USA 2001 · 116 min. · FSK: ab 12 Regie: Joel Coen Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen Kamera: Roger Deakins Darsteller: Billy Bob Thornton, Frances McDormand, James Gandolfini, Michael Badalucco u.a. |
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Billy Bob Thornton im Kino |
Seltsam: »Depression« hieß die Ära vor ein paar Jahren. Und, O Brother, alles war voll Sonne und Licht und überall diese herrliche Musik in der Luft. Und jetzt ist 1949. Und der Krieg ist vorbei, Du gehörst zu den Siegern, alles blickt vorwärts, alles strebt aufwärts. Jetzt müsste es doch erst recht schön sein. Du hast einen sicheren Job, Friseur, Du hast ein Haus und ein Auto und eine Frau. »You might say I've got it made,« gibst Du selbst zu. Da können doch nicht überall diese Schatten des Zweifels, der Shadow of a Doubt, nagen an Deinem beschaulichen Heimatort Santa Rosa. Da kann es doch nicht auf einmal überall so düster sein, so schwarz, so noir. Da kann doch nicht dieses seltsame Loch sein in Deinem Leben, dieses Unausgefüllte, von dem Du selbst nicht weisst, warum es da ist. Und erst recht nicht, womit Du es stopfen könntest.
Mit Geld vielleicht? Wie kommt einer wie Du, wie Ed Crane, auf die Idee, dass plötzlich alles besser wird (besser? wie denn?), wenn man einsteigt in diese absurde Geschäftsidee vom dry cleaning, von der chemischen Trockenreinigung? Und was soll das bringen, wenn Du für das nötige Startkapital zum Erpresser wirst? Selbst wenn es nur den Boss Deiner Frau trifft, mit dem sie Dich betrügt.
Klar, Du warst nicht im Krieg, wegen Deiner Plattfüße. Das mit der Gewalt und dem Tod
scheint alles so weit weg, hier in Santa Rosa. Da sind tote, von den Japsen aufgefressene Kameraden längst zum Dinner-Scherz geworden, und alles, was man hier von der Kriegsmaschinerie noch zu sehen bekommt ist so ein lächerliches, kleines Messerchen, mit dem man die Zigarren anschneidet.
Zugegeben: Wie sollst Du ahnen, dass das reicht? Um Gewalt und Tod und Schuld und Sühne reinzuholen in Dein sauberes Santa Rosa. Und um Dir richtige Löcher ins Leben zu reißen. Die Du nicht
mal stopfen könntest, wenn Du wüßtest, womit.
Sie lassen die Coen-Brüder nicht loß, die Jahre um und während des zweiten Weltkriegs. Immer wieder kehren sie zurück in die 30er und 40er Jahre – Miller’s Crossing, Barton Fink, The Hudsucker Proxy. (Selbst The Big Lebowski läßt sich lesen als eine um 40 Jahre verschobene Auseinandersetzung mit den bestimmenden Genres jener Ära.) Nun also geht es ganz ans Ende der 40er, in die Zeit des Nachbebens: Äußerlich herrschen Wohlstand und Zuversicht, man ist wieder wer, hat wieder was. Aber die Männer bringen aus dem Krieg Wunden mit, streicheln ihre Frauen mit Händen, die getötet haben – Frauen, die während der Kriegsjahre selbstbewusst und selbständig zu sein hatten und das jetzt wieder verlernen sollen, Frauen, denen man es schwer verübeln kann, wenn sie es während des langen Wartens mit der Treue so wenig genau genommen haben wie ihre Gatten in Übersee. Eine Zeit der Neuordnung, der inneren Verunsicherung. Eine Zeit der spätestens durch Hiroshima verlorenen Unschuld, in die schon kriechend die ersten Vorausläufer der Paranoia eines neuen, eines Kalten Krieges einziehen.
Ins Territorium von James M. Cain, des legendären Autors von »The Postman Always Rings Twice« und »Double Indemnity«, haben sich die Coens nach eigenen Aussagen mit The Man Who Wasn´t There begeben, aber das ist nur ein Ankerpunkt unter vielen bei diesem Film. Mindestens ebenso viel Hitchcock ließe sich finden wie Cain – nicht in der Erzählweise, keineswegs im Stil, sondern darin, wie Schuld hier herumgereicht wird wie ein Päckchen: Kaum einer ist
unschuldig in dieser Welt, aber niemanden erwischt es direkt für das, was er oder sie wirklich Schuldhaftes getan hat. Jeder büßt für die Sünden eines anderen.
