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versteigerung in "boltanskis fundbüro"

Mit einer öffentlichen Versteigerung von Fundsachen ging am Mittwoch den 14. Januar eine Ausstellungsinstallation von Christian Boltanski zu Ende.
Der französische Künstler hatte für 2 Monate einen Raum im Haus der Kunst in ein städtisches Fundbüro verwandelt. In mehreren Regalen stapelten sich hier Gegenstände, die ordentlich sortiert - Handschuhe zu Handschuhen, Regenschirme zu Regenschirmen - den Betrachter mit Fragen des Besitzes konfrontierten: Welcher arme Mensch verlor seine Beinprothese (ist er vielleicht schon tot?), wem gehörte die teure Perlenkette, das bayerische Wörterbuch oder das Paar Schlittschuhe ? Wer nur sind die etlichen (hunderte!) von Frauen, die in dem letzten halben Jahr ihre Handschuhe verloren haben?
Beim Schlendern durch die Regale befiel einen - ohne genau sagen zu können warum - ein leichtes Grauen. So viel Besitz ohne Besitzer! Da kommt irgendwie der Gedanke an Tod. Von neuen Gegenständen, etwa aufgetürmt in Kaufhäusern, weiß man, daß sie früher oder später in den Besitz von lebendigen Händen übergehen. Aber gebrauchte Gegenstände? Wurden sie nicht von leblosen (also toten) Händen abgegeben?
Da war man froh, in der Ausstellung wenigstens einen Mensch anzutreffen, einen Beamten des Fundbüros, der für die Dauer der Installation seinen Arbeitsplatz von der Ötztalerstr. 17 in die hehren Hallen des Museums verlagerte.

nichts für schnäppchen- jäger

Und nun, an diesem 14. Januar?
Kein Gedanke mehr an Tod, Stille oder Leblosigkeit. Halb München scheint sich aufgemacht zu haben, um das Fundbüro zu neuem Leben zu erwecken. Der sonst so stille Saal ist bis zum Bersten voll mit steigerungswilligen Menschen, die Luft ist stickig, die Spannung steigt. Bevor es los geht, wird uns vom Leiter des Hauses, Herrn Vitali, das Kommen von Herrn Boltanski höchst persönlich angekündigt, und tatsächlich, nach einer guten ½ Stunde marschiert der Künstler in das von ihm organisierte Spektakel ein. Auf seinen Wunsch hin geht der Erlös der Veranstaltung an die Münchner Obdachlosen, weshalb Herr Vitali denn auch bittet, möglichst hoch zu steigern ("Der Abend ist nichts für Schnäppchenjäger..."). Im übrigen muß man es ohnehin so sehen, daß "jedes Objekt (und es sind immerhin 500) ein Kunstwerk ist" und wer das nicht glaubt, kann sich zur Sicherheit sein ersteigertes Objekt später von Christian Boltanski handsignieren lassen.

Das mit Spannung erwartete erste "Kunstwerk" ist dann - ziemlich profan - ein Regenschirm, dem noch einige von seinesgleichen folgen. Begonnen wird meist um die 5,- und dann wird per Handzeig in Eine-Mark-Beträgen hoch gesteigert.
Nachdem schließlich alle Regenschirme neue Besitzer gefunden haben, wird es endlich spannend: ein kleiner Stoffgorilla (Marke Oktoberfest-Souvenir) wird von der Menge zum erklärten Kunstwerk gemacht, indem plötzlich immer höher gesteigert wird. Ein Schlagabtausch von Preisen beginnt bis schließlich eine Dame 200,- zu zahlen bereit ist, um den Gorilla ihr eigen nennen zu können. Wenn das nicht billige Kunst ist (oder ein teures Stofftier?) !

