind einerseits prekäre Verhältnisse, andererseits wird auch Zärtlichkeit und Zuneigung sichtbar.
Der Filmemacher Alexandre Rockwell (bei Sweet Thing für Regie, Buch und Sounddesign verantwortlich) studierte an der Cinémathèque Française in Paris, begann mit Kurzfilmen, sein Langfilmdebüt Lenz war 1982 auf der Berlinale zu sehen, weitere erfolgreiche Filme folgten. Sein jetzt bei Generation gezeigter Film ist fast so etwas wie ein Familienunternehmen, denn die Rollen der Geschwister sind mit Lana Rockwell (Billie) und Nico Rockwell (Nico) besetzt und ein weiteres Familienmitglied, Sam Rockwell, gehört zum Produzententeam.
Sweet Thing würde man eher im 14plus-Programm vermuten, diesen Film bei Kplus mit der Altersempfehlung ab 13 zu platzieren, ist auf jeden Fall mutig und wird wahrscheinlich das Filmgespräch schnell in Gang bringen. Darüber wurde nach der Vorab-Pressevorführung im Kollegenkreis diskutiert, umso überraschender war dann die Entscheidung der Kinderjury – siehe Preisträger.
Der Film Los Lobos (Die Wölfe von Samuel Kishi Leopo, Mexiko) erzählt die Geschichte eines »Ortswechsels«, der zunächst ganz normal vonstatten geht. Da passiert eine junge Mutter mit ihren beiden Söhnen Max (8 Jahre alt) und Leo (5) die Grenzstation zwischen Mexiko und den USA, den beiden Jungen hat sie versprochen, nach »Disneyland« zu fahren. Davon ist aber weit und breit nichts zu sehen, sondern nur eine von den Vorgängern runtergewirtschaftete Ein-Zimmer-Behausung, deren Adresse die Mutter hatte und in die sie nach einigem Zögern einziehen. Für die Zeit ihrer Abwesenheit – sie muss zunächst eine Arbeit finden – gibt sie den Kindern Verhaltensregeln, und das erste Gebot ist, die Wohnung nicht zu verlassen. So vergeht ein Tag nach dem andern, die Brüder vertreiben sich die Zeit und schauen immer wieder aus dem Fenster. Doch eines Tages bricht sich die Neugier auf die Welt draußen Bahn und Max, der große Bruder, übertritt das Verbot, als ein paar größere Jungs vor dem Fenster Fußball spielen. Das hat zwiespältige Folgen, nachdem sich die großen »einheimischen« Jungen Einlass bei den Neuankömmlingen verschaffen und respektlos die paar Habseligkeiten in Augenschein nehmen; und erst recht, als die Mutter – die eine Arbeit in einer Wäscherei gefunden hat – bemerkt, dass ihre Regeln nicht mehr eingehalten werden. Eine anrührende und zugleich komische Szene ist der Besuch des Vierjährigen bei den chinesischen Nachbarn, die ihnen das Appartement vermietet haben, mit denen sie aber auf Mutters Geheiß keinen Kontakt aufnehmen sollten. Eines Tages fährt die Mutter mit ihren Söhnen zwar nicht nach Disneyland, aber immerhin in »kiddies land«, wo sie einen unbeschwerten Tag erleben, was schon ein Lichtblick in diesem ernsten Film ist und mit einem Hoffnungsschimmer, dass die schlimmste Zeit überwunden ist, sein Publikum entlässt. los Lobos erzählt auch von den eigenen Erfahrungen in der Kindheit des Regisseurs und Co-Autoren Samuel Kishi Leopo und erinnert ein wenig an den amerikanischen Film The Florida Project, der vor ein paar Jahren im Kino zu sehen war. Los Lobos wurde von der Internationalen Jury Generation Kplus mit dem Großen Preis bedacht – siehe Preisträger.
