Straße der Verlierer |
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Robert Ryan (r.) als Großstadt-Cop unterwegs |
Seit Anfang April zeigte das Filmmuseum München eine Retrospektive zu Nicholas Ray In der ersten Hälfte wurden die frühen, in s/w gedrehten Werke (1947-1954) aufgeführt. Nach einer Pause, das Dok.Fest München gastierte zwischenzeitlich in den Räumen des Filmmuseums, wird die Reihe jetzt wieder fortgesetzt. Bis zum 16. Juni sind dort Filme aus den Jahren 1955-1963 – darunter Klassiker wie Rebel Without a Cause oder Bigger Than Life – zu sehen sowie einige Dokumentationen über den Altmeister selbst.
Man sollte sich Hollywood in den 50er Jahren nicht als einen Ort der Moral vorstellen. Zu sehr treibt die Menschen immer noch die Ereignisse des zweiten Weltkrieg um. Entwurzelt fühlten sie sich wohl, zerrissen und einsam. Man agierte roh, von widersprüchlichen Sehnsüchten angetrieben. Verlierer wie Gewinner. Nicht wenige von ihnen strandeten in Hollywood. Kriegsreporterin Martha Gellhorn zeichnete in ihren Reportagen und Büchern ungeschminkt ein Portrait dieser Generation – von den einfachen Menschen wie den High-Society-Leuten; Regisseur Nicholas Ray schuf mit seinen zu dieser Zeit entstanden Filmen unverwechselbar brüchige Figuren. Modernes Kino, ohne Netz und Seil. Existentiell, lyrisch. Im Nachkriegseuropa wurden seine Filme von Cahiers du Cinéma frenetisch gefeiert; Truffaut bezeichnete Ray bewundernd als »den Regisseur der Nacht, die sich niedersenkt.«
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In seinem Debüt They Live By Night (1947) erzählt Nicholas Ray in düsteren s/w-Bildern die Geschichte des Sträflings Bowie (Farley Granger). Dessen Vergehen ist es, sich auf der Flucht zu verlieben und sich deswegen von zwei Häftlingen, mit denen er aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, los sagen zu wollen. So flüchtet das Liebespaar vor der Polizei und den sinistren Ganoven zunächst per Bus. Später rasen sie in einen Wagen atemlos durchs Land. Trasse für Trasse zieht an ihnen vorbei. Doch die Teenager scheinen vom ersten Moment an auf der Straße der Verlierer zu sein. Ihr Wunsch nach einem gemeinsamen Leben in einem kleinen Haus bleibt nichts als eine Illusion. Christbaumkugeln zerplatzen da ebenso schnell wie das zarte Liebesglück.
In In a Lonely Place (1950) geht es, wenn gleich auch das Milieu wechselt, um eine nicht minder kaputte Figur: den Drehbuchautor Dixon Steele (Humphrey Bogart). Die Jahre des Ruhms in Hollywood sind längst vor bei; in Amerika herrschte gerade die McCarthy-Ära. Dixon, ausgelaugt und zynisch, hofft lediglich noch auf einen lukrativen Auftrag. Ohne dabei, was die literarische Qualität des Skripts betrifft, allzu viele Federn lassen zu müssen. Statt den Auftrag zu ergattern, wird er in einen Mord verwickelt. Und Dixon tut nichts um den Verdacht irgendwie zu entkräftigen. Aus dieser Situation boxt ihn überraschend seine Nachbarin Laurel (Gloria Grahame) mit einem Alibi heraus. Eine Liebschaft zwischen den lonely fighters bahnt sich an.
Ray inszeniert deren erste Begegnung im Präsidium wunderbar: die Protagonisten hegen ein umwerfend unterkühlten Umgang, die Szene selbst ist gespickt mit coolen, präzisen Dialoge (wie könnte es auch bei einem Hollywoodfilm über einen Drehbuchautoren anders sein) und mit viel sagenden, einander taxierenden Blicken. Im Laufe der Zeit zeigt sich jedoch, wie nah bei dem Drehbuchstar Genie und Wahnsinn bei einander liegen. Dixon, der im Krieg als Leutnant in der Armee gedient hatte, neigt zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen. Diese Ausbrüche gehen einher mit sich stetig steigernden Besitzansprüchen an Laurel. Das ängstigt die junge Frau, sie traut ihrem Geliebten gar den Mord zu. Trotzdem bleibt sie bei Dixon; selbst als die Masseuse Mildred sie sinistre anfährt: »Soll es wie beim letzten Mal enden?« Es scheint, als wollte Nicholas Ray in dieser Thriller-Romanze aufzeigen, dass ein jeder ein Gefangener der eigenen Biografie ist.
