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17.01.2002
 
 

Unvergesslich im Jahr 2001?
Ein Rückblick auf das vergangene Kinojahr

 
       
 
 
 
 

Leonard, die von Guy Pearce gespielte Hauptfigur im großartigen MEMENTO, hat ein Problem. Da sein Kurzzeitgedächtnis gestört ist, weiß er zwar alles aus seiner Vergangenheit, kann sich aber nichts Neues merken.
Als Filmfreund kennt man diesen Zustand. Während man die Klassiker von Hitchcock, Welles und Co. jederzeit abrufbereit im Kopf hat, kann man sich an die Filme des letzten Jahres nur schwer erinnern. Ursache dieses Problems ist weniger ein körperlicher Defekt, als vielmehr das filmische Überangebot, dass einen sowohl qualitativ als auch quantitativ Jahr für Jahr zu erdrücken droht.
Leonard umgeht seine Vergesslichkeit, indem er sich die wichtigsten Fakten eintätowiert. Diese Art der Gedächtnisstütze ist nicht immer geeignet, weshalb hier ein sehr subjektiver und garantiert nicht vollständiger Rückblick ausreichen muss, um einige hervorragende Filme und Schauspieler, die in 2001 übersehen, verdeckt, verdrängt oder ignoriert wurden, wieder in Erinnerung zu rufen.

Zum Beispiel RIDE WITH THE DEVIL von Ang Lee, der von seinem geistigen "Bruder" überstrahlt wurde. Denn beinahe zeitgleich startete bei uns auch Lees TIGER & DRAGON, der sowohl das Publikum als auch die Kritik gleichermaßen begeistertet. Für RIDE WITH THE DEVIL, der sich dem Pathos vieler Spätwestern und speziell der Bürgerkriegsfilme konsequent verweigert, blieb da (zu) wenig Aufmerksamkeit. Dabei ist dieser mal lakonisch, mal unerbittlich erzählte Film über die Folgen von sturem Fanatismus heute aktueller denn je.

Ausnahmsweise nicht mit Preisen überschüttet und vielleicht deshalb weniger wahrgenommen, wurde BROTHER von und mit Takeshi Kitano. Kitano als gewohnt schweigsamer Gangster, diesmal in den Straßen Amerikas, zeigt uns das andere, sperrige asiatische Kino, jenseits der choreographierten Gewalt eines John Woo, den allgegenwärtigen Wire-Tricks und akrobatischen Kämpfern wie Jet Li.

Ebenfalls kämpferisch, aber aus ganz anderen Gründen, gab sich Michelle Rodriguez in GIRLFIGHT von Karyn Kusama. Ein haltloses Mädchen voller Zorn lernt boxen und bewältigt damit ihr Leben. Das klingt nach einer Million Klischees, bedient aber kein einziges davon und erzielt damit einen klaren Punktsieg gegen thematisch ähnliche Filme wie SAVE THE LAST DANCE.

Auf RUSHMORE von Wes Anderson mussten wir lange warten und als er dann endlich kam, war er schnell wieder weg. Sehr sehr schade, den Jason Schwartzman als präpotenter Schüler und Bill Murray als frustrierte Fabrikant sind das obskurste Gespann seit HAROLD AND MAUDE.

Über TRAFFIC wurde eigentlich schon genug gesagt und die fast schon beängstigende Regelmäßigkeit, mit der Steven Soderbergh brillante Filme dreht, bewahrt ihn sicher vor dem Vergessen. Hingewiesen sei jedoch auf den Darsteller Benicio Del Toro, der neben Michael Douglas und den anderen namhaften Stars gerne übersehen wurde.
Seine Klasse bewies Del Toro darüber hinaus noch als leicht debiler Fallensteller in DAS VERSPRECHEN. Ein kleine Rolle, die selbst neben der mächtigen Leistung Jack Nicholsons nicht verblaßt.

Überhaupt war DAS VERSPRECHEN von Sean Penn absolut sehenswert. Ein bedrückender, spannender und fesselnder Film, über einen Inspektor, dem jedes Mittel Recht ist, um einen Kindermörder zu finden. Der Mörder bleibt in diesem Film ein Phantom, dafür lernt man die Schuld in all ihren Facetten kennen.

Benicio Del Toro stand vielleicht ein wenig im Schatten von großen Stars, dafür kann er sich damit trösten, in zwei außergewöhnlichen Filmen gespielt zu haben. Andere Darsteller hatten weniger Glück, mühten sich in Werken von zweifelhafter Qualität ab und wurden - ihren guten Leistungen zum Trotz - auch noch wenig beachtet.
Etwa Philip Seymour Hoffman als desillusionierter Rockkritiker Lester Bangs in ALMOST FAMOUS oder Geoffrey Rush als agiler SCHNEIDER VON PANAMA oder Colin Firth im Kampf gegen Hugh Grant um das Herz von BRIDGET JONES oder James Gandolfini als schwuler Killer in THE MEXICAN.

