Auf dem Weg zum Anderen |
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Die Wiege des Samba ist Vila Isabel: O Samba von Georges Gachot eröffnet die 14. Tage des Ethnologischen Films |
Von Natascha Gerold
Auch dieses Treffen machte keine Ausnahme. Die Ukraine-Krise, Ebola-Epidemie, weltweiter Terrorismus: Die Schwerpunkte beim kürzlich zu Ende gegangenen Asia Europe Meeting, wie der ASEM-Gipfel offiziell heißt, waren weniger interkontinentaler denn internationaler Natur. Wenn die Flammen von Krisenherden akut über Grenzen lodern, geraten andere Schauplätze ins Hintertreffen. Solchen Prozessen steuern Reihen wie die 14. Tage des Ethnologischen Films – bewusst oder unbewusst, aber jedenfalls aktiv – entgegen. Sie zeigen Arbeiten überwiegend deutschsprachiger Filmemacher, die, entweder allein oder in internationalen Kooperationen, ungewöhnliche Menschen und Lebenslinien fernab Europas aufgetan haben. Im Fokus steht heuer Asien, und zwar ganz anders als bei der großen Polit-Veranstaltung in Mailand.
Denn es herrschen nach wie vor Unruhen im zentralasiatischen Hochland, die noch größer zu werden drohen: Der Film Kampf um Tibet (Fr., 31.10. 19 Uhr) von Shi Ming und Thomas Weidenbach zeigt nicht nur, welche handfeste wirtschaftliche Interessen den Konflikt schon längst und künftig bestimmen. Er macht auch einen erstaunlichen Bewusstseinswandel aus, den sowohl die Bevölkerung Chinas und als auch Tibets dem jeweils anderen gegenüber gerade erleben. Fällt doch bald ein unverhoffter Lichtstrahl auf das Dach der Welt? In Let’s Talk about Free Tibet! (Sa., 1.11. 19 Uhr) lassen Sina Moser und Pia Pedersen Exil-Tibeter zu Wort kommen, sie berichten von Folter, Selbstverbrennung und ihrer Flucht aus der Heimat. Diesen beiden Dokumentarfilmen folgen weitere in der Tibetischen Filmwoche, die vom 5. bis 10. Dezember im Kino im Einstein (KIM) stattfindet.
Beharrlicher, gewaltloser Widerstand – erst vor Kurzem gedachte man hierzulande seines Erfolgs bei den Leipziger Montagsdemonstrationen vor 25 Jahren, protestierten Tausende Menschen in Mexiko medienwirksam für die Aufarbeitung der ungeklärten Morde an 43 Studenten. Auch der 400 Kilometer lange Marsch der 100.000 landlosen Bauern und Ureinwohner Indiens, denen große Rohstoffabbau- und infrastrukturelle Projekte die Existenzgrundlage entzogen, blieb nicht unbemerkt – der Film Millions Can Walk (So., 26.10. 19 Uhr) von Christoph Schaub und Kamal Musale begleitet diese und erzählt von den Hintergründen und Risiken, die die Entrechteten für ihren Zug zur Regierung nach Delhi in Kauf nehmen.
Die Filmreihe zeigt Asien auch als Schatzkammer ungewöhnlicher Leidenschaften an unvermuteten Orten: So erfährt der Zuschauer unter anderem, Wo die freien Frauen wohnen (Di., 28.10. 19 Uhr) von Uschi Madeisky, Daniela Parr und Dagmar Margotsdotter und dass diese Matriarchatskultur der Mosuo in Südchina, die freie Sexualität und Abwesenheit von Gewalt charakterisieren, sich würdevoll gegenüber Ausprägungen der modernen Zivilisation behaupten kann. In Steppenlauf (Mo., 27.10. 19 Uhr) stellt Anni Seitz eine mongolische Jugend vor, die in der heimatlichen Steppe für Olympia trainiert: ohne finanzielle Mittel, gänzlich ohne geeignete Infrastruktur, dafür mit brennenden Herzen für ihren Sport, den Skilanglauf. Doch diese Hingabe, die von ihren Familien und Bundestrainer Georg Zipfel tatkräftig unterstützt wird, verlangt nicht nur ein unvorstellbares Maß an Einsatzbereitschaft, sie konfrontiert die Athleten auch mit starken inneren Konflikten, die Seitz in eindrucksvollen Sequenzen verdeutlicht – hohe Preise für Cool Runnings.
Neben dem jeweils wechselnden Schwerpunkt räumen die Tage des Ethnologischen Films der Musik als soziokulturelles Phänomen stets einen besonderen Stellenwert ein; diesmal eröffnet O Samba (Fr., 24.10. 17 Uhr und 19 Uhr) von Georges Gachot die Reihe. Der betagte Liedermacher und Sänger Martinho da Vila erzählt und singt darin nicht nur von den Ursprüngen des Sambas, der einst von Sklaven
aus Afrika mitgebracht wurde. Er führt an Schauplätze wie sein Kizomba-Fest und die Sambaschule Vila Isabel in Rio, wo Samba nicht nur zum Alltag gehört, sondern mit seinen ironisch-heiteren Gesängen immer noch eine Art Überlebenselixier ist, das Unrecht und Leid erkennt und ihm mit aller Schönheit trotzen will. Eine Haltung zur eigenen Musik, die auch die von den Sambistas räumlich weit entfernte junge Generation der Country-Musiker teilen dürfte: In Country Roads – Der Herzschlag Amerikas (Mi., 29. 10. 19 Uhr) von Marieke Schroeder erheben die Singer-Songwriter ihre Stimmen für eine ehrliche Musik mit authentischem Inhalt fernab der Hochglanzwelt Nashvilles.
Ein besonderes Programmhighlight ist in diesem Jahr N – Der Wahn der Vernunft (So.,
2.11. 19 Uhr) des Belgiers Peter Krüger. Darin porträtiert er das Werk des französischen Forschers und Abenteurers Raymond Borremans, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Faszination für den afrikanischen Kontinent in alphabetischer Reihenfolge zwischen zwei Buchdeckel pressen wollte, jedoch nur bis zum Buchstaben »N« gelangte. In starken metaphorischen Bildern und mit der beeindruckenden Poesie des bekannten nigerianischen Autoren Ben Okri lässt Krüger Borremans
seine Enzyklopädie aus dem Jenseits fortsetzen – ein experimenteller Kunstfilm, der, wie sein Sujet, über Grenzen hinwegschwebt.
Die 13. Tage des Ethnologischen Films finden statt vom 24.10.-2.11. im Monopol in München.