Lieder von Himmel und Hölle |
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Schnipp, schnipp, und immer schön im Rhythmus bleiben: Aqui y alla |
Von Dunja Bialas
Nächstes Jahr werden alle von Brasilien reden. Es wird um die Copacabana gehen, um Fußball, natürlich, und um Salsa, Samba und Rumba. Den Rest der lateinamerikanischen Länder wird bei der Aufmerksamkeit, die Brasilien zuteil wird, gerne mal vergessen oder verniedlicht. In Ecuador bewundert man das »Tal der Hundertjährigen«, in dem die ältesten Menschen der Welt leben, bei Mittelamerika fallen einem immer nur die Inkas und Machu Picchu und die Maya ein – nicht zuletzt wegen der abergläubischen Weltuntergangsszenarien, die letztes Jahr von den Hollywoodblockbustern verbreitet wurden. Oder man denkt an das Negative: der »War on Drugs« der USA wird v.a. auf dem südlichen Kontinent ausgefochten. Gerade wird in Kolumbien, dem Land mit dem größten Coca-Anbau, ein Kongress über illegale Drogen abgehalten. Aus Mexiko kam dieses Jahr der große Drogenmafia-Schocker Narco Cultura, eine Dokumentation, die zeigte, wie brutal das Morden in der Mafia-Szene mittlerweile geworden ist, und was für eine Gegenkultur daraus entstanden ist: von ihrem Rumpf abgetrennte Köpfe, die in der Landschaft herumliegen, sind der Stoff für die gerappten Lieder über die »Narco Cultura«, die »Dealer-Kultur«.
Die Lateinamerikanischen Filmtage, die am kommenden Samstag beginnen, wollen weg von den großen Ausrufezeichen, mit denen man die lateinamerikanischen Länder versieht. Drogen, Weltuntergang und Hundertjährige als schlagzeilenträchtige Themen lassen sie links liegen. Die Leiterinnen Samay Claro und Caro Piotrowski setzen auf die stillen Töne des Lebens auf dem südlichen Kontinent. Im Mittelpunkt ihrer Filme über Alltag, Hoffnungen, Träume und Liebe steht dieses Jahr die Musik, in der sich all dies ausdrückt.
»Pánico« heißt eine der heißesten Experimental-Rock-Bands aus Chile. Sie liebt die Geisterstädte der Atacama-Wüste im Norden Chiles mit den verlassenen Minen und Industriebauten aus der Salpeterzeit Anfang letzten Jahrhunderts. Hier findet die Band den Stoff für ihre Lieder, und eine Landschaft, die ihren Seelenzustand widerspiegelt. In dem Eröffnungsfilm der Latino-Filmtage Pánico: La banda que buscó el sonido debajo (The Band that Met the Sound Beneath) nehmen sie uns mit auf ihre Reise in die Städte der Wüste. Wir hören, wie aus Sand Sound entsteht, ein unterschwelliger, betörender Klang. Die Band Pánico ist bei der Vorführung anwesend und gibt im Anschluss ein Live-Konzert. Das sollte man sich nicht entgehen lassen! (Sa., 28.09., 18:00 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek, Konzert ab 20:00 Uhr, ebd.)
Um der Sehnsucht Ausdruck zu verleihen, gibt es die Musik. In Liedern sehnt man sich hin zur Geliebten, man wünscht sich an einen anderen Ort, man träumt von einem besseren Leben. Nichts eignet sich so gut wie Lieder, um Poesie und Politik zu vereinen.
Davon wusste auch Violeta Parra. Sie war die Frontfrau der musikalischen Bewegung des »Nueva Canción Chilena« der 50er und 60er Jahre, die auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machte. Der Spielfilm Violeta se fue a los cielos (Violeta Parra) lässt die Zeit, in der Folklore politisch wurden, noch einmal aufleben. (So., 29.09., 18:00 Uhr, VSB, und Mi., 02.10., 18:30 Uhr, ebd.)
Pedro ist am Ende seiner großen Träume. Jahrelang hat er in den USA gearbeitet, jetzt kehrt er heim zu seiner Familie nach Mexiko. Er will nur noch eins: eine Band gründen und endlich wieder leben. Die Realität aber stemmt sich gegen seine einfachen Lebenstraum. Der Gewinner der »Semaine de la Critique« von Cannes 2012 thematisiert in leisen Zwischentönen ein wichtiges Thema der mexikanischen Gegenwart, das der zerbrochenen Träume und dem Ankommen in der Wirklichkeit. (So., 29.09., 11:00 Uhr, und Do., 03.10., 20:30 Uhr, beides VSB)
Vermutlich gibt es – außer dem Fado – keine geeignetere Musik als den Tango, um zum Ausdruck zu geben, dass man sich in Sehnsucht verzehrt. Der Tango entstand, als Ende des 19. Jahrhunderts Südeuropäer, angetrieben von wirtschaftlicher Not, nach Südamerika emigrierten. In ihren Liedern sangen sie von der Sehnsucht nach ihrer alten Heimat, von ihrem Leid und ihrer Trauer. Später flohen sie vor Diktatur und Verfolgung zurück nach Europa, und wieder war es der Tango, der ihrer Sehnsucht Ausdruck gab.
Das »El Chino« in Buenos Aires war einmal die berühmteste Tangolokal Argentiniens. Der Dokumentarfilm El último aplauso (Der letzte Applaus) besucht die vergessenen Tangogrößen und geht mit ihnen auf Zeitreise. (Di., 1.10., 18:30 Uhr, VSB)
Weniger bekannt als der Tango ist der Danzón, der in Mexiko höchst populär ist. In dem Spielfilm von María Novaro, der den Tanz gleich im Titel trägt, Danzón, können wir rasante Contre-Danse-Rhythmen kennenlernen und mit ihnen ein ganz und gar neues Frauenbild des heutigen Mexiko entdecken. (Do., 03.10., 18:00 Uhr, und Fr., 04.10., 18:30 Uhr, beides VSB)
Zum ersten Mal finden die Lateinamerikanischen Filmtage in einer zweiten Spielstätte statt. Im Werkstattkino werden Filme über die Latino-Musikszene der 50er und 60er Jahre gezeigt: Nosotros, la música vereint die historischen Musikgrößen Kubas bei ihren Auftritten in Bars, Kirchen und auf Straßenfesten zu einem atemberaubenden Videoclip. (Mo., 30.09., 20:30 Uhr, Werkstattkino) Der Dokumentarfilm Yo soy, del Son a la Salsa steht schließlich die karibische Musik ganz im Vordergrund, mit Auftritten von Issac Delgado, El Trio Matamoros, Ismael Rivera, Tito Puento und anderen. (Mi., 02.10., 20:30 Uhr, Werkstattkino)
Lateinamerikanische Filmtage München / Festival de Cine Latinoamericano. 28.September -04. Oktober 2013, Vortragssaal der Bibiothek im Gasteig und Werkstattkino München.
Eintritt 7 Euro (Gasteig) bzw. 5 Euro (Werkstattkino), Eröffnungsveranstaltung inkl. Konzert 8 Euro.
Eine Veranstaltung der Filmstadt München e.V.
Mehr Informationen gibt es hier.