So finden im Laufe des Abends ein Spielzeug-Polizeiauto (20,-), diverse Federmäppchen (26,-), eine Kastagnetten-Maus (52,-) und schließlich auch die Beinprothese (240,-) zu neuen Besitzern. Beliebtestes Objekt ist ein altes Postfahrrad (270,-), wenig Interesse hingegen finden Aromalämpchen und Kristallvasen à la Versandhaus-Kunst.
Die von mir anvisierte Thermoskanne (Chrom, ganz neu!) geht leider an Herrn Boltanski selbst, der dafür 66,- zahlt, ebenso wie ein Schlafsack, den er für bescheidene 34,- ersteigert. Natürlich drängt sich da sogleich die Frage nach Kunst oder Campingurlaub auf, wobei eine solche Überlegung leider unbeantwortet bleiben muß, ebenso wie jeder für sich selbst entscheiden muß, ob sein ersteigertes Objekt nun Kunst ist oder nicht. Eine gute Tat hat man aber auf jeden Fall getan, denn für die Münchner Obdachlosen kommt schließlich ein ansehnlicher Betrag zusammen!

christine walter


schadographie - die kameralose fotografie

und ihre Anfänge



Anläßlich der Christian Schad-Ausstellung im Lehnbachhaus wird es Zeit, sich mit einem eher unbekanntem und von der Kunstgeschichte vernachlässigtem Thema zu befassen: dem Fotogramm oder wie nach Christian Schad benannt, der Schadographie. Diese Technik der kameralosen Fotografie, die im allgemeinen neben Solarisation und abstrakter Fotografie als eine Form der experimentellen Fotografie gilt, also meist nur als Randgebiet der klassischen Fotografie angesehen wird, hat sich längst von der Fotografie emanzipiert und beansprucht eine autonome Position zwischen Fotografie und Malerei.
Die Technik der kameralosen Fotografie besitzt viele Namen und Ausprägungen entsprechend ihren “Erfindern”. Sie ist bekannt als Fotogramm (Moholy-Nagy, El Lissitzky), Schadographie (Christian Schad) , Rayographie (Man Ray) oder photogenische Zeichnung (Henry W. Fox Talbot). Denn “erfunden”, d.h. neu entdeckt wurde die kameralose Fotografie immer wieder: Zum ersten mal wurde die Lichtempfindlichkeit von Silbernitrat noch vor Erfindung der eigentlichen Fotografie entdeckt. Henry W. Fox Talbot, der Erfinder des Negativ-Positiv-Verfahrens, schuf in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts bei seinen Versuchen zur Erforschung der Lichtempfindlichkeit von chemisch behandeltem Papier Bilder von poetischer Schönheit. Nur durch das Licht, die Pflanze und das Papier gelang es ihm, ohne Zuhilfenahme eines Objektives oder der zeichnerischen Hand des Künstlers, den “Pinsel der Natur” selber zeichnen zu lassen (vgl. sein gleichnamigen Buch “the Pencil of Nature” von 1844). Indem er lichtdurchlässige Pflanzen auf das präparierte Papier legt und es mit Sonnenlicht belichtet, erscheinen die, in ihren Helligkeitswerten vertauschten Konturen und Strukturen der Pflanze. Die belichteten Stellen werden dunkel, je nach Präparierung dunkelviolett, braun oder schwarz und die unbelichteten Stellen bleiben weiß. Auf dieser Technik, die Talbot “photogenischen Zeichnung” nennt, beruht sein Positiv-Negativ-Verfahren, da das negative Abbild der äußeren Welt mittels photogenischer Zeichnung in ein Postiv umkopiert wird. Talbot erkannte schon bei seinen frühen Versuchen die besondere Schönheit und Faszination der reinen photogenischen Zeichnung, die die aufgelegten Gegenstände in ihrer Orginalgröße und ihrem Detaillreichtum wiedergibt.


das 20. jahrhundert:

CHRISTIAN SCHAD

In den darauf folgenden Jahren waren die Fotografen und Künstler vollauf mit der Entwicklung und der Faszination der eigentlichen Technik der Fotografie beschäftigt, ohne die Sonderformen der Fotografie zu erkunden. Erst in den 10er und 20er Jahren unseres Jahrhunderts wurden Wege einer neuen Darstellung der Welt gesucht. Die bisher bekannten Mittel der Fotografie und Malerei reichten vielen Künstlern nicht mehr aus, die Phänomene der Welt zu erklären, die angesichts neuester physikalischer Erkenntnisse (Relativitätstheorie, Quantenphysik) die Auffassung der visuell erfaßbaren Welt erschüttert hatte. Gerade die Dadaisten lehnten sich im Angesicht des 1. Weltkrieges gegen die bürgerlichen Konventionen auf und suchten, z.B. in der Vereinigung von Wort und Bild oder der Integration von Alltagsgegenständen neue, ungewohnte Ausdrucksmittel.
Seit etwa 1916 arbeitete Christian Schad mit den Dadaisten zusammen und entdeckte 1918, als erster in diesem Jahrhundert, die Möglichkeiten der kameralosen Fotografie (wieder). Wie das Vorgehen bei der Entdeckung zeigt, sah er in dem Endprodukt keine Sonderform der Fotografie, sondern vielmehr eine Variante der Collage. Er beschreibt die Entdeckung folgendermaßen:“Beim experimentieren mit lichtempfindlichem Papier und gefundenen Gegenständen [entdeckte ich] dieses neue Ausdrucksmittel”, das die Gegenstände “in einer ganz neuen Wirklichkeit abbildet.” Entscheidend für ihn war, entsprechend dem kunstfeindlichen Geist der Dadaisten, die Abkehr von der traditionellen Malerei, die Eliminierung des künstlerischen Subjekts aus dem Bild und die Auflehnung gegen die herrschenden Konventionen. In dem er Papier- und Zeitungsfetzen (Relikte der Alltagswelt) auf Tageslicht-Auskopierpapier legte, durch eine Glasscheibe auf das Papier drückt und mit Sonnenlicht so lange belichtete bis sich die unbedeckten Stellen schwärzten, erzeugt er keine illusionistische Repräsentation der Welt wie die gewöhnliche Fotografie, sondern bringt ihre Gestalt durch den direktem Kontakt mit dem Papier zum Ausdruck. Die erste Phase der Schadographien, in der ca. 30 Werke entstanden von denen einige qualitative Exemplare in der Ausstellung im Lehnbachhaus zu sehen sind, dauert jedoch nur wenige Jahre, da er sich nach 1920 von den Dadisten ab und der Malerei der “Neuen Sachlichkeit” zuwandte. Erst in den 60er Jahren greift er die Schadografie wieder auf, nachdem er von dem Fotohistoriker Helmut Gernsheimer zu einer Neuauflage der frühen Schadografien gedrängt wird. Schad zieht es jedoch vor, sich von neuem diesem Thema zu widmen und schafft eine Reihe neuer Schadografien, von denen auch einige Beispiele im Lehnbachhaus vertreten sind. Diese späten Arbeiten unterscheiden sich von den frühen durch ihren schwarzen Tiefenraum, die stärkere Verhaftung an der Gegenständlichkeit und die in bewußter Gestaltung (im Gegensatz zu den zufälligen Fundstücken der Dadazeit) entstandenen Phantasiewesen, die ihre Nähe zu den Halbwesen des Dichters Aloysius Betrand (1807-1841) nicht leugnen.
Der Begriff “Schadographie” stammt allerdings nicht von Christian Schad selber, sondern wurde von einem der Hauptakteure des Dada, Tristan Tzara 1936 nachträglich geprägt.

MAN RAY

Kurze Zeit nach den Experimenten Christian Schads, entdeckte auch Man Ray, von einer anderen künstlerischen Position ausgehend und ohne gesicherte Kenntnisse der Arbeiten Schads, “zufällig” wie er selber es nennt, die Möglichkeiten der kameralosen Fotografie, die er Rayographie tauft. Als dem Surrealismus nahe stehender Fotograf sieht er im Fotogramm das surrealistische Prinzip des “automatischen Schreibens” im Medium der Fotografie verwirklicht. Seine durch eine spielerische Komposition entstandenen poetischen Bildwelten offenbaren eine mehrdeutige und vielschichtige Sehweise, die dem postulierten “Wahrheitsgehalt” der Fotografie entgegensteht. Die zufällig aus seiner direkten Umgebung ausgewählten, sich zu einem neuen Kontext zusammenschließenden Gegenstände erzählen ihre eigene Geschichte, losgelöst von einem Repräsentationsanspruch.