Von Amerika in die Mongolei: DIE ADERN DER WELT (Byambasuren Davaa, Deutschland/Mongolei) handelt von einer Gegend, in der sich ein Umbruch anbahnt: Nachdem Goldvorkommen in der mongolischen Steppe, wo traditionsgemäß Nomaden mit ihren Schaf- und Ziegenherden leben, geortet wurden, wühlen sich die riesigen Maschinen globaler Minenkonzerne in die Erde und hinterlassen eine zerstörte Landschaft. Das macht der Spielfilm von Byambasuren Davaa, die u.a. Dokumentarfilmregie an der HFF München studiert hat, deutlich.
Der zwölfjährige Junge Amra, der mit seinen Eltern in einer Jurte lebt, wird täglich vom Vater in einem urigen selbstgebauten Cabrio durch die Steppe zur Schule gefahren. Danach verkauft Erdene, der Vater, am lokalen Markt den Ziegenkäse, den Zaya, seine Frau, selbst herstellt, und er repariert Autos. In seiner Freizeit guckt Amra mit seinen Freunden YouTube-Videos und wünscht sich nichts sehnlicher als am »Mongolia’s Got Talent-Wettbewerb« teilzunehmen. Dazu braucht er aber die Unterschrift der Eltern, doch jedes Mal, wenn er seinem Vater das Formular geben will, kommt etwas dazwischen. Den beschäftigt derweil der Vormarsch der Bergbau-Geräte, dem nur ein lapidares Schreiben vorausgeht: »Es finden Bohrungen auf Ihrem Gelände statt, die Lärm und Staub verursachen. Wir bitten, das zu entschuldigen«… Auch, dass die Nomadengemeinschaft nicht geschlossen gegen die Bergbau-Eindringlinge vorgeht, besorgt ihn. Eine tragische Wende bedeutet des Vaters tödlicher Autounfall, den Amra auf seine Weise versucht zu bewältigen. Die Regisseurin und Drehbuchautorin hat sich in ihrem vierten Film (nach Das weinende Kamel, In der Höhle des gelben Hundes und Das Lied von den zwei Pferden) einem aktuellen, aber noch zu wenig bekannten Thema zugewandt. Ihre Stärke liegt in der Schilderung des Nomadenlebens und der Vermittlung der faszinierenden Weite der mongolischen Steppe und Gebirge. Der Kinostart ist für den Herbst d.J. angekündigt.
Mit einem anderen Großprojekt, aber gleichen Folgen für die Bevölkerung, beschäftigt sich der Dokumentarfilm PERRO (Lin Sternal, Deutschland). Hier geht es um den Bau des »El Gran Canal« in Nicaragua, der eine Verbindung zwischen dem Atlantik und dem Pazifik herstellen soll. Damit erhofft man sich wirtschaftlichen Aufschwung, aber 120.000 Menschen der indigenen Gemeinde im Süden Nicaraguas droht die Zwangsumsiedlung und 400.000 Hektar Regenwald die Rodung. Es gibt Proteste von engagierten Einwohnern in der Hauptstadt Managua und anderen Städten, die aber für den Jungen Perro, der mit seiner Großmutter am Rande eines Dorfes in einer einfachen Holzhütte im Dschungel lebt, nur entfernt aus dem Radio zu vernehmen sind. Schon mehr betroffen ist der zurückhaltende, fast scheue Junge, als im Zuge der Sparmaßnahmen entlang des geplanten Großen Kanals die Lehrer abgezogen und die Schulen geschlossen werden. So muss er mit dem Boot übers Meer in die Stadt zum Schulbesuch fahren, während seine Großmutter in ihrer Hütte bleibt und auf Gott vertraut. Das Problem dieses Films ist, dass er zu langatmig beobachtet und die Gefahren des geplanten Kanals für die nicaraguanischen Ureinwohner, zu denen Perro und seine Großmutter gehören, zu wenig verbalisiert und auch für Kinder nachvollziehbar macht.