Aber die Zitate, die filmhistorischen Anleihen und Parallellen zu entdecken, das ist bei den Coens ohnehin meist nur eine Bonus-Gratifikation für cineastisch Fortgeschrittene. Gern auch mal eine keineswegs unerhebliche, doch bei diesem Film eine recht nebensächliche. Von Ironie wird gern gesprochen im
Zusammenhang mit den Werken der Coen-Brüder. Aber damit ist kaum etwas gesagt; mit so einem unscharfen und oft missbrauchten Wort ist noch nichts Wesentliches erfasst. Die »Ironie« bei den Coens ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Nie ist sie ein einfaches »Das eine sagen und das andere meinen«, nie ein simples Sich-Lächerlich-Machen über das, was man präsentiert. Sie äußert sich in einer wissenden Distanz, in einer Virtuosität des Spiels mit dem Material: Nichts entgleitet den
schöpfenden, formenden, arrangierenden, schaffenden Händen der Coens – und nicht sollen diese Hände unsicht- und vergessbar werden für das Publikum. Manipuliert werden nicht die Zuschauer, sondern der Stoff. Die Manipulation ist Teil der Schau; unsere Freude an Coen-Filmen besteht darin, Mitwisser, Mittäter zu sein, die sich freiwillig einlassen auf ein Spiel.
In The Man Who Wasn´t There aber ist sie ohnehin nur noch hauchdünn, diese »Ironie«. Sie sind
da, die dutzendweisen Zitate und Verweise, sie sind da, die falschen Fährten der Signifikanz, sie sind da, das bizarre Hereinbrechen des Inkongruenten, das Ausbrechen aus dem Erwarteten. Aber nie waren, bei all dem, die Coens näher dran, einen doch eintauchen zu lassen in die Welt eines ihrer Filme, einen ganz in den Bann eines bestimmenden Gefühls zu schlagen. Nie, scheint mir, war so ein großer Ernst im Spiel wie in dieser grandiosen Elegie.
The Man Who Wasn´t There ist kein Film, der einfach nur in den 40er Jahren spielt, es ist auch kein Film über die 40er Jahre. Es ist die leicht verrückte Vision eines 40er Jahre-Films selbst – ein film noir, wie es ihn hätte geben können, wären damals nur etwas bewusstseinsverändernde Substanzen ins Trinkwasser von Hollywood gekommen.
Jedes Ausstattungsdetail ist perfekt, jedes Kostüm, jede Frisur sieht aus eben nicht nach die 40er
vorstellendem production design des 21. Jahrhunderts, sondern »wie im Original«. Dass der Jargon, dass die Nuancen der Sprache(n) (Amerikanisch ist hier eine von Figur zu Figur verschiedene Angelegenheit) stets auf den Punkt sitzen, ist bei den Coens ohnehin eine Selbstverständlichkeit (und macht die Originalfassung unverzichtbar).
Und dann dieses Schwarz-Weiß! Was Kameramann Roger Deakins hier an überirdisch schönen Kompositionen schafft mit farblosem Licht und
Schatten... – eine schon verlorene Kunst, hätte man meinen können. Gedicht-Bände möchte man fast schreiben über jede einzelne Einstellung, darüber, wie das Weiß strahlt im klinisch sauberen Barber-Shop, wie die weggebürsteten Härchen tanzen in der Sonne, wie die abrasierten im Wasser versinken, wie der Rauch der allüberall präsenten Zigaretten durch die Bilder zieht, wie finster das Schwarz sich frisst in Eds Welt, wie die scharfen Streifen von Helligkeit und Düsternis sich
schneiden in Freddy Riedenschneiders Erklärung von Fritz (oder Werner?) Heisenbergs Unschärferelation.
Und doch hätte das alles allein nichts gefruchtet, gäbe es nicht Billy Bob Thornton. Es ist langsam an der Zeit, sich ernsthaft zu fragen, ob nicht er der beste lebende amerikanische Schauspieler ist. Man kann nur hoffen, dass die Allgemeinheit das nicht allzu schnell erkennt, er nicht allzubald zum Markenartikel wird. Denn noch gehört es zu den größten Freuden, in jedem seiner Filme mindestens fünf Minuten zu brauchen, bis man sich sicher sein kann, wirklich ihn hinter einer
Rolle erkannt zu haben. In The Man Who Wasn´t There hat er wenig Möglichkeit, dem schweigsamen Ed Crane durch Dialoge Gestalt zu verleihen – aber er braucht sie auch nicht. Als hätte man Humphrey Bogart, Montgomery Clift, Clark Gable, James Stewart gemeinsam durch die Mangel gedreht sieht er aus; von Statur und Antlitz so perfekt dem Typ jener vergangenen Zeit entsprechend (nur etwas ramponierter), dass man allein durch seinen Anblick nicht selten Zweifel
bekommt, ob der Film wirklich heute gedreht sein kann.
Und Eds stoische Sehnsucht spricht so intensiv, so herzzerreißend aus jeder spärlichen Geste, aus jedem leeren Blick, aus jedem nicht gesagten Satz; in der lakonischen voice-over-Erzählung läßt Thornton solch große Resignation mitschwingen, dass der Film keine einzige Eruption braucht, um die ganze still getragene Verzweiflung dieses Mannes beklemmend präsent zu machen.
»What makes a man?« war die zentrale Frage von The Big Lebowski – »What kind of man are you?« muss sich Ed Crane nun wieder und wieder fragen lassen. Ein Mann zu sein, dass ist in dem Universum der Coens nie eine einfache Sache. Immer wieder geht es bei ihnen um die Männerbilder, die eine Gesellschaft, die ein Genre bereithält und um konkrete Männer, die am Versuch scheitern, diese Rollen zu
erfüllen. Man sollte meinen, 1949 wäre das alles noch einfacher: Die möglichen Haarschnitte für Buben kann man so ziemlich an einer Hand abzählen; man(n) weiß noch genau, was akzeptabel und wann einer »way outta line« ist; Western-Hefte und Detektiv-Magazine liefern die Vorbilder für wahre tough guys.
