Cinema Moralia – Folge 225
28 Meisterwerke |
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Kann sich ein Filmemacher als Filmemacher inszenieren? Auf jeden Fall! (Wim Wenders, Desperado) | ||
(Foto: 24 Bilder) |
»Im Kino macht das Bild Angst.« Luc Godard
»Ist das Kino ein aussterbendes Medium? Ja!
Haben Streaming-Dienste das Kino ersetzt? Ja!
Wenn das traditionelle Fernsehen schon dem Untergang geweiht zu sein scheint, welche Überlebenschance hat da das Kino? Keine!
Welche Zukunft hat das Kino heute? Keine!« Wim Wenders
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Als ob mit seinem eigenen Werk auch das Kino zuende ginge.
Im Jahr 1982 hat Wim Wenders einem Dutzend Filmemacher eine Aufgabe gestellt: Während der Filmfestspiele von Cannes bat er sie in ein Hotelzimmer und ließ sie allein, zusammen mit einer laufenden Filmkamera, einem laufenden Fernseher und vier Fragen zur Zukunft des Kinos.
Das Ergebnis war der Film Chambre 666, der beim Internationalen Forum des Jungen Films der Berlinale gezeigt wurde.
Was die Filmemacher aus der Vorgabe machten, verrät wie immer am meisten über diese Filmemacher selbst und ist auch deshalb letztendlich gar nicht so interessant, außer bei denen, wo man es schon vorher wusste: Godard mit Zigarre, ausgerechnet bei ihm läuft im Hintergrund auf dem Fernsehschirm ein Tennisspiel, Roland Garros findet immer während Cannes statt, und Godard klagt, dass Wenders ihn so platziert habe, dass er das Spiel nicht sehen kann: »Der Ball hat das Wort; der Ball spricht, und ich spiele den Balljungen ... erst kommt das Sehen, dann das Sprechen ... Im Kino macht das Bild Angst. ... Hollywoods Traum ist es, nur noch einen einzigen Film zu machen ... Warum sind die Leute so kindisch?«
Der Beste ist Antonioni. Allein, wie er sich die Hosen hochzieht. Der einzige, der beim Sprechen herumläuft. Wie in seinen Filmen auch, macht Antonioni etwas mit dem Raum und spricht dann sehr klug und traurig, aber auch widerständig, nicht weinerlich über die Anpassung der Menschen an die Technik. »Ich mache lieber Experimente anstatt zu reden. Ich habe das Gefühl, es wird nicht so schwierig, uns in neue Menschen zu verwandeln.«
Tempi passati.
Herzog dagegen zeigt sich als ein Geck, der sich Schuhe und Strümpfe auszieht, überaus enttäuschend ist auch Spielberg – ein Prick, der noch nichts von dem heutigen sympathischen Ex-Hippie hat. Und Fassbinder, keine drei Wochen vor seinem Tod, sehr kurz: Über »Sensationskino« gegen das »ganz individuelle oder auch nationale Kino Einzelner.«
Ansonsten eine sehr ungenaue Übersetzung, viel billiger Kulturpessimismus und für einen heutigen Betrachter die Erkenntnis, dass die Zeiten auch früher nicht immer besser waren. Ein totes Kino, nur die ganz Alten sind lebendig.
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Wenn Wim Wenders nun in Eric Friedlers Dokumentarfilm selbst 40 Jahre später seine eigenen Fragen aus Chambre 666 beantwortet, und zwar abgrundtief pessimistisch, allzu pessimistisch, dann ist das erklärungsbedürftig und macht mich wütend – weil es sich der Mann hier wieder mal viel zu einfach macht.
Dass einer, der weiter Filme macht, dessen Werk aber längst hinter ihm liegt, melancholisch wird, wäre verständlich. Der kalte Zorn, knapp am Rande zum Zynismus, der abgeklärte Ton, in dem Wenders das vorbringt, steht nicht nur im Kontrast zu den Kollegen und Freunden, die er vor 40 Jahren interviewt hat, er wird auch von Wenders selbst dementiert.