STHALPURAN (Akshay Indikar, Indien) – »Zeit und Raum« ist der deutsche Titel bei Kplus. Der Film entfaltet in großer Ruhe und mit Bildern einer traumhaften Landschaft seine Geschichte über den achtjährigen Dighu. Der ist mit seiner Mutter und seiner älteren Schwester bei sintflutartigen Regenfällen und stürmischer See von der Stadt Pune in die Küstenregion von Konkan zu den Großeltern gezogen. Dighus Leben ist von der Abwesenheit des Vaters überschattet und niemand spricht mit ihm darüber. Auch die Schwester hat es aufgegeben, nach dem Vater zu fragen, weil sie nie eine Antwort bekommen hat. Seinem kleinen Tagebuch vertraut der Junge seine Fragen und Beobachtungen an: »In den frühen Stunden der gestrigen Nacht, als nur Stille herrschte, weinte Mutter.« Das Tagebuch ist es auch, das ihm Hilfe in dieser Zeit der Trauer und Einsamkeit ist. Immer wieder sehen wir ihn mit Schirm durch Regen und Gewitter laufen, einmal steht ein traditionell gekleideter Mann am Wegesrand, Dighu verlangsamt seine Schritte, es könnte die Erinnerung an den Vater sein. Eine Melancholie durchzieht immer wieder den Film, aber er vermittelt auch Dighus Schritte zu einem selbstständigen Denken und allmählichem Begreifen der Dinge, die in seiner neuen Umgebung geschehen. Ein Film für nachdenkliche Kinder ab 8.
Akshay Indikar, der 28-jährige indische Filmemacher, der aus einem Nomadenstamm kommt und am Film- und Fernsehinstitut in Pune studierte, hat bereits in seinem Debütfilm Trijya sehr persönliche autobiographische Erfahrungen verarbeitet. Auch Sthalpuran, sein zweiter Spielfilm als Regisseur, Drehbuchautor und Cutter, ist persönlich geprägt. Dieser Film sei für ihn »eine Möglichkeit, die schmerzhaften Erinnerungen zu überwinden, um mich zu entlasten und zu versuchen, sie zu verstehen. Der stärkste Fixpunkt meiner Meditation war die Frage: Was geht in den Menschen verloren, wenn sie auswandern.«
Mignonnes (Maïmouna Doucouré, Frankreich, deutscher Titel: Die Süßen) handelt auch von einer Aus- bzw. Zuwanderung, und zwar der elfjährigen Amy, die mit ihrer Großfamilie aus dem Senegal nach Paris gezogen ist. Eine grandios inszenierte Netflix-Produktion, die mit einem eindrücklichen Bild beginnt: Das geschminkte Gesicht eines weinenden Mädchens, das sich als die elfjährige Amy entpuppt, um die es in diesem Film geht, und schon – was man dann feststellt – auf das Ende verweist, wo das gleiche Bild erscheint, aber mit einer ganz anderen Deutung. Dazwischen liegt eine spannungsgeladene Coming of Age-Geschichte mit Immigrationshintergrund. Amy lebt in einer polygamen Großfamilie, will aber in der neuen Umgebung dazugehören. Zum Konflikt mit der konservativen Familie kommt es, als Amy erfährt, dass der Mann ihrer Mutter, Amys Vater, eine zweite Frau aus dem Senegal in Paris, in ihrer neuen Wohnung, heiraten wird. Amy fühlt sich viel mehr zu den Mitschülerinnen hingezogen, die täglich für einen Tanzwettbewerb trainieren, um die siegessicheren älteren Mädchen auszustechen, und erkämpft sich die Gunst der jungen Tänzerinnen. Nun imitiert sie ebenfalls eisern die Bewegungen aus den Musikvideos, gefällt sich wie die anderen in stereotypen Posen. Amy verändert ihr Aussehen immer mehr, wird selbstbewusst, gibt Kontra – in der Schule und zu Hause. Sie macht auch grenzwertige Erfahrungen und es ist oft ein verzweifelter Kampf um Anerkennung auf beiden Seiten. Das wird in eindrücklichen, exakten Bildkompositionen erzählt.
Die lasziven Tanzszenen, deren Wirkung »den Süßen« noch kaum bewusst ist, können allerdings auch Stoff zur Diskussion sein. Sind die Posen »sexistisch«? Oder sind sie »parodistisch« oder »ironisch« gemeint? Interessant, was die jungen Zuschauer*innen zu sagen haben, dachte ich nach der Pressevorführung – die Reaktionen auf diese Szenen dann bei der Berlinale in der ausverkauften Urania machten aber deutlich, dass sie mehr belustigt haben als peinlich empfunden wurden.
