ABSTAND/ZOOM
E_ECHT (Februar 2021) |
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Beweist künstlerische Haltung: die ZDF-True-Crime-Serie Höllental | ||
(Foto: © ZDF/Alexander Gheorghiu) |
Von Nora Moschuering
Ich hatte schon längst beschlossen, dass mir »Der Alte« lieber war als »Derrick« und dass »Ein Fall für Zwei« mir ein bisschen aufregender erschien, weil der Name Matula so cool klang, als wäre Matula direkt einer amerikanischen Serie entsprungen, wie »Columbo« oder »MacGyver« (dass Matulas Vornamen Josef war, habe ich bis gerade eben verdrängt), als ich das erste Mal »Aktenzeichen XY ...« ungelöst gucken durfte. Auf Nachfragen wurde mir das von meinen Eltern immer damit begründet, dass das ja echte Fälle seien. Und ja, das erzeugte in mir eine Ehrfurcht, einen leichten Schauder, obwohl die nachgestellten Szenen laienhaft und unbeholfen waren und auch die Präsentation der echten Beute, der echten Waffen und der echten Fahndungsfotos eher schäbig wirkte. Aber es sah eben auch sehr nach Dringlichkeit aus, wenn man das Foto einer verschwundenen Person einfach auf ein Stück Tapete legte und abfotografierte (zumindest wirkte das so). Cool war das nicht, aber so ist das echte Leben eben nun mal, das weiß man ja, da gibt es Wichtigeres als ein ästhetisches Präsentationskonzept. Auch die echten Kommissare und die echten Ermittler, die in einer Sackgasse steckten und mich um Mithilfe baten, wirkten zwar deplatziert, aber das zeigte ja nur, dass sie eigentlich woanders hingehörten. Wie ich eben auch. Sie und ich lebten in einer gemeinsamen Realität. Genauso wie sie, ich und der oder die Täter. Das war eben nicht dieses Studio, sondern das echte Leben.
Die Bezeichnungen True-Crime oder True-Crime-Serie gab es damals noch nicht (dafür gab es Mystery-Serie und Reality-TV). Wahre Kriminalfälle, echte Kriminalfälle, Doku-Krimi-Serie, was auch immer da vielleicht im Wording-Prozess der Öffentlich-rechtlichen damals und heute herumgeisterte, es hat sich nicht durchgesetzt und so nennt das ZDF Höllental heute eine True-Crime-Serie. Es gab: »Nach einer wahren Geschichte«, »based on a true story«, allerdings war oder ist das ja eher auf einen fiktionalen Film mit einem echten, realen, also dokumentarischen Hintergrund bezogen. Das fand man schon sehr spannend, obwohl man es zugegebenermaßen nie klar sagen konnte: Was war denn nun genau wahr an der Geschichte und was nicht? (Wahr und echt unterscheide ich jetzt einfach mal nicht). Bei dem True-Crime-TV-Show-Format »Aktenzeichen XY ... ungelöst« und der Sorge vor »Neppern, Schleppern und Bauernfängern« konnte man sich sicher sein: da war alles echt. Opfer, Täter, die Menschen an den Telefonen und auch der Moderator, der besonders.
In der dreiteiligen NDR-Doku (Format-Bezeichnung der ARD) »Eiskalte Spur« (ARD-Mediathek, die fiktionale Serie dazu heißt »Das Geheimnis des Totenwaldes«), wendet sich die Kripo (aha, so heißt das im Tatort und im echten Leben), gleich mehrmals an »Aktenzeichen XY ... ungelöst« um Hinweise zum Verbleib von Birgit Meier oder zu den Ghörde-Morden zu bekommen. Die mithilfe zahlreicher AnruferInnen führt zwar zu Hinweisen aber zu keiner, äh heißen Spur.
Zu den echten
Begebenheiten: Im Sommer 1989, kurz nach zwei Doppelmorden in der Ghörde, einem niedersächsischen Waldstück, verschwindet auch Birgit Meier, die in der Nähe wohnt. Über dreißig Jahre suchte die Polizei nach dem Täter, auch ob die Fälle zusammenhängen, war lange unklar.
Eiskalte Spur geht diesen Verbrechen nach. Mit Archivmaterial aus Sendeanstalten, Privat-Aufnahmen und den Interviews betroffener Personen, vonseiten der Familien, ermittelnder Beamter und einem eigens
eingerichteten, privaten Ermittlerteam ihres Bruders, einem pensionierten, ehemaliger Chef des Landeskriminalamtes Hamburg. Ein Zeitstrahl ordnet die Geschehnisse immer wieder ein (ein wenig so wie das Kassettenband in der Netflix True-Crime-Serie »Ted Bundy: Selbstporträt eines Serienmörders« deren alleinige Existenz ich schon geschmacklos finde), zudem schafft ein Kommentator weitere Übersicht. Zum Glück diese Übersicht.