Mit Taten. Denn gerade sind 28 Wenders-Filme, und nicht die schlechtesten, in der Mediathek der ARD zu sehen.
Gegen den Willen von Wenders?
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Als ich ein Kind und dann Jugendlicher war, wären diese Filme »als Wenders-Reihe« im Fernsehen gelaufen, über vier bis acht Wochen. Heute in der Mediathek, für die Binge-Watcher.
Die Zahlen der wirklich zuschauenden und Wenders' sich zunehmend in Behäbigkeit verwandelnde Langsamkeit aushaltende Zuschauer, die hätte ich mal gern. Auch die Zahlen der Downloads.
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28 Meisterwerke titelt die ARD dazu – woraus man nicht schließen muss, dass sie die dort fehlenden acht anderen Wenders-Filme plus diverse Episoden- und Kurzfilme nicht auch für Meisterwerke hält. Doch auch, wenn man Wim Wenders für einen der größten Filmemacher aller Zeiten hält, wenn man ernsthaft glaubt, jeder seiner Filme sei wichtig... Gibt es das: Einen Regisseur, der nichts anderes produziert als Meisterwerke? Der gewissermaßen eine Meisterwerk-Fabrik ist? Der gar
nicht anders kann, als noch im Schlaf meisterlich zu agieren?
Anders gesagt: Warum immer diese komplett haltlosen Übertreibungen? Warum diese ganzen Superlative?
Oder noch mal anders gesagt: Verrät es nicht alles über den deutschen Film, dass dieser über sich selbst nur in Form von solchen Superlativen kommunizieren kann? Also gar nicht. Verrät es nicht die innere Unsicherheit, verrät es nicht das kleine Denken, verrät es nicht den Schrebergarten im Kopf und den Jägerzaun im
Gemüt?
Meisterwerke! Dann ist mir jeder Regisseur lieber, der es zu gar keinem Meisterwerk gebracht hat.
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»Im Kino macht das Bild Angst«, sagt Godard. Wenders' Bilder haben mir noch nie Angst gemacht.
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Wann soll man so etwas eigentlich schreiben? Wenn irgendwann, hoffentlich erst in 20 Jahren oder noch später, der Nachruf auf Wim Wenders fällig ist, dann macht man das nicht. De mortuis nihil nisi bene.
Und dann fehlt auch die Zeit zum Nachdenken.
Der erste Film von Wenders, den ich im Kino gesehen habe, war Paris, Texas. Mit einem Mädchen, das ich toll fand. Falsche Entscheidung. Ich erinnere mich an das Unbehagen danach. Dieses Prätentiöse, Lackierte, Kitschige – war das also Kunst? Nastassja Kinski fand ich toll, wie jeder damals. Die Landschaft war schön, aber die kannte ich aus anderen Filmen. Und diese hemmungslose
Amerika-Verehrung, die aus Wenders' Bildern quillt, die habe ich schon als Jugendlicher nicht verstanden. Es war, glaube ich so, dass Wenders symbolisch für das stand, was man damals, Anfang der 80er Jahre für große Kunst hielt. Für das, was man zu bewundern hatte. Für das, was man keinesfalls angreifen durfte – außer man wollte sich sofort als Banause outen. Wenn man sich wie ich für Film interessierte, dann musste man Wenders gut finden. Glaubte ich. Die Tatsache, dass ich Wenders
mindestens langweilig fand, war bereits Beweis genug, dass es mit mir und dem Kino nichts werden konnte.
War das also Kunst? Es ging doch anders. Gut ich sah auch gerne andere Sachen: The Fog – Nebel des Grauens, Zärtliche Cousinen, La Boum. Star Wars natürlich. Aber auch Dressed to Kill von Brian de Palma, Woody-Allen-Filme, Diva und dann natürlich Once Upon a Time in America. Da sah man, dass Kino doch was ganz anderes sein konnte.