MOHOLY-NAGY




Von einer ganz anderen Seite nähert sich Laszlo Moholy-Nagy, von 1923 bis 1928 Lehrer am Bauhaus, dem Umgang mit Licht, Objekten und Fotopapier. Ohne jegliche praktische fotografische Erfahrung erschließt er die gestalterischen Möglichkeiten der kameralosen Fotografie zunächst rein theoretisch und liefert in seinem Aufsatz “Produktion/Reproduktion” (1922) das theoretische Gerüst zu dieser Technik. Er erkennt in dem Licht, d.h. in der Niederschrift der Welt im Schatten mittels fotografischer Technik das eigentlich Wesentliche der Fotografie und versucht die Wahrnehmung des Menschen durch die Gestaltung des reinen Lichts zu schärfen. Durch den gesamtgesellschaftlichen, funktionalen Ansatz des Bauhauses geprägt propagiert er die Fotografie als das der Zeit angemessene künstlerische Ausdrucksmittel, das in speziellen Techniken wie dem Fotogram, oder ungewöhnlichen Perspektiven nahezu unbegrenzte Möglichkeiten einer neuen Wahrnehmung offeriert. So entfernen sich seine Fotogramme noch stärker als bei den übrigen Künstlern bisher von der Gegenständlichkeit der äußeren Welt und bilden einen autonomen aperspektivischen Tiefenraum, der von durch das immaterielle Licht gestalteten Formen bevölkert wird. Die verwendeten Objekten dienen nur noch als Lichtmodulatoren. Ihre ursprüngliche oder verfremdete Funktion ist nicht mehr von Bedeutung, wie noch bei Schad oder Man Ray.

das fotogramm heute

ADAM FUSS



Seit diesem “Boom” der Fotogramme Anfang des Jahrhunderts ist diese Technik wieder sehr in den Hintergrund getreten. Zwar benutzten viele Künstler und Fotografen sie immer wieder für Experimente mit dem fotografischen Medium, jedoch sind sie selten Ausdruck einer umfassenden künstlerischen Position In den 60er Jahren greift Florian Neusüss die kameralose Fotografie wieder auf und gibt dieser Technik mit seinen Körperfotogrammen unter Einbeziehung der menschlichen Gestalt eine neue Dimension. Mit Werken von besondere Faszination vollzieht der amerikanisch/britische Künstler Adam Fuss in den 90er Jahren konsequent den Schritt in die Farbigkeit. Denn obwohl die Farbfotografie schon in den 30er Jahren entwickelt wurde, gab es bisher kaum überzeugende Versuche, diese Errungenschaften auf das Fotogramm zu übertragen. Nicht nur erstaunt dieser Künstler im Zeitalter der computergenerierten Bilder mit der simpelsten aller fotografischen Techniken, sondern er überträgt auch die Diskussion um die heutige Kunst, die Aktualität der Malerei auf dieses Medium. Er spiegelt in seinen Farbfotogrammen den Diskurs zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, zwischen Fiktion und Wirklichkeitswiedergabe, zwischen der Ästhetik der Bilder und Brüchigkeit der Welt wieder.

Vielleicht bleibt, angesichts ihrer immer wiederkehrenden Erscheinung, die Hoffnung, daß diese Technik sich wird befreien können aus ihrer Nebenrolle im Schauspiel der Fotografie und einen eigenen Part zuerkannt bekommt. Denn das eigentlich faszinierende an den Fotogrammen ist die Uneindeutigkeit ihrer Zugehörigkeit.

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