Weniger »konventionell« ist die sechsteilige ZDF-True-Crime-Serie »Höllental – das Verschwinden der Peggy Knobloch«. »Eiskalte Spur« das klingt wie der Name einer Drei ???-Folge, aber »Höllental«? Auch wenn die Serie nach einem Flusstal in der Nähe des Wohnortes der neunjährigen Peggy Knobloch benannt ist, führt der Titel in eine reißerische Ecke, die glücklicherweise gar nicht der Serie entspricht. »Höllental« ist die konzentrierte und kluge Kartographie des Ortes Lichtenberg in dem Peggy Knobloch lebte und 2001 verschwand, der Ermittlungen und was das mit dem Ort gemacht hat. Die Dokumentarfilmerin Marie Wilke, die schon bei Aggregat 2018 gezeigt hat, wie unglaublich geduldig und feinfühlig sie in der Auswahl ihrer Bilder ist, zeigt sechs ruhig erzählte, aber doch faszinierende Folgen. Immer wieder sieht man menschenleere Straßen, Häuser, in denen sich nichts regt und Kreuzungen, auf denen nichts fährt. Man lernt den Ort kennen, erkennt Häuser, Vorgärten, Giebel, weiß bald wo und wie das Mädchen wohnte, bewegt sich durch die verwaisten Räume, erkennt das Gasthaus, das Rathaus, die Burg. Dazwischen Interviews von Journalisten, aber auch von AnwohnerInnen, Archiv-Aufnahmen, Fotos und sporadisch ein Erzähler: Der Dokumentarfilmer Thomas Heise. Auch der Fall Peggy Knobloch ist, wie die Fälle in »Eiskalte Spur«, geprägt durch unterschiedliche Herangehensweise, Wendungen und Überraschungen. Das ist in beiden Fällen wirklich spannend. Höllental ist aber, wie Suchsland schreibt, ein Dokumentarfilm. Sowohl in seiner ästhetischen Konsequenz, als auch in der Art und Weise wie er von den Vorgängen erzählt, in Bildern oder mit Interviews, beweist er eine künstlerische Haltung. Außerdem hat der Film Vertrauen in seine ZuschauerInnen.
Die dritte deutsche True-Crime-Dokumentar-Miniserie (Wikipedia bezeichnet sie so) ist die auf Netflix veröffentlichte Produktion »Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit«. Echt jetzt? Ja, echt jetzt. Titel! »Rohwedder« ist ganz anders gebaut als die beiden anderen Serien, die meist chronologisch vorgehen. »Rohwedder« schlüsselt in vier Folgen drei unterschiedliche Szenarien und politische Richtungen und Milieus auf, aus denen die Täter stammen könnten, die 1991 den Chef der Treuhand ermordet haben. Die sind mal mehr mal weniger plausibel und deshalb hält die, eindeutig um einiges spektakulärer, inszenierte Serie, zwar die Spannung (die Interviewten sitzen in irgendwie seltsamen Räumen, dunkel, mit wenig Licht, und manchmal weiß man auch nicht, warum da nun gerade diese Person etwas zu sagen hat, alles ein wenig Mystery-Serie), aber verliert dabei an Glaubwürdigkeit und enttäuscht nach hinten.
In die Form, in die sich das Echte pressen lassen muss, passt sie nämlich nicht unbedingt rein. Allerdings ist die Form, in die sich das Echte in den deutschen Serien pressen lassen muss, doch weniger gesetzt, gelernt und starr als in vielen US-amerikanischen Vertretern der Doku-Serien wie: »Wild Wild Country«, »Making a Murderer«, »Ted Bundy« und ganz besonders: »Tiger King«. Da wird die Wirklichkeit in eine Dramaturgie gedrückt, in der ganz viel Aristoteles und Syd Field steckt, und alles, was drüber hinaus steht, wird rigoros weggeschnitten.
Vor allem bei Höllental kann man aber sehen, dass es auch anders geht, hier ist die ästhetische Form zwar streng, aber nur was die Klarheit der Stadt- und Interviewaufnahmen angeht, aber Marie Wilke vertraut ihrer Geschichte und braucht dafür kein »Rohwedder«-Spektakel, sie recherchiert und hat Zeugen und zeigt Wendungen, die sie nicht verurteilt, sondern stehen lässt, im Vertrauen auf die ZuschauerInnen. Und ja, ich denke, wir sind bereit, etwas interessant zu finden, was echt ist und nicht in einem fiktionalen Kostüm steckt, das dem Echten gar nicht passt und auch überhaupt nicht steht.
Zum Schluss noch ein kleiner Exkurs in die »Geschichte der Schimpfwörter« (Netflix) in der Nicholas Cage als Host vor einem Kamin, einem Globus und einem Bücherregal sitzt, der Dreieinigkeit des eloquenten, wissenden, alten Mannes, oder doch nur des Märchenonkels. Wie man mag. Mit Stil schimpft, beschimpft und flucht er sich durch die Folgen. Neben einer kurzen, historischen Einordnung einzelner Schimpfwörter und persönlichen Einschätzungen von SchauspielerInnen, WissenschaftlerInnen und KomikerInnen (während denen man sich fragen kann, ob die sehr lustigen Folgen während der Corona-Zeit entstanden sind und ob all die Hintergründe Corona-Hintergründe sind, ich denke schon), lernt man auch, dass man es, wenn man dabei flucht, länger mit einem Arm in einem Eimer voll Eiswasser aushält, als wenn man es nicht tut. Was für eine gute Handlungsanweisung, um FUCK besser mit dieser FUCKING Corona-Situation umzugehen. Echt jetzt? Fucking shit! Yes, it’s true! Or real?