Selbst im Fernsehen war Friedkins The French Connection unvergesslich. Godards Week End. Irgendein Film mit einem Stau, und dann drehen alle durch. Und ein Film mit Giancarlo Giannini und Ornella Muti, der in Portugal spielte, während der Diktatur, und ganz traurig war. Und wenn dann einem im Fernsehen
die Truffaut-Schau nicht nur gefiel, sondern sie einen dazu brachte, sich alle Truffaut-Filme aus der Videothek auszuleihen und zu schauen, sich sogar eine VHS von Die amerikanische Nacht zu kaufen – dann war das Kino. Aus der Videothek gab es auch Bertolucci 1900. Es ging
doch.
Nichts davon bei Wenders. Dafür diese getragene Bedeutungsschwangerschaft.
Das hat mich, wenn ich ehrlich bin, noch nie interressiert.
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Die jungen Männer aus Wenders' Filmen, die waren neu. So wollte man nicht sein, jedenfalls ich nicht, aber den Typ kannte man. Sie waren »gut getroffen«, zeittypisch im Gegensatz zu den altklugen Kindern, die eine totale Erfindung sind, die es nur in deutschen Filmen gibt, wenn die Natur und die Seele klüger sein soll als Verstand und Kultur – so wie Menschen, die nackt vom 5-Meter-Turm ins Schwimmbad springen, wenn der deutsche Film mal so richtig ausgelassen sein will.
Anfang
der 80er waren sie schon etwas älter. Was ist aus ihnen geworden, im normalen Leben? Es sind, glaube ich, diese jungen Wenders-Männer, die im normalen Leben irgendwann in der Toskana oder in Griechenland von den Bauern noch billig ein leerstehendes Haus ergattert haben und bis heute nicht wissen, ob sie die Bauern betrogen haben oder umgekehrt. Und die heute in irgendeinem gentrifizierten Viertel der Großstädte Weinhandel oder Olivenölhandel betreiben. Die die Welt erklären können.
Oder das zumindest glauben. Und denen man ansieht, dass sie mal jung waren, so aussahen wie die Wenders-Träumer, weil ihre Gesichter heute zwar faltig sind, aber noch immer unzerfurcht.
Junge Männer, die Suchende sind, die nicht jene »Problemgesichter« haben und »Konfliktgesichter«, die Michael Klier einmal überaus hellsichtig an den Schauspielern des Neuen Deutschen Films beobachtet hat, sondern die mehr diese glatten ausdruckslosen Gesichter groß gewordener Kinder haben, alt gewordener Babys – diese jungen Männer in Wenders' Filmen, denen auch damals die Haare schon ausfallen, die immer allein sind, die in diesen Filmen lieber mit Kindern sprechen, weil sie mit Frauen nicht so richtig sprechen können, und die, wenn ihnen dann doch Frauen über den Weg laufen und offensichtliche Avancen machen, dann schweigend lächeln und lächelnd schweigen, diese jungen Männer, die keine Masken vorm Gesicht haben, also keine Bärte tragen, mit denen sie ihr Gesicht verhüllen, keine Werner-Herzog-Schnurrbärte, mit denen sie sich älter, stärker, erwachsener, Mario-Adorf-mäßiger machen, die aber statt einer solchen Maske fast immer eine Kamera vorm Gesicht halten, diese jungen Männer finden ihre beste Verkörperung vielleicht in dem »Philipp Winter«, den Rüdiger Vogler in Alice in den Städten spielt.
Ich weiß: Das hört sich jetzt vielleicht nicht so an, aber ich mag Alice in den Städten und ein paar andere Wenders-Filme wirklich sehr gern. Auch natürlich, weil etwas von diesen jungen Männern und diesen altklugen Kindern und einigen anderen Figuren auch in mir ist. Weil diese Figuren Archetypen sind, die in uns allen sind, uns Deutschen aus der alten Bundesrepublik.
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Ich möchte versuchen, meine Schwierigkeiten mit Wim Wenders zu beschreiben, aber um das angemessen zu tun, denn so geht es ja auch nicht, werde ich mir jetzt erst noch mal die Filme ansehen müssen. 28 Meisterwerke! Oder so ähnlich...
(to be continued)