Die Preisträger
wurden am vorletzten Tag der Berlinale, 29. Februar, verkündet (der letzte Tag ist seit Jahren der allgemeine Publikumstag mit einer Auswahl des Berlinale-Programms in allen Spielorten). Ort der Preisverleihung war auch wieder der 850 Plätze fassende, vollbesetzte Humboldt-Saal in der Urania – da herrschte schon vorher eine unglaubliche Stimmung: Kinder und deren Familien, interessierte Erwachsene und hoffnungsvolle Filmteams warteten gespannt
auf das Ereignis. Und nach jeder Verkündung des preisgekrönten Films jubelte es aus einer anderen Ecke des Saals, was sich zu wahren Begeisterungsstürmen steigerte, bis die Glücklichen die Bühne erklommen hatten…
Gläserner Bär
Mit ihrer Preisvergabe hat die Kinderjury von Generation Kplus (elf Mädchen und Jungen aus Berlin, die sich bei der Berlinale jeweils fürs nächste Jahr bewerben können) eine echt reife Entscheidung getroffen, indem sie den »Gläsernen Bären« an SWEET THING von Alexandre Rockwell, USA, mit der Begründung vergab:
»Eine Geschichte voll von jugendlicher Hoffnung und Zusammenhalt, die im Kontrast zur unbunten und von häuslicher Gewalt geprägten Realität auf
atemberaubende Weise mit perfektem Schauspiel begeistert. Dieser Film zeigt, wie Hoffnung und Mut in Musik liegen. Aber auch auf der technischen Ebene hat uns dieser Film begeistert. Denn er führt uns bewusst in die – für die jüngere Generation unbekannte – alte Welt des Films und schafft so einen genialen Kontrast zwischen schwarzweiß und bunt.«
Eine Lobende Erwähnung von der Kinderjury erhielt H IS FOR HAPPINESS von John Sheedy, Australien: »Ein von Anfang
bis Ende motivierender Film, in dem die Protagonistin versucht, die Familie wieder zusammenzubringen. Wir konnten uns gut in die Charaktere hineinversetzen. Das Alphabet führte uns durch einen lustigen und gleichzeitig tiefgründigen Film.«
Der Gläserne Bär für den besten Kurzfilm ging an El Nombre Del Hijo (The Name of the Son von Martina Matzkin, Argentinien: »Der Kurzfilm erzählt von den Selbstzweifeln eines Jungen mit
seiner Identität und einer starken Vater-Sohn-Beziehung. Obwohl wir noch nie in einer solchen Situation waren, konnten wir uns dank des tollen Schauspiels auf emotionaler Ebene hervorragend in die Geschichte hineinversetzen. Es ist kaum in Worte zu fassen, wie berührend eine einfache Geschichte mit starkem Hintergrund sein kann.«
Und eine Lobende Erwähnung an den Kurzfilm EL SGHAYRA (Miss) von Amira Géhanne Khalfallah, Algerien / Frankreich: »In diesem Film wird gezeigt, wie sich ein verspieltes, junges Mädchen durch ihre Unabhängigkeit und Lebensfreude ihre eigene Welt erschafft. In einer atemberaubenden Landschaft sehen wir, wie die Menschen sich gegenseitig die Augen öffnen. Auch uns hat der Film die
Augen geöffnet.«
Preise des Deutschen Kinderhilfswerkes
Die Mitglieder der Internationalen Jury Generation Kplus (Marine Atlan, María Novaro und Erik Schmitt) vergaben den)
Großen Preis der Internationalen Jury von Generation Kplus für den Besten Film, dotiert mit 7.500 Euro, gestiftet vom Deutschen Kinderhilfswerk, an
Los Lobos (The Wolves) von Samuel Kishi Leopo, Mexiko
mit der Begründung: »Eine Mutter opfert den Augenblick für die Zukunft. Ihre Kinder sind in eine neue Welt geworfen, mit neuen Regeln auf einem Kassettenrekorder aufgenommen, die den Rahmen dieses Kammerspiels bilden. Zusammen mit den beiden Brüdern versuchen wir einen Weg zu finden, in Fantasie und Realität einen neuen Raum zu schaffen. Wie Kind sein, in einer Welt mit