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Straßen huschen an ihnen vorbei. Kreuzung für Kreuzung. Aus dem Inneren des Polizeiwagens hat dies eine rauschhafte Wirkung. Jim und seine Kollegen sind in einer amerikanischen Großstadt unterwegs auf Streife. Ein Polizist wurde ermordet. Nun suchen sie den Mörder. Robert Ryan spielt in On Dangerous Ground (1952) einen Cop, dessen Nerven zum Bersten gespannt und dem Gewalt ein legitimes Mittel zum Zweck ist. »Warum bringt ihr mich immer wieder dazu, so weit zu gehen?«, sagt er zu einem seiner Opfer, das sich provokant lasziv und verängstigt zugleich auf einem Sessel herum fläzt. Erbarmungslos prügelt Jim auf ihn ein. Später werden diese Hände erneut einen Mann malträtieren, sein Vorgesetzter schickt ihn deswegen in die Provinz. So dunkel die Straßen der Stadt, so schmerzend hell der Schnee auf dem Land. Erneut gilt es einen Mörder aufzutreiben. Einen geistesgestörten Jungen, der ein Mädchen tötete und dessen blinde Schwester (Ida Lupino) ihn vor den Lynchmördern aus dem Dorf zu schützen versucht. Vorsichtig tasten ihre Hände an einem Baumstumpf, einer Büste und einem Tisch entlang, um sich in ihrer Wohnung zu orientieren. Die (männliche) Gewalt aber lodert längst. Eine Lampe zerschellt, die Flammen springen auf den Teppich über. Für einen Nicholas-Ray-Film ist dies ein ungewohnt berührender Film, der die Wandlung eines verloren geglaubten, von Gewalt beherrschten Cops zeigt und in dem gar sich streckenweise so etwas wie eine moralische Kraft durchsetzt.
Born to Be Bad (1950) ist zu diesem film noir das absolute Gegenstück. Ein Frauenfilm, in dem die Protagonistin Christabel (Joan Fontaine) fern jeder Moral agiert. Das Unschuldslamm vorgebend, spannt sie ihrer Cousine den Mann aus, einen gutgläubigen Millionär. Auch wenn Christabel, die wohl unter bedrückenden Verhältnissen als Waise auf dem Lande aufgewachsen ist, zeitweilig das schlechte Gewissen plagt – sie wälzt und windet sich verzweifelt auf dem Bett –, gewinnt letztlich der Wunsch nach einem Leben in Luxus Überhand. Robert Ryan mimt in diesem Melodram den Autor Nick Bradley, der sie vom ersten Moment an echauffiert und dadurch ihr Begehren weckt. Trotz ihrer Ehe geht Christabel eine leidenschaftliche Affäre mit dem agilen Schriftsteller ein. Und will keinerlei Entscheidung zwischen den beiden Männern treffen. Wie kein anderer versteht es Nicholas Ray diesen Frauentyp, aufgerieben zwischen widersprüchlichen Sehnsüchten, Szene für Szene glaubwürdig darzustellen – ohne dabei in irgendeiner Form zu werten. Und nur so kann der Film derart bösartig rüber kommen.
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In den nächsten Jahren (1952 bis 1963) wird Nicholas Ray vom s/w-Material auf den Farbfilm umsteigen und er wird vom Film noir zu anderen Genres wechseln. Klassiker wie Rebel Without a Cause (1955), Bigger Than Life (1956) entstehen, aber auch das Jesus-Spektakel King of Kings (1961) oder das Gangsterdrama Party Girl (1958). Im Mittelpunkt seiner mise en scène stehen weiterhin diese unverwechselbar brüchigen Figuren, die von Selbstzweifeln geplagt sind und mal mehr, mal weniger stark aufbegehren, um nicht vollends zu resignieren. »I’m a stranger here myself«, lässt Ray den Schauspieler Sterling Hayden einmal in dem Western Johnny Guitar (1954) sagen. Der Satz mag der Nachkriegsgeneration in Europa durch Mark und Bein gegangen sein. Und beweist einmal mehr, dass bei Nicholas Ray ein Western eben nicht einfach ein Western ist.