2001 war überhaupt das Jahr von Gandolfini, der vielen in der Rolle des Tony Soprano, aus der gleichnamigen Fernsehserie, bekannt sein dürfte. Seine Darstellungen sind immer sehenswert, wenn auch die Qualität der ganzen Filmen sehr stark schwanken kann. THE MEXICAN war weitgehend belanglos, DIE LETZTE FESTUNG, in dem er ein gnadenlosen Gefängnisdirektor spielte, war ein pathetisches Ärgernis, THE MAN WHO WASN'T THERE, wo er als betrügender und betrogener Geschäftsmann brillierte, war dagegen einfach genial.

Die Coen-Brüder haben mit diesem schwarzweißen Meisterwerk erneut ihre Klasse bewiesen. Kollege Willmann hat an dieser Stelle den Film entsprechend lobend besprochen und dabei die Frage gestellt, ob der Hauptdarsteller Billy Bob Thornton nicht gar der beste lebende amerikanische Schauspieler ist. Ich wüßte nicht, was gegen diese Annahme spricht.

Nachzuprüfen war das etwa in BANDITEN!, in dem Thornton einen extrem nervösen Hypochonder spielt und somit das genau Gegenteil des lethargischen Friseurs aus THE MAN... darbot. An Thorntons Seite spielt in BANDITEN! die talentierte Cate Blanchett und der um ein neues Image bemühte Bruce Willis, der zwischen den beiden aber schauspielerisch auf verlorenem Posten stand.

2001 gab es erstaunlich viele Filme, die Engel bzw. Angels im Titel trugen, doch keiner zeigte ein so unhimmlisches Leben wie ENGEL DES UNIVERSUMS von Fridrik Thor Fridriksson. Der Altmeister aus Island schickt den Schauspieler Ingvar Eggert Sigurdsson in einen Teufelskreis aus Alltagsfrust, Liebeskummer, Geisteskrankheit und Psychiatrie. Am Schluß springt er von einem Hochhaus, ohne Hoffnung, ohne Engelsflügel. Ein Film der einen noch lange beschäftigt.

Einen ebenso trügerischen Titel hatte JESUS' SON von Alison Maclean, der mit Religion wenig zu tun hatte. Um Drogen dreht sich das Leben des von Billy Crudup gespielten Herumtreibers und dessen Suche nach dem nächsten High ist manchmal zum Schreien komischen, manchmal auch todtraurig und in einigen Szenen fast märchenhaft schön. An Crudups Seite stehen dabei viel gute Schauspieler wie Denis Leary, Jack Black, Holly Hunter und Dennis Hopper.

Nicht zu übersehen waren im letzten Jahr die Filme aus Österreich. Der Sanitäter-Krimi KOMM SÜßER TOD von Wolfgang Murnberger und die perfide Moritat DER ÜBERFALL von Florian Flicker beeindruckten voll und ganz. Beide Male dabei, der Kabarettist Josef Hader. "Du glaubst es nicht, wie gut der schauspielern kann", würde Wolf Haas schreiben.

Dagegen nur teilweise überzeugen (vor allem durch seine makabre Drastik) konnte Paul Harathers DIE GOTTESANBETERIN mit Christiane Hörbiger in einer eher ungewohnten Rolle. Besser war Harathers Low-Budget Film MAMA'S BOY (alternativ THE RAGU INCIDENT), der auf dem Filmfest München zu sehen war. Hier zeigt Harather die Welt eines klassischen Italo-Amerikaners, dessen Liebe zu einer Frau an der falschen (wie könnte es anders sein) Tomatensauce scheitert. In der Hauptrolle der Komiker Paolo Romanacci.

Zu den Dokumentarfilm-Highlights zählten zum einen BLACK BOX BRD von Andres Veiel, über Deutschland zur Zeit des RAF-Terrors und ABSOLUT WARHOLA von Stanislaw Mucha, über die slowakische Heimat von Andy Warhol. Beiden Filmen wurde hier schon ausgiebig gehuldigt.

Mit Lob überhäuft und deshalb nur der Vollständigkeit halber sei AMORES PERROS von Alejandro Gonzalez Inarritu genannt. Am Ende gewinnen hier die Bösen und die Guten stehen dumm da. Aber wer sind in diesem furiosen Großstadtfilm schon die Guten und wer die Bösen?

Kommen wir zum Schluß wieder zu MEMENTO, dieser filmischen Denksportaufgabe mit Guy Pearce und der wunderbaren Carrie-Anne Moss. Dieser Film handelt ja nicht nur vom Vergessen und Erinnern, sondern auch davon, wie sich unser Gehirn die Vergangenheit nach eigenem Willen zurechtlegt.
Vielleicht wurde bei diesem Rückblick deshalb manch wichtiger Film vergessen oder in der Erinnerung erschien etwas viel besser als es war. Um sich darüber zu ärgern bleibt aber keine Zeit, denn die Filme des Jahres 2002 warten schon, um unser Gedächtnis wieder auf die Probe zu stellen.

Michael Haberlander

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