verschlossener Tür? In jedem Moment dieses einzigartigen Films fühlen wir, was die Jungs fühlen. Wir sind mit ihnen dort, zusammengekauert und eingesperrt auf beengtem Raum, in einer dreckigen Unterkunft mit miefendem Teppich. Wir möchten ausbrechen. Wir sind mit ihnen dort, aufgehoben in der Hoffnung, bald wieder eine Kindheit zu haben – bald nach Disneyland zu fahren. Wir freuen uns, diesen Langfilm für seinen sehr speziellen und kreativen Zugang zu dieser Erzählung mit
diesem wichtigen Preis auszuzeichnen.«
Eine Lobende Erwähnung ging ex aequo an Mignonnes von Maïmouna Doucouré, Frankreich, und MAMÁ, MAMÁ, MAMÁ von Sol Berruezo Pichon-Rivière, Argentinien:
»Wir haben dieses Jahr eine eher ungewöhnliche Entscheidung getroffen: Wir haben uns dazu
entschieden, eine Lobende Erwähnung für zwei Filme auszusprechen. Weniger aus dem Grund, dass wir uns nicht entscheiden konnten, sondern weil beide Filme auf wunderbare Art und Weise miteinander verbunden sind. Die filmische Sprache könnte nicht unterschiedlicher sein. Der eine Film ist voller Kraft, der andere mit poetischer Ambiguität erzählt. Während der eine unerschrocken rau und direkt daherkommt, erscheint der andere zart und suggestiv. Doch beide Filme beschäftigen sich auf
einzigartige und faszinierende Art und Weise mit dem einen Moment, in dem junge Mädchen durch Furcht und das Gefühl von Zugehörigkeit zu sich selbst finden.«
Spezialpreis der Internationalen Jury von Generation Kplus für den Besten Kurzfilm, dotiert mit 2.500 Euro, gestiftet vom Deutschen Kinderhilfswerk:
EL NOMBRE DEL HIJO von Martina Matzkin, Argentinien
»Weil es wichtig ist, dass die Welt sieht, wer du wirklich bist und weil in dieser Momentaufnahme aus dem Leben eines liebenden Vaters und seiner beiden Kinder Verunsicherungen, Schmerz und guter Wille so wunderschön erzählt werden.«
Lobende Erwähnung: THE KITES von Seyed Payam Hosseini, Iran
»Weil dieser Film uns von Grenzen erzählt, ihrer Willkürlichkeit, wie sie Schwindel erzeugen und uns in Schrecken versetzen können. Und weil es sich um ein poetisches Märchen handelt, das uns zeigt, dass Sprache über Wörter hinausreichen und Empathie aus weiter Ferne spürbar werden
kann.«
Und wieder hat sich bestätigt, dass »Generation« eine der auf- und anregendsten Sektionen der Berlinale ist, mit einer wagemutigen Programmierung, die Kindern auch Filme zutraut, in denen sie ganz andere Realitäten kennenlernen, über die sie nachdenken müssen und Fragen stellen. Langjährige (Fach-)Besucher*innen der Berlinale Generation schätzen deshalb die Vorführungen im Kino inmitten des begeisterungsfähigen, neugierigen und auch schon filmerfahrenen jungen
Publikums. Von Filmwissen und Urteilskraft geprägt ebenso wie überraschend sind auch immer wieder die Entscheidungen der Kinderjury. Nach zehn intensiven Tagen bei der sehr lebendigen „Film im Kino-Generation“ mag man den negativen Kino-Prognosen gar nicht glauben, aber es ist eben auch eine Frage des Angebots – vom besonderen Kinderfilm im Kino über regelmäßige Filmbildung in der Schule bis zur flächendeckenden Berichterstattung – und hier gibt es
noch Handlungsbedarf…
(Aktualisiert nach der Preisverleihung am 3.3.2020)