ABSTAND/ZOOM
F_FERNSEHEN (März 2021) |
||
Auf der Wetten-dass-Sofalandschaft. Hier noch ohne Thommy. | ||
(Foto: Wikipedia) |
Von Nora Moschuering
Im Internet, auf sämtlichen Streaming-Plattformen, in den Mediatheken: alles weggeschaut. Was bleibt: Das Fernsehen. Wehmütige Seufzer aller Menschen, die älter sind als zwanzig. Aber auch nur einen kurzen, unbestimmten Moment, dann ein entschuldigendes Räuspern, denn so ganz genau wissen wir gar nicht, was wir da eigentlich vermissen, und eigentlich gibt es das ja noch: das lineare Fernsehen. Vielleicht findet sich der eine oder die andere diese Tage da wieder, denn da läuft einfach immer irgendetwas und man muss gar keine weiteren Entscheidungen treffen – wenn man sich mal für einen Sender entschieden hat – und hängt dann fremdbestimmt, aber bequem, in seiner Corona-Sesselkuhle. Wenn selbst Netflix sich Ende des letzten Jahres dafür entschieden hat, in Frankreich ein lineares Sendeformat zu starten, kann es um die Idee doch gar nicht so übel stehen, denkt man sich, außerdem kann man sich da auch mal wieder so richtig schön darüber ärgern, was da so geboten wird, oder auch freuen, wenn mal was Interessantes kommt.
Wehmütig ist man vielleicht auch nach was anderem: nach dem Wohnzimmer, in ihm die Sofaecke, gegenüber der Fernseher auf einer dunkelbraunen Kommode, in deren Ablagen sich VHS-Kassetten und DVDs stapelten. Die waren einerseits natürlich für Produktionsstudios als Distributionsmedium interessant, andererseits waren sie für uns als Aufnahmemedium noch viel interessanter, weil wir dann einfach Filme aus dem Fernsehen aufzeichnen konnten, die man sich sonst eigentlich hätte kaufen müssen. Das ist für mich ein Bild des Zu-Hause-Seins, eine spießige Zielvorstellung meines Drifter-Daseins.
Als Kind habe ich mich noch vor dem Frühstück, bei heruntergelassenen Jalousien, ins Wohnzimmer gesetzt, um zu gucken, was der Fernsehtag so bringen würde, ein Tag, der sich so gar nicht um meinen individuellen scherte. Wenn ich dabei Filme entdeckte, die vor einiger Zeit im Kino gelaufen waren, wurde ich ganz aufgeregt, obwohl ich wusste, dass ich mich auf eine breitere Diskussion mit meinen Eltern einstellen musste, gerade wenn sie im Privatfernsehen liefen und durch Werbung unterbrochen wurden. Wenn man eine ganz gewiefte Kassettenaufnehmerin war, dann stoppte man die Aufnahme jeweils während der Werbung. Aber dazu musste man natürlich erst einmal gucken dürfen.
Und wie viele zwei, drei, vier Minuten hat man damals gesehen, die zu einem Ende oder einem Anfang gehörten, an dem man gar nicht interessiert war. Fragmentarische, kurze Eindrücke, die vor allen Dingen eins zeigten: Dass da immer irgendetwas lief. Dass die Anfänge selbst zu bestimmen wären, wie heute bei den Mediatheken, den Streaming-Diensten, bei Youtube oder aber zelebriert wird, wie im Kino, das kannte man vom Fernsehen nicht (nur von den VHS-Kassetten und DVDs). Aber nicht nur der Anfang, auch die Mitte kann jetzt ordentlich gestoppt werden, so dass man sich nicht im Nachhinein erzählen lassen muss, was man »denn verpasst hat«. Wir können heute pausieren, haben aber auch gelernt, dass es ok ist zu verpassen, abzuschweifen, zurückzushuttern und wiederanzusehen oder mittendrin abzubrechen. Deshalb glaube ich auch fest, dass das Kino schon als eine Art »große Konzentration« erhalten bleiben wird.