Aber nie ist etwas einfach bei den Coens. Ed Crane ist einer ihrer typischen »Helden«: Ein Mann, der unversehens in eine Sache hineinstolpert, die weit größer ist als er
überschauen kann. Einer, der sich eher passiv den Kräften ergibt, die mit ihm spielen. (Der eine »wahre«, aktive, von sich überzeugte Held im Coen-Oeuvre, George Clooneys Fugitive-from-a-chaingang-Odysseus in O Brother, Where Art Thou?, ist ein Vollidiot.) Einer, der seine Männlichkeit, sein Mann-Sein immer wieder anzweifeln lassen muss.
Immerhin: Dieser Film hat eine Antwort parat auf die Frage
»What kind of man are you?«. Freddy Riedenschneider gibt sie uns. (Der beste Anwalt, den Du kriegen kannst, wenn Geld keine Rolle spielt: Riedenschneider. Freddy Riedenschneider.) Aber diese Antwort macht nichts einfacher: »He is modern man,« lautet sie. Ed Crane ist der moderne Mensch an sich. (Und Freddy Riedenschneider zeigt, während er das behauptet, genau auf UNS.)
Damit sind wir nur tiefer im Dilemma. Davon geht sie nicht weg, diese Sehnsucht nach dem einen Großen, Wahren, Schönen in einem Leben, dem nach außen hin nichts und innen alles fehlt. »It’s pretty,« sagt Ed, als er ihm zum ersten Mal als Möglichkeit begegnet: Beethoven, langsamer Satz op. 13, die »Pathétique«. Ed weiß nicht, dass das, was ihn da – erst noch so leicht – berührt, rund 150 Jahre auf dem Buckel hat. Dass da jemand vor anderthalb Jahrhunderten im fernen
Europa schon all die unbestimmten Gefühle, das namenlose Sehnen, das in Ed nur halberkannt rumort, in kunstvolle Form gebracht hat. Erst recht ahnt Ed nicht, dass das, was für ihn die letzte Hoffnung wird auf Größe in seinem Leben, darauf, wenn schon nicht selbst die Erfüllung zu finden, dann wenigstens Erfüllungsgehilfe des Schönen zu werden – dass das draußen in der großen Welt gerade mal als braves, nettes Mittelmaß zählt, als leeres Geklimper. (Es sind dies zwar ganz
unspektakuläre, aber doch die grausamsten Szenen in diesem Film: Eds Klammern an diese letzte Hoffnung, blind und rücksichtslos gegenüber dem Mädchen, ohne das sie sich nicht realisieren läßt; jene Mitteilung ihrer Vergeblichkeit.)
Und vom Wissen, »modern man« zu sein, kommt erst recht keine Übersicht in Eds Leben. Der Mensch der Moderne muss leben mit der Unschärferelation dieses Typen Fritz (oder Werner?). (Erst Beethoven, dann Heisenberg: Ed wird diese verdammten Deutschen
einfach nicht los. Wer, bitte, hat denn hier den Krieg gewonnen?) Auch das erklärt uns Freddy Riedenschneider: Je genauer man hinguckt, um so mehr verschwinden die Dinge, die man anschaut.
Ed guckt ziemlich genau auf sein Leben, jetzt, in der Rückschau, und wie er von A nach B und von B nach C gekommen ist, das kann er sehen, das kann er erklären. Aber seltsamerweise scheint kein Weg zu führen von A nach C – was Ed immer mehr abhanden kommt, je genauer er hinschaut, ist eine
Gesamtform, die sein Leben ergeben könnte. »The shape of your life« – von hier unten, auf der Erde, mittendrin, da wird sowas einfach nicht erkennbar. Raus muss man, ganz weit weg, ins Weltall oder so. Dann, vielleicht, kann man sie sehen.
Aber nicht mal die Flucht ist leicht aus dieser Welt – wo selbst im Jenseits grinsende Vertreter lauern und Dir erklären, dass Deine Garagenauffahrt einen neuartigen Belag, macadam, braucht. Und Du selbst im Jenseits im selben
Haus auf der selben Couch hockst, mit Deiner Frau, und Ihr raucht und Euch nichts zu sagen habt.
Und selbst wenn Du raus könntest hier. Fort, ganz weit fort. Wer sagt Dir denn, dass nur, weil die Dinge verschwinden, wenn man sie zu genau, zu nah betrachtet, dass nur deshalb die Sachen dann klarer und dauerhafter werden, wenn Du aus der Ferne schaust? Wer sagt Dir denn, dass dann Dein Leben eine Gestalt annimmt? Und es nicht genauso weg ist.
Und Du mit ihm.
Und keine Spur mehr
bleibt.
Von Dir: The Man who wasn’t there.