Hier gilt es nun, »Wetten, dass …?« (die Sondersendung zu Thomas Gottschalks Geburtstag wurde in den November dieses Jahres geschoben), quasi den Prototypen des heimeligen, familiären, gemeinschaftlichen Fernsehens zu thematisieren, die Show, die internationale, meist Hollywood-SchauspielerInnen, von der Leinwand in den Fernseher verschob, also von etwas Ungreifbarem zu etwas Greifbarem machte.
Vor einiger Zeit hatten meine Lieblings-CineastenfreundInnen Nicolaas Schmidt, Anne Döring (die beiden feiern und schärfen ständig die »Theorie« dieser treuen wie dispositiven Linearität des TVs) und Marian Freistühler und ich eine Diskussion über den »Fame« von »Wetten, dass …?«. Ausgangspunkt war die Frage, was der eigentlich so gut kann, der doch nur mäßig witzige Thommy. Klar, er machte sich mit sechs pompösen Samstagabend-Sendungen pro Jahr rar, eine Wichtigtuerart des linearen TVs, durch die alles eine Art Ewigkeit bekam und man Selbstdisziplin üben musste, die die Spannung und Vorfreude schon beim morgendlichen Blick in das TV-Programm erhöhte. Außerdem glaubten wir Thommy, dass er in den USA quasi Tür an Tür mit den Stars wohnte, mit allen »per Du« war, und er dadurch mit Fug und Recht jeder aufs Knie tatschen durfte. Vielleicht war das da so üblich, wir wussten das nicht. Er wirkte so kosmopolit. Zudem changierte er irgendwie glücklich zwischen jung und alt, mit ihm konnten sich mindestens zwei Generationen an TV-NutzerInnen identifizieren. Die Sendung hatte außerdem quasi Nachrichtenpotential, weil alle es sahen, so dass alle gemeinsam mit Mariah Carey wetten durften, und der touchige Thommy war der etwas freche Vermittler.
Dass er jetzt z.B. in Joko Winterscheidts »Wer stiehlt mir die Show?« auftritt, kann man wohl als eine Art ironische Reminiszenz sehen, vor allen Dingen für den Jahrgang von Winterscheidt oder Bauerfeind, die wie ich mit ihm groß geworden sind. Für alle, die es nicht gesehen haben: Gottschalk wird anstelle von Joko Winterscheidt Moderator, »stiehlt ihm die Show«, wie die Spielanleitung lautet, nur um sie dann gleich wieder an Elyas M'Barek zu verlieren.
Irgendwann war es dann allerdings soweit, man wurde ja auch älter, und man sah, dass »Wetten, dass …?« eigentlich peinlich und altbacken war, denn sie war ja insgesamt auf einer sehr wackligen Idee gegründet, die so mau war, dass man Frank Elsner zwar als genialen Übervater sah, aber nicht näher hinterfragen durfte, von was eigentlich. Wetten ist ja auf keinen Fall eine unique Elsner-Idee und internationale WettkandidatInnen einzuladen ist auch nur ein bisschen eine »Idee«. Die kamen ja ohnehin weniger wegen der ultraspannenden Wetten, als vielmehr um Filme und CDs zu promoten. Aber trotzdem: Allein dies so aufzublasen war schon dermaßen dreist, dass es auch irgendwie gut war. Da wurde ein Kinderspiel plötzlich weltbewegend.
So etwa um das Jahr 2000 herum habe ich aufgehört, »Wetten, dass …?« zu sehen oder zu verfolgen, was Thomas Gottschalk macht. Jetzt hat er leider Ende Januar, bzw. schon früher, denn erstausgestrahlt wurde die Sendung bereits am 30.11.2020 (die damals aber »unentdeckt« blieb) seine Meinung vorgebracht, in dem WDR-»Meinungsbringservice« »Die beste Instanz«. Eine Art Stammtisch-TV-Format. Da sprachen ein Schlagersänger, eine Schauspielerin, ein Autor und Moderator und eben der Entertainer Thomas Gottschalk, allesamt weiß, über den Gebrauch von bestimmten rassistischen Wörtern, und dabei wurden haufenweise weitere rassistische Aussagen (re)produziert. (So eine typische, träge, selbstreferentielle Entertainmentblase, die »Fachleute« nur aus dem eigenen Kosmos beruft, weshalb hier nur die »Berufsbezeichnungen« genannt werden.) So gut wie alles, was die TeilnehmerInnen sagten, war ziemlich unter allem Niveau, als wären sämtliche Debatten der letzten Jahre, ach was, Jahrzehnte an ihnen vorbeigegangen. Das, was Thommy sagte, war tatsächlich alles ziemlich blöd bis dumm, bis auf die Aussagen, dass er seine Karriere darauf begründet habe, erst zu reden, dann zu denken. What?! Anscheinend konnte das in den 80ern und 90ern die Basis für eine TV-Karriere sein, was schlimm genug ist, aber heute darf man immer noch am TV-Stammtisch sitzen?
»Die letzte Instanz« lässt einen fassungslos in die da platzierte Runde, aber eben auch auf die Sendungsverantwortlichen schauen, auf Leute, die es doch bitte eigentlich besser wissen sollten: Was sind aktuelle Debatten, und wer spricht warum über was? Aus dem Netz kam glücklicherweise die »Die beste Instanz« als Antwort/Alternative, gehostet von Enissa Amani mit Natasha A. Kelly, Nava Zarabian, Max Czollek, Gianni Jovanovic und Mohamed Amjahid, die sehr zu empfehlen ist. Da hat eine gescheiterte TV-Sendung wenigstens zu einer guten und wichtigen Internet-Talk-Runde geführt. Das ist hoffentlich auch eine Art Korrektiv für die Fernsehmachenden – die sich mittlerweile auch entschuldigt haben –, die sich das ansehen sollten, denn dass sie den Alleinherrscheranspruch, den »Wetten, dass …?« noch für sich hatte, schon längst verloren haben, insbesondere bei jüngeren und diverseren ZuschauerInnengruppen, dürfte ihnen eigentlich klar sein.
Also nichts über das Kinofilme-Gucken im Fernsehen und das Einladen der Prominenz ins Wohnzimmer. So viel also zu einem wehmütigen TV-Text. Jetzt ist eigentlich auch alles egal, räusper: »Hi, I am Johnny Knoxville, welcome to Jackass!« (2000-2002, MTV): ein TV-Format, dessen Inhalte noch heute super im Netz laufen irgendwo zwischen »Wetten, dass …?« und »Upps! – Die Pannenshow« (2005-2018). Jackass & Co. sind wahrscheinlich die böseren, extremeren, groteskeren Ausformungen der Heimeligkeit der Fernsehwelt von »Wetten dass …?«, aber in ihrer Direktheit weniger scheinheilig. Johnny hat sich – zumindest meinem Wissen nach – bisher nicht bemüßigt gefühlt, sich öffentlich zu Themen zu äußern, von denen er nichts versteht, nur weil er weiß und ein Stuntman ist. Das was man über ihn findet, sind hauptsächlich Verletzungen, besonders Brüche, oder Augen, die ihm beim Naseschnäuzen herausploppen und dass er Großvater geworden ist. Der Titelsong von Jackass war übrigens ein Punk-Protestsong von Minutemen mit dem Namen »Corona«, benannt nach der mexikanischen Biersorte, der 2020 ein kleines Comeback feierte.
Es wäre schön, wenn wir Corona mal wieder als Bier denken könnten und einen Punk-Protestsong als Punk-Protestsong, und wenn sich auch im Fernsehen die Uhr weiterdrehen würde in eine bessere, diversere Gegenwart und Zukunft.